30 jahre graswurzelrevolution

Globalisierung, Soziale Bewegung und Emanzipation…

Von Maschinisten und Monsterbändigern....

| Michael Wilk

Die hemmungslose kapitalistische Verwertung von Mensch und Natur ist keine Besonderheit einer momentanen neoliberalen Offensive, sondern im wahrsten Sinne des Wortes lange vorherrschendes Prinzip, das über die Globalisierungsdynamik zugegebenermaßen eine andere und stärkere Heftigkeit entfaltet. Sich jedoch lediglich über die aktuelle Erscheinungsform der Globalisierung auszulassen, ohne das dahinterstehende Prinzip in Frage zu stellen, heißt der „klassischen“ Form kapitalistischer Ausbeutung Absolution zu erteilen. Selbst zu den „gelobten Zeiten kapitalistisch-keynsianischer Prosperität“, gab es Armut und Ausgrenzung, herrschten außerhalb der jeweiligen (Staats-) Grenzen sozialer Marktwirtschaft bittere Not und Elend, hatte plumpster Imperialismus Hochkonjunktur. Die vom fordistischen Produktions- und Konsumkreislauf ausgeschlossenen Menschen, dienten auch zu dieser Zeit als Quelle billiger Arbeitskraft, für die Bodenschätze und Ernten anderer Länder wurde noch nie ein fairer Preis bezahlt, der Hungertod durch Unterversorgung war zu jener Zeit nicht besser als in den Zeiten der sogenannten Globalisierung.

Eine Tatsache, die jene verweigern anzuerkennen, die angesichts weltweiter Not und Verelendung nur von einer „ungebremsten Entfesselung des Kapitalismus“ reden, und die, ihrer inneren Logik zufolge, die Lösung des Problems im „Bremsen und Fesseln“ sehen. Je nach Gusto für die eine oder andere Metapher, gefallen sie sich in der Rolle des Mechanikers oder der des Bändigers, im Versuch „eine aus dem Takt geratende kapitalistische Monstermaschinerie“ zu zähmen. Aus der Akzeptanz grundsätzlicher Prinzipien kapitalistischen Handelns heraus, wird Globalisierung vor allem auf der Ebene eines „zeitgenössischen Manchesterkapitalismus auf globalem Niveau, unreguliert und destruktiv“ (1) gesehen. (…)

Auf der Suche nach neuen Strategien der Herrschaftssicherung…

Die Realitäten der „New Economy“ lassen auch bei den sozialdemokratischen-sozialistischen Parteien, die seit Ende der 90er Jahre einen Teil der europäischen Regierungen stellen, vermehrt Distanz gegenüber der ungezügelten neo-liberalen Dynamik aufkommen. Die Verschärfung sozial-ökonomischer Verhältnisse, deren Wegbereiter man einerseits ist, wird andererseits mit Sorge betrachtet. Profilierung tut Not, ist doch kaum noch eine Unterscheidung in der Strategie der verschiedenen politischen Parteien im Umgang mit neoliberaler Globalisierung zu erkennen. „Die Prekarisierung der Lebensverhältnisse nimmt zu, der Anteil der sozialversicherten Normalarbeitsverhältnisse ist in der Bundesrepublik auf unter 50% gesunken.“ (2)  Die politische Elastizität der Sozialdemokratie wird vor die Aufgabe gestellt, einerseits Erfüllungsgehilfe in der Umsetzung neuer Markterfordernisse im Rahmen der Globalisierungsdynamik zu sein, andererseits der Gewissheit Folge zu tragen , dass mit radikaler Entgarantierung und dem völligen Ausdünnen sozialer Sicherungssysteme kein sozial-demokratischer Staat gemacht werden kann. Die potenzielle Umstrukturierung der Gesellschaft, eine zunehmende Hierarchisierung, baut Konflikt- und Spannungsfelder auf. Die Gefahr eines nicht mehr weitgehend reibungsfreien gesellschaftlichen Funktionierens ist, zumindest potentiell, gegeben. Konzepte der „harten Hand“ und der „broken windows“ Theorie, lösen sozialarbeiterisch-ausgleichende Strategien ab, die Tendenz integrierende Prozesse zugunsten separierender zu vernachlässigen, muss ordnungspolitisch abgesichert werden. Bestimmte gesellschaftliche Räume, Einkaufszonen und Bahnhöfe werden verstärkt zu Zonen sozialer Ausgrenzung: Kamera und Security überwacht und über Innenstadtsatzungen reguliert, spalten sich Konsumfähige und solche, die eben „nicht die Umsätze bringen, die stören und verunsichern“ und so die Sicherheitsbedürfnisse der ersteren begründen… Der Einsatz klassisch autoritärer Repression, Überwachung und Kontrolle, Polizei und Verschluß, der zuvor eher als Reserveinstrumentarium im Falle des Versagens freiwilliger Ein- und Unterordnung zum Einsatz kam, wird verstärkt angewandt, die Ausweitung juristisch abgesichert. (3)  Die im Sinne der Herrschaftskontinuität hervorragend bewährte Technik der Autoregulation, der Steuerung durch Mainstream und Anpassungsverhalten steht zur Disposition. Die Gefahr, auf längere Sicht Akzeptanzverluste gegenüber den Herrschaftsinstitutionen hinnehmen zu müssen, ist selbst bei der sprichwörtlichen deutschen Obrigkeitshörigkeit gegeben. In der Konsequenz wird nach Paradigmen gesucht, die sich einerseits an den Erfordernissen neoliberaler Marktordnung orientieren, andererseits jedoch an die bekannte sozialdemokratische Strategie der Herrschaftssicherung anknüpfen sollen. Gesucht wird die sozialdemokratische Variante der Globalisierung und der dazugehörige Staat. Es wird nach einem Lösungsweg gesucht, der einen gebändigten Kapitalismus ermöglichen soll, dies möglichst unter Einbeziehung der für diesen Zweck utilisierbaren gesellschaftlichen Gruppen. Es geht hierbei nicht um die Restauration des klassischen Wohlfahrtsstaats des keynsianischen Typs, sondern um neue adäquate Formen des Herrschaftshandelns. (….)

Global Governance, das Werkzeug der Maschinisten…

Die durch neoliberale Globalisierungsdynamik hervorgerufenen gesellschaftlichen Prozesse, die Ausgrenzung (Separierung) und Hierarchisierungstendenz, sowie veränderte Aufgaben des Staates, die Verlagerung von Machtbefugnissen auf internationale nichtstaatliche Institutionen, führten schon vor Jahren zu einer intensiven Debatte über die Möglichkeit einer regulierenden Intervention, die auch den veränderten Herrschaftsmechanismen Rechnung trägt. Der Diskurs über die Möglichkeit Globalisierung „anders“ zu gestalten, gleichsam eine positive Form der vorherrschenden neoliberalen entgegenzustellen, wird breit getragen. Exemplarisch für einen solchen Diskurs ist die Auseinandersetzung über „Global Governance“. Dieser Begriff, erlaubt weniger eine klare Übersetzung, sondern erfordert vielmehr eine an den jeweiligen Nutzer gebundene Interpretation. (4)  GG , etwas strenger übersetzt als „Globale Ordnungspolitik“ oder gar „Weltordnungspolitik“, findet vor allem auch Anhänger unter den sozialdemokratischen – sozialistischen Parteien Europas, die seit Ende der 90er Jahre einen Teil der europäischen Regierungen stellen, und ebenso wie die Grünen in der BRD die Bändigung des durch den neoliberalen Globalisierungsprozess entfesselten Kapitalismus proklamieren, ohne jedoch die zugrunde liegende Macht und Herrschaftsmechanik grundsätzlich in Frage stellen zu wollen…(…)

Supranationale Einrichtungen wie IWF, Weltbank und WTO stehen als globale Herrschaftsinstitutionen für eine Neustruktur von Macht, jenseits des „klassischen“ Staates. Global Governance trägt dieser veränderten globalisierten Machtstruktur Rechnung, indem sie nicht auf eine neue Regierungsstruktur innerhalb eines Nationalstaats abzielt, sondern vielmehr die Möglichkeit eines Zusammenwirkens verschiedener Staaten, internationaler Institutionen, diverser supranationaler ökonomischer Institutionen und sogar darüber hinaus auch Nichtregierungsorganisationen beschreibt. Die Option formelle und informelle Beziehungen, international, als auch innerstaatlich sowie lokal zusammenwirken zu lassen, erscheint vielen als Chance die Probleme neoliberaler Globalisierung in den Griff zu bekommen. Im machtpolitischen Sinne geht es darum, den Verlust an nationalstaatlicher Steuerungsfähigkeit auszugleichen und neue, globalisierungsgerechte Formen der Einflussnahme zu eröffnen. GG-Konzepte unterscheiden sich vom zentral-autoritären Projekt der „neuen Weltordnung“ des US-Präsidenten Bush, in dem sie nicht die stromlinienförmige Gleichrichtung von Politik und Wirtschaftsmodellen forciert, sondern in dem sie eine Fülle verschiedener Strukturen interaktiv zu verbinden sucht. Das integrative Zusammenwirken verschiedener Akteure im Gestaltungsprozess Globalisierung stellt jedoch nie die vorhandenen Herrschaftsinstitutionen in Frage. Im Gegenteil: Als Kooperationspartner ist die Basis einer gestalterischen Zusammenarbeit die Akzeptanz der institutionalisierten Macht. Im Kontext eines Prozesses, der mit „Globalisierung“ auch einen Verlust an bewährtem Herrschaftsinstrumentarium im Sinne einer sozial-integrativen Politik beschreibt, stellt GG einen politischen Reformansatz dar, der diese Option neu eröffnen soll. Es handelt sich in diesem Sinne auch um den Versuch einer Neugestaltung von Staatlichkeit, die nicht nur die hierarchisierende Maxime neoliberaler Ökonomisierung umsetzt, sondern ebenso Ebenen „sanfter“ Herrschaft i.S. der Integration und Utilisation von Gegenläufigem nutzt.(…)

Die Schwierigkeit mit der Globalisierung von Herrschaftsbeziehungen umzugehen, dürfte unter emanzipativen Aspekten auch im noch größeren Auseinanderklaffen von Strukturebene und Wirkebene liegen. Die Denationalisierung ökonomischer Prozesse, und die Vielzahl der Determinanten in den Entscheidungsebenen, sind oft genug und mehr denn je der Nachvollziehbarkeit durch die betroffenen Menschen entzogen, die Chefetage ist noch weiter anonymisiert und entrückt, geblieben ist jedoch die sinnliche Erfahrung der Entmündigung, der Ausbeutung und Fremdbestimmung. Out-sourcing, Just-in-Time Production, bestimmen ebenso wie Strukturveränderungen im globalisierten Unternehmen die „Wertigkeit“ des Einzelnen, ebenso wie sich eine der „Globalen Erfordernissen“ angepasste Regionalentwicklung und ein Städtebau in den Lebensbedingungen der betroffenen Menschen manifestiert. Protest wird sich bis auf weiteres an diesen „sinnlich erfahrbaren“ Ebenen menschlichen Daseins entzünden….

(1) attac (Globalisierung von Unten, Beilage zur Taz vom 29.6.2001)

(2) Global Governance, U. Brand u. a., Westfälisches Dampboot S.12

(3) Hier spielt das massive Vorgehen gegen AusländerInnen und Flüchtlinge und die auf diesem Gebiet geplanten Verschärfungen eine entscheidende Rolle. Es sind vorerst meist noch die "anderen", die "Nichtdeutschen" denen unter dem Argument der Terrorbekämpfungsmaßnahmen eine Vorreiterrolle in der Gewöhnung an staatliche Supervision zukommt.

(4) James Rosenau wird meist als Miturheber des Begriffs genannt. Er veröffentlichte gemeinsam mit Ernst-Otto Czempiel 1992 "Governance without Goverment: Order and Change in World Politics", das zu einem zentralen Referenzpunkt aller Veröffentlichungen wurde. (n. Global Governance, U. Brand u. A., Westfälisches Dampfboot, S. 28)

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Anmerkungen

Fragmente aus "Globalisierung, Soziale Bewegung, Emanzipation" (Arbeitstitel) Aufsatzsammlung, Herausgegeben von Rolf Engelke und Michael Wilk, Trotzdem Verlag, erscheint voraussichtlich Ende 2002.

"Globalisierungs"-Veranstaltung mit Michael Wilk im Rahmen des GWR-Kongresses am 22.6.: siehe Programm

Michael Wilk, (*1956), Schmied, Arzt u. Psychotherapeut, Mitarbeit im Anarchistischen Forum Wiesbaden, dem AKU (Arbeitskreis Umwelt Wiesbaden), den Bürgerinitiativen gegen den Flughafenausbau. Diverse Veröffentlichungen, u.a. "Macht, Herrschaft, Emanzipation, Aspekte anarchistischer Staatskritik", "Der Malstrom" (mit W. Haug), Mitautor in "Turbulenzen, Widerstand gegen den Ausbau des Rhein-Main-Flughafens", alle Bücher im Trotzdem Verlag.