Eric Chauvistré: Das atomare Dilemma, Espresso Verlag, Berlin 2001, 160 S., 24,90 DM
Wohl kein Amtsantritt eines amerikanischen Präsidenten war so umstritten, wie der des „Republikaners“ George Bush jr., und kaum ein anderer Präsident machte sich in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit so unbeliebt. Und dennoch führte dieser Präsident der „letzten Weltmacht“ nur das fort, was sich bereits unter der Regentschaft seines „demokratischen“ Vorgängers ankündigte: Ein kräftiges Ankurbeln der Rüstungs- und (Kern-)Energiewirtschaft und die Installation neuer Feindbilder. Und so spricht derzeit alle Welt von „Schurken-“ bzw. „Sorgenstaaten“, die sich, so die US-Geheimdienste, innerhalb weniger Jahre Atomraketen besorgen könnten, um die USA anzugreifen. Was liegt da näher, als sich einen Raketen-undurchlässigen Schirm von Abfangraketen zuzulegen? Doch was, wenn die Atomwaffe mit dem Schiff oder per Flugzeug im Aktenkoffer – heimlich, still und leise – nach „God’s own country“ kommt?
Die Ereignisse am 11.09.2001 machten deutlich, daß es Sicherheit nicht gibt, auch nicht in den hochgerüsteten USA! Weder lassen sich alle „Feinde“ der US-Politik – und deren Zahl wächst beständig -, unter Kontrolle halten, noch gibt es bisher auch nur einen seriösen Test, mit dem die US-Militärs bewiesen hätten, daß ihre Abwehrraketen in der Lage sind, im Anflug befindliche Feindraketen, die sich mit 7 km pro Sekunde (!) zu nähern pflegen und neben Mehrfachsprengköpfen noch sog. Täuschkörper mit sich führen, zu treffen. Zwar gab es nach einem erfolgreichen „Test“ entsprechende Pressemitteilungen des Pentagon, abe dabei wurde verschwiegen, daß die Versuchsanordnung dieser „Tests“ beinhaltete, daß die „Feindrakete“ ein ständiges Zielsignal an die Abfangwaffe übermittelte – Werbung für den aktuellen Raketenabwehrplan.
Chauvistré läßt kein gutes Haar an der Militärpolitik der USA, und so offenbart er, daß selbst der Mythos der Patriot-Raketen, die während des zweiten Golfkriegs zum Verkaufsschlager eines US-Rüstungskonzerns avancierten, in Fachkreisen längst gestürzt ist, da ihre „Trefferquote“ nach mehrmaliger Anwendung keinerlei Gefühl von Sicherheit mehr hinterließ. Neben solchem Insiderwissen bietet sein Buch noch etwas: Durch den Abkürzungswust der zahlreichen Rüstungsprojekte finden sich nur diejenigen zurecht, die es lesen. Der Autor versteht es nämlich außerordentlich gut, die vielen verschiedenen Abwehrsysteme, an denen seit dem 2. Weltkrieg geforscht wurde, einschließlich der Interessen der militärpolitischen Eliten zu erläutern, ohne daß er sich zu sehr in Spezialistentum verliert. Im Gegenteil: Immer wieder ergeben sich neue Gesichtspunkte, die in der öffentlichen Diskussion um Raketenabwehrsysteme ausgespart werden, die aber den realen Interessenhintergrund des ganzen ausmachen. So sind z.B. die USA v.a. daran interessiert, ihre Satellitentechnik vor möglichen Angriffen zu schützen – und weniger ihre Zivilbevölkerung. Denn diese Technik ist es, die künftig stark ausgebaut werden soll, und die den militärischen Vorsprung vor den Mittelmächten – und deren Abhängigkeit, was die NATO-Partner unter ihnen angeht -, ausmacht.
Diese militärischen Interessen sind gleichrangig mit wirtschaftlichen Interessen zu sehen, denn eine taumelnde US-Ökonomie läßt sich vorzüglich durch Aufrüstung und Krieg aufpäppeln. Chauvistré beschreibt denn auch, wie trickreich der einstige reagansche Sternenkrieger und jetzige Verteidigungsminister Rumsfeld sich durch Pentagon-Ausschüsse gewurschtelt hat, um das Interesse der Militärs an den neuen Milliarden schweren Technologien zu wecken. Und scheinbar ganz nebenbei erfährt der/die LeserIn, daß, während die europäischen Verbündeten öffentlich zu Bush’s Raketenabwehrpläne auf Distanz gehen, die Bundesrepublik gemeinsam mit Italien und den USA längst an einer Gefechtsfeld-Raketenabwehr forscht und dabei keineswegs den ABM-Vertrag gefährdet sieht. Huch, nun habe ich doch noch eine dieser verwirrenden Abkürzungen genannt.