Es ist schon wieder soweit: Anfang November soll zum zweiten Mal in diesem Jahr ein Transport mit sechs Castor-Behältern aus der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague nach Gorleben rollen. Der genaue Zeitpunkt ist noch nicht durchgesickert. Aber Polizeieinsatzleiter Reime stellt klar: “Der Castor rollt nur bei offener Witterungslage”. Er will den Transport hinter sich haben, wenn Schnee und Eis über Norddeutschland hereinbrechen: “Ende November muss es passiert sein”. Hinzu kommt, dass spätestens im Dezember Bundesgrenzschutz und Polizei bei der Verteilung der Euro gebraucht werden. In welcher Woche der Termin auch liegen wird, fest steht: Auftaktkundgebungen in Lüneburg und in Karlsruhe am Samstag vor dem Castor-Transport.
Das erste mal zwei pro Jahr
Der letzte Atomtransport nach Gorleben im März diesen Jahres war der Erste nach dem 1998 von Angela Merkel wegen des Kontaminationsskandals verhängten Transportstopps. Er war der Erste unter einer rot-grünen Bundesregierung und er war der Erste nach dem sogenannten “Atomkonsens”. Zusätzlich kam dem Castor im Frühjahr die Bedeutung als Türöffner für eine Lawine von Transporten in die Wiederaufarbeitung zu.
Und der anstehende November-Castor?
Er ist der erste zweite Gorleben-Castor in einem Jahr.
Elfeinhalb Jahre konnte die Anti-Atom-Bewegung die Einlagerung von hochradioaktiven, abgebrannten Brennelementen in dem so genannten Zwischenlager in Gorleben verhindern, bis im April 1995 der erste Castor unter Einsatz von 16.000 Polizisten durchgebracht wurde. Jetzt versuchen Betreiber und Bundesregierung das erste Mal zwei Gorleben-Transporte in einem Jahr gegen den Widerstand der Anti-Atom-Bewegung durchzusetzen. Je ein Atommüllzug mit 12 Behältern pro Jahr sind für die Zukunft angekündigt. Transporte in und aus der Wiederaufarbeitung drohen Normalität zu werden. Mit jedem weiteren Zwischenlagerbehälter, der in Gorleben eingelagert wird, droht die Zementierung des Salzstockes als Endlagerstandort, obwohl weltweit kein Konzept für eine sichere Endlagerung existiert. Damit droht auch die Inbetriebnahme der Pilotkonditionierungsanlage (PKA), in der die endlagerfähige Verpackung von hochradioaktivem Müll getestet werden und die zunächst als Reparaturzelle für defekte, beladene Castoren dienen soll.
Auf nach Lüneburg !
Am 24. März diesen Jahres zeigten 16.000 DemonstrantInnen in Lüneburg, dass der so genannte Atomkonsens kein gesellschaftlicher Konsens ist, die Befriedungsstrategie der Bundesregierung und der Atomwirtschaft damit gescheitert und es nicht gelungen ist, das neue Atomprogramm als Ausstieg zu verkaufen.
Warum gerade in Lüneburg?
Lüneburg ist das Tor zum Wendland, das Nadelöhr für “50+20”. Hier beginnen die 50 km Schienenstrecke von Lüneburg nach Dannenberg, auf der während der X-Tage nur der Castor fährt. Hier sitzt die Bezirksregierung, die im Frühjahr in einer Allgemeinverfügung ein Demonstrationsverbot in einem 50 m Korridor entlang der Transportstrecke ausgesprochen hat.
Der Demonstrationszug soll an der AVACON, einer Tochterfirma der E.ON und dem Lüneburger Amtsgericht vorbei zur Abschlusskundgebung vor der Bezirksregierung gehen. Mit der Wahl des Kundgebungsortes wollen wir unseren Protest gegen diese Institution zum Ausdruck bringen, die den Polizeieinsatz koordiniert, die Befehle erteilt und massiv unsere Grundrechte einschränkt.
Also: Auf nach Lüneburg! Zusätzlich werden AtomkraftgegnerInnen aus dem Süden der Republik in Karlsruhe auf die Strassen gehen, um zu zeigen, dass der Widerstand gegen Atomanlagen nicht nur im Norden lebt, weil hier die Leute Angst haben, dass der Dreck vor ihrer Haustüre gelagert wird.
Zeichen setzen
Profite zählen in dieser Welt mehr als Menschenleben. Wer sich dem in den Weg stellt, wird beiseite geschafft oder als ChaotIn denunziert. Das haben AtomkraftgegnerInnen mit GlobalisierungsgegnerInnen in Genua, Seattle oder anderswo gemeinsam. Genauso wie mit MigrantInnen, die in aller Welt auf der Suche nach Überlebensräumen sind, wie indigene Bäuerinnen in Chiapas/Mexiko oder die von Vertreibung bedrohten Menschen in Itoiz/Baskenland. Deswegen sagen wir: Es reicht nicht, gegen den Castor zu sein. In unseren Protesten müssen wir uns auch gegen jede Form der Ausbeutung und Unterdrückung der Menschen wenden. Egal ob sie ökonomisch, rassistisch, sexistisch oder sonstwie daherkommt.
Auf der Kundgebung in Lüneburg setzen wir einen Schwerpunkt auf die aktuelle politische Lage. Aufgrund der zur Zeit täglich durch die Presse geisternden absurden Vorschläge zur inneren „Sicherheit” aus allen politischen Lagern steht zu befürchten, dass alle die, die in irgendeiner Weise gegen die bestehende Ordnung aufmucken, in europaweite Polizeidateien wandern. Der weiteren Einschränkung von Grundrechten, dem fortschreitenden Abbau des sowieso schon mageren Datenschutzes und der Kriminalisierung von Anders-denkenden wird Tür und Tor geöffnet. Hierzu ist Wolf-Dieter Narr vom Komitee für Grundrechte und Demokratie eingeladen.
Joachim Hirsch von der Universität Frankfurt wird dazu reden, dass Atomenergie und alles was damit zusammenhängt nicht nur unser Problem ist, sondern dass Menschen in aller Welt für unseren Wohlstand bezahlen müssen. Er sich beschäftigt seit Jahren kritisch mit Kapitalismus und der Struktur und Politik neuer sozialer Bewegungen.
Über das neue Atomgesetz und die Hintergründe der aktuellen atompolitischen Entwicklung wird die BUND-Landesvorsitzende in Niedersachsen Renate Backhaus sprechen.
Anreise, Infos, Aufrufe…
Der Demonstrationszuges wird um 10 Uhr auf den Sülzwiesen beginnen. Zusätzlich wird am Bahnhof ein Sammelpunkt für alle die sein, die mit der Bahn anreisen.
Genauere und immer aktuelle Informationen gibt es beim Infotelefon 04131/48599, das in den Tagen des Transportes auch wieder rund um die Uhr besetzt sein wird. Unter www.ligatomanlagen.de gibt es außerdem rechtzeitig Anfahrtsbeschreibungen und den neuesten Stand der Dinge. Plakate und Aufruftexte gibt es ebenfalls unter dieser Internet-Adresse zum anschauen. Bestellbar sind sie bei der BI Lüchow-Dannenberg unter 05841/4684 oder Fax: 05841/3197.