concert for anarchy

Die letzte Seite von „Mein Kampf“

The Yankee Doodle Spirit: Mit musikalischer Propaganda wurde die amerikanische Bevölkerung auf den Krieg gegen die Nazis eingeschworen.

| Jan Dörner

American Warsongs

Kriegspropaganda heutzutage erreicht die Bevölkerung hauptsächlich über den Fernseher. Als das amerikanische Volk, von Weltwirtschaftskrise und Depression gebeutelt, davon überzeugt werden sollte, den Krieg auf dem fernen Kontinent Europa gegen den Faschismus mitzutragen, geschah dies vorwiegend durch Cartoons im Kino und Lieder im Radio. Unter dem Titel „American Warsongs 1933-1947. Hitler & Hell“ hat der Trikont-Verlag aus München in seiner „Flashbacks“-Reihe einige besonders typische, prägnante und kuriose dieser Propagandalieder zusammengestellt: „Songs hauptsächlich aus der Zeit zwischen Weltwirtschaftskrise und Weltkrieg II, als die meisten Amerikaner zwischen Depression und Hoffnungen hin- und hergerissen waren. Und für sich selbst die Frage beantworten mußten, warum in einem Krieg sterben, weit weg jenseits des Atlantik, der sie eigentlich nichts angehen mußte.“

Amerika und der Zweite Weltkrieg

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges hielt sich Amerika als aktiver Teilnehmer von dem Gemetzel in Europa fern. Präsident Roosevelt veranlaßte allerdings wirtschaftliche Hilfe und die Lieferung von Rüstungsgütern an Frankreich und Großbritannien. Doch abwartend bereiteten sich auch die Vereinigten Staaten auf eine Beteiligung am Krieg vor. 1940 verabschiedete Roosevelt das erste Wehrpflichtgesetz zu Friedenszeiten und Gesetzesmaßnahmen zur Mobilisierung der Wirtschaftsressourcen für einen möglichen Krieg.

Der Eintritt in den Zweiten Weltkrieg war für die Amerikaner plötzlicher und heftiger als erwartet. Am 7.12.1941 gipfelte die aggressive japanische Expansionspolitik in dem Angriff auf den US-Marinestützpunkt Pearl Harbour (Hawaii). Der Überfall überraschte die Armee und schockierte die Bevölkerung. Die US-Schlachtflotte im Pazifik wurde ausgeschaltet. Bis heute ist nicht einwandfrei geklärt, wie den japanischen Bombern diese von der Armee unbemerkte Attacke gelingen konnte. Sie machte Amerika vom Materiallieferanten zum aktiven Kriegsteilnehmer.

Am Tag nach dem Angriff auf Pearl Harbour erklärte der Kongreß auf Roosevelts Antrag Japan den Krieg. Deutschland und Italien ließen ihre Kriegserklärung an die USA am 11.12. folgen. Amerika machte sich für einen Sturm auf die „Festung Europa“ bereit. Die G.I.’s wurden verschifft, die Zeit der deutschen Siege nahm ein Ende. Symbolcharakter für die Befreiung Europas vom Faschismus hat der sogenannte D-Day: Am 6. Juni 1944 landeten amerikanische und britische Soldaten am Strand der Normandie und erweiterten ihren Brückenkopf trotz erbitterter deutscher Gegenwehr. In den folgenden Wochen durchbrachen amerikanische Panzer die deutsche Front, Ende August war Paris in der Hand der Alliierten. Letzte deutsche Offensiven scheiterten, im März 1945 überschritten G.I.’s den Rhein und im April reichten sie bei Torgau den Soldaten der Roten Armee die Hände. Am 8. Mai kapitulierte Deutschland. 300.000 Amerikaner ließen im Zweiten Weltkrieg ihr Leben.

Musik und Themen der Warsongs

Die Stilrichtungen der Lieder mit denen das Volk in der Heimat und die Soldaten an der Front zum Durchhalten gebracht und von der Richtigkeit des Krieges überzeugt werden sollten, ist vielfältig: Jazz, Blues, Swing, Country und Gospel – zu der damaligen Zeit vielgehörte Popmusik. Man stelle sich vor, dass während des „Kosovokrieges“ Herbert Grönemeyer, die Toten Hosen und Blümchen die Serben verspottet und sich über Milosevic lustig gemacht hätten. Denn in vielen Liedern ist der Text witzig und albern. Wie in Charlie Chaplins Film „Der Große Diktator“ ist meist Adolf Hitler das Ziel des Spottes, oft trifft es aber auch die abfällig mit „Jabs“ betitelten Japaner – der Angriff auf Pearl Harbour saß tief. Immer wieder wird der Patriotismus eines jeden Amerikaners beschworen. Die Soldaten verlassen in den Songs voller Tatendrang ihre Mütter und Freundinnen, um für Flagge, Freiheit, Vaterland und ihre Liebsten zu kämpfen – und um sowohl Geschichte als auch die „letzte Seite von ‚Mein Kampf‘ zu schreiben“ (Texas Jim Robertson). Die restliche Bevölkerung hingegen wird aufgefordert, kürzer zu treten, um „die Jungs“ im Kriegseinsatz zu unterstützen. Die Band The Hoosier Hot Shots verarbeitete den Appell an das amerikanische Volk humoristisch aber doch ernst gemeint: „A civilian on a diet, helps a soldier on a tank. / Though we may not stay so round, so firm, so fully packed. / No more steak from the cow. Skirts are shorter than before. / So we’ll eat less and see a bit more, / If it’s gonna help win the war.“ Auch wird zum Kauf von Kriegsanleihen, den sogenannten War Bonds angehalten, damit alle ihre patriotische Pflicht erfüllen. Während in manchen Liedern mittendrin Ansprachen gehalten werden, in denen die Amerikaner zum Erwerb der War Bonds aufgefordert werden – die Instrumente verstummen oder spielen im Hintergrund leise das musikalische Grundthema -, ist auch hier wieder die komische Variante zu finden. Der „Yankee Doodle“ gespielt von Luis Oliviera & his Orchestra wird durch einen Dialog zwischen Walt Disney und Donald Duck unterbrochen. Der Erpel hat schon voller Tatendrang das Gewehr für die Front geschultert, als Walt Disney ihm väterlich erklärt, daß sein Land ihn zwar braucht, aber als Käufer von War Bonds und nicht als Kämpfer an der Waffe. Als Donald dann noch hört, daß von seinem Geld die Gewehre, Panzer und Kampfbomber für Uncle Sams Soldaten gekauft werden, ist er sofort Feuer und Flamme, denn War Bonds zu kaufen ist schließlich der „Yankee Doodle Spirit“.

Historische Dokumente und musikalische Kuriositäten

Auch wenn mir auf der CD berühmte Namen wie Bing Crosby, Nat King Cole oder Benny Goodmann begegnen, ist sie für mich, der musikalisch eher in der Musik zu Hause ist, die mit den Ramones ihren Anfang nahm, mehr eine Sammlung von historischen Dokumenten und musikalischen Kuriositäten, als eine vergnügliche Musik-CD. Zu den Kuriositäten gehören z.B. die jodelnden Johnson Sisters und das Lied „Der Führer’s Face“ in dem Johnny Bond durch furzende Soundeffekte verdeutlicht, was er am liebsten in Hitlers Gesicht plazieren würde.

Historisch interessant sind die kurzen Einspielungen aus Radiosendungen, in denen z.B. das Ende des Krieges verkündet wird, oder das spirituelle mit „Hitler and Hell“ betitelte Gesumme des Reverend J.M. Gates, denn hier wird die Stimmung während des Krieges in Amerika fühlbar. Zeitgeschichtliche Dokumente sind auch die Ansprache von Marlene Dietrich an amerikanische G.I.’s, das berühmte – von ihr auf Englisch gesungene – „Lili Marleen“ und nicht zuletzt die als Ausnahme aufgenomme Jazz-Band Charlie & his Orchestra. Diese Gruppe kam nämlich aus Deutschland, war Goebbels‘ Liebling und die einzige erlaubte Combo der eigentlich als „entartet“ geltenden Musik zu Kriegszeiten. In ihrem Repertoire hatten sie Jazz-Lieder mit nazifizierten Texten, die über den deutschen Propagandasender Richtung England gespielt wurden. Auf der CD ist ein Song von ihnen mit dem Titel „You’re driving me crazy“. Eine Parodie auf Englands damaligen Premierminister Winston Churchill, der völlig entnervt jammert, daß die Deutschen ihm immer einen Schritt voraus sind.

Texas Jim Robertson: The last page of ‚Mein Kampf‘ (1940)

Now that we have won the fight, all together we will write, / The last page of ‚Mein Kampf‘. / We will write it, yes indeed, / So the whole wide world can read, / The last page of ‚Mein Kampf‘. / The book ist full of hooey, the way it’s written now, / The plans of Schickelgruber, we changed them all and how. / Now that we have won the fight, / All together we will write, / The last page of ‚Mein Kampf‘.

Coquered nations now are free, they’ll be happy when they see, / The last page of ‚Mein Kampf‘. / We’ll restore each boundary line, allied nations will design, / The last page of ‚Mein Kampf‘. / And there’ll be no timetable to conquer any land. / But there will be four freedoms which will forever stand. / Slavery and brutal might will be ended when we write / The last page of ‚Mein Kampf‘.

Himmler, Goebbels, Goering too,all will pass out when they view, / The last page of ‚Mein Kampf‘. / They will find it’s not a joke, and that Adolf never wrote, / The last page of ‚Mein Kampf‘. / There’ll be no Nazi-land, we’ll put them in their place./ And there’ll be no raving about a Master Race. / Adolf and his gang we’ll send home to Hades when we end, / The last page of ‚Mein Kampf‘.

Texas Jim Robertson: Die letzte Seite von „Mein Kampf“ (1940)

Da wir nun den Krieg gewonnen haben, werden wir alle zusammen die letzte Seite von „Mein Kampf“ schreiben. Wir werden sie schreiben, das ist sicher, damit alle auf der ganzen Welt die letzte Seite von „Mein Kampf“ lesen können. Das Buch ist voller Blödsinn, so wie es jetzt geschrieben ist, die Pläne von Schickelgruber haben wir alle komplett geändert. Da wir nun…

Unterworfene Länder sind nun frei, sie werden froh sein, wenn sie die letzte Seite von „Mein Kampf“ sehen. Wir werden jede Grenze wieder herstellen, die alliierten Nationen werden die letzte Seite von „Mein Kampf“ gestalten. Es wird keinen Fahrplan geben, um irgendein Land zu erobern. Aber es wird viel Freiheiten geben, die für immer sind. Sklaverei und brutale Macht werden beendet sein, wenn wir die letzte Seite von „Mein Kampf“ schreiben.

Himmler, Goebbels und auch Göring werden alle umkippen, wenn sie die letzte Seite von „Mein Kampf“ sehen. Sie werden merken, daß es kein Spaß ist und Adolf niemals die letzte Seite von „Mein Kampf“ schrieb. Es wird kein Nazi-Land geben, wir werden sie schon an ihren Ort bringen. Und es wird kein irres Gerede mehr über eine Herrenrasse geben. Adolf und seine Bande werden wir zum Hades schicken, wenn wir mit der letzten Seite von „Mein Kampf“ fertig sind.