Es scheint also wirklich so zu sein. Im November sollen wieder die Castor-Behälter aus der französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague nach Gorleben rollen. Obwohl Polizei und Bundesgrenzschutz, bei solchen Transporten zu Tausenden gefordert wahrscheinlich ihre Überstundenzettel längst voll geschrieben haben, trotz der angeblich so veränderten „Sicherheitslage” nach den Anschlägen vom 11.09. Und obwohl in den letzten Wochen tatsächlich die Frage nach der Verantwortbarkeit der Atomkraftnutzung wieder ins öffentliche Interesse gerückt sind. Gutachter und Experten aller Arten bescheinigten den AKWs absolute Unsicherheit im Falle von Anschlägen. Doch Betreiber und Politik scheinen das Problem auf ihre Weise zu lösen: In der Nähe der Wiederaufbereitungsanlage La Hague werden „Einheiten stationiert”, Flugabwehrgeschütze an französischen AKWs aufgebaut. Und PolitikerInnen und Polizei entblödeten sich nicht zu spekulieren, dass „beim nächsten Castor-Transport radikale Atomkraftgegner sich mit islamischen Fundamentalisten zusammentun könnten”. Was auf den ersten Blick aussieht wie Rinderwahnsinn im Endstadium hat leider einen ernsten Hintergrund: Die Terrorattacken von New York und Washington gaben in den letzten Wochen Anlass für eine paranoide Diskussion über Kontrolle und Sicherheit, auch für die Kriminalisierung jedwedem Widerspruchs gegen eine als „herrschende Meinung” verkaufte Politik. Eine Stimmungslage, in der NRW-Innenminister Behrens in einer Pressekonferenz am 8. September Sätze wie „ich rechne jetzt mit Brandanschlägen, Mahnwachen, Kundgebungen und Eingriffen in den Schienenverkehr …” sagen kann, und niemandem fällt irgendetwas auf.
Am 5./6. November wird – so der aktuelle Stand – also wieder ein Castor-Transport nach Gorleben erwartet.
Keineswegs übrigens der erste Transport nach den Protesten im März dieses Jahres. Seitdem rollten reichlich Castoren aus deutschen AKWs nach Frankreich. Zuletzt am 10. Oktober aus den AKWs Stade und Brunsbüttel.
Und, trotz weitgehender Geheimhaltung der Transporte vor der Öffentlichkeit gelang es diesen Transport allein in Deutschland sieben mal zu blockieren. Daran waren nur relativ wenige Menschen beteiligt, in Münster z.B., wo der Castor 10 Minuten zum Stehen kam, nur acht Menschen. Stellen wir und das multipliziert vor, zehn oder fünfzehntausend Beteiligte, und der Castor hätte keine Chance auch nur einen Meter weit zu kommen. Die Erfahrung macht Mut und zeigt was möglich ist.
Die Aktionen wenige Tage nach Beginn der Militärschläge gegen Afghanistan warfen aber auch die Frage auf, welche Bedeutung Anti-Atom-Proteste in Kriegszeiten haben. Wirkt der Protest angesichts hunderttausender von Flüchtlingen in Afghanistan provinziell und selbstbezogen? Nein. Denn die Castor-Transporte sind und waren immer mehr als nur der Protest gegen einen gefährlichen, den Weiterbetrieb von Atomanlagen sichernden Transport von Atommüll. Erst einmal gab es nie eine Trennung von angeblich „ziviler” Nutzung der Atomenergie und ihren militärischen Verwendbarkeiten. Spätestens seitdem Atommüll in Form von abgereichertem Uran im Golfkrieg und in Serbien verschossen wurde, sollte jedem dieser Zusammenhang offensichtlich geworden sein.
Darüber hinaus waren die Castor-Transporte seit Mitte der 90er Jahre ein fantastisches Experimentierfeld für buntesten Widerstand, zivilen Ungehorsam und verschiedenster nebeneinander funktionierender Aktionsformen.
Nicht erst der „Sieg der Betonmischer” im März hat gezeigt, wozu phantasievolle Aktionen in der Lage sind.
Angesichts immer offensiver auftretender Militärlogiker und Sicherheitsfanatiker brauchen wir noch mehr Phantasie, Witz und Entschlossenheit um zu verhindern, dass in dieser Welt, die nun wirklich sehr viel nicht in
Ordnung ist, ein menschenwürdiges Leben endgültig unmöglich gemacht wird. Also auf ins Wendland oder halt dorthin wo der Castor fährt, und Widerstand zeigen. So vielfältig wie möglich. Und danach sollten wir überlegen, wie wir diese Erfahrungen, auch praktisch, nicht auch mal woanders nutzen können.