Die Entwicklung des letzten Jahrhunderts spiegelt sich im Leben des gewaltfreien Anarchisten Ferdinand Groß. Er wurde in Wien 1908 geboren und lebte von 1918 bis zu seinem Tod 1998 in Graz – allerdings „unterbrochen“ durch 7 Jahre Haft in den Konzentrationslagern Dachau, Flossenbürg und Neckarelz.
Georg Fischer und Arno Huth von der KZ-Gedenkstätte Neckarelz e.V. stellen nun eine Lesemappe zu Ferdinand Groß zusammen, die für fünf Euro bezogen werden kann.
Tel: 06261-670653, Fax: 06261-672381, e-mail: vorstand@kz-denk-neckarelz.de
Ferdinand Groß zog nach seiner Lehre in den 20er Jahren als Arbeitsloser durch die Lande und begeisterte sich als 31-jähriger für Pierre Ramus. Dieser Verkünder einer neuen Gesellschaft, Verächter von Krieg und Kritiker des Marxismus vertrat die Linie des „Bundes der herrschaftslosen Sozialisten“ innerhalb der gewaltfreien Anarchismen.
Ferdinand Groß, der als Dreher bei Steyr-Puch in Graz dafür warb, kam ins KZ und blieb auch dort seinen Überzeugungen treu. Seine Erfahrungen und Meinungen zur Gewaltherrschaft stellen den ersten Schwerpunkt der Lesemappe dar, den einige Dokumente illustrieren.
Nach dem 2. Weltkrieg wurde Ferdinand Groß Lehrlingsausbilder und bildete sich selbst weiter fort: als Sänger und Komponist und im Schreiben für den gewaltfreien Anarchismus. Als Rentner gab er von 1976 bis 1996 vierteljährlich seine eigene Zeitschrift BEFREIUNG heraus. Darin druckte er immer Texte von Pierre Ramus ab und nahm zu den gesellschaftlichen Entwicklungen Stellung.
In einem bilanzierenden Aufsatz 1996 schrieb Ferdinand Groß: „Der Staat verkörpert die völlige Verblendung. … Es gilt daher (ihn für die Befreiung) als wert- und belanglos zu erkennen – um so mehr, weil er das Fundament des Kapitalismus, des Militarismus, der Lohnsklaverei, des Monopolismus u.v.m. ist.“
Die Restauflagen der BEFREIUNG hatte er seinem Biographen Reinhard Müller (vgl. GWR 232) in Graz überlassen. Nun kamen die Autoren auf die Idee, in jede Lesemappe ca. 5 dieser Hefte einzulegen. Damit dieser zweite Schwerpunkt verständlicher wird, schrieben sie eine posthume Sondernummer zum Stichwort „Gewaltfreier Anarchismus“. Zentraler Ansatzpunkt ist darin das Buch „Neuschöpfung der Gesellschaft“ (1920) von Pierre Ramus. Hier wird aus den Erkenntnissen des ersten Weltkrieges ein umfassendes Bild entworfen, wie eine antimilitaristische und im kleinen sich selbst versorgenden Einheiten freiheitlich organisierte Gesellschaft funktionieren könnte.
Ein Anliegen dieser Lesemappe ist es, die Diskussionen in den Bewegungen durch diese historische Dokumente auf die notwendigen Alternativen zur jetzigen Entwicklung hinzulenken. In diesem Sinn wird auf dem 30-jährigen Graswurzelfest am 21.-23. Juni 2002 in Münster auch ein Workshop zur „Neuschöpfung der Gesellschaft“ stattfinden (siehe Editorial in dieser GWR, Seite 2).