Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
seit März 2001 erscheint separat und als vierteljährliche, türkisch-deutschsprachige Beilage der Monatszeitung Graswurzelrevolution (GWR) die Otkökü (türkisch: Graswurzel).
Nach vier Ausgaben ist die Zeit reif für ein erstes Resümee:
Unser ursprüngliches Konzept, die Otkökü auch als Sprachrohr für eine Graswurzelbewegung in der Türkei zu produzieren, ist bereits nach Erscheinen der ersten Ausgabe gescheitert. Ca. 400 Exemplare der Nr. 1 wurden im März vom türkischen Zoll beschlagnahmt und liegen seitdem beim Innenministerium in Ankara. Angesichts der konkreten Bedrohung unseres Otkökü-Koordinationsredakteurs Ossi in Izmir können und wollen wir seitdem einen Vertrieb in der Türkei, der über vereinzelte Abos hinausgeht, nicht verantworten. Das Risiko für Ossi, der als Kriegsdienstverweigerer ohnehin jederzeit wieder inhaftiert werden kann, ist zu groß. In der Türkei gibt es keine Pressefreiheit. Unliebsame Zeitungen wie die pro-kurdischen Tageszeitungen Özgür Gündem, Özgür Ülke u.a. wurden in der Vergangenheit verboten, die Gündem-Redaktion in Istanbul bombardiert und viele RedakteurInnen ermordet.
De facto regiert in der Türkei das Militär. Und ein Dorn im Auge des Generalstabs wäre sicher auch eine breit in der Türkei verteilte Otkökü. Schließlich wurden und werden in diesem antimilitaristischen Blatt tabuisierte Themen angesprochen: Vergewaltigungen in Untersuchungshaft; der von der Türkei nach wie vor geleugnete Völkermord an ca. 1,5 Millionen Armeniern 1915; die Menschenrechtsverletzungen des türkischen Militärs; Kriegsdienstverweigerung; die Situation der kurdischen Kriegsflüchtlinge; der seit mehr als einem Jahr andauernde Hungerstreik politischer Gefangener, die sich gegen die Einführung der F-Typ-Isolationshaftanstalten wehren und von denen nun (20.11.2001) bereits 81 gestorben sind bzw. getötet wurden,…
Und in Deutschland, Österreich, der Schweiz?
Hier ist es bisher nur in Ansätzen gelungen, mit der Otkökü Menschen außerhalb des Graswurzelspektrums anzusprechen. Auf die Füße fällt uns, dass in großen Teilen der türkischen und kurdischen Linken immer noch ein stalinistisches oder „apoistisches“ Politikverständnis dominiert. Eine Zeitung, die aus einer libertär-gewaltfreien Perspektive berichtet, wird auch deshalb kaum beachtet, als „kleinbürgerlich“, „pseudorevolutionär“ abgetan. Homophob wird z.T. auf den Otkökü-Bericht zum ersten schwul-lesbischen Kulturzentrum in der Türkei reagiert.
Insgesamt ist die Resonanz bisher eher enttäuschend. Dabei ist Otkökü auch ein Beispiel für Vernetzung und Globalisierung des Widerstands von unten.
Weiter? Und wie?
Wir brauchen mehr Leute, die die Verteilung übernehmen, die mitarbeiten, die Otköküs bestellen, sie auslegen in Cafés, Kneipen, Läden, Internationalen Zentren, Universitäten,…
Wenn Ihr das Projekt gut findet, dann spendet, sprecht Gruppen an, die Otköküs bestellen und verteilen könnten: AStA, Kulturvereine,…
Wie gefällt Euch Otkökü? Was findet Ihr gut? Was kommt zu kurz? Eure Resonanz ist uns wichtig. Mailt uns Eure Infos, Artikel, Anregungen, Lob und Kritik bitte an: otkoku@graswurzel.net
Mit li(e)bertären Grüßen, im Auftrag von Otkökü und GWR-HerausgeberInnenkreis,