antimilitarismus

Atomwaffen abschaffen – bei uns anfangen!

| Johannes Plotzki

Am 30.09.2001 fand in Büchel/Eifel vor dem Fliegerhorst des 33. Jagdbombergeschwaders der Bundeswehr ein internationaler Aktionstag unter dem Motto: "Atomwaffen abschaffen - bei uns anfangen" statt. Mit dabei waren auch 10 TriererInnen, die dem Aufruf der Initiative für den Atomausstieg Trier und der Arbeitsgemeinschaft Frieden gefolgt waren, um sich im Rahmen der "Globalen Aktionstage gegen Krieg und Militarisierung" für eine internationale Konfliktlösung auf politischem Wege einzusetzen.

Wie bereits die Jahre zuvor sollte auch diesmal eine „Zivile Inspektion“ den Höhepunkt des dreitägigen Camps von über 100 Beteiligten aus den Niederlanden, Belgien, Luxembourg, Deutschland, USA und Großbritannien darstellen. Damit sollte auf die nukleare Teilhabe der Bundesrepublik hingewiesen und die Abschaffung aller Atomwaffen weltweit gefordert werden.

Auf dem Gelände des Fliegerhorst in Büchel bei Cochem sind 10 Atombomben des Typs B61 gelagert und werden gewartet. Außerdem probt die Bundeswehr den Einsatz dieser Bomben mit den bereitstehenden Tornadoflugzeugen. So besteht in Büchel jederzeit die Bereitschaft mit Hilfe der bundeswehreigenen Tornados diese 10 Atombomben mit einer insgesamten Sprengkraft, die der 150-fachen vom Hiroschima-Atombombenabwurf entspricht, einzusetzen.

Mit dieser „nuklearen Teilhabe“ setzt sich die Bundesrepublik über das Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs vom 8.7.1996 hinweg. Danach ist die Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen generell völkerrechtswidrig. Die Bundesregierung interpretiert das Rechtsgutachten anders. Für sie stellt die Tatsache, dass Atombomben in Deutschland gelagert und für ihren Einsatz bereitgehalten werden, sowie ihr Einsatz für den Ernstfall geübt wird, keine Drohung dar.

Aufgerufen zu dem Aktionstag hatte die „Gewaltfreie Aktion Atomwaffen Abschaffen“ (GAAA) zusammen mit weiteren Organisationen aus der Friedensbewegung. Vor Ort war dann eine bunte Mischung von AktivistInnen der Friedens- und Anti-Atombewegung.

Auf dem Weg vom Camp in Cochem zum Fliegerhorst bei Büchel, wurden alle Fahrzeuge (auch ein Reisebus), die kurz vorher den Campingplatz verlassen hatten, bei einer Polizeisperre herausgewunken und sämtlicher Inhalt der Fahrzeuge durchsucht. Dabei wurde ein Bolzenschneider beschlagnahmt, sowie die Personalien der Insassen aller Fahrzeuge aufgenommen.

Bei Sonnenschein und milden Temperaturen versammelten sich dann gegen 12 Uhr Mittags über 100 Menschen vor dem hermetisch abgeriegelten Haupttor des Fliegerhorstes um einem interessanten und unterhaltsamen Programm zu folgen: Eindringliche Kundgebungsbeiträge von Lothar Liebsch (Darmstädter Signal) und Roland Blach (GAAA), welche auf die Gefahren der derzeitigen Gewaltspirale durch die Terroranschläge in den USA und deren angekündigten Vergeltungsschläge hinwiesen; Sowie Erschreckendes von Felicity Arbuthnot (Journalistin aus GB). Sie erzählte von ihren zahlreichen Besuchen im Irak und den dortigen Auswirkungen der andauernden Bombardements seitens der britischen und US-amerikanischen Luftwaffe. Sie machte deutlich, dass nicht erst ein Einsatz von Atombomben den Atomkrieg beginnen lassen würde, sondern dass die atomare Kriegsführung längst begonnen hat. So beschrieb sie eindrucksvoll das leidvolle Sterben an Krebs im Irak, aufgrund der chemotoxischen und zugleich radioaktiven Geschosse mit abgereicherten Uran (D.U.). „D.U. hat eine Halbwertszeit von 3,5 Milliarden Jahren. Es wird uns immer noch vergiften, wenn die Sonne längst erloschen ist“. Sie berichtete auch von den katastrophalen Folgen durch das Wirtschaftsembargo, und dass die UN-Kinderrechts-Konventionen für den Irak nicht zu gelten scheinen, da pro Monat 6000 Kinder an den Auswirkungen des Embargos sterben, „im sogenannten Namen der Völkergemeinschaft der Vereinten Nationen“.

Schließlich verlas Felix Oekentorp (DFG-VK NRW) eine Rede von Regina Hagen (Darmstädter Friedensforum) welche das Raketenabwehrsystem NMD zum Thema machte.

Zwischen den Redebeiträgen gab es immer wieder kulturelles Programm: Jim Page aus den USA sang Politfolk-Songs, Hansjörg Ostermayer erzählte mimikreich orientalische Märchen und Fabeln, und die Kölner Sängerin „Blueflower“ sang, sich selbst auf der Gitarre begleitetend, nachdenkliche Friedenslieder.

Während der Kundgebung kam es noch zu einem merkwürdigen Vorfall: Ein Polizist entfernte ein Transparent vom Zaun des Militärgeländes. Auf dem Plakat war zu lesen: „Wir trauern um die Opfer von Hiroschima und Nagasaki – 200.000 Tote.“ Darunter stand kleiner: „Zum Vergleich: Manhatten 2001 – ca. 6.600 Tote“.

Das Transparent wurde unter Protest entfernt und von der betreffenden Person zur Überarbeitung an sich genommen. „Rampenplan“, die mobile Kochgruppe aus den Niederlanden, hatte für alle in der Zwischenzeit eine warme Mahlzeit zubereitet, während sich einige der Bezugsgruppen sammelten, die sich am Vortag bei dem Training in Gewaltfreier Aktion der „Werkstatt für Gewaltfreie Aktion Baden“ gebildet hatten.

Spontan entschlossen sich einige Bezugsgruppen trotz der massiven Polizeipräsenz und der Sicherungsmaßnahmen des gesamten Geländes, auf dem laut Polizeiangaben wegen der „weltpolitischen Großwetterlage“ die zweithöchste Sicherheitsstufe herrscht, eine Inspizierung des Geländes mit seinen Atombomben zu unternehmen.

Eine erste Gruppe gelangte am Zaun entlang ein gutes Stück um das Gelände herum. Als die Polizeieinsatzkräfte sie bemerkten und sie stellen wollten, hielten sich die TeilnehmerInnen an dem Zaun fest. Das sie begleitende Fernsehteam des SWR filmte und gab den AktivistInnen so Schutz vor Übergriffen seitens der Polizei. Nach deren Aufforderung wurde der Zaun bald wieder losgelassen. Es folgte die Aufnahme der Personalien und ein Platzverweis. Wesentlich härter ging die Polizei gegen die zweite Gruppe vor, die sich unabhängig von der ersten etwas später aufgemacht hatte und von außen als „junger Block“ bezeichnet wurde. Sofort nach Aufbruch der zweiten Gruppe von ca. 35 Leuten zu dem Inspektionsspaziergang am Zaun entlang, begleiteten die unmittelbar vor Ort stehenden 10 PolizeibeamtInnen den Spaziergang und versuchten ihn aufzuhalten, was ihnen aber nicht gelang. Einem Photographen wurde der Film aus seiner Kamera genommen mit der Begründung, er habe einen Polizisten photographiert, „der das nicht wolle“.

Dem Spaziergang folgten auch auf der Innenseite des Zaunes einige Feldjäger der Bundeswehr. Zusätzlich war der Zaun innen mit Natodrahtrollen gesichert.

Einige Polizisten versuchten immer wieder einzelne SpaziergängerInnen durch persönliches Ansprechen und sich in den Weg stellen am Weitergehen zu behindern, was ihnen aber aufgrund der Entschlossenheit der TeilnehmerInnen nicht gelang. Diese brachten auf ihrem Spaziergang immer wieder zum Ausdruck, dass es ihr gutes Recht sei hier entlang zu gehen und es keinen Grund gebe sie daran zu hindern, sowie es ihre Pflicht sei auf den hier verübten Verstoß gegen geltendes Völkerrecht hinzuweisen und die Gefahr nicht von ihnen, sondern von der anderen Seite des Zaunes, den 10 einsatzbereiten Atombomben ausginge.

Nach einigen hundert Metern nahe der Bundestrasse nach Cochem, näherte sich ein Aktivist dem Zaun. Ab diesem Moment eskalierte die Situation und die Polizei griff unverhältnismäßig hart und aggressiv die gesamte Gruppe an. Zuerst wurde ein Polizeihund ohne Maulkorb auf den sich am Zaun festhaltenden Menschen gehetzt. Dieser wurde von dem Hund in den Oberschenkel gebissen und trug dadurch eine grosse Bissverletzung davon. Anschließend wurde er von Polizisten in ein Polizeikleinbus gezerrt bzw. geworfen und dort bis mindestens zur Abfahrt Richtung Polizeiwache mit dem Kopf nach unten gedrückt. Die SpaziergängerInnen setzten sich spontan auf die Straße vor das Polizeifahrzeug mit dem Gefangengenommenen und wurden mit übermäßiger Härte ohne vorherige Aufforderung, teilweise nur an der Kleidung, über den Boden geschleift.

Personen, die sich von nun an dem Zaun in einer Entfernung von 15-20 Metern näherten, wurden gleich von mehreren Polizisten zurückgestoßen, geschubst oder in den Straßengraben zurückgedrängt und dabei beschimpft. Eine Person begann aus dem Straßengraben in Richtung des Zaunes auf allen Vieren zu krabbeln und wurde nach 1 Meter von mehreren Polizisten zurückgeworfen und anschließend in den Straßenverkehr hineingejagd.

Deutlich zu unterscheiden und zugleich chaosstiftend waren die völlig widersprüchlichen Anordnungen und Verhaltensweisen der zwei eingesetzten Polizeigruppen. Da die eine „Einheit“ die SpaziergängerInnen ständig in immer wechselnde Richtungen aggressiv vor sich herschubste, widersprach sie damit dem Verhalten der anderen Einheit, die eher den deeskalierenden Part übernahm und erst einmal einer Beratung der SpaziergängerInnen über den weiteren Verlauf des Spazierganges zustimmten. Diese völlig unklare Situation, in der von den Leuten wohl ein „sich in Luft auflösen“ verlangt wurde, dauerte auch an als die Spaziergruppe sich trennte und beide Teile in entgegengesetzte Richtungen weiterliefen. So war weder ein Stehenbleiben erlaubt, noch ein Betreten der Fahrbahn, auch nicht ein Überqueren des Straßengrabens, so dass ein Korridor von höchstens 50 Zentimeter übrigblieb, um sich mit einer Gruppe von noch 20 Leuten fortzubewegen. Da diese Maßnahmen und Einschränkungen absolut willkürlich getroffen wurden und keine Handhabe bestand, eine Gruppe am Stehen neben einer Bundesstraße zu hindern, blieb die Gruppe auch stehen. Erst ein durch Megaphon ausgesprochener Platzverweis mit der Androhung von Zwangsmitteln, führte zumindest wieder ein bißchen in die Richtung von wenigstens formaler Richtigkeit, obwohl weder der Platzverweis richtig auf einen Ort bezogen war, noch eine zweite oder dritte Ankündigung erfolgt war, bewegte sich nun die Gruppe zurück in Richtung Haupttor, um von dort zurück zum Camp nach Cochem zu fahren.

Die Menschen, die am internationalen Aktionstag gegen Atomwaffen teilnahmen, konnten mit ihrem Protest auf einen völkerrechtswidrigen Umstand aufmerksam machen, wurden aber von seiten der Polizei und der Politik selbst als Gefährdung der Sicherheit und Ordnung angesehen.

So wurden drei Tage vor Beginn des Camps in Cochem die Geschäftsräume der GAAA in Kornwestheim, sowie die Privatwohnung von Roland Blach, einem der Organisatoren durchsucht, und dabei ein Rechner und T-Shirts mit der Aufschrift: „Atomwaffen abschaffen – bei uns anfangen“ beschlagnahmt. Um dann am Aktionstag das Atombombenlager, bzw. im schlimmsten Falle den Zaun und die ersten paar Meter dahinter vor dem angekündigten Kontakt mit BürgerInnen zu schützen, wurde ein unverhältnismäßig großes Polizeiaufgebot aufgefahren. Allein das Betreten des bundeseigenen 10-Meter-Streifen außerhalb des Zaunes versucht man zu untersagen, da es sich um „einen gefährdeten Bereich“ handeln würde. Wie weit die Polizei dabei geht, um diesen „gefährdeten Bereich“ vor SpaziergängerInnen zu schützen, hat sie an diesem Sonntagnachmittag gezeigt.

„Wie weit würden Sie denn gehen, um jemand beim Betreten des Geländes zu hindern?“ Diese Frage einer erschrockenen Autofahrerin, die die Attacke des Hundes aus dem Auto heraus gesehen hatte und sofort anhielt, konnte der angesprochene Beamte nicht beantworten und blieb stumm.

Dass der Protest gegen „das Unzivilisierteste“, was die Menschheit je hervorgebracht hat (zuerst: made in „westliche“ Welt) indes weiter gehen muss, war nach Beendigung des Protesttages am 30.09. wohl allen Beteiligten klar. So wurde bereits eine Zivile Inspektion für das nächste Jahr verabredet, sowie die Idee geäußert auch außerhalb von Zivilen Inspektionen auf den Atomwaffenstandort Büchel, vielleicht mit Sonntagsspaziergängen, aufmerksam zu machen. Schließlich, sich den Worten von Lothar Liebsch (Darmstädter Signal) anschliessend, hat niemand Lust, auf die staatlicherseits festgelegte Abschaffung der Atomwaffen in 18 Jahren zu warten, da jeder Tag mit scharfen Atomwaffen inakzeptabel ist. Noch eindringlicher formulierte Felicity Arbuthnot in ihrer Rede das Gebot der Stunde: „Dass wir heute hier sind bedeutet, der Wille ist da um diese Völkermord-Politik umzukehren – laßt uns Himmel und Erde bewegen, um dies zu tun.“

Anmerkungen

Weitere Informationen zum Atombombenstandort Büchel und zu Atomwaffen, sowie zur "Zivilen Inspektion":

Gewaltfreien Aktion Atomwaffen Abschaffen (GAAA)
Lenzhalde 53
70806 Kornwestheim
Tel. 07154-22026
Fax: 07154-186643
kontakt@zivile-inspektion.de
www.zivile-inspektion.de