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Abbruch der Friedensverhandlungen in Kolumbien

Beifall und "Anti-Terror-Hilfe" aus den USA

| Johannes Specht

Dass der jahrzehntelange Krieg zwischen den linksgerichteten Guerillas der FARC und der ELN auf der einen Seite, den rechten Paramilitärs und der kolumbianischen Regierung auf der anderen Seite vor einer neuen heißen Phase der Eskalation stand, wurde schon länger vermutet. Der diplomatischen und militärischen Unterstützung in diesem Krieg von Seiten der USA kann sich der kolumbianische Staat dabei sicher sein.

Der Konflikt in Kolumbien und die Auswirkungen der weltweiten Terrorbekämpfung

Seit den Anschlägen vom 11. September wurde ein Diskurs entfaltet, der den Terrorismus als die Mutter allen Übels demaskiert und ihm den Drogenhandel als Bündnispartner zur Seite stellt. Zur Vernichtung von Terroristen, diesen „Feinden der Freiheit“, sind, so lernten wir, alle Mittel erlaubt. Menschenrechte und Ländergrenzen, Staatssouveränitäten und einhaltgebietende Vernunft sind in diesem Diskurs außer Kraft gesetzt.

Anlass für die jüngste Eskalation in Kolumbiens langem schmutzigen Krieg war eine neue Offensive der FARC (1) , der größten Guerilla des Landes.

Die linksgerichtete Guerilla intensivierte ab Mitte Januar ihre Aktivitäten, entführte mehrere Parlamentarier und verübte Anschläge auf Strommasten und Ölpipelines. Kolumbiens scheidender Präsident Andrés Pastrana, der vielen Kolumbianern als zu weichherzig galt und für seine Politik der Friedensverhandlungen (2)  mit der FARC seine gesamte Amtszeit über in der Kritik stand, reagierte unerwartet deutlich: Den Friedensprozess mit der Guerilla erklärte er für beendet und gab seinen Militärs den Marschbefehl, um die „zona de despeje“ zurückzuerobern. Dieses Gebiet von der Größe der Schweiz war von Pastrana zur neutralen, entmilitarisierten Zone erklärt worden, als Geste des Goodwill und um dort Friedensverhandlungen stattfinden zu lassen. Faktisch war diese Übergabe des Gebietes nach Pastranas Amtsantritt im Winter 1998 an die FARC aber nicht viel mehr als die Anerkennung einer Realität: die Guerilla war in diesem Gebiet sowieso schon bestimmende Macht gewesen. Trotzdem war dieser Schritt ein Novum, ein großer Schritt für die FARC hin zu einer langersehnten – auch internationalen – Anerkennung, und den Militärs ein Dorn im Auge.

Die Zurückeroberung dieses Gebietes seit dem 20. Februar läutete die neue Politik ein: Hartes Durchgreifen des Staates und das Aufkündigen der Verhandlungspolitik- die aber ebenfalls kaum Fortschritte gebracht hatte.

Die FARC antwortete ihrerseits mit einer Ausweitung ihrer Aktionen: Sprengung von Strommasten, Zerstörung von Telefonleitungen, Anschläge auf Brücken und Besetzung von Strassen. Die auch international aufsehenerregendste Aktion aber war die Entführung von Ingrid Betancourt nebst Begleitern, einer Kandidatin für die anstehenden Präsidentschaftswahlen.

Die US-Administration und viele andere Regierungen begrüßten und unterstützten den Schritt der kolumbianischen Regierung.

Seit Jahren findet der kolumbianische Konflikt kaum Beachtung in der internationalen Öffentlichkeit. Dabei herrscht als Normalzustand ein Krieg, der jährlich tausende Opfer fordert, 2 Millionen Kolumbianer innerhalb des Landes zur Flucht zwingt und die gesamte Bevölkerung paralysiert.

Dabei kann die Verantwortung für Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung nicht einer Seite alleine zugeschoben werden: Die Täter sind die linken Guerillas, Polizei- und Militäreinheiten und die rechten Selbstverteidigungsgruppen der AUC (3). Diese Paramilitärs haben in den letzten Jahren einen enormen Zuwachs an Milizionären und Einfluss gewonnen. Der Staat geht gegen diese Konfliktpartei am zaghaftesten vor; vermutlich, weil die personelle und arbeitsteilige Verquickung zwischen den AUC und den offiziellen Militärs zu groß ist. Menschenrechtsorganisationen recherchieren schon seit Jahren zahlreiche Fälle, in denen z.B. Offiziere der Armee nach Dienstschluss maskiert als Paramilitärs die Arbeit erledigen, die sie in Uniform nicht tun dürfen: Menschenrechtsaktivistinnen und Gewerkschafter umbringen oder Anschläge verüben. (4)

Kein Wunder, dass Kolumbien als das Vorzeigeland des Drogenanbaus und der Guerilla in den Zeiten der von den USA geführten großen Terrorismusjagd jetzt eine Verschärfung der Lage erfährt. Aber die Kriegsmaschinerie wurde schon seit längerem aufgebaut -weitgehend unbeachtet von großen Teilen der Öffentlichkeit. Bekannt wurde auch größeren Teilen einer europäischen Öffentlichkeit der „Plan Colombia“: Pastrana warb vor zwei Jahren mit verschiedenen Konzepten für seinen ehrgeizigen „Plan zur Entwicklung Kolumbiens“. Während europäische Länder hauptsächlich Gelder für soziale Entwicklungsprojekte bereitstellten, war der Beitrag der USA – der Löwenanteil des milliardenschweren Projektes – rein militärischer Art. Dieser „Plan Colombia“ existiert wirklich, auch wenn heutzutage nicht mehr viel davon geredet wird: Seine Umsetzung findet statt, das erste Dutzend Kampfhubschrauber ist bereits ausgeliefert und die Aufrüstung der kolumbianischen Streitkräfte schreitet zügig voran.

„Tres Esquinas“ heißt die Militärbasis mitten im Dschungel im Bundesstaat Caquetá, die modernste und größte Ausgangsbasis für Militäraktionen des gesamten lateinamerikanischen Kontinents. US-Experten halfen tatkräftig bei der Planung und dem Aufbau von Start- und Landebahnen für Kampfjets und Truppentransportflugzeuge. Hubschrauberbasen, ein nahegelegener Flusshafen für Schnellbote und mehrere Tausend Mann Elitesoldaten mit modernster Ausrüstung, dazu US-Ausbilder und beste technische Ausstattung: der leistungsfähigste Radar des Sub-Kontinents und engste Zusammenarbeit mit den Militärs und Nachrichtendiensten der USA. Zusammen mit den US-Militärbasen auf der Karibikinsel Aruba, in Guantanamo auf Kuba, im ekuadorianischen Manta und in Iquitos/Peru haben die USA eine militärische Präsenz in der Region zur Verfügung, die ein sofortiges massives Eingreifen erlaubt.

Doch ist ein großangelegter, direkter US-Truppeneinsatz zur Zeit unwahrscheinlich: Das kolumbianische Militär wird intensiv geschult und ausgerüstet, um die Hauptlast einer Auseinandersetzung selbst tragen zu können. Zu groß ist das Risiko eines langandauernden, verlustreichen Einsatzes. Ob die militärische Vernichtung der Guerilla angesichts der Grösse und den geografischen Gegebenheiten des Landes und somit den Rückzugsmöglichkeiten der Guerilla, ihrer militärischen Ausrüstung und zahlenmäßigen Stärke (5)  überhaupt möglich ist, bleibt zweifelhaft.

Diese Eskalation des Konfliktes fällt mitten in den Wahlkampf um die Präsidentschaft des Landes und wird sicherlich auch den Ausgang der Wahl beeinflussen.

Kein Wunder, dass nun ein Kandidat wie Alvaro Uribe Velez, ein konservativer Hardliner dem politische Nähe zu den rechten Paramilitärs nachgesagt wird, in den Umfragen stark Aufwind bekommen haben. Uribe steht für einen harten Umgang mit den Aufständischen, Verhandlungen oder Zugeständnisse lehnt er ab. Seine Popularität erklärt sich aber auch aus der weitverbreiteten Stimmung unter den Kolumbianern, die es satt haben, in permanenter Angst vor Gewalt leben zu müssen. Uribe verkörpert für viele Kolumbianer den Wunsch nach einem radikalen Wechsel, einem Ende der Gewalt nach der Vernichtung aller irregulären bewaffneten Gruppen. Inhalte und Ziele der Konfliktparteien verblassen dabei angesichts des jahrzehntelangen Mordens, den Entführungen und Anschlägen.

Sollte Uribe es am 26. Mai an den Wahlurnen schaffen und der neue starke Mann Kolumbiens werden, könnte die Situation weiter eskalieren: Im eigenen Land hätte er die drängelnden Militärs im Rücken, die unter Pastrana mit seinem „Plan Colombia“ zwar mächtig trainiert und aufgerüstet wurden, aber keine große Offensive gegen die Guerilla führen konnten oder durften. Und mit der Bush-Administration in Washington, die einer militärischen Handhabung des Konfliktes weniger abgeneigt ist als je zuvor.

Nach den Anschlägen vom 11. September in den USA hat der darauf folgende Diskurs in schneller Abfolge zwei Ziele erreicht: die Konstruktion eines neuen Feindbildes – des internationalen Terrorismus – und die breite Zustimmung zu einer militärischen Bekämpfung dieser Bedrohung. Nach den Ereignissen vom letzten Herbst und der Etablierung dieses mächtigen Diskurses sitzen die Gelder in Washington und anderswo locker, wenn es um die Aufrüstung von Einheiten geht, die Terroristen – nach US-Definition – bekämpfen sollen.

In Kolumbiens aktueller Situation unterstützt dieser Diskurs die Entscheidung, jetzt militärisch die Niederkämpfung der Guerillas des Landes anzugehen. Abzuwarten bleibt, ob auch gegen die rechten Paramilitärs vorgegangen wird: Auf einer Liste der Terrorgruppen Kolumbiens, die von den USA veröffentlicht wurde, tauchen die AUC neuerdings mit auf.

Das momentan absehbare Szenario, die Aufrüstung des kolumbianischen Militärs und das Setzen auf die Kriegskarte, wird wohl kaum zu einer schnellen Verbesserung der Situation für die 40 Millionen Kolumbianer beitragen.

Denn die Gewalt wird sich in Kolumbien nicht eindämmen lassen, wenn die großen sozialen Probleme des Landes nicht gelöst werden.

(1) Fuerzas Armadas Revoulcionárias de Colombia- Ejército Popular: Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens-Volksarmee.

(2) Unter Pastrana gab es jahrelang das Kuriosum von "Friedensverhandlungen" trotz unausgesetztem Kriegszustand und Aggressionen beider Verhandlungsparteien.

(3) AUC: Autodefensas Unidas de Colombia: Vereinigte Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens. Mindestens 8.000 Milizionäre. Der AUC wird von Menschenrechtsorganisationen der größte Anteil an den politischen Morden und Massakern an Zivilpersonen zur Last gelegt.

(4) Vgl. u.a. den Jahresberichte der vergangenen Jahre von amnesty international, oder die Lageberichte von Human Rights Watch

(5) Die FARC-EP wird nach unterschiedlichen Angaben auf über 26.000 Männer und Frauen geschätzt, die kleinere ELN auf 5.000 aktive Kämpfer. Beide halten großen Gebiete des Landes kontrolliert.