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Die Türkischen Streitkräfte und Menschenrechtsverletzungen

| Poyraz

Am 15. Mai 1999 wurde beim Hague Appeal of Peace ein Bericht vorgestellt, der Menschenrechtsverletzungen in und durch die türkische Armee dokumentiert. Ein Jahr später, am 15. Mai 2000, wurde die deutsche Übersetzung veröffentlicht und jetzt, nach einem weiteren Jahr soll ein aktueller Bericht für das Jahr 2001 auf einer Webseite zur Verfügung gestellt werden. Die Webseite, deren Adresse bei Redaktionsschluss noch nicht feststand, wird Informationen über die Menschenrechtsverletzungen in und durch die türkische Armee zeitnah zweisprachig türkisch/englisch beinhalten.

Die AutorInnen des Berichtes von 1998 hatten sich zum Ziel gemacht zu zeigen, auf welche Weise das türkische Militär an Menschenrechtsverletzungen beteiligt ist. Das hat für die Türkei insofern eine grosse Bedeutung, als sich das Militär „als Wächter der Demokratie bezeichnet“ und Vorwürfe zu Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem Militär bisher kaum erhoben wurden.

Die Webseite erhöht nun den praktischen Nutzen der gesammelten Informationen für Flüchtlings- und Solidaritätsgruppen sowie für RechtsanwältInnen in Europa. Sie können aktuelle Informationen jederzeit auf englisch recherchieren und abrufen.

Als Quelle für die Dokumentation liegen Zeitungsnachrichten, unveröffentlichte wissenschaftliche Arbeiten, Berichte der Menschenrechtsstiftung (TIHV) und Interviews mit ehemaligen Soldaten vor. Die Interviews ergänzen die Datensammlung und sollen helfen, durch einzelne längere Gespräche ein Bild über die Verhältnisse in den türkischen Streitkräften entstehen zu lassen.

Die Menschenrechtsverletzungen innerhalb oder durch das Militär betreffen im wesentlichen Personen, die im Ausnahmezustandsgebiet leben und die BerichterstatterInnen betonen, dass der Krieg eine wichtige Rolle für Art und Umfang der Verletzungen spielt. Aber sie sagen auch, dass „die Realität der Menschenrechtsverletzungen nicht mit dem Beginn des Krieges entstanden ist; Menschenrechtsverletzungen haben historische und strukturelle Gründe.“ Schon bevor die PKK ihre Friedensangebote unternehmen konnte, erteilen die AutorInnen damit der Hoffnung eine Absage, ein einseitig ausgerufenes Kriegsende würde die Situation der Unterdrückten erheblich verbessern und auch wenn die Zahl der Menschenrechtsverletzungen im Südosten zurückgeht, bleibt eine Dokumentation erforderlich.

Das erste Kapitel des Berichtes dokumentiert Menschenrechtsverletzungen von Militärs an der Zivilbevölkerung. Dort stellen die AutorInnen fest, dass „entgegen der weitverbreiteten Stimmung im Volk nicht nur die Polizei in Folterpraktiken involviert ist. Auch die Armee ist mitschuldig. Und besonders die Verantwortung der Gendarmerie, die auf dem Lande die Aufgabe des Sicherheitsapparates übernimmt, ist gross.“

Neben den für die Türkei üblichen Folterpraktiken in Kasernen und Gendarmariestationen werden Fälle überwiegend von Hirten dokumentiert, die im Laufe von Gefechten zwischen Militär und der PKK „versehentlich“ getötet oder verletzt wurden.

Bemerkenswert in diesem Kapitel ist auch die Sammlung von Todes- und Verletzungsfällen durch Minen und Blindgänger. „Wir bewerten die Verletzungen oder Todesfälle von Zivilpersonen, durch Minen und gefundene Bomben, als eine Verletzung des Rechtes auf Leben. Dies gilt besonders für Kinder, die sich der Gefahr nicht bewusst sind. Das verantwortungslose Zurücklassen von Bomben und Raketen sowie die Verminung von Wohngebieten kann nicht als eine „Zwangsläufigkeit des Krieges“ abgetan werden.“ Folgerichtig werden diese Fälle als Menschenrechtsverletzung dokumentiert und der Menschenrechtsbegriff um eine Dimension erweitert.

„Ein Grossteil der Verletzten wurde durch den Verlust von Händen, Armen oder Füssen verkrüppelt. Die meisten Verletzungen und Todesfälle durch Minen finden auf Dorfstrassen, in der Nähe von Grenzstreifen und in der Umgebung von militärischem Gelände statt. Fast alle Todesfälle durch gefundene Bomben waren Kinder.“

Im Zweiten Kapitel werden Fälle von Menschenrechtsverletzungen innerhalb der türkischen Streitkräfte dokumentiert. „Unter den angegebenen Fällen finden sich die meisten der in der Türkei üblichen Arten von Menschenrechtsverletzung wieder. Trotzdem ist nicht zu übersehen, dass es sich bei den öffentlich gewordenen Fällen meistens um die Verletzung des Rechtes auf Leben handelt.“ Die AutorInnen heben hervor, es ginge dabei „um Selbstmorde während des Kriegsdienstes und/oder zweifelhafte Todesfälle. Während die Armee diese Fälle als Selbstmorde darstellt, behaupten die Verwandten, es handele sich um Mord oder zumindest zweifelhafte Todesursachen.“ In den meisten Fällen läßt sich nicht nachweisen, ob es sich um Selbstmorde in Folge von Kriegstraumatisierungen oder um verdeckte Morde durch Vorgesetzte handelt. Signifikant ist aber, dass die überwiegende Zahl der Toten kurdische Männer sind. Von einer nicht einzuschätzenden Dunkelziffer ist auszugehen.

In der Regel werden keine Nachrichten über weitere gerichtliche Untersuchungen gegen die beschuldigten Soldaten veröffentlicht. Alle Versuche der AutorInnen zu Betroffenen Kontakt aufzunehmen schlugen fehl oder wurden aus Angst vor Repression abgelehnt.

Das Dritte Kapitel befasst sich mit den Folgen, die der Krieg auf die Psyche von Soldaten, und ZivilistInnen hat. Unter dem Begriff „Vietnamsyndrom“ sind die posttraumatsichen Stresssymptome in der türkischen Gesellschaft bekannt geworden. Die zerstörerischen Folgen die der Krieg auf die menschliche Psyche haben kann, liessen sich nicht mehr verbergen. Sie wurden zum Medienereignis. Ein Beispiel mag das verdeutlichen:

„Der Kommandogendarm Ali R. Eker aus Balikesir hat zwei Monate nach seiner Entlassung aus dem Wehrdienst mit einem Jagdgewehr Selbstmord begangen. Eker, der nach Ende seiner Wehrpflicht zurück in sein Heimatdorf Mahmudiye kam, hat sich in das Zivilleben nicht wieder einleben können. Seine Familie berichtete, dass er nachts nicht schlafen konnte, in seiner Militäruniform umherging, hinter Türen, unter Treppen und im Strohschuppen Wache hielt und fortwährend „die Märtyrer rufen mich“ sagte.

Der Bericht schwankt zwischen der nüchternen Datensammlung, den nahegehenden persönlichen Interviews und dem engagierten Vortrag von sich aufdrängenden Schlussfolgerungen. Die Motivation ist eindeutig: „Wir haben diesen Krieg nicht aufhalten können, aber können vielleicht, im Versuch seine negativen Auswirkungen auf das Mindeste zu reduzieren, seine Erbschaft an kommende Generationen abwehren.“

Anmerkungen

Die Broschüre kostet 5 DM + Porto und kann in Deutsch bestellt werden bei:

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