libertäre buchseiten

Die Grenzen der Wahrnehmung

Das "Rote Notizbuch" über die spanische Revolution

| MH

Mary Low / Juan Breá, Rotes Notizbuch, Edition Nautilus 2002, 222 S., 19,90 €

Um mit einem Randthema zu beginnen: Wie sich die Behauptung, das „Rote Notizbuch“ sei die Vorlage für Ken Loachs Film „Land und Freiheit“, in die Verlagswerbung eingeschlichen hat, ist mir rätselhaft. Allenfalls eine missverständliche Formulierung des Nachworts könnte für diesen Unfug verantwortlich sein. Deshalb soll hier ausdrücklich festgehalten werden, dass das eine mit dem anderen nicht das geringste zu tun hat. Mehr noch: Ein größerer Gegensatz als der zwischen dem trotzkistischen Intellektuellenpaar Low/Breá und dem politisch naiven Proletarier David, dem Helden des Films, ist schwerlich denkbar.

Auf solche zweifelhaften Formen von Werbung ist das „Rote Notizbuch“ nun wirklich nicht angewiesen, denn, wie Eugenio Granell, der Verfasser des Vorwortes, zu recht feststellt: Das „Rote Notizbuch“ ist ein Juwel. Verfaßt von zwei Vertretern der Kunst und Politik verbindenden Intellektuellenszenerie der 1930er Jahre, der in England aufgewachsenen Australierin Mary Low und ihrem kubanischen Lebensgefährten Juan Breá, ist es vielleicht nicht einzigartig innerhalb der mittlerweile ins Unermessliche angewachsenen Literatur zum Spanischen Bürgerkrieg, aber ohne Frage ein brillantes Dokument. Vor- und Nachwort, die Aufschluß geben über die beiden hierzulande unbekannten Verfasser, von denen bisher nur eine Handvoll Gedichte in deutscher Übersetzung vorlag (1), sowie ein Glossar mit Erläuterungen zu den wichtigsten der im Text genannten Personen und Organisationen, vervollständigen den positiven Eindruck und machen das Buch, das obendrein schön gestaltet ist, zu einer absolut empfehlenswerten Lektüre.

In 18 Kapiteln, die von jeweils einem der beiden Autoren verfaßt sind, wird das revolutionäre Geschehen in Barcelona und an verschiedenen Frontabschnitten in den ersten Monaten des Bürgerkrieges, von Anfang August bis Ende Dezember 1936, geschildert. In einer durchaus typischen geschlechtlichen Arbeitsteilung zeichnet dabei Mary Low für die Berichte aus dem revolutionären Alltagsleben Barcelonas verantwortlich, Juan Breá dagegen für die Frontberichte und die politische Globalanalyse am Ende des Buches.

Schade ist allenfalls, dass das „Rote Notizbuch“, das im Original 1937 als eines der ersten authentischen Zeugnisse über die spanische Revolution in London erschien, erst jetzt in einer deutschen Ausgabe vorliegt, so dass, in Umkehrung der eigentlichen Chronologie, manches, was in dem Buch geschildert wird, bereits aus anderen, wesentlich später verfassten Quellen bekannt ist.

Das liegt allerdings auch daran, dass Lows und Breás Bericht zu einer ganzen Reihe untereinander auffallend ähnlicher Zeugnisse gehört, die nach 1968 und nach dem Ende der Franco-Ära dazu beitrugen, das faschistisch-stalinistische Deutungsmonopol über den spanischen Bürgerkrieg zu durchbrechen und die sozialrevolutionären Momente dieses Konflikts wieder ins Gedächtnis zu rufen. Neben Low/Breá wären hier George Orwells „Mein Katalonien“, Paul und Clara Thalmanns „Revolution für die Freiheit“ oder Mika Etchebéhères „La guerra mia“ zu nennen. Das „Rote Notizbuch“ nimmt in dieser Reihe insofern eine Schlüsselstellung ein, als es die Gemeinsamkeiten bündelt und damit als solche kenntlich macht:

Es handelt sich durchweg um Berichte von Intellektuellen nicht-spanischer Herkunft, die zumeist 1936 erstmals mit Spanien in Kontakt kamen und nur unzulängliche Kenntnisse der Landessprache (Spanisch bzw. Katalanisch) besaßen, die sich , ihrer politischen Orientierung nach Trotzkisten oder Linkssozialisten, dem POUM anschlossen und sich überwiegend innerhalb der vom POUM geschaffenen „Infrastruktur“ bewegten (in vom POUM beschlagnahmten Gebäuden lebten wie dem berühmten „Hotel Falcon“ in Barcelona, in POUM-Milizen kämpften usw.). Geographisch liegt der Schwerpunkt ihrer Betrachtung auf Barcelona bzw. Katalonien, zeitlich auf den ersten Monaten des revolutionären Aufbruchs, dem bereits sprichwörtlichen „kurzen Sommer der Anarchie“.

Das „Rote Notizbuch“ liest sich streckenweise, als habe es sich bei der spanischen Revolution um ein Familientreffen der anti-stalinistischen Linken gehandelt, eine übersichtliche, geradezu intime Veranstaltung, bei der jeder jeden kannte. So ist es nicht verwunderlich, daß Low/Breá Begegnungen mit Mika Etchebéhère oder den Thalmanns erwähnen, oder mit zahlreichen weiteren Personen, die wiederum aus deren Berichten bekannt sind. Unweigerlich wären sie auch auf Orwell gestoßen, hätte sich dessen Ankunft nicht mit ihrer Abreise überschnitten.

Kurzum, das „Rote Notizbuch“ fügt sich ein in ein ganzes System von Augenzeugenberichten und Erinnerungen, die sich (ungewollt) gegenseitig in ihrer Sicht der Dinge, ihrer Interpretation der Ereignisse bestätigen. Das wäre insofern unproblematisch und könnte als bloßes Faktum stehen gelassen werden, wenn nicht durch solche Berichte wie die oben genannten und ähnliche das Bild von der spanischen Revolution, auch und gerade das von Libertären, in einem hohen Maße geprägt worden wäre. Weil dem aber so ist, sollte zumindest darauf hingewiesen werden, daß dabei, ungeachtet aller Sympathie, die man den Autoren entgegenbringen mag, ein radikal einseitiges und mitunter verzerrendes Bild der spanischen Revolution entsteht.

Implizit werden die Grenzen und Beschränkungen der eigenen Sichtweise im „Roten Notizbuch“ durchaus angesprochen, etwa wenn auf die (bereits räumliche) Distanz zwischen „Ausländern“ und „Katalanen“ verwiesen wird: „Die meisten Ausländer schliefen in den unteren, die Katalanen in den oberen Etagen [des Hotel Falcon]. Diese Einteilung habe ich nie verstanden, wurden wir dadurch doch voneinander getrennt und hinderte sie uns doch daran, die Sprache zu lernen sowie die katalanische Denkweise zu verstehen“ (S. 38) Oder noch deutlicher: „Die Beziehungen zwischen den Katalanen und den ausländischen Genossen waren zu jener Zeit etwas angespannt, was allerdings nicht an den Katalanen lag. Sie sind ungestüm, aber zuverlässig, und die Ausländer, die an ihrer Seite kämpfen wollten, waren zu wählerisch und stellten zu hohe Ansprüche, statt sich um ein Verständnis zu bemühen und Abstriche zu machen“ (S. 57).

Dieser Einsichten zum Trotz, können auch Low/Breá eine recht einseitige Betrachtung der spanischen Verhältnisse nicht vermeiden. Der revolutionäre Alltag, den sie schildern, ist weitgehend der des kosmopolitischen Milieus nicht-spanischer Unterstützer, dem sie selbst angehören. Das eigentliche Subjekt des Revolutionsprozesses, das spanisch-katalanische Proletariat, tritt kaum in Erscheinung bzw. nur in dem Maße, wie es sozusagen mit bloßem Auge erkennbar ist. Daher sicherlich die Konzentration auf die Beschreibung des öffentlichen Raums, der Veränderungen, die auf den Straßen und Plätzen, in den Cafés, Restaurants, Theatern, Tanzsälen usw. stattgefunden haben. Aber ein engerer Kontakt mit den „Einheimischen“, der über Zufallsbekanntschaften hinausgegangen wäre, hat sich offenbar nicht hergestellt, eine Auseinandersetzung mit deren Alltagsproblemen findet sich allenfalls in Ansätzen (am ehesten noch in dem Kapitel „Frauen…“, S. 133ff.).

Damit soll übrigens weder das Vergnügen an der Lektüre des „Roten Notizbuchs“ geschmälert, noch der Wert der darin enthaltenen Beobachtungen relativiert werden. Eher noch geht es darum, ein Verständnis dafür zu entwickeln, warum Autoren wie Heleno Sana (2) bei ihrer Analyse der revolutionären Ereignisse von 1936-39 so vehement eine „spanische“ Perspektive einnehmen. Das sollte nicht vorn vornherein – wie auch in dieser Zeitung geschehen (3) – als nationalistisch beargwöhnt werden. Es ist vielmehr eine Reaktion darauf, daß diese spanische Seite bisher in der politischen Wahrnehmung noch stets vernachlässigt worden ist.

((1)) Heribert Becker u.a. (Hg.), Das surrealistische Gedicht, Frankfurt/M 2000 (3. Aufl.), S. 110-115 (Bréa) und 1595-1605 (Low)

((2)) Vgl.Heleno Sana, Die libertäre Revolution. Die Anarchisten im spanischen Bürgerkrieg, Hamburg 2001

((3)) Vgl. Bernd Drücke: Superman als Anarchist. "Die libertäre Revolution" von Sana, in: GWR 262/Libertäre Buchseiten, Okt. 2001, S. 8 (14)