Wenn es einen Krieg gibt, hat er dann am 11.September 2001 begonnen? Alle, für die der Krieg – wie für Jungle World-Redakteurin Heike Runge – mit den Attentaten in New York City und Washington begonnen hat, nehmen Bin Laden ernst, auch wenn sie ihn als Irren titulieren: Seine Kriegserklärung erfordert Beantwortung.
Hatte die Jungle World sich beim Krieg in Jugoslawien noch löblich dadurch ausgezeichnet, nicht plump einer Kriegspartei das Wort zu reden, ist offenbar jetzt der Zeitpunkt dichotomen Entscheidungszwanges eingetreten: Mit Anton Langraf erklärt ausgerechnet der Chef vom Dienst der linken Wochenzeitung, der Kapitalismus sei seinen Feinden vor zu ziehen, weil diese mit dem Gedanken an Emanzipation auch alle Gottlosen und vor allem Juden ausrotten wollten. Dagegen müsse vorgegangen werden, „wenn nötig, auch mit Gewalt“ (Jungle World 40/ 2001). Diese Kriegsbefürwortung, die weniger moderne Errungenschaften als voraufklärerische Ethik widerspiegelt, ist eine Positionierung im (Anti-)Amerikanismus-Diskurs. Schon im Zweiten Golfkrieg war eine Spaltungslinie innerhalb der deutschen Linken neben der Haltung zu Israel die zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Neben Teilen der Jungle World-Belegschaft steht insbesondere die Zeitschrift konkret für die Position, ein Antiamerikanismus müsse sich für deutsche Linke verbieten. Und das aus mindestens drei Gründen: Erstens haben die Amerikaner Deutschland vom Faschismus befreit,. zweitens waren es rechte Nationalisten, die die USA anschließend als „Besatzungsmacht“ bezeichneten, und drittens beschützen die USA mit dem Staat Israel die Opfer des Nationalsozialismus. Eine neutrale Position den USA gegenüber scheint es aber nicht zu geben. So hält der in dieser Hinsicht Maßstab setzende deutsch-israelische Historiker Dan Diner die Haltung zu den Amerikanern für einen „Indikator für die Verwestlichung Deutschlands“. Die Zugehörigkeit zur auf individueller Freiheit und Demokratie basierende Zivilisation werde darin angezeigt. Wer sie nicht liebt, steht auf der falschen Seite.
Um sich als echte WestlerInnen zu profilieren, übernehmen die zitierten Jungle World-MacherInnen die Position derer, die sie geschlagen sehen wollen: Denn dass mit den beiden Türme im Süden Manhattans zivilisatorische Errungenschaften gefällt wurden, haben ja – wenn sie es waren – islamische Fundamentalisten inszeniert. Und damit das nicht noch ein mal vorkommt, soll die westliche Kriegstechnologie den Hinterwäldlern aus Kabul mal zeigen, wo der Hammer hängt? Die Außenpolitik der USA, die nach Ende des Zweiten Weltkrieges nicht nur Israel geschützt, sondern Tausende von emanzipatorisch denkenden Menschen das Leben gekostet hat, wird von den antideutschen Linken unter den Tisch gekehrt oder den vermeintlichen Verschwörungstheorien Noam Chomskys zugeschrieben. Krieg schafft Einheit auch im Pressewesen. Dass es aber mal Jungle World und BILD zusammenbringen würde, wer hätte das gedacht: Dass die Zeitung das eigene Logo mit Stars and Stripes unterlegt wie bei Springers, kommt angesichts der Feier amerikanischer Werte jedenfalls wenig ironisch rüber.
Auf der anderen Seite die autoritäre Linke, repräsentiert in den verbliebenen kommunistischen Splitterparteien und Zeitungen wie der jungen Welt. Hier wird ein kulturalistischer Antiamerikanismus gepflegt, wobei Israel nur selten vorkommt und die USA als Zentrale des kulturellen wie ökonomischen Imperialismus gehandelt werden. Zwar werden die Terroranschläge nicht als „rechtens“ empfunden, wie vom Nazi Horst Mahler, aber ein latenter Antikapitalismus wird den Tätern schon unterstellt. Eine üble Schnittmenge zwischen einigen Linksorthodoxen und Faschos bildete schon immer der Haß auf das Konstrukt des „jüdischen Finanzkapitals“, das in New York City ansässig sei und im World Trade Center gelebt bzw. gearbeitet habe.
Weder ein Hauch des Antisemitismus ist aus emanzipatorischer Sicht zu dulden, noch die Rückkehr des Völkischen in die Semantik, die bereits handlungsleitend für all die Bewohner der „zivilisierten Welt“ geworden ist, die Pälastinensische Restaurants angegriffen oder arabisch aussehende Menschen beschimpft haben. Angesagt ist hingegen eine differenzpolitische Betrachtungsweise, die einen texanischen Bauern nicht für den Repräsentanten einer freien Welt hält, nur weil möglicherweise ein reicher bärtiger Idiot religiös verbrämten und großangelegten Terror verbreitet. Ebenso können geostrategische und militärische Ziele der USA kritisiert werden, ohne dass der segensreiche Einfluß US-amerikanischer Popkultur auf die eigene Biographie auch nur ansatzweise geleugnet werden muß. Und Israels Siedlungspolitik ist zurückzuweisen, ohne dem Staat Israel auch nur die Spur des Existenzrechtes abzusprechen.
Der Krieg hat weder am 11.September angefangen noch mit dem Aufmarsch der US-amerikanischen Truppen. Der Krieg beginnt mit dem Kampf um die Worte.