anarchismus

Attac! Attac?

Von Berlin bis Paris: Bewegung im Aufwind, Systemkritik im Abwind?

| Fang

4000 Leute nahmen im Oktober 2001 am Attac-Kongress in Berlin teil. Am 19. Januar 2002 kamen 6000 TeilnehmerInnen zum französischen Attac-Kongress nach Paris.

In Paris wurde ein „Manifest 2002“ veröffentlicht, mit dem die kommenden französischen Präsidentschaftswahlen kritisch begleitet werden sollen. 3000 BesucherInnen des Kongresses wurden erwartet, die Beteiligung überstieg alle Erwartungen. Über 30.000 Mitglieder in 230 Lokalgruppen hat Attac bereits in Frankreich. Die Zahl der Mitglieder in Deutschland hat sich seit den Aktionen gegen das G-8-Treffen in Genua im Sommer 2001 (vgl. GWR 261 und GWR 262) auf 4.500 im Februar 2002 verzehnfacht. In 39 Ländern existieren Attac-Gruppen. Im Manifest 2002 definierte sich Attac dahingehend, „keine Partei“ zu sein, sondern ein „demokratischer Stimulator“ (Le Monde, 22.1.2002, S. 8). Woher kommt der schnelle Aufstieg der Attacis innerhalb der Antiglobalisierungsbewegung und wie ist er aus libertär-gewaltfreier Sicht zu bewerten?

Kritische Sympathie statt altbackenem Dogmatismus

Attac (Association pour la taxation des transactions financières et l’aide au citoyen) wurde in Frankreich 1998 von der auch in weiteren linken und libertären Kreisen ob ihrer Hintergrundberichte sehr geschätzten linkssozialdemokratischen Monatszeitung „Le Monde diplomatique“ gegründet. Deren Chefredakteur Ignacio Ramonet ist heute „Ehrenvorsitzender“ von Attac-Frankreich. Sehr pragmatisch galt Attac zunächst als Sammlungsbewegung all derer, die gegen die neoliberalistische Offensive des Kapitalismus der neunziger Jahre waren. Einzig klar umrissene Forderung war von Anfang an die „Tobin-Steuer“, benannt nach dem kanadischen Wirtschaftswissenschaftler James Tobin. Gemeint ist damit die Besteuerung der Spekulationsgewinne auf den Börsen und internationalen Finanzmärkten, sowie die Umverteilung der so gewonnenen Einnahmen zugunsten der weltweiten Opfer des Neoliberalismus. Im Gespräch war dabei immer nur eine Besteuerung von weit unter 1 Prozent, meist sogar von 0,1 Prozent.

Attac zieht heute Interessierte aus ganz verschiedenen Richtungen an, die sich aus ihrer Sicht bemühen, sich ganz neu und ohne Scheuklappen zu begegnen: von BasisaktivistInnen der sozialen Bewegungen bis hin zu Oskar Lafontaine bei Attac-Deutschland, von linken GewerkschafterInnen über linke Intellektuelle wie den gerade verstorbenen Soziologen Pierre Bourdieu (siehe Nachruf in dieser GWR), die in „Dritte-Welt“-Kreisen bestens bekannte Susan George oder die Publizistin Viviane Forrester bis hin zum portugiesischen Literaturnobelpreisträger José Saramago, der jetzt beim Kongress von Attac-Frankreich auftrat.

Attac versteht sich nicht als Partei, wendet sich aber an Parteien und ParlamenterierInnen, oder etwa ans EU-Parlament, um ihre Forderungen durchzusetzen. Nicht ohne Erfolg: viele französische und manche EU-ParlamentarierInnen haben bereits öffentlich erklärt, sich für die Tobin-Steuer einzusetzen.

Es ist also eine bisweilen noch unentwirrbare Mischung aus jungen und moralischen, idealistischen AktivistInnen für eine andere Globalisierung und undogmatischen Politprofis, entweder „informellen Führern“ aus früheren sozialen Bewegungen oder DissidentInnen aus traditionellen Parteien. Und weil Attac im Moment so attraktiv ist, tummelt sich da auch sonst so alles, was die außerparlamentarische Szene oft so lustig und lächerlich zugleich aussehen läßt: nehmen wir, nur als ein Beispiel, den trotzkistischen Entrismus. Wie bei jeder linken Partei, so muss die trotzkistische Gruppe „Linksruck“ natürlich auch versuchen, bei Attac massenhaft einzutreten und damit die Organisation zu unterwandern. Und wie immer wird sie dabei scheitern, weil die Verhaltensweisen ihrer Kader so albern autoritär sind und die Taktik so durchschaubar ist, dass sie ganz einfach auffliegen muss. Auch in Frankreich sind die dort traditionell starken, aber auch noch stärker zerstrittenen TrotzkistInnen hinter Attac her, jedoch mehr von außen und suchen das Bündnis: darum war etwa der Sprecher der „Ligue des Communistes Révolutionnaires“ (LCR), Alain Krivine, zu Gast beim Pariser Attac-Kongress. Diese traditionslinken Taktierereien als Libertärer zu beobachten, ist, um im Französischen zu bleiben, eine „drôle de guerre“ – einfach drollig.

Ebenso altbacken finde ich allerdings auch die übliche Attac-Kritik von militanter Seite: sie ist geradezu reflexhaft und bedient in Selbstgerechtigkeit alle Counter-Horrorvisionen des autonom-militanten Bewegungs-Establishments. Nehmen wir nur zwei Beispiele, die sich gar bis in die Spalten der Graswurzelrevolution vorgedrängelt haben: das notorische Ein-Mann-Unternehmen Jörg Bergstedt schreibt da etwa in einem Leserbrief, dass „Attac (nicht von Seiten der Attacies selbst, die aber dann mitgemacht (sic!) haben) sehr gezielt (sic!) gepuscht wurde, um eine Basisbewegung à la Italien zu verhindern.“ (GWR 263, S. 19) Das ist schon deshalb albern, weil Attac-Italien und Attac-Frankreich massenhaft in Genua dabei waren. Oder die autonome Gruppe „Schwarze Katze“ schreibt in einer Presseerklärung, dass „FunktionärInnen von Attac gegen militante AktivistInnen hetzen und die Bewegung spalten.“ (GWR 264, S. 4) Für mich als gewaltfreien Anarchisten ist das eine traurige, szenepsychologisch zu erklärende Unfähigkeit, auf neue Entwicklungen und Phänomene anders zu reagieren denn mit sich komplett immunisierender Abwehr. Es ist erschreckend, wie viele Autonome/Militante sich das immer wieder neue Entstehen gewaltfreier Gruppen oder Organisationen nur als Counter-Strategie vorstellen können, und nicht etwa als ein programmatisches und ethisches Bedürfnis vieler junger AktivistInnen, das selbst bestimmt ist und ernst genommen werden sollte. Es kommt ihnen partout nicht in den Sinn, sich einmal zu fragen, warum so viele zu Attac rennen und nicht zum Ex-ö-Punkte-Redakteur Jörg Bergstedt. Und auch nach dem militanten Desaster von Genua (mit ausgeklügelter Polizeistrategie, militante Aktionen gerade zu entfachen, um die Bewegung zu desavouieren und sie dann nieder zu machen) kommt ihnen keinen Augenblick in den Sinn, dass Militanzkritik von Gewaltfreien vielleicht nicht immer mit dem Repressions-Begriff „Hetze“ belegt werden sollte, sondern ab und an auch rationale Gründe haben könnte. Richtige Argumente gegen Gegengewalt werden nicht dadurch falsch, dass sie von ReformistInnen kommen – so wie die Argumente gegen den Reformismus nicht dadurch falsch werden, dass sie von Militanten kommen.

Die falschen Alternativen zeigen allerdings, dass die Zeiten für GraswurzelrevolutionärInnen, für gewaltfreie AnarchistInnen oder für gewaltfreie RevolutionärInnen auch nicht die besten sind. Denn natürlich sollten auch wir uns fragen, warum die AntiglobalisierungsaktivistInnen nicht zu uns kommen, sondern zu Attac gehen. In vielen bisherigen sozialen Bewegungen seit Beginn der siebziger Jahre war über einzelne gewaltfreie Aktionsgruppen (etwa die legendäre „Gewaltfreie Aktion Freiburg“ zu Wyhl) oder über die „Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen“ im Bereich Friedensbewegung/Antimilitarismus oder über ehemalige RedakteurInnen der GWR bei einzelnen Aktionskampagnen bis hin zum Castor-Widerstand das Konzept der direkten gewaltfreien Aktion eingebracht und gleichzeitig – mal mehr, mal weniger erfolgreich – mit der inhaltlichen Propagierung einer libertären Gesellschaftsperspektive mittels gewaltfreier Revolution verknüpft worden. Der relative Erfolg des gewaltfreien Anarchismus innerhalb sozialer Bewegungen in der (West)-BRD – von der Entwicklung der Grünen einmal abgesehen – lag m.E. gerade darin, dass nicht nur Kapitalismus, Sexismus oder Rassismus, sondern auch die Staatsgewalt als Gewalt und damit als grundlegend zu überwinden angesehen wurde. Bin ich zu voreilig, wenn ich angesichts des ungeahnten Aufstiegs von Attac konstatiere, dass der gewaltfreie Anarchismus in der BRD heute zu dieser Verbindung nicht mehr fähig ist? Zeigt uns Attac, dass Gewaltfreiheit einerseits und gewaltfreier Anarchismus andererseits immer mehr auseinander driften? Und wenn ja, wie kann dieser Tendenz von graswurzelrevolutionärer Seite entgegen gewirkt werden? Durch Mitmachen bei Attac – auf die Gefahr hin, nur als ein weiteres U-Boot wahrgenommen zu werden?

Durch Draußenbleiben – auf die Gefahr hin, als isolierte, dogmatische KritikerInnen wahrgenommen zu werden?

Ich habe noch keine Antwort auf diese Fragen und so ist wohl zunächst beides für sich möglich.

Trotzdem: der Reformismus grassiert

Einige programmatische Auszüge aus dem Werbefaltblatt von Attac-Deutschland:

„Politik muss sich an den Leitlinien von Gerechtigkeit, Demokratie und ökologisch verantwortbarer Entwicklung ausrichten. Nur so kann die durch die kapitalistische Wirtschaftsweise entstehende gesellschaftliche Ungleichheit ausgeglichen werden.“Hier ist einerseits ein Bekenntnis zur „Demokratie“ enthalten, die nicht etwa direkt anders definiert wird als die herrschende parlamentarische Demokratie.

Implizit wird damit der Revolution abgeschworen, und obwohl von „Alternativen“ und gar einer „anderen Welt“ die Rede ist, bleibt praktisch nur der Reformismus, um sie zu erreichen.

Und es wird andererseits ein Ausgleich der Folgen des Kapitalismus angestrebt, nicht etwa dessen Überwindung. Außen vor bleibt die Tatsache, dass der neoliberale Kapitalismus zumindest in den Industrieländern aufs engste mit der Regierungsform der Demokratie verknüpft ist. Anstatt das als grundsätzliches Problem zu analysieren, wird ein Gegensatz zwischen Demokratie und Kapitalismus suggeriert, der so nie bestanden hat und auch heute nicht besteht.

Weiter: „Zentrales Thema von Attac ist die Regulierung der internationalen Finanzmärkte unter anderem durch Einführung einer Steuer auf internationale Finanztransaktionen (‚Tobin-Steuer‘), die stärkere Besteuerung von Kapital und die Unterbindung von Steuerflucht. (…) In Steueroasen und Offshore Bankzentren werden jährlich immense Summen am Fiskus und den Aufsichtsbehörden vorbei transferiert. Die Kapitalflucht dient dann wieder als Argument, um auch bei uns Steuern auf Kapitaleinkünfte und -vermögen zu senken. Auf der anderen Seite fehlt dieses Geld, um Armut und Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen und ausreichend in Bildung, Gesundheit und andere soziale Aufgaben zu investieren.“

Das ist eine klassisch-keynesianische und traditionell sozialdemokratische Programmatik der progressiven Besteuerung via Staat und insofern ist es konsequent, dass Oskar Lafontaine, der heute der einzige klassische Sozialdemokrat in der SPD ist, bei Attac auftaucht. Und das wird als „zentrales Thema“ von Attac beschrieben – spätestens hier muss die libertäre Kritik einsetzen: selbst bei einer Verwirklichung der Tobin-Steuer und anderen Formen der progressiven Besteuerung muss es durch die Struktur der staatsorientierten Strategie den Herrschenden, der EU, den ParlamentarierInnen überlassen werden, ob und wie die Gelder wirklich den Armen oder auch nur sozialen Programmen zufließen. Wahrscheinlicher ist aber, dass solche Gelder auch noch in den Ausbau der Bundeswehr und ihre weltweiten Interventionen fließen würden, die doch plötzlich allenthalben an Finanzmangel leiden. Wer etwas vorschlägt, worüber dann immer noch die Herrschenden entscheiden dürfen, muss sich nicht wundern, wenn das Ergebnis eine zweckfremde Verwendung ist. Übrigens kann hier dann auch nicht mehr widerspruchsfrei von programmatischer Gewaltfreiheit geredet werden. Mir hat noch kein/e Attacie schlüssig erklären können, wie er/sie denn innerhalb ihrer Strategie diesem Widerspruch entkommen will.

Nur weil Schröder selbst bei steigender Arbeitslosigkeit monatelang von einer „Politik der ruhigen Hand“ faselt und damit die Fortsetzung des Neoliberalismus und die Hoffnung auf den nächsten Konjunkturaufschwung meint, nur weil die SPD nicht wie früher zur Besteuerung der Reichen und zu hektischen Beschäftigungsprogrammen fähig ist, heißt das noch lange nicht, dass die sozialen Bewegungen nun klassisch sozialdemokratische Politik machen müssen. Soll doch erst die PDS in die Bresche springen – der Parteikommunismus ist längst klassisch sozialdemokratisch geworden! Diese Politikmuster sind nicht die Sache und die Aufgabe von BasisaktivistInnen – oder nur um den Preis ihrer eigenen Politbürokratisierung. Und hier liegt auch die Gefahr der zukünftigen Entwicklung von Attac: sie ist zwar keine Partei, aber sie orientiert sich an den parlamentarischen Gepflogenheiten, wie die kritische Begleitung der französischen Präsidentschaftswahlen von Attac-France zeigt, wo die KandidatInnen daran gemessen werden, ob sie Attac-Forderungen aufnehmen. Damit zieht sie Aufmerksamkeit, Idealismus und andere Energien von den Basisaktivitäten ab und orientiert sie auf die herrschende Politebene. Das – und nicht etwa die von Attac propagierte Gewaltfreiheit – macht die Organisation von sich aus medienorientiert und entspricht gleichzeitig dem von den herrschenden Medien reproduzierten Muster der Realitätstüchtigkeit und Politikfähigkeit.Es kann gut sein, dass sich innerhalb von Attac in nicht allzu ferner Zeit eine Schere öffnet zwischen BasisaktivistInnen, die ihrem Idealismus und hohem moralischen Anspruch treu bleiben und die Attac vornehmlich als Aktions- und Diskussionsforum nutzen wollen, und einer neuen Generation von Politprofis, die aus früheren sozialen Bewegungen kommen und bei Attac die Chance sehen, doch noch ihre berufspolitische Laufbahn als Finanztransaktionsexperte (Ansätze dazu ließen sich bei Sven Giegold in einem „Spiegel“-Interview kurz nach Genua schon beobachten) zu beginnen. Vielleicht hat sich die Schere schon geöffnet – und wird nur durch die immer noch vorhandene Anfangs- und Aufbruchseuphorie verdeckt? Auch dann aber kann es für GraswurzelrevolutionärInnen genauso gut sein, libertäre Staats- und Bürokratiekritik in Attac hinein zu tragen (wie das auch schon bei der Jugendumweltbewegung sinnvoll war), wie auch von außen libertäre Auffangbecken für zukünftige frustrierte Attacies aufzubauen. Bleibt nur zu hoffen, dass die vielen jungen GlobalisierungsgegnerInnen, die heute zu Attac gehen, ihren Idealismus nicht verlieren, wenn sie bei Attac sehr bald die Chancen schwinden sehen, radikal andere Gesellschaftsvisionen umzusetzen.