GWR-Autorin Rahel war im letzten Jahr mehrere Monate als Freiwillige der Kurve Wustrow in Belgrad aktiv (vgl. GWR 252, 253, 254). Im Mai 2001 besuchte sie erneut die serbische Metropole. Ihre Eindrücke:
In Belgrad. Alles vertraut, Straßen, Menschen, Häuserecken, VerkäuferInnen – wo sind die Veränderungen? Ich frage es und alle fragen mich danach, doch sie sind erst hinter drei Ecken erkennbar und natürlich auch nicht immer positiv. In den Lebensverhältnissen hat sich noch nicht viel verändert, eine Dozentin der Uni verdient immer noch 100,-DM/Monat, Ärzte müssen nach wie vor bestochen werden, ich erkenne die bettelnden Kinder wieder. Aber doch, noch mehr Menschen, die Schwarzmarktware verkaufen, die Lebensmittelkosten sind deutlich gestiegen, und auf der anderen Seite mehr neuere Autos, offizielle Wechselstuben und fester Wechselkurs.
„Das einzige, was sich verändert hat, sind die Slogans an den Wänden, sie gelten jetzt DOS“ sagt ein Freund, aber das ist nicht wichtig, wichtiger ist, dass die meisten Medien wieder sehr regierungsnah berichten, dass die Demokratische Partei Serbiens (DSS) von Kostunica deswegen so anwächst, weil sie viele Mitglieder der Sozialistischen Partei Serbiens (SPS) aufnimmt, dass die Menschen sich nicht erinnern (wollen), mal für Milosevic gestimmt zu haben und nichts Nennenswertes gesellschaftlich angestoßen wird, um den eigenen Nationalismus zu überwinden. Opfer der Geschichte, widriger Umstände, eines verrückten Präsidenten. Mit allen GesprächspartnerInnen lande ich unwillkürlich bei diesem Thema, dies ist das größte Problem für Linke, AktivistInnen. Viele sind ausgepowert. Seit August letzten Jahres Agitation, Projekte, neue Ideen. Daran merke ich am meisten die vergangene Zeit seit Oktober 2000. An der Arbeit von Friedens- Frauen- anarchistischen AktivistInnen. Unabhängige Studierendenvertretungen wurden aufgebaut, zumindest an einigen Fakultäten, es wird gegen die Einführung von Studierendengebühren protestiert, zahlreiche neue Fraueninitiativen im ganzen Land haben sich gegründet, bauen Frauen/Mädchenzentren auf, das Amnestiegesetz für Deserteure ist in Kraft getreten, serbische AktivistInnen sind im Ausland bei Konferenzen gefragt, Lesben und Schwule haben die erste öffentliche Aktion gegen Homophobie gemacht, auch gibt es jetzt ein eigenes Büro, mutig, denn auch rechte Übergriffe besonders gegen Minderheiten der Lesben/Schwulen und gegen Roma nehmen zu.
Wichtig ist ihnen allen die internationale Vernetzung, natürlich zuvorderst mit sozialen Bewegungen in Kroatien, Bosnien, Slowenien, aber auch mit Initiativen und Menschen weltweit. Grenzen auf, nicht nur fürs Kapital. Ja und dann fahre ich zurück und an der Grenze Ungarn/Österreich – am Eingang zu Schengencountry – kontrollieren Grenzbeamte die Dachluken der Zugabteile … willkommen in den alten europäischen Demokratien!