nachruf

Einwurf von links

Zum Tod des Frankfurter Kabarettisten Matthias Beltz

| Joseph Steinbeiß

Man erzähle mir nichts. Die Frage stand nicht nur im hessischen Raum: „Wer in den siebziger Jahren zur Frankfurter ‚Sponti‘-Szene gehört hat … muß der immer als Außenminister enden?“. Die Antwort lautet, na sowas: „Nein, muß er nicht!“. ‚Kann auch was Anständiges werden.

Matthias Beltz ist tot. Der große, unerreichte Matthias Beltz – entschuldigung, aber das mußte ‚mal gesagt werden! – ist tot. Einfach so. Wo bisher das Lachen stecken blieb, steckt nun etwas ganz anderes. Die Reihen lichten sich: Volker Pispers, Lisa Fitz, Heinrich Pachl, Matthias Riechling, Jürgen Becker (beide an guten Tagen)… – das gallige, angriffs-lustige, das durchaus politische Kabarett; es hat mit Beltz einen seiner exponiertesten und geschliffensten Vertreter verloren.

Haare auf den Zähnen und manchmal auch auf der Zunge: das gab den Beltz, auf dem das Publikum mit oft verzogener Miene herumkaute. Angefangen hatte alles auf dem Höhepunkt der „Sponti-Bewegung“, mit „Karl Napps Chaostheater“. Beltz, studierter Jurist mit dem ersten Staatsexamen in der Tasche, war vor Abschluß des Zweiten zunächst sendungsbewußt mit anderen Frankfurter Genossen zu Opel ausgerückt: proletarische Luft schnappen, Achsen schleppen, Nähte schweißen und agitieren. Die Bühnenluft scheint ihm letztlich eher zugesagt zu haben. Das „Chaostheater“ war ein wüster Haufen, eines der ersten „außerparlamentarischen“ Kabarettensembles, die – mit den Berliner „Drei Tornados“ als Speerspitze – in den siebziger und achtziger Jahren die deutsche Kleinkunstszene durchschüttelten. Es folgte, gemeinsam mit Dieter Thomas und Hendrike von Sydow, das „Vorläufige Frankfurter Fronttheater“. Schließlich wurde Beltz einer der gefragtesten – und gefürchtetsten – Kabarett-Solisten des Landes.

Auf der Bühne stand er wie ein abgehalfterter Zirkusdirektor, mit grausigem Schnäuzer, kantigem Gesicht, oft noch der varietétypischen Gigolo – Blume im Knopfloch. Ganz leutseliger Spießer aus Frankfurt West. Ganz netter Junge. Aber wehe, wem es einfiel, es sich vor dieser Bühnenrolle gemütlich sein zu lassen: zwei, drei Sätze in eines seiner zahlreichen Soloprogramme hinein, und selbst Hartgesottene mußten schlucken. „Nein, der Mann war nicht bloß Kabarettist, er gebrauchte Gags vor allem, um seine Zustandsbeschreibungen einer Gesellschaft zu liefern, die unter fortschreitender Amnesie leidet. Er hat in seinen Sätzen, die er so schnell und treffend wie Asse beim Tennis servierte, zusammengefügt, was zusammengehört, aber nicht – nicht mehr – zusammen gesehen wurde“, schreibt Daland Segler in seiner Würdigung in der Frankfurter Rundschau.

Beltz war kein Quer,- sondern mindestens ein Kreuz – und Querdenker. Wem sonst hätte einfallen können, mitten in Rauch und Feuer brennender AsylbewerberInnenheime hinein in der gelben Uniform eines Sklavenhalters aus dem Sezessionskrieg auf der Bühne zu erscheinen und „zum Schutze unserer ausländischen Mitbürger“ die Wiedereinführung der Sklaverei zu verlangen? „Weil das Grundgesetz ja das Eigentum schützt“? Oder – gemeinsam mit Heinrich Pachl – eine „Geschichtsstunde“ abzuhalten wie die Folgende (In ihrem Programm „Das Geheimnis der Aktentasche“): „Diese Aktentasche ging an einem Sommertag – genauer gesagt war es der 20. Juli 1944 – am gesunden Arm des Grafen Stauffenberg hin zum Führerhauptquartier. In der Tasche war eine Bombe. Der Graf betrat den Raum, stellte die Tasche unter einen großen Tisch und ließ sie dort allein. Der Graf ging raus, der Führer kam rein, beugte sich über die Tasche um zu sehen wo’s langgeht – und dann explodierte die Bombe! Die Tasche und Führer blieben ganz“. Kindliche Freude am Kalauer? Abwarten. Beltz Programme sind Studien sämtlicher Über, – Unter, – und Nebengruppen der kabarettistischen Pointenfauna. Er liebte es, sein Publikum aufsitzen zu lassen, lockte es mit ein paar trüben Witzen oder leichtverdaulichen (All)Gemeinheiten, ließ es Freude haben, um ihm dann – immer lächelnd, immer überraschend und manchmal schlicht genial – das scheinbar so einvernehmliche Lachen in den Hals zurückzustopfen: mit böser, linker Politik: „Sehen Sie, diese Aktentasche ist aber mehr als eine Aktentasche. Das ist die Gebärmutter der Bundesrepublik Deutschland […] Ohne die Männer des 20. Juli hätte doch die Wiederaufrüstung der Bundeswehr nicht so reibungslos funktioniert. Ohne die Männer des 20. Juli wäre niemand auf die Idee gekommen, daß die Bundeswehr was ganz Neues ist. Ohne die Männer des 20. Juli säß heute der Russe hier und unsere Kinder müßten in sibirischen Gesamtschulen Schlange stehen und Perestroika tanzen“. Und schon sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel. Mindestens.

Volker Pispers hat einmal gesagt, für ihn sei das Kabarett „kein Kurpark für Unzufriedene“. Matthias Beltz machte es niemandem in seiner Gesinnung bequem. Er war und blieb im Grunde „Sponti“, ein „Spontandenker“ von links außen, ebenso grimmiger Spötter und Verächter gedanklicher Kurzatmigkeit und gesellschaftlichen Erinnerungsschwundes wie vermufften Kleingruppengetümels und dünnstimmiger Lehrsatzchoräle. Er war Profi, ein Kabarettist, der oft schon Stunden vor dem Auftritt am Theater war, um „Atmosphäre zu schnuppern“ und sich vorzubereiten auf eine bestmögliche Darbietung. Keine seiner Pointen war jemals wirklich schlecht. Nur die letzte, die war miserabel. Matthias Beltz starb am 27. März 2002 in seiner Wohnung mit 57 Jahren an Herzversagen.