transnationales

Sich den Herausforderungen des Kampfes gegen Globalisierung stellen

Eine Erklärung der War Resisters’ International

| War Resisters’ International, August 2001

Die War Resisters’ International (WRI) – ein internationales pazifistisches und antimilitaristisches Netzwerk mit mehr als 80 Mitgliedsorganisationen in mehr als 40 Ländern – ist über die Gewalt der italienischen Polizei gegen Anti-Globalisierungs-DemonstrantInnen in Genua entsetzt. Aus vielen Ländern reisten Mitglieder von WRI-Mitgliedsorganisationen nach Genua, um gegen eine Politik zu protestieren, die großen Teilen der Welt Hunger und Armut aufdrückt. Dies waren Menschen mit einer erklärten Verpflichtung zu gewaltfreien Aktionsformen und viele haben vor ihrer Abreise Trainings in Gewaltfreiheit organisiert, oder sich an last-minute-Trainings beteiligt, die vom Foro Social in Genua angeboten wurden. Sie stießen auf eine randalierende Polizeimacht, der die Lizenz gegeben worden war, in Gewalt, Sexismus und sogar faschistoidem Verhalten zu schwelgen, in einem vorsätzlichen Versuch, alle DemonstrantInnen, unabhängig von ihrer Einstellung zu Gewalt, einzuschüchtern (vgl. GWR 261). Einige schliefen im Büro des Foro Social als die Polizei es stürmte, und jeden schlug, dessen sie habhaft werden konnten. Andere wurden im Polizeigewahrsam Gewalt und erniedrigender Behandlung ausgesetzt. Diejenigen unter uns, die im sogenannten demokratischen Westen leben, sind von dieser Gewalt, und vom Tode Carlo Giulianis, schockiert.

Über Widersprüche in der Bewegung

Der Kampf gegen ökonomische Globalisierung ist ein globaler Kampf gegen Firmenherrschaft, und für eine gerechte gesellschaftliche Ordnung. In diesem Kampf schließen sich Bewegungen aus dem Westen, dem Osten und dem Süden zusammen. Dennoch müssen wir uns den Herausforderungen interner Widersprüche in der Bewegung, und der Widersprüche, denen wir uns im täglichen Leben gegenübersehen, bewusst sein. Diejenigen unter uns, die im Westen leben, profitieren von ökonomischer Globalisierung – von den mehr und mehr rudimentären Wohlfahrtssystemen, die ein Ergebnis der ArbeiterInnenkämpfe der Vergangenheit sind, und dazu gedacht, einen Teil der Profite der ökonomischen Ausbeutung des Südens und Ostens nach unten weiterzuleiten; von der weit verbreiteten Verfügbarkeit von Produkten billiger Arbeit im Süden für Konsumgüter im Westen. Während für diejenigen unter uns, die im Westen leben, der Kampf um die Erhaltung und Erweiterung bestehender Wohlfahrtssysteme geht, um die Schaffung eines Lebens in Opposition zu Konsumismus und ausschließlich materieller Werte, ist der Kampf für diejenigen unter uns im Süden und Osten oft ein Kampf ums Überleben – ein Kampf gegen die Zerstörung der Umwelt, die die Mittel zum Leben bereitstellt, ein Kampf gegen Sklavenarbeit und die Vorenthaltung der grundlegendsten Mittel des Überlebens, ein Kampf für menschliche Würde.

Über Militarismus

Die Ereignisse von Genua deuten auf die Verbindungen zwischen ökonomischer Globalisierung und Militarisierung. Als ein Netzwerk, das der Gewaltfreiheit verpflichtet ist, hat die WRI keine Illusionen darüber, wie weit Polizeikräfte bereit sind zu gehen, wenn es um die Verteidigung von Firmeninteressen und der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung geht. Wenn eine solche offene Brutalität für viele im Westen eine Überraschung sein mag, so ist sie in vielen Ländern der Welt doch viel zu normal, wo das Militär und eine oft militarisierte Polizei die Bedingungen durchsetzen, die für die wirtschaftliche Ausbeutung der Mehrheiten dieser Gesellschaften, die die treibende Kraft der Globalisierung ist, notwendig sind. Die „Strukturanpassungsprogramme“ des Internationalen Währungsfonds (IWF) beinhalten nur selten die Militärausgaben, während sie einschneidende Kürzungen im sozialen und Bildungsbereich fordern. Und die NATO forderte, dass ihre neuen Mitglieder in Osteuropa ihr militärisches Gerät an NATO-Standards anpassen, was Mittel von den Sozialhaushalten dieser Länder abziehen wird. Widerstand gegen das Fehlen von ArbeiterInnenrechten und die Verweigerung grundlegender menschlicher Bedürfnisse trifft oft auf Gewalt von Militär und Polizeikräften, und es ist keine Überraschung, dass es in den meisten dieser Länder um die Menschenrechte schlecht bestellt ist.

Ökonomische Globalisierung bedroht auch die Rechte der ArbeiterInnen im Westen, und dient mehr und mehr als Rechtfertigung für die Kürzung bestehender Wohlfahrtssysteme. Wachsender Widerstand trifft immer öfter auf eine mehr und mehr gewaltsame Polizeimacht, manchmal sogar auf Militär.

Wachsende Migration aus dem Süden trifft auf vermehrte und rigidere Grenzkontrollen, die dazu dienen die Wanderung von Opfern der Globalisierung zu verhindern, und zu einer mehr und mehr militarisierten und rassistischen Einwanderungspolitik im Westen führen, während zur gleichen Zeit die Wanderung von Kapital mehr und mehr „liberalisiert“ wird, um eine globalisierte kapitalistische Wirtschaft zu fördern.

Die War Resisters’ International betrachtet die ökonomische Ungerechtigkeit, die Ergebnis von Globalisierung ist, als eine der Ursachen von Krieg und bewaffnetem Konflikt. Daher müssen wir, als Bewegung gegen Krieg, uns im Kampf gegen ökonomische Globalisierung engagieren, und unsere Kräfte mit Anti-Globalisierungs-AkteurInnen, die aus anderen Bewegungen und Hintergründen kommen, zusammenschließen. Gleichzeitig drängen wir die Anti-Globalisierungs-Bewegung, die Verbindungen zwischen Globalisierung und Militarismus anzuerkennen, Verbindungen, die durch die Aktionen der militarisierten Polizei in Genua nur zu offensichtlich wurden.

Über Globalisierung von unten

Auch wenn wir ökonomische Globalisierung ablehnen, so lehnen wir doch nicht Globalisierung per se ab. Die Anti-Globalisierungs-Bewegung ist eine globale Bewegung von Menschen, ein lebendes Beispiel der Globalisierung von unten. Wir müssen vorsichtig sein, dass wir in dieser Globalisierung von unten nicht einfach die Globalisierung von oben spiegeln, was nur zu einfach ist, da unsere Wahrnehmung durch die globalisierten Massenmedien vernebelt ist. Warum sandte der Tod von Carlo Guiliani eine Schockwelle durch die Anti-Globalisierungs-Bewegung überall auf der Welt, während der Tod von mindestens vier Anti-Globalisierungs-DemonstrantInnen, erschossen während einer Demonstration in Port Moresby in Papua-Neu Guinea am 25./26. Juni, nicht die gleiche Reaktion hervorrief?

Wir müssen die vielen verschiedenen Kämpfe, die in fast allen Teilen der Welt stattfinden, und die sich in der Anti-Globalisierungsbewegung vereinen, wertschätzen. Und wir müssen auf die Stimmen derjenigen unter uns, die aus dem Süden sind, hören, die so oft zum Schweigen gebracht werden, oder denen nicht zugehört wird, und die in den globalisierten Massenmedien gar keine Stimme haben.

Es gibt keinen Präzedenzfall für die Art von Anti-Globalisierungs-Bewegung, die heute erforderlich ist, und keinen Präzedenzfall für die Schaffung globaler Strukturen von unten, die globale Repräsentativität gewährleisten.

Über Gewalt

Die Ereignisse von Genua werfen viele Fragen auf, und weisen auf die Herausforderungen hin, denen sich die Anti-Globalisierungs-Bewegung und die Friedensbewegung stellen müssen. Die Frage der Gewalt, die von BewegungsaktivistInnen ausgeht – auch wenn dies nur eine kleine Minderheit ist – ist nur eine dieser Fragen. Die Gewalt einer Minderheit der DemonstrantInnen, und auch von ProvokateurInnen, bot die Ablenkung, die es den globalisierten Massenmedien erlaubte, wiederholt Bilder von DemonstrantInnen zu zeigen, die versuchten Fenster einzuwerfen, und die wirklichen Fragen zu ignorieren: dass die Profite der multinationalen Konzerne auf Kosten der Armen dieser Welt gehen, und dass das, was üblicherweise als „Hilfe“ präsentiert wird, dazu dient, die Firmeninteressen des Westens zu fördern. Zusätzlich disempowered die Gewalt Menschen; diejenigen, die gewaltfrei protestieren wollen. Sie wurden nicht nur als mit der Gewalt der DemonstrantInnen verbunden angesehen, sondern sie wurden außerdem der wesentlich größeren gewaltsamen Aktionen der Polizei ausgesetzt, die behauptete, dass die Gewalt einiger AktivistInnen unterschiedslose Angriffe auf die Masse der DemonstrantInnen rechtfertigt.

Die WRI und ihre Mitglieder müssen sich in einem Dialog mit denjenigen engagieren, die gewaltsamen Widerstand gegen Globalisierung befürworten, was wir als einen Ausdruck des Disempowerment und der Hoffnungslosigkeit ansehen. Gewaltsamer Protest heizt die Spirale der Gewalt an, und letztendlich gesellschaftliche Militarisierung. Auf der einen Seite zeigt sich diese Militarisierung in der Form harter Polizeipolitik, auf der anderen Seite zeigen bestimmte Protestgruppen mehr Aufmerksamkeit für verdeckte Aktionsformen oder Techniken der Beschädigung von Sachen, als für eine Strategie, die die wirklichen Fragen angeht. Diese Tendenzen können nur zu einer gesellschaftlichen Marginalisierung des Protestes führen, und bieten Staaten einen Vorwand, um den Sicherheitsapparat aufzurüsten.

Wie dem auch sei, die Frage der Gewalt, die von Widerstandsbewegungen ausgeht, ist keine neue Frage: die Anti-Kolonisierungsbewegungen der 50er, 60er und 70er Jahre nutzen Gewalt und sogar bewaffneten Kampf im großen Maßstab, und Gewalt ist ein andauerndes Thema am Rand sozialer Bewegungen.

Während die WRI diese Gewalt verurteilt, so sollte uns das nicht von den wirklichen Fragen ablenken, die von diesen Bewegungen aufgeworfen werden, und ihren oftmals gerechtfertigtem Anliegen.

Während die WRI gewaltsame Aktionen von BewegungsaktivistInnen verurteilt, so sollten wir doch nicht blind sein für die um ein vielfaches größere Gewalt der Polizei in Genua, und die strukturelle Gewalt der ökonomischen Globalisierung im allgemeinen. Es ist die Tragödie der Gewalt von Seiten der Bewegung, dass sie Aufmerksamkeit ablenkt von Strukturen der Gewalt, die wesentlich mehr Menschen töten, indem sie ihnen die grundlegendsten Mittel zum Überleben verweigern, ohne auch nur einen Stein zu werfen, oder eine Kugel abzufeuern.

Über Gewaltfreiheit

Die WRI und ihre Mitglieder sind überzeugt, dass die Ati-Globalisierungs-Bewegung sich in Richtung einer Strategie der Gewaltfreiheit re-orientieren muss – nicht nur gegen die Gewalt der Polizei und des Staates gegen DemonstrantInnen, gegen die Art der gewaltförmigen Militanz einiger BewegungsaktivistInnen, und gegen die strukturelle Gewalt, die die Mehrheit benachteiligt und Privilegien schützt.

Eine Strategie der Gewaltfreiheit muss beinhalten, unsere eigene Stärke als Bewegung aufzubauen, und Alternativen zu wirtschaftlicher Globalisierung und der Macht der Firmen zu entwickeln. Eine Strategie der Gewaltfreiheit muss beinhalten, das reiche Erbe der gewaltfreien Bewegungen überall in der Welt zu nutzen, um auf gewaltfreie Konfrontation vorzubereiten, aufbauend auf den Erfahrungen mit gewaltfreien Trainings in der US-BürgerInnenrechtsbewegung, der gandhianischen Bewegung in Indien, der Landlosenbewegung in Brasilien, der Anti-Apartheid-Bewegung in Südafrika, als einige von vielen. Wir sind in der Befürwortung der Gewaltfreiheit nicht naiv. Wir sind uns bewusst, dass unsere Gewaltfreiheit beinhalten muss, sich der Gewalt von Polizei und Staaten zu stellen, Gewalt gewaltfrei zu widerstehen, und Gewalt durch eine kleine Minderheit von BewegungsaktivistInnen zu verhindern.

Eine Strategie der Gewaltfreiheit muss außerdem beinhalten, die derzeitige Konzentration auf die Gipfeltreffen derjenigen, die an der Macht sind, zu überdenken, da diese Agenda durch die Machthabenden gesetzt wird, und nicht durch die Bewegung selbst. Während Seattle dazu diente, die Bewegung in die Öffentlichkeit zu bringen, und viele überall in der Welt anregte, sich der Bewegung anzuschließen, ist die Wiederholung dieser Aktionen von Seattle über Washington, Prag, Davos, Quebec, Göteborg und Genua keine wirkliche Strategie, wenn dies der hauptsächliche Fokus der Bewegung bleibt, und nicht durch lokale Aktionen begleitet wird. Dies ist etwas, was diejenigen von uns, die im Westen leben, von denjenigen unter uns, die im Süden leben, und die sich in der Landlosenbewegung in Brasilien oder in ländlichen Gebieten in Indien oder Afrika in der Schaffung ökonomischer Alternativen engagieren, lernen sollten.

Während wir uns in der Gegnerschaft zu Firmenherrschaft und ökonomischer Globalisierung zusammenschließen, müssen wir an der Entwicklung unser eigenen Vision einer gewaltfreien Ökonomie arbeiten. Wir müssen anerkennen, dass wir schwach sind, wenn es um Alternativen geht, und dass wir nur zu gut wissen, wogegen wir kämpfen, doch nur ein verschwommenes Bild davon haben, wofür wir kämpfen. Daher heißen wir die Versuche, Alternativen zu diskutieren, willkommen, die beim World Social Forum in Porto Alegre/Brasilien unternommen wurden. Eine gewaltfreie Strategie gegen ökonomische Globalisierung muss eine globale Diskussion zu gewaltfreier Ökonomie beinhalten, einer Ökonomie, die durch menschliche Bedürfnisse und Respekt für die Umwelt und andere Lebewesen definiert wird.