Am 22. September finden erneut die traditionellen Bundestags-Wahlfestspiele statt. Jede Hoffnung auf Parteien, und sei es nur die Hoffnung auf das „kleinere Übel“, hat sich spätestens in den vergangenen vier Jahren nachhaltig erledigt. Wir hatten KEINE WAHL. Statt dem versprochenen neuen Stück gab es das selbe alte Theater, nur mit anderen Farben im Bühnenbild, die Texte garniert mit modernen Vokabeln: Konsens für Ausstieg, Generationen-Gerechtigkeit für Sozialabbau, Bomben wegen Auschwitz…
Das kann doch nicht alles gewesen sein
Viele, die in diesen Tagen Bilanz ziehen, wenden sich von „Politik“ ab; Resignation macht sich breit durch die Erfahrung, daß gerade diejenigen den Widerstand in die herrschenden Verhältnisse integrieren, die mit Veränderung geworben haben. Wer mag „das kleinere Übel“ noch wählen, wenn deutlich wird, daß es überhaupt nicht kleiner, daß es einfach nur übel ist?
WIR WOLLEN, daß es mehr gibt als Kröten schlucken oder gar nichts tun: Der Wahlkampf und das absehbare große Getöse um scheinbare Unterschiede im September soll zur Bühne dafür werden, linke Einmischung sichtbar zu machen und gezielt der medialen Inszenierung des Immergleichen entgegenzustellen.
Unsere Kritik an diesen Verhältnissen ist nicht appellativ: Wir wollen keine besseren Parteien, keine integreren PolitikerInnen, wir sind auch nicht die „wahren“ Grünen. Wir hoffen nicht darauf, daß uns jemand die Arbeit abnimmt. Als Menschen aus der Anti-AKW-Bewegung wollen wir Aktionen und Kampagnen anstoßen, die die Möglichkeit und die Notwendigkeit nichtparlamentarischer linker Politik auch und gerade im Wahljahr offensiv demonstrieren. Wir wollen die Aktivitäten aus den unterschiedlichen Teilbereichen im Vorfeld der Wahl gebündelt sichtbar machen.
Wir mischen mit: wählt NIEMAND
Nicht nur im Vorfeld der Wahl wollen wir sichtbar sein: am Wahltag soll sich zeigen, und auch im Wahlergebnis soll sich niederschlagen, daß es uns gibt. Das kann von Ort zu Ort ganz unterschiedlich aussehen:
In Lüneburg-Lüchow-Dannenberg zum Beispiel treten wir mit einer eigenen Kandidatin an. Unter ihrem Künstlerinnen-Namen bewirbt sich Frau NIEMAND um das Direkt-Mandat für den Wahlkreis 37. Und sie verspricht: „wenn sich eine mehrheit dafür findet, niemand in den bundestag zu schicken, geht auch niemand hin.“ Und sollte sie – tatsächlich – nicht die Mehrheit bekommen, dann haben ihre Wählerinnen und Wähler sich nicht verbiegen müssen – und trotzdem an niemand eine Stimme verschenkt.
Am Schacht Konrad wollen Atomkraftgegnerinnen und -gegner erklären, warum sie in ihrem Widerstand gegen die Atommüll-Endlager-Pläne auf Gewerkschafts- oder Parteizugehörigkeit keine Rücksicht nehmen können.
In anderen Regionen wird es Initiativen geben, die dazu auffordern, mit Aktionen „das X an der richtigen Stelle“ zu machen; bei einigen wird dies eine Empfehlung sein, ungültig zu wählen.
Wie macht Ihr das eigentlich in Eurem Kreis?
BILANZ:
Kein Atomkraftwerk geht auch nur einen Tag früher vom Netz als bei rein betriebswirtschaftlicher Kalkulation der Betreiber. Und das mit vertraglichen Bestandsgarantien, die Frau Merkel nie hätte durchsetzen können.
Menschen werden weiterhin und mehr denn je aufgrund ihres Nichtdeutschseins abgeschoben in Verfolgung, Hunger und Tod.
Wenn auch noch verschleiert ist gentechnischen Ambitionen Tür und Tor geöffnet.
Polizei- und Überwachungsapparate werden aufgerüstet gegen alles, was als nicht konform erscheint – in Dimensionen, die einen Manfred Kanther vor Neid erblassen lassen müßten.
Der Staat wird nicht nur stark, sondern auch schlank gemacht: soziale Sicherung wird abgebaut, und die Parteien vermitteln den Betroffenen, daß es in einer globalen Welt nicht anders geht.
Und: Deutschland führt Kriege.
X – MEHR ALS KREUZCHEN MACHEN
Fernab der parteipolitischen Inszenierung gibt es eine Alternative zu diesem oder jenem Kreuz auf dem Wahlzettel. Sie zeigt sich in unserer eigenen politischen Praxis in den verschiedenen Teilbereichen. In der antirassistischen Arbeit und in der Anti-AKW-Bewegung; im Widerstand gegen innere Aufrüstung und deutsche Großmachtspolitik; im Kampf gegen Gentechnik und eine wirtschaftliche Ordnung, die über Leichen geht. Und wir haben KEINE WAHL als diese Arbeit fortzusetzen – vor und nach dem 22. September.
Es gibt sie nämlich: Die Gruppen, die Flüchtlinge effektiv auf legalen und illegalen Wegen unterstützen in ihrem Kampf um Bleiberecht und gegen den institutionalisierten Rassismus roter, grüner, schwarzer und gelber Ausländergesetzgebung.
Es gibt eine Anti-AKW-Bewegung, die mit ihrem vielfältigen Widerstand nicht nur an historischen Orten wie Wackersdorf und Gorleben Erfolge feiern konnte und kann. Erfolge, die die sogenannte „Realpolitik“ grüner Funktionäre vollends lächerlich erscheinen lassen.
Es gibt Menschen, die sich wehren gegen die zunehmende Hochrüstung von Polizei- und Überwachungsapparaten – nicht nur symbolisch und im privaten Unbehagen, sondern organisiert und effektiv.
Diese Gruppen und Menschen mag vieles trennen – gemein ist der nicht vorhandene Glauben an die parlamentarische Vermittlung ihrer Interessen und ihrer Kritik. Sie haben IHRE WAHL getroffen: Sie verstecken Flüchtlinge, stoppen Atomtransporte, stürmen Gipfel. Egal, wer in den parlamentarischen Festspielen gerade die Hauptrolle spielen mag.