Neda Bozinovic: Neda - ein Leben für Jugoslawien. Von den Partisanen zu den Frauen in Schwarz. Vorwort Ingrid Strobl, Orlanda-Frauenverlag, Berlin 2001, 159 S., 32 DM, 16,50 EUR.
Die 84-jährige Neda Bozinovic, einst überzeugte Kommunistin, gehört bis heute zu den maßgeblichen Aktivistinnen der jugoslawischen Frauenbewegung. Als Parteifunktionärin (1939-1988) in verschiedenen verantwortlichen Aufgabenbereichen blieb sie stets eine wache Kritikerin.
In der Zeit nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges erhielten die Frauen, zumindest vorläufig „erstmals in der Geschichte Jugoslawiens das Recht zu wählen und gewählt zu werden, und sie besetzten wichtige Funktionen in Politik und Gesellschaft.“ (S. 11)
Daher ist es verständlich, daß Neda Bozinovic die „Haltung und Arbeit ihrer Partei als (in bestimmten historischen Phasen) weitgehend frauenfreundlich darstellt. Dieses Ideal konnte und sollte jedoch nicht immer und überall umgesetzt werden; dass auch Parteigenossen, und nicht wenige, Patriarchen und Sexisten und bei weitem nicht alle Genossinnen Feministinnen waren, das weiß auch Neda Bozinovic aus persönlicher Erfahrung. Und sie verschweigt es nicht“ in ihrem Lebensbericht, so Ingrid Strobl im Vorwort.
Als sich seit dem Beginn der 70er Jahre die Bürokratisierungstendenzen innerhalb der KP Jugoslawiens immer deutlicher herausschälten, konnte Neda viele Entwicklungen nicht mehr befürworten. Sie scheute dabei keineswegs die Auseinandersetzung mit GenossInnen. Sie verschweigt auch nicht „den Aufstieg machtgieriger und autoritärer Funktionäre.“ Und sie wendet sich entschieden gegen nationalistische Bestrebungen. „All das ist ihr zuwider und deshalb erleidet ihre Parteikarriere einen ziemlichen Einbruch. Als dann schließlich ein Nationalist wie Milosevic die Partei repräsentiert, in die sie als jugendliche Kämpferin für Freiheit und Gleichheit eingetreten war, bricht sie endgültig mit ihr und mit nicht wenigen ihrer Genossen.“ (S.11/12)
Neda und die Frauen in Schwarz
Im Jahre 1992, kurz nach Beginn des Bürgerkrieges in Jugoslawien und vier Jahre nach Nedas offiziellem Parteiaustritt, nimmt sie als 75-jährige an der großen Friedenskonferenz am Ohridsee in Mazedonien teil. „PazifistInnen und MenschenrechtlerInnen aus dem ehemaligen Jugoslawien und anderen europäischen Ländern hatten sich hier versammelt, um gemeinsam Aktionen gegen diesen immer brutaleren Krieg ins Leben zu rufen.“ (S. 13) Neda war vor allem als Vertreterin der „Frauen in Schwarz“ dorthin gereist. Bereits im Oktober 1988 hatte sie bewußt Kontakt zu der pazifistisch-feministisch orientierten Gruppierung in Belgrad gesucht. Zu einer ersten wichtigen Begegnung kam es dann im Oktober 1989. Stasa Zajovic, eine der Gründerinnen der Gruppe, berichtet:
„Ich habe Neda vor ungefähr zehn Jahren das erste Mal getroffen. Es war bei einem Treffen der Gruppe ‚Die Frau und die Gesellschaft’ im Kulturzentrum der Studentinnen. Das war damals für uns und andere alternative Gruppen der einzige Ort, an dem wir uns versammeln durften. (…) Wir waren nicht sehr viele und wir erkannten rasch neue Gesichter.“ (S. 137)
An jenem Abend war neu, dass drei oder vier Frauen im Alter von 65 und 80 Jahren in der ersten Reihe saßen. Normalerweise waren die Frauen, die zu den Treffen kamen sowie diejenigen, die der Kerngruppe angehörten, jünger als 30 Jahre. Als dann Neda später das Wort ergriff, erkannte Stasa Zajovic, wie sehr sie beide sich nahe standen, trotz des bestehenden Generationenunterschiedes. Aus Nedas Art zu sprechen, entnahm Stasa, dass sie gemeinsame Grundlagen hatten, geographisch und kulturell. Stasa fragte sich, ob diese Frau von der dalmatischen Küste oder aus der Bucht von Kotor stammte? Auffallend war, dass sich Nedas Art der politischen und feministischen Rede von der Sprache der jungen Frauen unterschied. „Was sie sagte, besaß Gewicht und überzeugte“, so Stasa in ihrer Erinnerung. Und Stasa glaubte zu erkennen, dass Neda von der „Front der antifaschistischen Frauen“ kam; einer einflußreichen Organisation aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. In der Tat: Neda war aktives Mitglied gewesen. Sie und viele andere Frauen ihrer Generation hatten sich im Zweiten Weltkrieg als Partisaninnen am Befreiungskampf gegen die deutsche Wehrmacht beteiligt.
Neda war jedoch nicht als Befürworterin des militant-bewaffneten Befreiungskampfes zu den „Frauen in Schwarz“ gekommen. Gerade in den Diskussionen mit einigen internationalen MitstreiterInnen der „Frauen in Schwarz“ sowie den suchenden, unentschiedenen oder z.T. auch antipazifistisch eingestellten Männern und Frauen anderer außerparlamentarischer Oppositionsgruppen betonte Neda selbst immer wieder, dass es zwecklos sei, den bewaffneten Kampf zu propagieren. „Heute kann uns der bewaffnete Kampf wohl kaum mehr als Schande einbringen, jedenfalls nicht die erhoffte Emanzipation.“ (S. 142) Der bewaffnete Kampf sei eine antiquierte Idee wie deren Prinzip selbst. Diese Position verteidigte sie u.a. auch in den von der Gruppe veranstalteten öffentlichen Diskussionsforen:
„Ich, als eine Frau mit Erfahrung im bewaffneten Kampf, wähle heute die Gewaltlosigkeit. Gewaltlosigkeit ist keine Feigheit. Sie ist einfach der heutigen Zeit am besten angepaßt. Daran solltet ihr euch mit aller Entschiedenheit halten.“ (S. 142)
In diesen grundlegenden Auseinandersetzungen erwies sich Nedas Unterstützung für die politische Arbeit der „Frauen in Schwarz“ als überaus stabilisierend. Stasa Zajovic charakterisiert das folgendermaßen: „Nedas Scharfblick blieb in unserem Kampf ein ausgeglichenes Element.“ Denn Neda schützte sie z.B. vor Gefahren in Aktionsbündnissen: im Sinne einer falsch verstandenen Toleranz sollten sie keine verlogenen Kompromisse eingehen.
Schnell war Neda im Belgrader Antikriegszentrum den zumeist wesentlich jüngeren Frauen eine freundschaftlich-beratende Verbündete geworden. Dabei nahm Neda nicht nur eine sozial-integrative Rolle ein, sondern sie blieb auch dort stets eine wache Kritikerin. Stasa berichtet: „Wenn einige – ich an der Spitze – zu radikal waren, griff sie ein und brachte ihre Erfahrungen als eine Frau ein, die sowohl die höchsten Machtinstanzen als auch die Belange des Volkes kannte. In ihrem tiefsten Innern war sie eine Frau des Volkes geblieben. (…) Politisch gab es nie Unstimmigkeiten mit ihr. Sie legte Wert auf klare, einfache und für uns erreichbare Ziele.“ (S. 139)
Neda blieb nicht ausschließlich innerhalb der Belgrader Gruppierung haften. Sie reiste auch gemeinsam mit anderen VertreterInnen der jugoslawischen Friedensbewegung zu verschiedenen Frauenkonferenzen in die Wojwodina, aber auch z.B. nach Italien, wo sie sich mit bosnischen Pazifistinnen traf. Dabei ging es ihr vor allem um Klarstellungen hinsichtlich der politischen Prioritäten und Zielsetzungen innerhalb der Bewegung. Einig waren sich alle weitestgehend darin, ein befreites föderatives Jugoslawien schrittweise und zielgerichtet aufzubauen; mit der gleichberechtigten Autonomie aller ethnischen Bevölkerungsgruppierungen in verschiedenen Landesteilen. Dabei verwies Neda immer wieder darauf, dass es falsch ist, zu sagen: „Nach der Befreiung“ oder „Nach dem Krieg werden wir das Frauenproblem in Angriff nehmen.“ Vielmehr müsse die Befreiung und tatsächliche Gleichstellung der Frauen bereits in der Zeit während des Widerstands gegen den Krieg in Angriff genommen werden. Neda betonte: „Das hängt alles miteinander zusammen, ihr dürft das nie unabhängig voneinander betrachten.“ (S. 140) Sie warnte auch die Frauen anderer Staaten davor, manipuliert zu werden, denn aus Erfahrung wußte sie, wie der Staat mit den Frauen umzugehen pflegt.
Rückblick: Mila Dimic – die anarchistische Jugendfreundin
Mit den Geläufigkeiten und Handhabungen des Staates gegenüber den Frauen hatte Neda im Laufe ihres langen politischen und feministischen Engagements weitreichende Erfahrungen gesammelt. Als Jura-Studentin war sie vor dem Zweiten Weltkrieg Mitinitiatorin eines selbstverwalteten Studentinnenwohnheims, in dem sie zusammen mit anderen Studentinnen verschiedene Formen autonom-feministischer Kulturarbeit entwickelte. Als sich jedoch herausstellte, dass die Studentinnen gesellschaftskritische Konzepte und Aktionen ersannen, dass sie für Frauenemanzipation aktiv wurden, kam es aufgrund staatlicher Repression zur Schließung des Heimes im Jahre 1942. Die von den Studentinnen gewählte Leiterin, Mila Dimic, wurde von der Polizei bespitzelt und mehrmals verhört. Nach einer ersten Inhaftierung wurde sie im Dezember 1942 erneut verhaftet. Die Polizei schlug sie brutal zusammen, bewußtlos wurde Mila Dimic ins Gefängniskrankenhaus überführt, wo sie nach wenigen Tagen im Koma starb.
Neda war eine enge Freundin von Mila gewesen. Sie standen sich auch in politischer Hinsicht nahe. Beide teilten sie eine systemkritische, kommunistisch orientierte Position. Jedoch war Mila Dimic im Unterschied zu Neda damals keine überzeugte Kommunistin leninistischer Prägung. Neda charakterisiert Mila Dimic als „Linksradikale. Sie war so etwas wie eine anarchistische Kommunistin, die sich über jede Grenze und Disziplin hinwegsetzte und sich deshalb keiner politischen Partei anschließen wollte. Ihre Beziehungen zur Kommunistischen Partei waren häufig gespannt. Autoren gegenüber, die einen sozialistischen Realismus in der Literatur durchsetzen wollten, blieb sie in kritischer Distanz.“ (S. 37)
Obwohl Neda mit Mila Dimic tief verbunden war, wirken manche ihrer Schilderungen über sie befremdlich. Ihre Bemerkungen über Mila als sich über ‚Grenzen und Disziplin’ hinwegsetzende anarchistische Kommunistin wirken recht distanziert und bestätigen eigentlich eher ein herkömmliches Vorurteil gegenüber AnarchistInnen. Tatsache ist, dass Mila nicht militärisch-militant eingestellt war; sie war äußerst kritisch gegenüber Polizei und Staatsgewalt und sie lehnte autoritäre Strukturen ab. Alles in allem war sie überhaupt kein systemangepaßter Mensch. Sie gehörte der linken systemkritischen künsterlischen Intelligenz an. Mila war Schauspielerin, Essayistin, Dramenautorin und Übersetzerin deutscher Texte. Eines ihrer bekanntesten Bühnenstücke war ihre Bearbeitung des Gesellschaftsromans „Das Erntefeld“ von Branimir Cosic, die 1935/36 im Belgrader Volkstheater aufgeführt wurde. Der damalige Polizei- und Kulturminister des Königreichs Jugoslawien veranlaßte die unverzügliche Absetzung des Stückes sowie die sofortige Entlassung Milas als Darstellerin und Bühnenautorin.
Als Leiterin der Selbstverwaltungskooperative des Studentinnenheims war Mila bekannt für ihr unbürokratisches Organisationstalent, für ihre Toleranz und Kommunikationsfähigkeit besonders mit den jüngeren Studentinnen. Sie half, so gut es in ihren Kräften stand, inhaftierten Regimekritikerinnen. Ohne dass die Heimbewohnerinnen das wußten, beteiligte sie sich aktiv an Demonstrationen gegen die Regierung. Mila Dimic war es dann auch gewesen, die Neda darin unterstützte, eigenständig verfaßte Reden und Statements bei öffentlichen feministisch-politischen Versammlungen zu halten. Sie übte mit ihr rhetorische Grundlagen für diese Zwecke.
Nedas weiterer Lebensweg bis zu den „Frauen in Schwarz“
In Nedas späterer Parteikarriere war die Begegnung mit Mila Dimic sicher prägend für ihre Ausrichtung auf basisorientierte Tätigkeitsbereiche. Leider erwähnt Neda diese persönlichen inneren Zusammenhänge nur selten in ihrer Autobiographie. Welche Einstellung hatte sie selbst zum antiautoritären Sozialismus? War sie überhaupt näher vertraut mit libertär-sozialistischen Strömungen? Das sind Fragen, die sie in ihrem Lebensbericht nicht thematisiert und daher unbeantwortet bleiben müssen.
Auffallend ist, dass sie und ihr späterer zweiter Ehemann Bobi (Drobivoje Radosavljevic) eindeutig eine antinationalistische, systemkritische Position innerhalb der KP Jugoslawiens vertraten. Sie gehörten dabei aber liberal-reformerischen Kreisen an. Obwohl sie beide vergleichsweise hohe, verantwortliche Führungspositionen erreichten, beanspruchten sie für sich und ihre Familien keine Privilegien finanzieller Art.
In ihrer Autobiographie beschreibt Neda die Diskrepanzen zwischen Theorie und politischer Praxis. In ihrer Position als Richterin des Obersten Gerichtshofes (1951-1971) unter Tito befaßte sie sich maßgeblich mit konkreten Bedürfnissen, sozialen Problemen und Anliegen der Menschen. Sie kritisiert, dass bereits seit 1951 „im Staatssekretariat eine zunehmende Bürokratisierung von innen“ zu erleben war. Eine technokratische Führungselite hatte sich herausgebildet, die sich aus dem hierarchisch strukturierten Machtapparat nährte. „Die mittleren Führungskader waren zu einer Gruppe mit einheitlichem Verhaltenscodex geworden: Einerseits waren sie alle sehr gehorsam, hatten sich aber andererseits so eingerichtet, dass sie ihre Stellung in der Hierarchie benutzten, um die eigenen Interessen vor die Allgemeinheit zu stellen, um sich gegenseitig die verschiedensten Privilegien zuzuschanzen.“ (S. 79)
Als überzeugte Antibürokratin und Antinationalistin brach sie 1988 endgültig mit der KPJ. Bereits seit 1972 – das war die Zeit der Wende -, als die nationalistsich-konservativen Kräfte, damals noch im Verbund mit Tito und unter dessen Führung, die Oberhand gewannen, distanzierte sie sich innerlich und äußerlich von den Machenschaften der Partei.
Staatliche Überwachungsmethoden sowie ein enges Konspirationsnetz der konservativen und nationalistischen Funktionärskreise sorgten dafür, dass die liberalen, anti-nationalistischen, reformerisch orientierten PolitikerInnen abgestoßen bzw. sozial isoliert wurden. Denn deren „Vorstellungen von einer Marktwirtschaft und gleichberechtigten Beziehungen zwischen allen in Serbien lebenden Völkern und ethnischen Gruppen, insbesondere in der Wojwodina und im Kosovo, stieß auf heftigen Widerstand der konservativen Kräfte Serbiens.“ (S. 107)
Ihren Zugang zu den pazifistisch orientierten Frauengruppen innerhalb der linksoppositionellen, außerparlamentarischen Bewegung fand Neda aufgrund ihrer politischen und sozialen Isolation in der Zeit zwischen 1972 und 1988. Sie selbst sagt dazu: „Die feministische Gruppe ‚Frauen in Schwarz’ half mir zu überleben, indem sie mir die Möglichkeit gab, meinen Protest gegen diesen Krieg öffentlich kundzutun.“ (S. 145) Aber in vielerlei Hinsicht bewirkten die entstandenen Freundschaften und Bündnisse mit den zumeist jungen Feministinnen einen noch viel weiteren Wirkungsrahmen. Gerade die Begegnungen, Gespräche und Diskussionen mit den unterschiedlichen Frauen in den pazifistischen Gruppen motivierten sie, mit ihnen zusammen die verdeckten und ausgelöschten Spuren der Befreiungskämpfe von Frauen in Jugoslawien ausfindig zu machen und wieder ans Licht zu bringen. So entschied sie sich, bereits in der Zeit des Bürgerkrieges ihr Buch „Zur Lage der Frau in Serbien im 19. und 20. Jahrhundert“ (Belgrad) zu schreiben, welches eine Initiative der „Frauen in Schwarz“ für sie finanzierte. Bei den Recherchen und der Lektüre für dieses Projekt entstand bei Neda „ein Gefühl der Bewunderung, Achtung und Liebe“ (S. 144) für all die damaligen und heutigen Generationen von Frauen, die den Weg für ihre Emanzipation in diesen streng patriarchalisch verwurzelten Balkanländern ebneten.