Im völlig zerbombten Köln rafft ein Goldfasan, einer jener göringhaft-prachtgewohnten Nazigrößen, die im Stile feudaler Fürsten zu schalten und zu walten pflegten, im örtlichen Büro der NSDAP hastig seine Habseligkeiten zusammen. Es ist der Mai des Jahres 1945, wenige Tage vor der Kapitulation des Dritten Reiches, und der Funktionär hat es eilig, zu verschwinden- als es klopft. In der Türe steht ein Landser; ein hochaufgeschossener, wiewohl etwas linkisch wirkender Kerl in verschossener Uniformjacke. „Bitte eintreten zu dürfen“, sagt er. Der Goldfasan blickt kaum von seiner raffenden Hatiererei empor. „Bitte!“, knurrt er. „…in die Partei“, erwidert der Landser. Da hebt der Nazi den Kopf und brüllt: „Dafür ist es jetzt zu spät!!“. Der Landser lächelt. „Danke. Das wollte ich wissen“, sagt er, salutiert und verschwindet. Der Landser war der Kabarettist Werner Finck.
„Eulenspiegel überlebt den Krieg“
Zugegeben: verbürgt ist diese Geschichte nicht. Es gab – und gibt – wohl keinen deutschen Kabarettisten, um den sich so viele Legenden ranken und Gerüchte sammelten wie um Werner Finck, den 1902 in Görlitz geborenen Gründer der „Katakombe“, das große Vorbild des Berliners Wolfgang Neuss (s. GWR 239). Finck, dem genialischen Karl Valentin und – ausgerechnet – dem politisch fragwürdigen bayrischen Volkshumoristen Weiß Ferdl, der Adolf Hitler zu seinen treusten Verehrern rechnen durfte, wurden während des Dritten Reiches die meisten Flüsterwitze in den Mund gelegt. (1) Im Jahre 1947 saß Bertolt Brecht im Publikum einer Züricher Darbietung von Werner Fincks Soloprogramm „Kritik der reinen Unvernunft“. Danach schrieb er das wohl einzige Gedicht, das je ein Dichter über einen Kabarettisten geschrieben hat. Es trug den Titel „Eulenspiegel überlebt den Krieg“: „[…] Und als der große/ Gütevolle, würdelose/ Späßevogel diese knappe/ Zeit beschrieb, da war’s, als klappe/ geisterhaft ihm manche tote/ Hand noch Beifall.[…] Und es war, als wüchsen Flügel/ Diesem ungelenken Gaste/ der in großer Zeit nicht paßte/ und indem er witzig war und bebte/ wie das niedre Volk sie überlebte“. (2)
Eulenspiegel überlebte den Krieg – nicht nur in Person Werner Fincks. Die Nationalsozialisten konnten ihn, trotz aller Mühen und Grausamkeit, KZ-Haft und „Heimtückeparagraphen“, nicht zur Strecke bringen: den politischen Witz, das despektierliche Lachen, die scharfe, aber verdeckte Satire, das lästerliche Bonmot, zu dem die Würde des menschlichen Geistes so oft ihre Zuflucht nahm und das nicht dumpf und gerade auf den Gegner zulief, sondern elegante Haken schlug und die Lacher auf seine Seite zog. Politische Gegner, die offen ihren Widerstand gegen die neuen Machthaber bekundeten, wurden gejagt und zertreten. Mit ihnen umzugehen war man gewohnt, der Zugriff auf sie lange vorbereitet. Womit die Nationalsozialisten nicht zurande kamen waren Gegner, die sich ihnen nicht mit wehenden Fahnen oder klandestinen Tarnschriften entgegenstellten, sondern mit doppelsinnigen Wortspielen; die sie der Lächerlichkeit preisgaben mit einer Unschuldsmiene, die kein Wässerchen trüben konnte; und mit dem Florett der urgermanischen Keule entgegentraten, deren wüsten Schlägen sie nicht selten auszuweichen wußten. Kabarett, das kunstvolle „Spiel mit dem erworbenen Wissenszusammenhang des Publikums“ (3) , ließ die Nationalsozialisten oft hilflos und nackt auf dem Paukboden – unter den Augen der Öffentlichkeit.
Denn es gab Kabarett während des Dritten Reiches: im europäischen Ausland, meist gegründet von deutschen Exilanten, aber auch im nationalsozialistischen Deutschland selbst, und sogar in den Konzentrationslagern.
In Berlin brachte Willi Schaeffers sein KadeKo, sein „Kabarett der Komiker“, mit Ach und Krach und allerlei Winkelzügen durch ganze elf Jahre des tausendjährigen Reiches, bis 1944 eine Fliegerbombe seine Mühen vorläufig einäscherte (die anfallende Korrespondenz signierte er artig mit „Heil Hitler!“). Für die deutschsprachige Abteilung der BBC London sprach der österreichische Schauspieler Martin Miller (eigentlich Johann Müller) 1940 im Londoner Exilkabarett „Laterndl“ die Parodie einer Hitlerrede so überzeugend, daß die CIA beim englischen Geheimdienst anfragte, was von diesen neuen Verlautbarungen des Führers wohl zu halten sei. In der Schweiz schrieben und spielten Therese Giehse, Erika Mann und Klaus Mann in der „Pfeffermühle“ unbeirrbar an gegen den deutschen Ungeist – und die blasierte Schweizer Fremdenpolizei. Im Moorlager Papenburg – Esterwegen gab es den „Zirkus Konzentrazani“: in ihm sangen Häftlinge zum ersten Mal das berühmte Lied „Die Moorsoldaten“. Und von dem aus Deutschland verjagten Dichter Walter Mehring stammen jene Verse, die wie ein Motto oder Leitsatz über allen Versuchen, gegen Hitler und das Grauen des Dritten Reiches anzulachen, stehen könnten: „Daß diese Zeit uns wieder singen lehre/ die guten Lieder eines bösen Spotts/ selbst wenn uns Herz und Sinn nicht danach wäre/ nur euch zum trotz, nur euch zum trotz“. (4)
Joseph Goebbels und das Kabarett
Kein Kabarettist aber war den Nationalsozialisten und vor allem ihrem Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels, so verhasst wie Werner Finck.
Dabei war Goebbels, was seine Vorstellungen von kultureller Propaganda betraft, ein erstaunlich beweglicher Pragmatiker. Zum Kriegführen, so Goebbels, brauche man ein Volk, das seine gute Laune bewahre. Schon 1933 hatte er vor Filmschaffenden der Ufa in Berlin gezürnt, man solle ihn in Frieden lassen mit endlosen Kolonnen von SA – Leuten, die über die Leinwand marschierten – damit könne man niemanden für die Sache der Partei begeistern. Für vorbildlich hielt er statt dessen ausgerechnet Sergeij Eisenstein „Panzerkreuzer Potemkin“: „Er ist fabelhaft gemacht, er bedeutet eine filmische Kunst ohnegleichen. Das entscheidende ‚warum?‘ ist die Gesinnung. Wer weltanschaulich nicht fest ist, könnte durch diesen Film zum Bolschewisten werden“. (5)
Goebbels wollte Resultate und propagandistische Erfolge. Wie diese zu erreichen seien, war ihm gleichgültig. Für Stümper und Parteitrampel hatte er keine Verwendung. So konnte der verfemte, verbrannte Dichter Erich Kästner – unter Pseudonym freilich – in einer Villa in Berlin mit Goebbels ausdrücklicher Zustimmung das Drehbuch für den Ufa-Film „Baron Münchhausen“ verfassen. Goebbels Chefkommentator beim Rundfunk, Hans Fritsche, war ein ausgewiesener Fachmann und langjähriger Radioprofi. Die kriegsverwendungsfähige gute Laune wollte Goebbels auch mit künstlerischen Mitteln erreichen. Der Schlager stand in Blüte, man denke an Lieder wie „Lili Marleen“, gesungen von der Schwedin Lale Andersen, oder die grausige Durchhaltehymne „Keine Angst, keine Angst, Rosmarie“, die Heinz Rühmann und seine Kollegen noch 1944 trällerten. Sogar eine Jazz-Band hatte Goebbels für „sein“ Radio zusammengestellt, immerhin entartete und eigentlich verbotene Musik. Man hätte also annehmen dürfen, daß Goebbels auch das Kabarett dulden und für seine Zwecke umfunktionieren würde.
Tatsächlich gab es in den ersten Jahren des Dritten Reiches Künstler, die das „kabarettistische“ zumindest im Namen führten. Da waren zum Beispiel die 1935 gegründeten „Acht Entfesselten“, ein unanstößiges Unterhaltungsensemble, über dessen willfährige Darbietung der Kulturdienst der NSDAP am 2. April 1936 schrieb: „Aus dem Alltag des Volkes sind die Themen […] genommen. Gegen Unnatürlichkeit in Kunst, Film, Funk, Theater, Operette, Wochenschau, Reklame wird eine vergnügte Attacke geritten. Dabei darf natürlich ein politischer Spott auf die Greuelpropaganda nicht fehlen“. (6) Ein anderer den Nazis genehmer Kleinkünstler war (neben Weiß Ferdl) der schlesische Stimmenimitator Ludwig Manfred Lommel, auch er ein linientreuer Possenreißer, der den Machthabern nicht auf die Füße trat. 1937 schrieb Günther Meerstein in seiner Dissertation „Das Kabarett im Dienste der Politik“: „Das kabarettistische Moment, das bei allen Völkern zu allen Zeiten vorhanden war und auch noch heute vorhanden ist, wird im nationalsozialistischen Deutschland in der Kleinkunststätte ‚Kabarett‘ als politisches Führungs – und Beeinflussungsmittel des gesamten Volkes herausgestellt, um der Staatsführung ein wirkungsvolles Instrument zur Unterhaltung und zur politischen Führung und Beeinflussung des Volkes in die Hand zu geben“. (7) So wäre es vielleicht gekommen, hätte es da nicht das wirkliche Kabarett gegeben, und nicht zuletzt die „Katakombe“.
„Kommen Sie mit? Oder muß ich mitkommen?“
Die „Katakombe“, am 16. Oktober 1929 von Werner Finck und Hans Deppe im Keller des Berliner „Künstlerhauses“ in der Bellevuestr. 3 eröffnet, war in den späten dreißiger Jahren für das deutsche Kabarett so etwas wie eine Frischzellenkur gewesen. Die Zeit der politischen Bissigkeit und der künstlerischen Schärfe nach der verpatzten Revolution von 1918 war geschwunden. Auf den Berliner Bühnen schwang man Bein. Es war die Zeit der großen Revuen eines Rudolf Nelson oder Friedrich Hollaender, aufgeführt in großen Theatern und vor Publikum in großer Robe mit großem Konto auf der Bank. Zwar schrieben noch immer Autoren wie Tucholsky, Kästner oder Mehring für das Kabarett. Man begnügte sich aber mit erotischen Zweideutigkeiten, anstatt der Zeit zornig den Spiegel vorzuhalten. Am anderen Ende der politischen Skala standen kommunistische Agitationskabaretts – wie etwa der berühmte „Rote Wedding“ – die vom Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller (dem unter anderem Erich Weinert und Johannes R. Becher angehörten) mit Texten versorgt wurden: treu auf Linie und umweht von Thälmann- oder Stalinbannern. „Haltet die Fäuste bereit“. Keine guten Zeiten fürs Kabarett…
Und plötzlich die „Katakombe“: ein verrauchter Keller, mit Stühlen, Tischen, Ausschank, umrahmt von zünftigen Elch- und Hirschgemälden; eine improvisierte Bretterbühne mit einem abgenutzten Vorhang, und ein Programm, das vor Abwechslung – in der „Katakombe“ traten zeitweise über dreißig verschiedene KünstlerInnen auf, vom Karikaturisten über die Tänzerin bis zum Nummernkabarett – und Spielwitz zu platzen schien. (8) Star des ganzen war der Conférancier Werner Finck, der sich hinreißend in seinen Halbsätzen – und dem Vorhang – verhäddern konnte, wenn er nicht gerade eigene Gedichte vortrug.
„Im Grunde war von uns beneidetes Vorbild, was die Berliner gerade satt und gründlich überbekommen hatten: das arrogante, versnobte, sich entsetzlich ernstnehmende Kurfürstendamm-Kabarett. Wir aber, in unseren billigen Straßenanzügen und ungeputzten Schuhen, mit dem grünen Lappen, der uns als Vorhang diente, und dem treuherzigen Gebaren, waren gerade das Gegenteil. Unsere Befangenheit war daher groß, unsere Schüchternheit echt. Aber wir trugen alles mit sehr viel Humor. Gerade das schlug unerhört ein. Wir wurden Mode. […] Als schließlich Max Reinhardt vier Plätze bestellte – Verzeihung, bestellen ließ – putzten wir uns zum erstenmal vor Schreck die Stiefel“. (9)
Links, gar linksradikal war Werner Finck gewiss nicht. Er sei, hat er einmal gesagt, eigentlich nur politisch nach links gerückt, weil er gehört habe, im Kabarett sei man „halt eben“ links. Aggressive Schmähverse wie sie etwa ein Kurt Tucholsky der aufziehenden braunen Barbarei entgegenschleuderte waren seine Sache nicht. In der „Katakombe“ hörte sich eine Warnung vor Hitler 1932 so an:
Wie es so regnet heut‘ nacht,
hab‘ ich sofort: Aha! gedacht,
der Sommer ist zuende.
O mein prophetisches Gefühl!
Heut‘ morgen war’s schon richtig kühl
und herbstlich im Gelände.
Die Sonne scheint noch immer froh,
doch sieh dich vor: es scheint nur so,
das sind noch Restbestände.
Nein, nein, der Sommer ist vorbei,
und Feld und Fluren werden frei
für unsre Wehrverbände.
Wie schnell das ging! Ja, die Natur!
Glaubt nicht, daß eine Diktatur
Mal ähnlich schnell verschwände. (10)
Spätestens seit dem 30. Januar 1933 durfte die „Katakombe“, mittlerweile unter der Direktion Fincks, sich über Zuwachs an Publikum freuen: Die geheime Staatspolizei war regelmäßig zahlender Gast. „Für die ‚Katakombe‘ war die Zeit der raffinierten Andeutung gekommen. Man brauchte nur mit einem kleinen Hämmerchen an ein kleines Glöckchen zu schlagen, schon übertrug sich das wie das Läuten einer Sturmglocke […]. Die Angst im Publikum, die sich immer wieder im Lachen befreite, trug die Stimmung des Abends – und mir eine Verwarnung nach der anderen ein. Die Spitzel wußten immer genau, was sie mitzuschreiben hatten“. (11) Werner Finck machte es ihnen aber auch – zumindest in dieser Hinsicht – auf halsbrecherische Weise einfach: „Wissen Sie, ich gehöre so zu den Menschen, die lieber einen guten Freund verlieren als einen guten Witz unterdrücken […] Wenn ich so die Gestapo sitzen sah, die schrieben dann mit in ihrem Stenogrammheftchen, und da konnte ich mir natürlich die Bemerkung nicht verbeißen und sage: ‚Na, so geheim scheinen Sie ja nun och nich‘ zu sein von der Staatspolizei. Also, ich sehe ziemlich deutlich was sie da machen'“. (12) Ein anderes Mal fragte Finck den anwesenden Spitzel leutselig: „Spreche ich zu schnell? Kommen Sie mit? Oder…muß ich mitkommen?“ (13)
Wie die Berichte aussahen, die die Gestapo Vorstellung für Vorstellung anfertigen ließ, mag exemplarisch verdeutlicht werden an einem Protokoll „B.- Nr.41551/35 II 2 C 8057/ 35, 16. April 1935“: „Das Publikum in der ‚Katakombe‘ setzt sich in der überwiegenden Mehrzahl aus Juden zusammen, die den Gemeinheiten und der bissigen, zersetzenden Kritik des Conférenciers Werner Fink [sic!] fanatisch Beifall zollen. Fink [!] ist der typische frühere Kultur-Bolschewist, der offenbar die neue Zeit nicht verstanden hat oder jedenfalls nicht verstehen will und der in der Art der früheren jüdischen Literaten versucht, die Ideen des Nationalsozialismus und alles das, was einem Nationalsozialisten heilig ist, in den Schmutz zu ziehen“. (14) Am 18. Mai 1935 war es schließlich soweit: Werner Finck und fünf weitere Mitglieder der Katakombe wurden verhaftet und „für die Dauer von 6 Wochen in ein Lager mit körperlicher Arbeit“ (15) überführt. Die letzten noch verbliebenen Kabaretts, „Katakombe“ und „Tingeltangel“, waren nicht mehr!
Die Berliner Kabarettisten kamen nach Esterwegen ins berüchtigte Moorlager – in dem auch der bereits schwer tuberkulosekranke Journalist Carl von Ossietzky einsaß. Sie waren sich in Freiheit nie grün gewesen, Finck und Ossietzky, der konservative Spötter und der radikaldemokratische Weltbühnen-Chef. Ossietzky, selbst durchaus witzbegabt, begrüßte jetzt (angeblich) seinen neuen Mithäftling mit den Worten: „Ich hätte mir nicht träumen lassen, daß wir beide mal im selben Lager stehen“. (16)
Flucht ins graue Tuch
Goebbels war entschlossen, den unbotmäßigen Kabarettisten Finck zu beseitigen – und alles, wofür er stand. Denn das Schicksal Werner Fincks wurde längst europaweit beachtet, und seine immer neuen Hakenschläge trieben den mächtigen Minister allmählich in den Wahnsinn. Wieviel Zeit und Energie man in seinem Ministerium darauf verwandte, nur einen Menschen – notfalls mit Gewalt – zum Schweigen zu bringen, erstaunt noch heute. Mochte Werner Finck zwischenzeitlich das Lachen vergangen sein – er lachte doch stets als letzter. Der Sondergerichtsprozeß, ein Jahr nach seiner Haftentlassung aus dem Konzentrationslager angestrengt, endete mit Freispruch. „Bestraft wurden die Richter. Auf Anordnung von Goebbels wurden sie strafversetzt. In die Provinz. Da hatten sie nichts mehr zu lachen“. (17) Die Richter waren während des Prozesses auf den unseligen Gedanken gekommen, die inkriminierten Sketsche und Satiren, von der Gestapo eifrig mitgeschrieben, noch einmal vorführen lassen zu müssen – öffentlich im voll besetzten Gerichtssaal! Die Heiterkeit des Publikums soll dementsprechend gewesen sein…
Auf eine ironisch verklausulierte Antwort Werner Fincks im Berliner Tageblatt auf die Frage „Haben wir eigentlich Humor?“ antwortete der tobende Minister sogar persönlich: „Man komme uns nicht mit dem Einwand, daß wir humorlos wären. Wir waren nicht immer im Besitz des Staates und der öffentlichen Gewalt. Auch wir standen einmal in der Opposition; und es ist der deutschen Öffentlichkeit wohl noch nicht ganz entfallen, daß wir es waren, die einmal einen gewissen Polizeipräsidenten […] durch Witze politisch getötet haben. Wir könnten also auch so mit unseren Kritikern verfahren, wenn wir wollten. Aber wir wollen nicht. Wir haben keine Lust, und vor allem auch keine Zeit, uns mit armseligen Literaten polemisch auseinanderzusetzen. Wir haben augenblicklich besseres zu tun. Die politische Witzemacherei ist ein liberales Überbleibsel. […] Wir sind in diesen Dingen zu gescheit und zu erfahren, um sie ruhig weitertreiben zu lassen. Wir wissen, daß jetzt die deutsch-feindlichen Zeitungen in Paris, London und New York für unsere armen Conférenciers eintreten werden […] Uns berührt das innerlich gar nicht mehr“. (18) Finck flog endgültig aus der sogenannten Reichskulturkammer heraus. Damit waren ihm öffentliche Auftritte fürderhin verboten. Es versteht sich von selbst, daß das Berliner Tageblatt wenige Tage nach Goebbels Replik sein Erscheinen einstellen mußte…
Werner Finck brachte sich in Sicherheit – an die Front: „Flucht ins graue Tuch“. Für Wehrmachtssoldaten spielte er in sogenannten „Front-Kabaretts“; Witzreißerschuppen zur Erhaltung der Wehrkraft. Aber selbst hierhin verfolgte ihn der Hass des Propagandaministers. „Trotz meiner wiederholten Erlasse vom 8. Dezember 1937, 6. Mai 1939 und 11. Dezember 1940 […] treiben sogenannte Conférenciers, Ansager und Kabarettisten, wie aus der Menge von Beschwerden aus dem Lande, vor allem aber von der Front berichtet wird, weiterhin ihr Unwesen. Sie gefallen sich in einer leichten und billigen Anpöbelung von Zuständen im öffentlichen Leben, die durch die Not des Krieges bedingt sind. In sogenannten politischen Witzen üben sie versteckte Kritik an der Politik, Wirtschafts- und Kulturführung des Reiches […]. In Anbetracht dessen, da meine wiederholten, mit allem Ernst eingeschärften Mahnungen offenbar nichts gefruchtet haben […], sehe ich mich nunmehr auf Befehl des Führers zu einschneidenden Maßnahmen gezwungen. […] Jede sogenannte Conférence oder Ansage wird ab sofort für die ganze Öffentlichkeit grundsätzlich verboten“. (19) Man sollte zum besseren Verständnis dieses Erlasses erwähnen, daß eine der erfolgreichsten Nummern der „Front-Kabaretts“, die regelmäßig – nicht nur bei Werner Finck – wahre Lachstürme unter den Soldaten auslöste, die Parodie der Sprechweise und Gangart eines gewissen Dr. Joseph Goebbels war…
Finck überstand auch dies. Nach dem Krieg ließ er sich zunächst in Stuttgart nieder. Gemeinsam mit dem Kieler Studentenkabarett „Die Amnestierten“ gründete er sogar eine Partei: die „radikale Mitte“, mit einer Sicherheitsnadel als Abzeichen (sicherheitshalber am Innenrevers zu tragen!). Seine Versuche aber, ein festes Haus zu bespielen, blieben relativ erfolglos. Die Zeit war über den Eulenspiegel des Dritten Reiches hinweggegangen, auch wenn er immer ein gerngesehener und geistreicher Gast bei allerlei Veranstaltung blieb (so etwa bei den berühmten Kölner „Mittwochsgesprächen“, die der agile Bahnhofsbuchhändler Emil Ludwig in den ersten Nachkriegsjahren im Kölner Bahnhof organisierte). Seine „autobiographischen“ Programme füllten in ganz Deutschland die Säle, und bis in die sechziger Jahre hinein blieb er kabarettistisch aktiv. Zum Relikt, gehüllt in Weihrauchwolken, hat er nie getaugt.
Werner Finck starb am 31. Juli 1971 in München.
Lachen gegen Hitler?
Hätte er, hat der große Charles Chaplin einmal gesagt, zu jener Zeit, als er „Der große Diktator“ drehte, gewußt, was sich im Osten Europas abspielte, wäre es ihm unmöglich gewesen, den Film fertig zu stellen. Exilierte deutsche Schriftstellerinnen und Schriftsteller schrieben in den ersten Jahren des Dritten Reiches wütend Lieder der Verachtung gegen den „Anstreicher“ (20) Hitler und seinen „Arier-Zoo“ (21). So zahlreich waren die polemischen Versuche, die Nationalsozialisten der Lächerlichkeit preis zu geben, daß die Literaturwissenschaft sie mit einem eigenen Terminus belegte: „Schmähgedichte“. Mit Fortdauer des Dritten Reichen tröpfelten die letzten „Schmähgedichte“ so dahin. Allzu offensichtlich war es, daß die Nationalsozialisten nicht an ihrem Ungeist zugrunde gehen würden. Daß Lächerlichkeit nicht tötet.
Über 3000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des deutschen Kabaretts flohen ins Exil. Verarmt, verloren, nicht selten von den Behörden ihres „Ungastlandes“ schikaniert, in England und Frankreich in Lagern interniert, überlebten die meisten von ihnen – wenn überhaupt – mehr schlecht als recht den Krieg. Erfolgreiche Exilkabaretts wie das bereits erwähnte „Laterndl“ waren die Ausnahme. Diejenigen, die ihren Häschern nicht entgingen, wehrten sich selbst im Konzentrationslager noch – unter den Augen der SS – mit der Waffe des Witzes. Der berühmte Impresario der Weimarer Republik Kurt Gerron organisierte in Theresienstadt gleich mehrere Kabarett- und Kleinkunstprogramme – bis er im Oktober 1944 als Jude in Auschwitz vergast wurde. Zahlreiche andere erlagen der Folter, dem Fallbeil oder der rassistischen Vernichtung, wenn sie nicht vorher durch Selbstmord endeten.
Und doch war der Witz eine Überlebenshilfe – nicht nur für Kabarettisten. Er weichte Verzweiflung und scheinbare Unabänderlichkeit der Zustände auf. Er stellte sich gegen den blutigen Irrsinn der Nazis, entschlüpfte durch alle Löcher und Ritzen, wenn die wutschnaubende Horde der Braunhemden über ihn herfallen wollte. Sicher, das Kabarett hat den Nationalsozialismus nicht aufhalten – oder gar zu Fall bringen! – können. Lächerlichkeit tötet tatsächlich nur selten, Politik wird nicht auf Kleinkunstbrettern entschieden, Kunst ist bestenfalls ein Kommentar des Zeitgeschehens.
Aber das entlarvende, befreiende Lachen kann in finsteren Zeiten – manchmal und vielleicht – der letzte Lebensbeweis des Menschen sein, der noch frei verfügbar bleibt. Und es wird – hoffentlich – nie untergehen. „Daß diese Zeit uns wieder singen lehre/ die guten Lieder eines bösen Spotts“…
(1) Eine passable Einführung in die "Flüsterwitzkunde" bietet Wiener, Ralph, Gefährliches Lachen. Schwarzer Humor im Dritten Reich, Hamburg, 1994. Was die hisorischen Angaben angeht, ist das Buch allerdings fehlerhaft.
(2) Bertolt Brecht, zitiert nach Hörburger, Christian, Nihilisten - Pazifisten - Nestbeschmutzer. Gesichtete Zeit im Spiegel des Kabaretts, Tübingen, 1993, S.48.
(3) Henningsen, Jürgen, Theorie des Kabaretts, Ratingen, 1967.
(4) Mehring, Walter, "Nur Euch zum trotz", in: Serke, Jürgen, Die verbrannten Dichter, dritte Auflage, Frankfurt a.M., 1983, S.147.
(5) Gast, Wolfgang (Hrsg.), Literaturverfilmungen, Bamberg, 1993,S.50.
(6) Zit. nach Hörburger, Christian, Nihilisten - Pazifisten - Nestbeschmutzer, Tübingen 1993, S.50.
(7) Zitiert nach ebenda, S.54.
(8) Zu den Auftritten der "Katakombe" vergleiche u.a., Budzinski, Klaus, Die Muse mit der scharfen Zunge. Vom Cabaret zum Kabarett, München, 1961; Zivier, Georg/ Hellmut Kotschenreuther/ Volker Ludwig, Kabarett mit K, Berlin, 1974 oder Aufzeichnungen der MitgliederInnen der "Katakombe" selber, vor allem Werner Fincks.
(9) Finck, Werner, Spaßvogel - Vogelfrei, Berlin, 1991, S.64-65.
(10) Zitiert nach: Kühn, Volker, Deutschlands Erwachen. Kabarett unterm Hakenkreuz 1933-1945 (= Kleinkunststücke. Eine Kabarett-Bibliothek in fünf Bänden, Hrsg. Volker Kühn, Band3), Berlin, 1989, S.20.
(11) Finck, Werner, Spaßvogel - Vogelfrei, Berlin, 1991, S.67.
(12) Finck, Werner, Kritik der reinen Unvernunft, aufgenommen in der Stuttgarter Mausefalle 1947 (Archiv MB).
(13) Finck, Werner, Spaßvogel..., S.67-68.
(14) Zitiert nach ebenda, S.75.
(15) Zitiert nach ebenda, S.87.
(16) Vgl. Hippen, Reinhard, Es liegt in der Luft. Kabarett im Dritten Reich, Zürich, 1988.
(17) Finck, Werner, Spaßvogel - Vogelfrei, Berlin, 1991, S. 90.
(18) Völkischer Beobachter, 4. Februar 1939, zit. nach: Hörburger, Christian, Nihilisten... S. 45.
(19) Erlass vom 30.1.1941, zit. nach: ebd, S. 64.
(20) Brecht, Bertolt: "Das Lied vom Anstreicher Hitler", in: Emmerich, Wolfgang/ Susanne Heil, Lyrik des Exils, Stuttgart, 1985, S.113.
(21) Mehring, Walter: "Arier-Zoo", in: ebenda, S.116.
Anmerkungen
Dieser GWR-Artikel ist gewissermaßen Nebenprodukt eines Kabarettprogramms mit Nummern, Texten und Chansons aus der Zeit des Dritten Reiches, zusammengestellt von Mitgliedern des anarchistischen Tourneekabaretts "Der Blarze Schwock" Münster:
Martin Baxmeyer/ Torsten Bewernitz: "Den Drachen am Schwanz kitzeln". Szenen, Songs und Texte aus dem Kabarett des Dritten Reiches, Dauer: 1 1/2 Stunden. InteressentInnen wenden sich bitte an:
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