bücher

Die Gewalt der Befreiung

Frantz Fanon zwischen Antiimperialismus und Postmoderne

| Oskar Lubin

Udo Wolter: Das obskure Subjekt der Begierde. Frantz Fanon und die Fallstricke des Subjekts der Befreiung, Münster 2001, Unrast-Verlag, 236 S., 29,80 DM, ISBN 3-89771-005-6.

In der großen Ausstellung des documenta XI-Organisators Okwui Enwezor über Unabhängigkeits- und Befreiungsbewegungen in Afrika (The Short Century) lagen seine Bücher in Vitrinen, das Jungle World-Supplement Subtropen widmet ihm eine Schwerpunktausgabe (Nr.4, 08/2001) und in diesem Jahr jährt sich sein Todestag zum 40. Mal. Frantz Fanon. Bis auf das Hauptwerk Die Verdammten dieser Erde sind allerdings die Werke des Theoretikers antikolonialer Befreiung auf deutsch nicht mehr erhältlich. Dabei spielen die Schriften des auf Martinique geborenen algerischen Aktivisten in ganz unterschiedlichen Kontexten immer noch eine gewichtige Rolle. Sowohl in den politischen Statements der Solidaritätsbewegungen mit der „Dritten Welt“ seit den 60er Jahren, als auch in zeitgenössischen Literaturwissenschaften ist er eine gern bemühte Ressource. Kommentarlos waren in besagter Ausstellung Fanon-Zitate neben Sprüchen von Inhabern konträrer Positionen – wie Léopold Senghor oder Kwame N’Krumah – an die Wände geklebt. Und im postmodernen Theoriediskurs der Postcolonial Studies erfreut sich Fanon ebenso großer Beliebtheit wie ehedem in den Analysen metropolitaner AntiimperialistInnen der 70er Jahre. Während diese sich bei ihm gerne ihre Verbalradikalismen liehen, wird er in den poststrukturalistischen Ansätzen häufig als Vordenker hybrider Kulturen hofiert. Diese zentrale Ambivalenz macht Udo Wolter zum Gegenstand seines Buches und trifft damit die Grundbegriffe der Fanonschen Theoriebildung. Das Buch wird deshalb für das Fanon-Verständnis der oder des herkömmlichen Revolutionsinteressierten eine lehrsame Bereicherung und für die Forschung fortan unverzichtbar sein.

Ein immer wieder umstrittenes Thema ist das der Gewalt. Für Fanon konnten sich die Kolonisierten nur in der und durch Gewalt befreien. Die koloniale Gesellschaft beschreibt Fanon als eine durch und durch von Gewalt geprägte, die bis in die Körper der Beherrschten wirkt, denen die Aggressivität folglich „in den Muskeln“ sitze. Fanons Ansatz gilt deshalb in vielen Auseinandersetzungen als Gewaltverherrlichung – so in Hannah Arendts Essay über Gewalt (1970) wie auch in Lou Marins libertärer Würdigung von Albert Camus (Ursprung der Revolte; Verlag Graswurzelrevolution 1998), dessen Position Marin gegen Sartre und Fanon in Anschlag bringt. Wolter zeigt auf, wie Fanon in Anlehnung an Hegel Gewalt als Arbeit definiert und damit ontologisiert. Er stellt die „Geschichtsgebundenheit von Fanons Befreiungssubjekt“ heraus und kritisiert den aufklärerischen Glauben an den freien Willen des Subjekts. Der unhistorischen Verwendung des Arbeitsbegriffes setzt Wolter ein Verständnis entgegen, das die Kategorien Arbeit und Gewalt als reale Abstraktionen der Warenvergesellschaftung fasst. Als in die kapitalistische Vergesellschaftung eingebunden werden so auch die Prozesse von Kolonisierung und Entkolonisierung analysiert. Damit erschließt sich auch eine Erklärung des Scheiterns nationaler Befreiungsbewegungen. Nicht nur die gesellschaftlichen Entwicklungen im heutigen Algerien entsprechen ja nicht gerade denen, die Fanon und andere sich von antikolonialen Bewegungen erhofften. Der Bindung an die Nation in emanzipatorischer Absicht wird von Wolter eine ebenso deutliche Absage erteilt wie den Konzepten essentialistischer Identitätspolitik. Die Kritik an und mit Fanon würde sich also nicht nur auf den Büchertischen zum Gedenktag – Fanon starb am 6.Dezember 1961 36jährig an Leukämie -, sondern auch in den Diskussionen der GlobalisierungskritikkerInnen gut machen.