„Begreifen – angreifen – übergreifend“, unter diesem Motto trafen sich vom 23. bis 25. November ca, 150 Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet und Gästen aus Russland zur Herbstkonferenz der Anti-Atom-Bewegung in Leipzig (vgl. GWR 263). Das Anti-Atom-Netzwerk Sachsen hatte in die ehemalige Baumwollspinnerei eingeladen, damit die Bewegung unmittelbar nach den Ereignissen um den neuerlichen Castortransport nach Gorleben ihre Perspektiven überdenken aber auch mal hemmungslos rumspinnen konnte. Dies wurde insbesondere durch die sehr interessante Gliederung der Konferenz in eine Castornachbetrachtung, einen Analyse jetzt- und einen Planungsblock ermöglicht. Ein Riesenkompliment sollte in diesem Zusammenhang an die Vorbereitungsgruppe für die hervorragende Organisation und inhaltliche Vorbereitung der Konferenz gehen. Bedauerlich war, dass die Umweltverbände kaum vertreten waren.
Der Freitag stand für eine Berichterstattung über und Einschätzung zum Castortransport nach Gorleben zur Verfügung. Detailliert wurde über Aktionen und Strategien, aber auch über die Repressionen der Staatsmacht von den verschiedensten Streckenabschnitten berichtet. Dabei fiel auf, dass es zwar aus den bekannten Gründen nicht gelang so viele Menschen zu mobilisieren wie noch zum letzten Gorlebentransport im März, allerdings eine genauso große Vielfalt an Aktionen stattfand. Ebenfalls wurde angemerkt, dass der Polizeiapparat nicht mehr so träge aber wesentlich repressiver agierte wie in der Vergangenheit. Weitest gehende Demonstrationsverbote und andere gravierende Einschränkungen von demokratischen Grundrechten verhinderten und behinderten das Vorgehen der Bewegungsaktiven. Hier erscheint es notwendig neue Konzepte zu entwickeln.
Damit der Castor aber nicht nur zu einem logistischen bzw. Sicherheitsproblem für die Polizei verkommt debattierten unabhängig von einander verschiedene AGs am Samstag über den Stand der Bewegung und den Widerstand in Zeiten von Neoliberalismus und Globalisierung. Hierbei sollte zunächst die aktuelle gesellschaftlich-politische Situation analysiert und im weiteren über die Anti-Atom-Bewegung als soziale Bewegung beraten werden. Die KonferenzteilnehmerInnen debattierten nicht so eng am vorgegebenen Rahmen, was angesichts des aufschlussreichen Analysetextes „Analyse it!“ (nachzulesen in der anti atom aktuell Nr. 124) bedauerlich erscheint aber aufgrund der Dynamik der Diskussionen auch nachvollziehbar ist. Einen dominanten Platz nahm der aktuelle Krieg in Afghanistan und die deutsche Beteiligung daran ein. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung standen darüber hinaus die Bedeutung der Neufassung des Atomgesetzes, die Maßnahmen zur „Inneren Sicherheit“, die Castorfixierung der Bewegung und die Forderung nach Stillegung angesichts der „neuen“ Bedrohung durch Terrorakte. Auch neue Kampagnen wurden intensiv diskutiert. Das alles fand in einer sehr angenehmen Atmosphäre statt, die zwar geprägt war von einer wenig euphorischen Stimmung angesichts des zurückliegenden Transportes (vgl. GWR 264), allerdings auch ruhig und routiniert genug um mit neuem Schwung ins neue Jahr zu starten. Dazu diente nicht zuletzt der Vortrag von Alissa Nikulina und Vladimir Slivyak über eine sich neu formierende Widerstandsbewegung in Russland. Die beiden AktivistInnen erläuterten die gesetzlichen Grundlagen für neue Atommülleinlagerungen in Russland, die wohl auch für die deutsche Atommafia von großer Bedeutung sein könnten. Dies verdeutlicht u.a. die Teilnahme des russischen Atomenergieministers an der Tagung des Deutschen Atomforums im Mai 2001 in Dresden.
Die Überlegungen zu konkreten Planungen zum Abschluss der Konferenz am Sonntag berücksichtigten die Gefahr der Verschiebung von Atommüll nach Russland.. So soll im Juli 2002 ein gemeinsames Widerstandscamp in Westrussland stattfinden. Des weiteren sind geplant Aktionen zum Tschernobyltag, zur Tagung des Atomforums im Mai 2002 in Stuttgart, in den letzten beiden Juniwochen ein internationales Camp gegen das geplante Atomendlager im französischen Bure und Beteiligungen an Anti-Kriegs-Aktionen. Im Mittelpunkt sollen vor allem neben dem Castortransport nach Gorleben im Herbst 2002 erneut die Transporte in die WAAs La Hague und Sellafield stehen. Gerade hier erscheint eine neue Mobilisierung möglich und wünschenswert. Auch die Urantransporte zur Urananreicherungsanlage in Gronau sollen Ziel von Aktionen sein.
„Die Herbstkonferenz versteht sich als Teil des Kampfes gegen die äußere und innere Formierung des Kapitals zur Durchsetzung und Sicherung von Herrschaft, u.a. mit militärischen und sogenannten „sicherheitspolitischen Mitteln“ heißt es in der abschließenden Erklärung. Und weiter: „Die Herbstkonferenz verurteilt den Angriffskrieg gegen Afghanistan. Er ist Teil dieser Strategie und dient der Durchsetzung geostrategischer Interessen.“ Die Konferenz warnt im Zusammenhang zu den Ereignissen des 11. September, vor einer Argumentation, die sich mit Forderungen nach „innerer Sicherheit“ verbindet um Atomkraftwerke stillzulegen, da diese benutzt werden, um innenpolitisch eine Durchsetzung vorhandener Repressionskonzepte zu beschleunigen. Des weiteren wird die neue Atomgesetznovelle als „Bestandssicherung deutscher Atomkraftwerke kritisiert, wodurch „die Garantie des profitablen Weiterbetriebs eine gesetzliche Grundlage erhält.“
Die Herbstkonferenz bewies rückblickend, dass die Nutzung der Atomkraft auch weiterhin ein politisch relevantes Thema bleiben wird und die Anti-Atom-Bewegung nach wie vor lebt und agiert.