antimilitarismus

Manhattan im Belagerungszustand

| Übersetzung aus dem Amerikanischen: Ira Kukavica (GWR)

War Resisters League:

Während wir dies schreiben, fühlt sich Manhattan als belagerte Stadt: Alle Brücken, Tunnels und U-Bahn-Stationen sind geschlossen, und Zehntausende wandern aus Lower Manhattan langsam in Richtung Norden. Wir von der War Resisters League sitzen hier in unserem Büro, und unsere ersten Gedanken sind bei den Hunderten oder sogar Tausenden von New Yorkern, die beim Zusammenbruch des World Trade Centers ums Leben gekommen sind.

Das Wetter ist klar, der Himmel blau, aber riesige Wolken ballen sich über den Ruinen, in denen so viele gestorben sind, darunter viele Rettungsleute, die beim endgültigen Zusammenbruch vor Ort waren.

Wir wissen, dass unsere Freunde und Kollegen in Washington D.C. in ähnlicher Weise an jene ganz gewöhnlichen Menschen denken, für die das Pentagon an der Stelle, wo es ebenfalls von einem Flugzeug getroffen wurde, zur Falle wurde. Und wir denken an die unschuldigen Passagiere der entführten Flugzeuge, die heute in den Tod gerissen wurden.

Wir wissen im Moment noch nicht, woher der Angriff kam. Wir wissen jedoch, dass Jassir Arafat den Anschlag verurteilt hat. Mit einer eingehenden Analyse wollen wir noch warten, bis mehr Informationen zugänglich sind, aber manches ist bereits jetzt klar. Das Gerede der Regierung Bush über das „Star Wars“-Projekt und die dreistelligen Milliardenbeträge, die dafür ausgegeben werden sollen, ist als die Realitätsflucht entlarvt, die es von Anfang an war: Dem Terrorismus genügen einfachere technologische Mittel!

An den Kongress und an George Bush richten wir die dringende Forderung: Ganz gleich, wie die Antwort oder das politische Vorgehen der USA aussehen wird – es muss klar sein, dass dieses Land nie wieder Zivilisten zum Angriffsziel macht oder die Politik eines Landes akzeptiert, das sich gegen Zivilisten richtet. Das würde ein Ende der Sanktionen gegen den Irak bedeuten, die bereits Hunderttausende von Todesopfern unter den Zivilisten gefordert haben. Es würde bedeuten, dass nicht nur der von Palästinensern ausgehende Terrorismus verurteilt wird, sondern auch die von Israel betriebene Politik der Ermordung führender Palästinenser, die rücksichtslose Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung und die nach wie vor andauernde Besetzung der Westbank und des Gazastreifens durch Israel.

Die militaristische Politik der Vereinigten Staaten hat Millionen Todesopfer gefordert, von der historischen Tragödie des Indochina-Krieges über die Finanzierung der Todesschwadronen in Mittelamerika und Kolumbien bis hin zu den Sanktionen und Luftangriffen gegen den Irak. Unser Land ist der weltweit größte Lieferant „konventioneller“ Waffen – und diese Waffen schüren die krassesten Formen von Terrorismus, ob in Indonesien oder Afrika. Die frühere Politik der Unterstützung des bewaffneten Widerstandes in Afghanistan führte letztlich zum Sieg der Taliban – und zum Aufstieg Osama Bin Ladens.

Andere Länder betreiben eine ähnliche Politik. Wir haben in den vergangenen Jahren das Vorgehen der russischen Regierung in Gebieten wie Tschetschenien verurteilt, ebenso die Gewalt beider Seiten im Nahen Osten und die Gewalt auf dem Balkan. Aber unser Land muss die Verantwortung für sein eigenes Handeln übernehmen. Bis heute haben wir uns innerhalb unserer Grenzen sicher gefühlt. Dass wir an einem hellen, kühlen Tag aufwachen und unsere größte Stadt im Belagerungszustand erleben, macht uns bewusst, dass in einer von Gewalt beherrschten Welt niemand sicher ist.

Machen wir dem Militarismus ein Ende, der dieses Land jahrzehntelang geprägt hat! Schaffen wir eine Welt, in der Sicherheit durch Abrüstung, internationale Zusammenarbeit und soziale Gerechtigkeit erreicht wird, und nicht durch Eskalation und Rache. Wir verurteilen rückhaltlos Angriffe wie die heutigen, die Tausende von Zivilisten treffen – möge uns dieses ungeheure Unheil daran erinnern, welche Folgen die US-amerikanische Politik für andere Zivilisten in anderen Ländern hat. Wir denken besonders an die Angst, die viele aus dem Nahen Osten stammende Menschen, die in unserem Land leben, jetzt befallen wird, und es ist uns wichtig, dass diese Menschen besondere Aufmerksamkeit erfahren.

Wir haben nur eine Welt. Wir haben die Wahl: Entweder werden wir dauerhaft in Angst und Schrecken leben, oder wir suchen in Zukunft nach friedlichen Alternativen zu den kriegerischen Konflikten und erreichen eine gerechtere Verteilung der weltweiten Ressourcen. Wir trauern um die vielen verlorenen Menschenleben: Der Ruf unseres Herzens ist Versöhnung, nicht Rache.

Anmerkungen

Dies ist keine offizielle Stellungnahme der War Resisters League. Der Text wurde unmittelbar nach dem tragischen Geschehen entworfen. Unterzeichnet und herausgegeben am 11. September 2001 von den Mitarbeitern und dem Exekutivkomitee im US-amerikanischen Zentralbüro der War Resisters League.

Die War Resisters League ist ebenso wie die Zeitung „Graswurzelrevolution“ und zahlreiche antimilitaristische Gruppen in 35 Ländern assoziiert mit den War Resisters International (Internationale der KriegsgegnerInnen).