Meinem ersten Gefühl auf der – u.a. von Attac und DGB-Jugend organisierten – Demo hätte ich am besten folgen sollen: nichts wie weg hier, das ist nicht dein Ding. Aber ich hatte mir ja vorgenommen die Keine-Wahl!-Zeitungen der Graswurzelrevolution zu verteilen und war nun mal da. Zu spät für die Auftaktreden, von denen einige ganz gut gewesen sein sollen, aber die Demo fing gerade an. Nur war ich erstmal in den falschen Block gekommen und sah nur Menschen mit blauen Freibeuter T-Shirts Dosenbier trinkend einen Bic Mäc essen und dem Technowagen hinterherlaufen. Die Frau neben mir meinte: „Ich habe noch nie so ne unpolitische Demo erlebt“.
Beim Verteilen der Anti-Wahl-Zeitung bekam ich dann öfter blöde Sprüche zu hören, wie z.B. „Verkauf die Zeitung doch, dann kannst Du Dir Schuhe leisten“ oder wurde wegen langen Haaren angemacht. Und auch wenn ich später den Teil der Demo mit Friedensbewegung, Antifa und Antikapitalismus fand, die Gewerkschaftsjugend dominierte doch und das Konzert am Ende mit VIVA-Moderatorinnen (!!) wirkte wie ein großes Volksfest mit Bratwurst und Coca-Cola. Das Publikum rief „Ausziehen, Ausziehen“ Richtung VIVA-Moderatorinnen und die Security und die Ordner meinten öfter, sie hätten das Gewaltmonopol. Genervt hat auch mal wieder, dass nahezu alle absurden, sogenannten linken Splittergrüppchen vertreten waren.
Bündnisse einzugehen um politischen Forderungen mehr Druck zu verleihen, um mehr zu bewegen kann durchaus sinnvoll sein, aber wenn das Motto „Her mit dem schönen Leben-eine andere Welt ist möglich“ nur ausgefüllt wird mit „Wir wollen mehr Geld (umverteilen)“ und andere Forderungen fast gar nicht zu hören sind, fragt mensch sich, was daran globalisierungskritisch oder emanzipatorisch sein soll.
Attac war übrigens sehr zufrieden mit der Demo, aber nachdem was ich die letzten Tage dazu gelesen hatte, hat mich dies auch nicht verwundert. In der Taz vom 20.9.02 diskutieren Cohn-Bendit von den Grünen mit Sven Giegold von Attac. Giegold: „Im ersten Semester Politik habe ich begriffen, dass Anarchismus Unsinn ist und dass Selbstverwaltung eine gute Idee für Leute ist, die so leben wollen – aber keine Vision für die ganze Gesellschaft.“ Stattdessen fordert er den Ausbau des Sozialstaates, macht Reformvorschläge in der Steuer und Wirtschaftspoltik und sucht zwar (noch) keine Nähe zu Parteien, sagt aber, dass „was die Besteuerung der Gewinne von Kapitalgesellschaften betrifft, sich unsere Forderungen sogar eher bei der Union und nicht bei SPD und Grünen wiederfinden“(FR, 14.9.02). Attac ist in der pragmatischen Realpolitik angekommen und wenn Giegold meint, „Die Anhänger der Marktideologie waren so etwas wie die letzten Utopisten“(FR, 14.9.02), dann kann es mit der „anderen möglichen Welt“ doch nicht so viel her sein. Mit die Probleme radikal an der Wurzel angehen hat dies nichts mehr zu tun. Ich kann gerade ausnahmsweise Cohn-Bendit (Taz 20.9.02) zustimmen: „Es sprach Sven Giegold, der künftige Finanzminister.“