Dr. Bernd Drücke (36) ist Soziologe in Münster und hauptamtlicher Redakteur der gewaltfrei-anarchistischen Monatszeitung "Graswurzelrevolution" und seit dem Kongress "Vom Fernsehbild zum Feindbild?" Mitglied der DFG-VK. Über den Medienkongress und die Rolle alternativer Medien sprach er für die Zivilcourage mit Kathrin Vogler.
ZC: Bernd, die GWR ist wohl eine der ältesten bundesweit erscheinenden Alternativzeitungen. Was könnt ihr mit einer Auflage von 3500-6500 Exemplaren überhaupt bewegen?
Bernd Drücke: Wir erreichen vor allem Bewegungsaktive aus der Friedens- und der Anti-AKW-Bewegung. Die werden dadurch motiviert und zu Aktionen angeregt. Und deshalb bewegt die Zeitung eine ganze Menge. Viele Menschen werden erst durch solche Zeitungen politisiert.
ZC: Du hast mit Peter Wolter auf dem Kongress eine Arbeitsgruppe angeboten zu den Chancen und Grenzen von Alternativmedien. Welche Chancen haben denn Alternativmedien angesichts der immer stärker werdenden Konzentration auf dem Medienmarkt, der ungeheuren Macht der großen Medienkonzerne und auch angesichts der Zersplitterung unter den Alternativen?
BD: Alternativmedien schaffen Gegenöffentlichkeit, sie veröffentlichen Informationen, die in den Massenmedien nicht oder nur in homöopathischen Dosen vorkommen. Ihre Chancen liegen in der Stärkung der außerparlamentarischen Bewegungen. Im Augenblick kommt es darauf an, gegen den „Krieg gegen den Terror“ mobil zu machen und eine große Friedensbewegung auf die Beine zu stellen.
Das ist auch möglich, wenn man das Beispiel der US-amerikanischen Bewegung gegen den Vietnamkrieg betrachtet. Diese zunächst sehr kleine Bewegung ist dann schnell gewachsen, auch weil es Alternativmedien gab, die eine größere Gegenöffentlichkeit gegen diesen Krieg hergestellt haben. Auch jetzt steht wieder an zu versuchen, den Kampf an der „Heimatfront“ zu gewinnen und auf eine gewaltfreiere und herrschaftslosere Gesellschaft hinzuarbeiten, weg von der Kriegspolitik der USA und ihrer Verbündeten.
ZC: In der AG hattet ihr eine Auseinandersetzung um die dafür notwendigen Strukturen. Dein Kollege Peter hat sehr stark auch von den Alternativmedien eine professionelle Arbeitsweise eingefordert, während du mehr Wert auf die basisdemokratische Vefasstheit alternativer Rdaktionen gelegt hast. Funktioniert dies aus deiner Erfahrung auch in der Praxis?
BD: Alles immer basisdemokratisch abzustimmen ist sicher schwierig, aber solche basisdemokratischen Strukturen wie in der Graswurzelredaktion tragen auch dazu bei, dass diese Zeitung immer noch an den sozialen Bewegungen anknüpft. So bleiben wir Bewegungszeitung, im Gegensatz etwa zur „taz“, die sich auch durch die Einführung einer Chefredaktion sehr gewandelt hat und nun eine eher etablierte Zeitung geworden ist. Zwar ist sie jetzt erfreulich kritisch gegenüber dem Krieg, aber im Jugoslawienkrieg hat sie Kriegspropaganda und grüne Parteipolitik verbreitet.
Bewegungszeitungen wie die gwr können von den sozialen Bewegungen als Sprachrohre genutzt werden. Bei der gwr gibt es derzeit einen Hauptamtlichen, der von einem HerausgeberInnenkreis gewählt wird. Unter den HerausgeberInnen sind Menschen aus ganz Deutschland und aus verschiedenen Gruppen, die zwischen 20 und 60 Jahren alt sind und ganz unterschiedliche politische Erfahrung mitbringen. In der Praxis gibt das zwar oft anstrengende Diskussionen, aber meist auch konstruktive Lösungen nach dem Konsensprinzip.
ZC: Wie hast du den Kongress „Vom Fernsehbild zum Feindbild“ erlebt, was fandest du für deine Arbeit besonders wichtig?
BD: Besonders begeistert und überrascht war ich von Roger Willemsen und seiner hervorragenden Rede. Es war sehr erfrischend zu sehen, dass jemand der so tief in dem Medienapparat steckt, trotzdem noch kritisch bleiben kann. Roger Willemsen ist allerdings auch in den großen Massenmedien, vor allem in der Bildzeitung, dafür abgewatscht und mit einer Schmutzkampagne überzogen worden, ähnlich wie der Tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert. Daher war es ein ganz wichtiger Kongress, weil hier kritische Medienschaffende aus den großen Medien zusammengekommen sind mit Aktiven aus der Friedensbewegung und sich untereinander austauschen konnten. Das war für beide Seiten sehr fruchtbar und anregend. Die Diskussionen, die ich mitbekommen habe, fand ich supertoll. Was bezeichnend war: Keine der beiden Lokalzeitungen in Münster hat über den Kongress auch nur mit einer Zeile berichtet, obwohl er ein bundesweit herausragendes Ereignis war.
ZC: Die gwr wird dieses Jahr 30 Jahre alt. Dazu herzlichen Glückwunsch. Ihr wollt das gebührend feiern, nicht nur mit Spaß sondern auch mit Politik. Was habt ihr vor?
BD: Wir machen vom 21.-23. Juni hier in Münster einen Kongress unter dem Motto „Trau einer über dreißig – graswurzelrevolution 1972-2002ff.“. Dazu wird es viele Arbeitskreise geben, Konzerte, Kabarett usw. Wir rechnen mit 300-800 Leuten, die kommen werden. Als Referenten haben wir z.B. Prof. Wolf-Dieter Narr, Tobias Pflüger oder Michael Schiffmann, den Übersetzer des amerikanischen kriegskritischen Wissenschaftlers Noam Chomsky mit einem Vortrag über dessen Medientheorie gewonnen. Auch das Thema Krieg und Friedenspolitik wird breiten Raum einnehmen. Es wird sicher spannend und wir laden alle Leserinnen und Leser der Zivilcourage herzlich ein.
Aus: ZivilCourage, Zeitung der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, März/April 2002, S. 9