Paul Ariès/ Christian Terras: "José Bové. Revolte eines Bauern", Vorwort von Michael Jäger, Edition Nautilus, Hamburg 2001, 120 Seiten,10 €
„Gut war die Welt zur Zeit der Alten, denn Treue war da und Gerechtigkeit und Liebe, und Glaube war da, wovon es jetzt nicht genug gibt; sie ist ganz verändert, verloren hat sie ihre Farbe: niemals wird sie wieder so sein, wie sie bei den Alten war.“
La Vie de Saint Alexis (Strophe I), 11.Jahrhundert.
Er kann ja nichts dafür, daß man ihm blöde Fragen stellt: „José Bové, für viele Franzosen sind Sie eine Art moderner Asterix […]. Was für ein Kind sind Sie gewesen? Ein schlauer Junge oder schon ein bisschen rebellisch gegen das Unrecht auf dieser Welt?“. José Bové, mit wie viel Monaten haben sie zum ersten Mal die linke Faust aus dem Kinderwagen gereckt und ihren ersten soziopolitischen Diskurs vorgetragen? Wann haben Sie ihre Berufung erkannt, ein „moderner Asterix“ zu sein und Schwachköpfen Gelegenheit zu bieten, aus einem ganz normalen, wiewohl engagierten Menschenleben eine gradlinige Heldenvita zu schnitzen? Vor oder nach ihrem fünften Geburtstag? Sind Sie als kleines Kind in einen Topf mit Zaubertrank gefallen? Die Menschen dort draußen möchten gerne wissen, Herr Bové…
Heroes just for one day
Wie gesagt: nicht seine Schuld! Selbst vernunftbegabten Menschen wie dem französischen Politologen Paul Ariès (dem u.a. ein sehr erheiterndes und erhellendes „Anti-McDonalds-Handbuch“ zu verdanken ist) und dem Theologen und Verlagsleiter Christian Terras, die in dem nun bei Edition Nautilus erschienen Buch „José Bové. Revolte eines Bauern“ (Hamburg 2001) den berühmten Schafzüchter aus dem Aveyron interviewen, geht scheint’s der Mund über, wenn vor ihnen diese „Berühmtheit“ sitzt. Schlimmer noch: linke, widerständische „Berühmtheit“, eines jener seltenen Exemplare der Unverbesserlichen, Widerspenstigen und Eigensinnigen. Immerhin scheint dieser José Bové, 1953 in Bordeaux als Sohn eher konservativer Agronomen geboren, sämtliche politischen Kämpfe Frankreichs der letzten 40 Jahre mitgefochten zu haben: vom Mai ´68 über die Causse Larzac, wo er heute noch lebt und arbeitet, bis zu dem berühmten und vielbewunderten Törn der „Rainbow Warrior II“ und anderer Schiffe ins militärische Sperrgebiet rund um das Mururoa-Atoll. Heute ist Bové Sprecher der Bauerngewerkschaft Confédération Paysanne und ein, wenn nicht gar der berühmteste Globalisierungsgegner Europas. Sein Gesicht ist mittlerweile von den Titelseiten der Zeitschriften geschwunden und taucht häufiger in wohlmeinende Arte – Dokumentationen auf. Die französische Presse hindert das nicht, auch heute noch rund um ihn ihr rühmend plärrendes Tätäräh zu schmettern. „Arm das Land, das Helden nötig hat“, hat Bertolt Brecht gesagt. Und sein konservativer Schriftstellerkollege Joseph Roth wünschte sich „unlegendäre, und selbst namenlose lebendige Kämpfer für die Sache der Menschheit“. Ein Widerständler ohne Mikrophone und ohne Zeitungsecho wird zum tragischen Hanswurst. Der Held einer modernen Mediendemokratie jedoch droht zum Abziehbildchen zu verkommen, zu einem bunt behängten Homunkulus, der überall im Wege steht und ebenso schnell wieder im Reagenzglas verschwindet, wie man ihn hervorgezaubert hat. Lebendige Helden sind unmenschlich, weil sie mit Träumen, Erwartungen, Unzufriedenheiten und Sehnsüchten anderer überfrachtet werden. Und jeder steht beleidigt, wenn sein ganz persönlicher Held – Che Guevara, José Bové oder Zinedine Zidane – sich erdreistet, aus dem Korsett vorgefasster Meinungen auszubrechen, einfach, weil er eigene Gedanken denkt…
José Bové – im Gegensatz zu seinen Gesprächspartnern! – weiß das alles. Wenn er den Rummel um seine Person genießt, behält er das wenigstens für sich. Er bekommt in „Revolte eines Bauern“ das Kunststück fertig, selbst auf die deppigsten Fragen klug und informativ zu antworten und allzu groben Unfug geflissentlich zu überhören, etwa, wenn Christian Terras noch einmal hervorheben zu müssen meint, die Demontage der McDonaldsfiliale von Millau habe „nicht die Spur von Haß gegen Jugendliche“ (S.90) getragen. Ährm.
Ein libertärer Gewerkschafter
„José Bové. Revolte eines Bauern“ ist die gelungene Ergänzung zu dem ebenfalls 2001 erschienen Interviewband mit José Bové und Francois Dufour, „Die Welt ist keine Ware“ (Rotpunktverlag 2001, vgl. GWR 261). Beide füllen in Frankreich seit langem die Bestsellerlisten („Revolte eines Bauern“ erschien dort übrigens vor „Die Welt ist keine Ware“!). Wo „Die Welt ist keine Ware“ sehr detailliert und kenntnisreich auf die Situation der französischen Landwirte, die internationalen Folgen der Globalisierung und die Politik der Confédération Paysanne eingeht, steht im vorliegenden Band die Person Bovés im Vordergrund, seine Ansichten, sein Widerstand und seine Biographie. Allgemeine Themen werden zwar behandelt, das ganze ist aber knapper und griffiger verpackt als „Die Welt ist keine Ware“, und trotz gelegentlicher Entgleisungen der Fragenden mit Genuß und Gewinn zu lesen – ein gutes „Einführungsbändchen“ in den Protest französischer Landwirte gegen die Globalisierung. José Bové präsentiert sich vor allem als kämpferischer und entschiedener Gewerkschafter, an dem anarchistische AktivistInnen Freude haben werden. „Ich werde mich nicht hinter einer anonymen kollektiven Verantwortung verstecken“, erklärte er etwa 1998 während eines Prozesses, in dem er sich mit anderen Mitgliedern der Confédération Paysanne, einer Art radikaler Gegengewerkschaft zum schwerfälligen und rückschlägigen Koloss FNSEA, wegen der Zerstörung von genmanipuliertem Mais in einem Lager bei Nérac zu verantworten hatte (die Prozesserklärung ist neben anderen Dokumenten dem Interview eingefügt): „Als Gewerkschafter der Confédération Paysanne glaube ich an die Fähigkeit jedes Einzelnen, für seine Taten geradezustehen. In unserem Verständnis von Gewerkschaft ist kein Platz für Hierarchisierungen von Verantwortlichkeiten. Jeder organisierte Bauer ist Akteur seiner Zukunft und hat die Pflicht, einzugreifen. Die Stärke unserer Bewegung beruht auf diesem Willen freier Individuen, die alle Konsequenzen ihrer Taten auf sich nehmen und sich über die Motive im klaren sind“ (S.67). Kein Wunder bei jemandem, der von sich sagt: „Ich bin Anarcho-Syndikalist. Ich stehe Bakunin näher als Marx. Meine Bezugspunkte sind die Jura-Föderation der Ersten Internationale im letzten Jahrhundert und die spanische CNT von 1936“ (S.53). Das undogmatische Politikverständnis der Confédération Paysanne – immerhin: eine Bauerngewerkschaft, die (zumindest auf dem Papier) auch Nicht-Bauern offen steht und sich vor der Zusammenarbeit mit anderen Anti-Globalisierungsbewegungen nicht scheut – hat der Grundüberzeugung ihres Sprechers vermutlich einiges zu danken.
Die „ordentliche Demontage“
Überaus erheiternd und bisher noch unbekannt sind die Anekdoten, die Bové zur berühmten McDonalds-Demontage 1999 zu erzählen weiß; einer symbolischen, wiewohl handfesten Aktion gegen „Schlangefraß“ („malbouffe“, eine Wortneuschöpfung Bovés) und die Gleichmacherei der Nahrungsmittel im Zuge der Deregulierung des weltweiten Handels mit landwirtschaftlichen Produkten, die ihn und die Confédération Paysanne überhaupt erst bekannt machte, nicht zuletzt der unerwartet harten Repression der Staatsorgane wegen. „Die Polizei ist uns wirklich entgegengekommen, denn sie haben mir sogar gesagt, sie würden den Leiter der McDonaldsfiliale von Rodez bitten, uns ein großes Firmenschild zu bringen, das wir dann symbolisch zerstören könnten. Ich habe ihnen klargemacht, daß dies nicht in Frage käme, und daß wir die Türen und Fenster von McDonalds nehmen würden“ (S. 97). Am 12. August dann zog ein bunter und fröhlicher Haufen, flankiert von zahlreichen BewohnerInnen der Stadt Millau, hinaus zur Baustelle: „Sie war gesäubert worden, es war kein einziger Arbeiter da, und wie ich verlangt hatte, waren alle Werkzeuge weggeräumt. Den Betrieben, die auf der Baustelle arbeiteten, konnte also nichts kaputtgemacht werden […] Alles, was wir bei McDonalds mitgenommen hatten, wurde später vor der Unterpräfektur abgelegt“ (ebenda). Es nutzte nichts: keine drei Tage später wurde José Bové als Rädelsführer bei der „Verwüstung einer McDonaldsfiliale“ gesucht. „Ich hatte nämlich das Wort ergriffen, bevor die Leute die Türen von McDonalds öffneten, und hatte ihnen gesagt: ´Wir sind hergekommen, um alles zu demontieren und wir werden versuchen, alles ordentlich zu demontieren´“ (S. 98).
Zuletzt
Es gibt Strittiges in „José Bové. Revolte eines Bauern“, Misstönendes und Fragwürdiges. Da wäre zunächst Bovés krauser Kulturalismus, mit dem er die „kulturellen Eigenheiten der Franzosen“ zu fassen und zu verteidigen sucht und der ihn z.B. verständnislos stehen läßt vor Versuchen, die im französischen Süden weit verbreitete Jagd zu reglementieren. Saint- Josses „Wahlbündnis für das Recht auf Jagd und Fischfang“, kurz „Chasse-Peche“ genannt, fährt in dieser Region seit langem beachtliche Stimmgewinne ein, die Politik des Wahlbündnisses ist bestenfalls rechts, und nichts ist den erdverbundenen Aktivisten von Angelrute und Anschlag verhasster als Lümmel, die Umwelt- und Artenschutz anders als mit der Flinte geregelt wissen wollen. Auch für Bové ist jede Einschränkung der Jagd, die nicht nur im Aveyron schon ganze Landstriche leergefegt hat und in schöner Regelmäßigkeit für Waldbrände sorgt, weil die bäuerlichen Weidmänner ihre unverzichtbaren Fischbüchsen scheint’s nur über einem zünftigen Feuerchen gewärmt wirklich genießen können, ein Angriff auf ein wichtiges nationales Kulturgut, eine Art von „Greenpeace-Globalisierung“. Auch die Frage, ob eine übernationale Einrichtung wie die WTO reformierbar sei oder abgeschafft werden müsse, wird nicht ausgespart und klar, wiewohl diskussionswürdig beantwortet. Alles in allem sind gerade die strittigen Passagen des Buches anregend und reizen zum Widerspruch. Und wem – mal Hand aufs Herz – wird nicht warm und wohlig um die Seele bei Sätzen wie diesen: „Es gibt auf dem Larzac keine Demonstration, bei der die Leute nicht ihren Picknickkorb im Kofferraum haben! Um die Mittagszeit wird Pause gemacht und gegessen […] Zu Kämpfen ist kein Akt der Buße, umso weniger, als wir uns auf einen langen Kampf eingerichtet haben.[…] Wenn man kämpft und sich dabei langweilt, sollte man besser aufhören“ (S.115).
In diesem Sinne bis bald