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Der Otto-Katalog

Überwachung und Generalverdacht

| Heiner Busch

Hektik ist angesagt. Der Bundesinnenminister will vor Jahresende seine Anti-Terror-Pakete im Trockenen haben. Widerspruch und Bedenken werden nicht mehr geduldet.

„Im Hinblick auf den Titel ‚Terrorismusbekämpfungsgesetz‘ scheint es zudem angeraten, den Gesetzentwurf auch tatsächlich auf Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus zu beschränken.“ So heißt es in der Stellungnahme des Bundesjustizministeriums (BMJ) vom 17. Oktober zu Otto Schilys ursprünglichen Entwurf des Anti-Terror-Pakets Nr. 2. In Form und Inhalt mangelhaft, Thema – nämlich Terrorismus – verfehlt: eigentlich ein vernichtendes Urteil. Das BMJ war schon in früheren Koalitionen das juristische Gewissen der Regierung. Seine Aufgabe besteht darin, innerhalb der Bandbreite der Regierung daran zu erinnern, dass mit dem Recht nicht alles gemacht werden kann oder wenigstens nicht alles gemacht werden sollte. Es wacht über die Professionalität der Rechtsetzung und ist damit notwendigerweise ein Bremsklotz für das immer forsche Innenministerium. Selten jedoch hat dieses juristische Gewissen einen derart verärgerten und ‚frechen‘ Ton angeschlagen.

Einer der Gründe hierfür war die Eile, die Otto Schilys Innenministerium (BMI) an den Tag legte. Ganze fünf Tage hatten Herta Däubler-Gmelins JuristInnen zur Begutachtung jenes Gesetzentwurfs, der in der öffentlichen Diskussion zutreffend als „Otto-Katalog“ benannt wurde. Er ist nicht nur fast so dick, wie das Werbematerial des Versandhauses, er präsentiert auch ein vergleichbares Sammelsurium von Gesetzesverschärfungen, einen Katalog, in dem es für alle sogenannten Sicherheitsbehörden – vom BKA über die Geheimdienste bis hin zu den Ausländer- und Asylbehörden – etwas passendes hat.

Seit der Stellungnahme des BMJ ist rund ein Monat vergangen. Der Entwurf ging durch einen koalitionsinternen Verhandlungsmarathon. Die Reihenfolge der Artikel ist nun leicht verändert, einige Details wurden zurückgenommen, andere „Hämmer“ kamen dazu. Die Kritik des BMJ und der Grünen hat sich zwar nicht erledigt, ist jedoch verstummt. Nach dem angeblichen Kompromiss ist Ruhe die erste Koalitionspflicht.

Sicherheitsgesetze: Datensammlung und Spitzelei

Schon vor dem 11. September hatte die Bundesrepublik keinen Mangel an Sicherheitsgesetzen und -maßnahmen. Die Anti-Terror-Gesetze der 70er Jahre – seinerzeit verabschiedet durch eine sozialliberale Koalition – sind nach wie vor in Kraft. Seit Mitte der 80er Jahre folgte – nun unter einer CDU-geführten Bundesregierung – eine nicht abreißende Serie von Sicherheitsgesetzen: Sie legalisierten die Datensammlung und die Spitzelei der Geheimdienste, deren Zusammenarbeit mit polizeilichen Instanzen, die polizeiliche Tätigkeit im Vorfeld von konkretem Verdacht und konkreten Gefahrenlagen – sei es informationell oder „operativ“. Mit den Lauschangriffen und der letzten Änderung des Grundgesetzes schien ein nicht mehr zu überbietender Höhepunkt erreicht.

Die rot-grüne Koalition hat nun vorgemacht, dass es immer noch mehr geben kann. Der neue „Anti-Terrorismus“ baut auf den gesetzlichen und apparativen Vorleistungen der früheren Regierungen auf. Bespiel Rasterfahndungen: Diese Methode wurde erstmals noch ohne gesetzliche Grundlage Ende der70er Jahre auf der Suche nach untergetauchten RAF-Mitgliedern angewandt. Seit Mitte der 80er Jahre hat die Rasterfahndung in den Landespolizeigesetzen und der Strafprozessordnung den gesetzlichen Heiligenschein erhalten.

Seit Ende September wird emsig gerastert. Das Bild, das den FahnderInnen dabei vorschwebt, erinnert stark an ein Leitbild für die Vergabe von Greencards. Gesucht wird der voll integrierte, angepasste Ausländer, der weder den Arbeits- und Sozialämtern zur Last fällt noch bei der Polizei in Erscheinung getreten ist: der jüngere Mann „islamischer Religionszugehörigkeit ohne nach außen tretende fundamentalistische Grundhaltung, legaler Aufenthalt in Deutschland, keine eigenen Kinder, Studientätigkeit (technische Studienfächer), Mehrsprachigkeit, keine Auffälligkeiten im allgemeinkriminellen Bereich … finanziell unabhängig,“ so der Merkmalskatalog im einschlägigen Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten (Berlin). Wie viele Daten die Polizei seit Beginn der Rasterfahndungen bei Hochschulen, „Kommunikationsdienstleistern“ und allen möglichen anderen öffentlichen und privaten Stellen eingefordert hat, wollte die Bundesregierung Ende Oktober nicht herauslassen. Aus der Antwort auf die Anfrage von Ulla Jelpke geht jedoch hervor, dass die ganze Arbeit bis jetzt nichts gebracht hat. Ein Verdacht, der in einem Ermittlungsverfahren konkretisiert werden könnte, wurde nicht gefunden.

Die Rasterfahndung ist eine der Methoden der „Verdachtsschöpfung“. Der Verdacht steht nicht am Beginn der Eingriffe in die persönlichen Freiheiten, sondern ist – bestenfalls – ihr Ergebnis. Die Polizei agiert im Vorfeld des Verdachts. Wenn nötig wird dieses mit dem Strafrecht selbst ausgedehnt. Das ist das Kennzeichen der bisherigen Sicherheitsgesetze gewesen. Es gilt auch für die neuen Maßnahmen, die im ersten und im zweiten Anti-Terror-Paket anvisiert werden.

Kernstück des ersten ist der neue §129b StGB, der den seit 1976 geltenden 129a ergänzt. Ein neues Organisationsdelikt, das jene Gruppen – samt ihrer UnterstützerInnen und ihrer „WerberInnen“ – treffen soll, denen nur im Ausland terroristische Straftaten zugeschrieben werden. Ein in irgendeiner Weise illegales Verhalten in der BRD ist nicht mehr erforderlich. Organisationsdelikte ersparen generell den Nachweis einer individuellen Tatschuld und ersetzen diese durch den Mechanismus der Zurechnung zu einer inkriminierten Gruppe. Schon der 129a zeichnete sich zusätzlich dadurch aus, dass er bei Bagatellen – RAF-Emblemen an Autobahnen und ähnlichem Schnickschnack – erlaubte, den ganzen Kanon der strafprozessualen Zwangsmassnahmen in Anschlag zu bringen. Für den neuen 129b soll das gleiche gelten.

Das zweite Paket kommt ganz ohne den Tatverdacht aus: Noch vor einem Anfangsverdacht soll das BKA „zur Ergänzung vorhandener Sachverhalte oder sonst zu Zwecken der Auswertung“ Daten bei öffentlichen und nicht-öffentlichen Stellen erheben dürfen. Seine bundesweiten Rasterfahndungen dürfen auf Daten ausgedehnt werden, die bisher dem Sozialgeheimnis unterlagen – eine Regelung, die erst im Zuge der koalitionsinternen Verhandlungen Eingang in das Paket fand.

Mehr Befugnisse erhalten in diesem überarbeiteten Entwurf nicht nur das Bundesamt für Verfassungsschutz, sondern auch BND und MAD. Geheimdienste arbeiten per Definition ohne einen strafrechtlichen Verdacht. Sie sollen nun bei Banken Daten über Kontenbewegungen, bei Luftfahrtgesellschaften Daten über Reisende und bei Telekom-Firmen Verkehrs- und Verbindungsdaten abfragen können. Wer hat mit wem telefoniert? Von welchem Standort aus wurde ein Handy benutzt? Wer schickte wem eine E-Mail? Anders ausgedrückt: wer steht mit wem in Kontakt? Über die Herausgabe dieser Information entscheidet in Zukunft nicht ein Ermittlungsrichter im Rahmen eines Strafverfahrens und anhand einer konkreten Beschuldigung, sondern ein Schlapphut aufgrund seiner politischen Vorurteile. Dass diese Vollmacht zum Lauschen „nur“ fünf Jahre lang gelten soll, kann dabei kaum beruhigen.

Schon bisher hatte der Bundesgrenzschutz Befugnisse zu Kontrollen ohne Verdacht (Schleierfahndung). Diese werden nun ausgedehnt. Die Kontrolleure können dabei demnächst auch auf neuartige Personalpapiere zugreifen. Sicher: der Fingerabdruck soll nicht in Pässe und Personalausweise, wie das noch im ersten Entwurf vorgesehen war. Man begnügt sich mit biometrischen Kennzeichen von „Fingern, Händen und Gesicht“. Welche, steht nicht im Entwurf.

Mehr „identitätssichernde Maßnahmen“ gibt es auch für AusländerInnen und Asylsuchende. Nicht nur sollen in Ausländerausweisen, Visa und Duldungsbescheinigungen jene biometrischen Merkmale eingetragen werden, die auch in den deutschen Personalpapieren erscheinen sollen. Die Fingerabdruck-Daten von Asylsuchenden, die seit 1992 flächendeckend abgenommen und in der bundesweiten AFIS-Datei erfasst werden, sollen nun automatisch mit den ebenfalls dort gespeicherten Tatortspuren verglichen werden. Nicht nur Asylsuchenden, sondern auch „normalen“ AusländerInnen droht eine Sprachaufzeichnung, ein Lingua-Test, mit dem der Herkunftsstaat oder gar die Region genauer ermittelt werden kann, was auch die Abschiebung dahin erleichtert.

Das Ausländerzentralregister, ohnehin die größte Verwaltungsdatei der Republik, die ohnehin auch schon der Polizei und den Verfassungsschutzämtern offen stand, wird ausgebaut. Aus der bisherigen Visa-Datei wird eine Visa-Entscheidungsdatei, in der sämtliche Details des Antrags und der Entscheidung von Konsulaten und Ausländerbehörden festgehalten werden – selbstverständlich mit vollem Zugang für Polizei und „Dienste“. Gruppenauskünfte aus dem AZR konnten sich Schnüffler und Schlapphüte auch bisher schon besorgen. Ermöglicht war ihnen damit eine Art Rasterfahndung in der Vielzahl der im AZR erfassten Merkmale und Informationen. Personen „mit verfestigtem Aufenthalt“ waren von dieser Ras(t)erei bisher verschont; bisher – wenn das Gesetz in Kraft tritt, nicht mehr.

Neu eingeführt wird auch ein bundesweites Register von Ausländervereinen und entsprechende Möglichkeiten zu deren Verbot. Ergänzt wird damit die Möglichkeit des individuellen Verbots oder der Einschränkung politischer Betätigung, die sich bereits aus dem Ausländergesetz ergibt.

Auch dieses wird mit neuen zusätzlichen Sanktionsmöglichkeiten versehen. Geplant sind neue Gründe, die eine Versagung oder Nicht-Verlängerung von Visa oder Aufenthaltserlaubnissen erlauben, und ebensolche Ausweisungsgründe. „Ausländer raus“ oder gar nicht erst rein, lautet die staatliche Parole einerseits bei vagen „Anhaltspunkten“ für „sicherheitsgefährdende“ Bestrebungen oder für eine Nähe zu dem nunmehr begrifflich ausgeweiteten Terrorismus. Ziel der neuen Regelungen ist nicht nur der Rausschmiss politisch missliebiger – welcher Couleur auch immer. Vielmehr soll gleichzeitig die ausländerpolitische Schlinge ganz allgemein enger gezogen werden. Die neuen Versagungs- bzw. Ausweisungsgründe sollen deshalb auch dann greifen, wenn Personen illegal eingereist sind, wenn sie falsche Angaben zur Identität gemacht oder bei den Identifizierungsmaßnahmen nicht mitgewirkt haben. Widerspruch und Klage sollen keine aufschiebende Wirkung haben – die Betroffenen werden rechtlos gestellt.

In diesem Gesetz geht es nicht um die Verfolgung von schweren Straftaten, nicht um die Suche nach Mördern und ihren Gehilfen, sondern um eine breit gefächerte Überwachung mit einem Generalverdacht, deren konkrete Folgen einmal mehr in erster Linie die ausländische Bevölkerung zu spüren bekommen wird.