"Man hat mir vorgeworfen, ich sei eine Komplizin der Commune. Sicherlich. Ja, denn die Commune wollte zuallererst die soziale Revolution, und die soziale Revolution ist mir der liebste all meiner Wünsche." (Louise Michel)
Wer war Louise Michel? Eine Sozial-Revolutionärin aus der Zeit der Pariser Commune von 1871?
Mit Klischéebildern wie „la vierge rouge“ (der roten Jungfrau) sowie dem eines „Mann-Weibes“ behaftet; vorwiegend bekannt als eine militante Anführerin der Battallionskämpfe während der Pariser Commune (1871), entstand weitgehend ein einseitig gefärbtes Bild über ihr Leben und ihr Werk.
Louise Michel war so gut wie die bekannteste und populärste Wortführerin des anarchistischen Sozialismus der 80er und 90er Jahre des 19. Jahrhunderts.
„Durch ihr rednerisches Talent erreichte sie buchstäblich Tausende französischer und englischer Menschen, die sie dem Sozialismus zuführte. Ihr Begräbnis im Jahre 1905, dem Tausende armer und ärmster…“ PariserInnen beiwohnten, „… war bis zu diesem Zeitpunkt das zweitgrößte in der Geschichte Frankreichs und insofern vergleichbar mit dem Victor Hugos.“ (1)
Aus heutiger Sicht betrachtet, mag eine derartige Eroberung der Öffentlichkeit eher melodramatisch erscheinen.
Kennzeichnend ist, dass bei Louise Michel eine echte, reale Verbundenheit mit der Masse der Unterdrückten, den ArbeiterInnen, den Land- und Besitzlosen, den Entrechteten, vorhanden gewesen war.
Ihr radikales, entschiedenes Eintreten für eine herrschaftsfreie, anarchistisch-sozialistische Gesellschaft bleibe keineswegs reduziert auf die Zeitphase der Pariser Commune.
Einblicke in das leben und Werk der Louise Michel zu geben, heißt zugleich die politischen Aktivitäten und die ausschlaggebenden Initiativen der Frauen – vor und während der Commune – zur Sprache zu bringen.
Im Mittelpunkt des Interesses steht dabei nicht nur die quantitativ starke Beteiligung zahlreicher Frauen, sondern auch die spezielle Art des Widerstands, ihre Ziele und Organisationsformen. Die Mehrzahl der politisch aktiven Frauen war nicht dogmatisch-sozialistisch eingestellt; sie standen für eine „Revolution von unten“, de-zentralistisch organisiert, in zahlreichen politischen Klubs und Frauengruppen. Wobei diese Basisgruppen u.a. auch eine VermittlerInnenrolle zwischen der Regierung der Commune und den Anliegen des Volkes erfüllten.
Louise Michel war eine der initiierenden und konspirativ mittragenden Feministinnen dieser breit angelegten, radikalen Widerstandsbewegung.
Nach dem militärischen Sieg der Versailler Truppen (der Dritten Republik) über die Volksaufstände der Commune, wurde Louise Michel verhaftet, inhaftiert und im Juni 1871 vor das Kriegsgericht gestellt. „Der Komplizenschaft mit der Commune beschuldigt“, wurde sie in die Verbannung nach Neukaledonien (Kolonialland des französischen Staates) deportiert. Im August 1873 wurden die für die Deportation bestimmten politischen Gefangenen der Commune auf den entsprechenden Frachtschiffen eingesondert bzw. inhaftiert. Unter ihnen zahlreiche feministische Widerständlerinnen sowie führende AktivistInnen.
Trotz der repressiven Haftbedingungen gelang es Louise Michel, aus innerer Kraft heraus, sich an den orten der Verbannung, in Numbo und Nouméa (zwei zentrale Städte Neukaledoniens) autonome Handlungsfreiräume zu erwirken. Gemeinsam mit dem Kommunarden Charles Malato, der sich wie Louise mit der Sprache und der Kultur der KanakInnen (den EinwohnerInnen Neukaledonien) befasste, gründete sie eine Kerngruppe, in der sie anarchistische Texte, u.a. besonders die Schriften Michail Bakunins und Pjotr Kropotkins, studierten und über konkrete Möglichkeiten nachdachten „wie die Strukturen der alten Gesellschaft zerschlagen werden können.“ (2)
Nach einiger Zeit gelang es Louise, Unterrichts- und Theatergruppen aufzubauen. Da sie die Sprache der KanakInnen erlernt hatte, erhielt sie von dem Bürgermeister der Stadt Nouméa den Auftrag, an einer dortigen Schule zu unterrichten. Im Prinzip handelte es sich hierbei um eine Fortpflanzung ihrer bereits vor und während der Pariser Commune entwickelten „freiheitlich-volksschulpädagogischen“ Unterrichtsmodelle. In der zeit vor der Commune war sie Leiterin einiger autonom gegründeter Schulen gewesen.
In Neukaledonien ging es ihr nicht darum, den erlernten Beruf als Lehrerin anzuwenden. In erster Linie wollte sie die sozial-revolutionären Impulse der Commune tradieren.
Sie verstand ihre Arbeit bewusst als anti-kolonialistisch; eine Tatsache, die ihr bei den anderen mit-verbannten KommunardInnen wenig Sympathie einbrachte. Man/frau ließ sie gewähren. Jedoch stieß ihr soziales Engagement sowie ihre Bemühen konspirative Kontakte zu den KanakInnen zu knüpfen, im allgemeinen auf Unverständnis seitens der französischen Mit-Gefangenen.
Im Jahre 1878 kommt es zu einer Revolte der KanakInnen.
„Louise stimmt, im Gegensatz zu den anderen Deportierten, die in der Kolonisation einen Segen sehen, den Aufständischen zu: ‚Auch sie kämpfen für ihre Unabhängigkeit, für ein selbstbestimmtes Leben, für ihre Freiheit. Ich bin auf ihrer Seite, so wie ich auf der Seite des Volkes von Paris stand, auch das wurde niedergemacht und besiegt. Ich bewundere und liebe meine schwarzen Freunde, dass sie ihre Freiheit erobern wollen’“ (3)
Im Juli 1880 konnte für Louise sowie für einige wenige Mit-Gefangene, aufgrund der Bemühungen französischer FreundInnen eine Amnestie erlangt werden. Louise Michel und Charles Malato kehrten nach Frankreich zurück.
Die entschiedene anti-kolonialistische Einstellung Louise Michels und ihre konspirative Unterstützung der Befreiungsimpulse, der unter französischer Kolonialmacht lebenden KanakInnen, sind bedeutsame Fragmente ihres Lebenswerkes.
Ihre bewusste Entscheidung Anarchistin zu werden, vollzog sich erst in ihrem 41. Lebensjahr. Sie selbst beschreibt das folgendermassen: „Anarchistin wurde ich zu der Zeit, als wir auf Regierungsschiffen nach Kaledonien deportiert wurden und dabei demütigenden körperlichen Qualen ausgesetzt waren … man hielt uns wie Tiger und Löwen in Käfigen, damit wir unseren gerechten Kampf für die Freiheit bereuen sollten.“ (4)
Gemeinsam mit der Kommunardin und Freundin Nathalie Lemel, reflektierte sie den Werdegang der Commune; insbesondere die unterschiedlichen Verhaltensweisen der KommunardInnen und KampfgefährtInnen im Umgang mit Macht, Führung, Herrschaft. Sie kamen zu dem Resultat, dass „… selbst die Redlichen, sind sie erst mal an der Macht, in dem Masse unfähig sind, wie die Schurken schädlich, und…“ (5) sie sahen „… die Unmöglichkeit, dass je Freiheit mit einer wie auch immer gearteten Macht sich verbinden könne… und dass eine Revolution, die irgendeine Regierungsform annimmt nur ein trügerischer Schein sei, der lediglich einen Schritt zu markieren vermag…“ (6)
War das Bild einer vollendeten, von Machtstrukturen befreiten, anarchistischen Gesellschaft in den Augen Louise Michels vorrangig eine Utopie der Hoffnung? (7)
(1) Louise Michel, Frauen in der Revolution, Bd. 1, Karin Kramer Verlag, Bertlin 1976, S. 40 (Herausgeberin: Renate Sami)
(2) Leben, Ideen, Kampf - Louise Michel - und die Pariser Kommune von 1871, Karin Kramer Verlag, Berlin 2001, S. 53 (Hrsg.: B. Kramer)
(3) Ebd.
(4) Frauen in der Revolution, Bd. 1, S. 126
(5) Ebd.
(6) Ebd.
(7) Weitere Ausführungen in der während des GWR-Kongresses am 22.6. angebotenen Veranstaltung "Louise Michel: Anarchistin und Feministin"