Bernd Kramer (Hg.): Louise Michel und die Pariser Kommune von 1871. Leben, Ideen, Kampf. Karin Kramer Verlag, Berlin 2001, 140 S., 29,80 DM
1871, vor 140 Jahren also, kämpfte die Pariser Kommune um kommunalistische Selbstverwaltung, sozialistische Enteignung und das Niederreißen nationaler Grenzen (das Lied „Die Internationale“ von Eugène Pottier entstand kurz nach der Kommune). Sie fiel blutig der französischen bürgerlichen Reaktion zum Opfer. Wozu noch daran erinnern? Was hat das mit uns heute zu tun? Wie so oft schert sich Bernd Kramer nicht um diese dummen Fragen, die nur bewusstlose, geschichtslose Menschen stellen können. Um nur eine Folge der Pariser Kommune unter vielen zu nennen, die unser Leben heute bestimmt und die wir bereits als Selbstverständlichkeit hinnehmen, ohne uns zu vergewissern, wie sehr sie erkämpft worden ist: erst durch diesen zehnwöchigen Aufstand zwischen März und Mai 1871 wurde die Monarchie in Frankreich endgültig niedergeschlagen – denn wenn auch die bürgerlich-parlamentarische Republik über die vom „gemeinen“ Volk, den ArbeiterInnen und Arbeitslosen, gewählte Kommune, siegte, so wagte die Republik es fortan doch nicht mehr, sich mit den Monarchisten für ein neues Königtum, und sei es nur ein konstitutionelles, mit der nötigen Konsequenz zu verbünden, aus Angst nämlich vor einer neuerlichen Kommune!
Und diese Erfahrung strahlte aus, u.a. auch auf Deutschland nach 1918. Es ist also nicht falsch zu sagen, dass durch die Geschichtsmächtigkeit der Kommune als radikaler Alternative auch der deutschen nicht-monarchistischen Republik der Weg mitgeebnet wurde.
Und deshalb ist es verdienstvoll von Kramer, uns die Kämpfe der Kommune auch nach so langer Zeit wieder vor Augen zu führen. Er tut das in der uns inzwischen wohlbekannten Art, sich mit eigenen Interpretationen zurück zu halten und dafür Originalzitate und ZeitzeugInnen sprechen zu lassen. Und er verknüpft dankenswerter Weise die Erinnerung an die Kommune mit der Erinnerung an eine ihrer wichtigsten Persönlichkeiten: Louise Michel (1830-1905).
Louise Michel war nicht nur Barrikadenkämpferin und Initiatorin eines Frauenbataillons der Kommune, sie war zugleich auch Kämpferin gegen die doppelte Unterdrückung der Frau (der äußeren, die sie mit dem Mann teilte, und der inneren durch Mann und Familie, bei der sie allein widerstehen lernen müsse), Lehrerin von nichtkirchlichen Volksschulen, Propagandistin und Vortragsreisende für den Anarchismus, schließlich eine der ersten konsequenten GegnerInnen des Kolonialismus, den sie auf ihrer Verbannung in Neukaledonien kennen lernte. Sie lernte die Sprache der indigenen KanakInnen und solidarisierte sich mit ihrer Revolte in Neukaledonien im Jahre 1878. Auch das ist aktuell, denn Neukaledonien – immerhin eine riesige Insel östlich von Australien – gehört noch heute zum Kolonialreich Frankreichs. Und bei aller heutigen berechtigten libertären Kritik an nationalistischen Befreiungsbewegungen kann die Aufrechterhaltung des Kolonialismus ja wohl aus emanzipatorischer Sicht keine Alternative sein. Da muss schon etwas Drittes, etwas qualitativ Anderes her.
In der im Buch zentral stehenden Lebensgeschichte der Louise Michel, geschrieben von Renate Samit und Edith Thomas, wird an einer Stelle deutlich, dass die Entstehung der Kommune nicht unwesentlich mit gewaltlosen Kampfmitteln erreicht wurde. Ein erster Ansturm der bürgerlichen Republik unter Thiers mit 6000 Soldaten am 18.3.1871 endete nämlich so:
„Die Frauen gingen zuerst vor, wie in unseren großen Tagen. Die Frauen vom 18. März waren durch die Belagerung gestählt – sie hatten die doppelte Last des Elends getragen -und warteten nicht auf ihre Männer. Sie umringten das Militär und redeten auf den Geschützführer ein: ‚Das ist eine Schande, was du da machst!‘ (…) Plötzlich stürmten eine große Anzahl Nationalgardisten mit erhobenen Gewehrkolben sowie viele Frauen und Kinder auf der anderen Seite von der Rue des Rosiers herbei. General Lecomte sah sich umzingelt, er befahl dreimal, das Feuer zu eröffnen. Seine Leute blieben regungslos Gewehr bei Fuß; die Menge näherte sich, verbrüderte sich, Lecomte und seine Offiziere wurden verhaftet.“ (S. 33f.)
Leider geht im Buch die revolutionäre Dimension dieses Anteils von Verweigerung und Fraternisierung im weiteren Kampfgetümmel und später in der Verteidigungsschlacht der Kommune unter und mit ihr versinken zuweilen auch die vielen Facetten der Louise Michel. Sie „liebe den Kanonendonner, den Pulvergeruch, die Kartätschenschüsse in der Luft“ (S. 16) – das war zweifellos die Louise Michel der Kommune. Schon Gustav Landauer hat aber in seinen hier leider nicht wieder abgedruckten Artikeln im „Sozialist“ über die Kommune betont, dass deren Scheitern nicht von der militärischen Verteidigung abhing oder von einer auch von Louise Michel befürworteten Militäroffensive gegen die bürgerlichen Versailler, sondern von der einfachen Tatsache, dass mit Ausnahme von Strassburg die Pariser Kommune im Lande isoliert war. Wenn es viele städtische Kommunen, vom Lande ganz zu schweigen, nach Art der Pariser gegeben hätte, wäre es wohl um die Bourgeoisie geschehen gewesen. Nur dadurch hätte auch die blutige Niederschlagung der Kommune vermieden werden können. Für Louise Michel war es ein langer Weg von ihrer zeitweiligen Ästhetisierung revolutionärer Gewalt zu der Einsicht, die sie über die anarchistischen Attentäter in den 1890er Jahren gewann: „Natürlich hatten auch sie Ideale, ob ihr Weg der richtige war…, ich wage es jetzt zu bezweifeln.“ (S. 76)
Dankbar bin ich Kramer für den Wiederabdruck des sehr intelligenten feministischen Aufsatzes von Marian Leighton über Louise Michels Altruismus und ihre Kategorisierung als asketische Revolutionärin sowie als Charismatikerin in Max Webers Sinne (S. 90-101), den ich noch aus der „Frauen in der Revolution“-Reihe des Kramer Verlages in guter Erinnerung habe. Und schmunzelnd liest man/frau die Hommages an Louise Michel, die am Ende des Buches aus unterschiedlichen politischen Richtungen versammelt sind. Am besten gefällt mir Victor Hugos Erinnerungsgedicht; abstoßend wie immer finde ich Arthur Rimbaud („Blut! Blut! Auf ewig Rache, Terror und Krieg!“ – ich kann seine lyrischen Racheergüsse nicht ausstehen), und herzlich lachen können AnarchistInnen am Schluss, wenn sich Sowjetmarxisten und Maoisten gegenseitig die Erinnerung an die Kommune streitig machen und an ihr entweder die fehlende revolutionäre Partei (Sowjetmarxisten) oder die fehlende starke Armee (Maoisten) kritisieren. Alles in allem also ein gelungenes Buch.