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Nine-Eleven und die neuen Kriege

Von der Bewegung gegen neoliberale Globalisierung zu einer weltweiten Antikriegsbewegung?

| Bernd Drücke

Der 11. September und die neuen Kriege. Von der Bewegung gegen neoliberale Globalisierung zu einer weltweiten Antikriegsbewegung? Thesen zur Aktualität libertärer und antimilitaristischer Theorie und Praxis, ca. 60 S., Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg, Oktober 2002, ISBN 3-9806353-4-1, 52 Seiten, 5,90 €

"Wir richten uns gegen das Strafprinzip selbst. So, wie dieses es lehrt, darf das Verhältnis von Mensch zu Mensch nicht sein, so dürfen Menschen einander nicht gegenüberstehen. Der alten, uralten, aus den Anfangsphasen der Menschheit datierenden Lehre, dass Böses mit Bösem vergolten werden muss, stellen wir ein anderes Lebensprinzip entgegen: Richtet nicht! Vergeltet nicht! Straft nicht! (...) Nur indirekt kann das Verbrechen bekämpft werden; nicht durch Vernichtung, sondern durch das Wecken von Kräften, durch die Umgestaltung vernichtender Tendenzen in schaffende, aufbauende." (Clara Wichmann, hier zit. nach Lou Marin, Der 11. September und die neuen Kriege, S. 17)

Nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington wird nichts mehr so sein, wie es war. Das verkündeten vor einem Jahr die westlichen Massenmedien. Dass sich im Prinzip aber nichts geändert hat, dass sich die menschenfeindliche Logik von Rache und Krieg durch die Geschichte und Gegenwart zieht wie ein blutroter Faden, das verdeutlicht auch das neue Buch von Lou Marin.

„In den Köpfen der Militärs und der Rüstungslobby ist durch den 11. September nicht etwa ihr bisheriges Bedrohungsszenario obsolet geworden, sondern nur ein weiteres hinzu gekommen, das ebenso militärischen Ruhm wie profitable Aufträge verspricht.“ (S. 9)

In neun Kapiteln analysiert der Graswurzelrevolutionär Marin die Geschehnisse seit dem 11. September:

I. Wird nichts mehr so sein, wie es war?
II. Die Verwundbarkeit westlich-kapitalistischer Industriegesellschaften
III. Über Zivilisation und Barbarei. Kritik der Vergeltung
IV. Opfer sind nicht gleich Opfer
V. Was ist Terror?
VI. Triebkräfte des US-Krieges gegen Afghanistan
VII. Die neuen Sicherheitsgesetze und wofür sie geschaffen sind
VIII. Von der Aufwertung der Bundeswehr zur nationalen Interessenpolitik
IX. Gegentendenzen: Von der Bewegung gegen neoliberale Globalisierung zur transnationalen Antikriegsbewegung

Die Bomben, die im „Krieg gegen den Terror“ abgeworfen wurden, trafen zuerst die afghanische Landbevölkerung. Opfer zählen aber offensichtlich nur in der kapitalistischen Gesellschaft. Live und weltweit übertragen auf fast allen TV-Kanälen wurden die Namen der 2801 unschuldigen Opfer des exterministischen Massenmordanschlags auf das World Trade Center am Jahrestag verlesen. Die mehr als 4.000 unschuldigen Opfer des terroristischen Bombardements der „Krieg gegen den Terror“-Koalition auf Afghanistan bleiben dagegen unbekannt und in den Medien unerwähnt. Das Unheil, das die unzähligen Bomben in Afghanistan angerichtet haben, die „Kollateralschäden“ sind nicht präsent.

„(…) dem islamistischen Terror wird mit einem Krieg begegnet, der vor allem als flächendeckendes Bombardement mit Streu- und Brandbomben geführt wird. Dieser Krieg wird von der betroffenen Bevölkerung mit gutem Recht ebenfalls als Terror betrachtet. Die gefangenen und nach Guantanamo verfrachteten Taliban werden nicht als Kriegsgefangene anerkannt und ihre Behandlung widerspricht den Mindeststandards menschenwürdigen Umgangs. In vielen westlichen Ländern wird eine neue Diskussion über die angebliche Notwendigkeit der Folter von TerroristInnen geführt, als hätte es nie das Bewusstsein darüber gegeben, dass die Abschaffung der Folter in vielen westlichen Staaten als humanistischer Fortschritt betrachtet wurde.“ (S. 18) Lou Marin analysiert die Motive für den „Krieg gegen den Terror“. Beim Angriff auf Afghanistan sei es nicht zuletzt um die US-Kontrolle über die innerasiatischen Ölreserven südlich von Russland gegangen.

Aufgrund des Militärs sei jeder Staat zum Terrorismus gegen die eigenen und die BürgerInnen anderer Staaten fähig. Die Struktur der Al Quaida sei vergleichbar mit der US-Regierungsstruktur: „sie ist hierarchisch, militaristisch, sexistisch und basiert auf Strukturen von Befehl und Gehorsam. Selbst ein tief in der männlichen Sozialisation verankerter Ehrenkodex ist sowohl bei Bush wie bei Bin Laden erkennbar, wobei erfolgreiche militärische Schläge als Ehrverletzung aufgefasst werden, die nur wiederum zur Vergeltung anstacheln.“ (S. 27) Ein wirklicher Kampf gegen den Terror könne nur jenseits dieser militärischen Strukturen und gegen sie geführt werden. Da Staaten dazu prinzipiell nicht in der Lage seien, könne dieser Kampf gegen staatlichen und parastaatlichen Terror nur von der entstehenden weltweiten Bewegung gegen Neoliberalismus und Militarismus aufgenommen werden. Die neue weltweite Widerstandsbewegung könnte in der Lage sein, eine Antikriegsbewegung zu werden und den Kriegs- und Herrschaftsbestrebungen der westlichen Staaten eine transnationale, gewaltfreie und libertäre Alternative entgegen zu setzen.

Fazit

In den letzten Monaten sind viele Bücher zum Thema „11. September“ erschienen, dies ist das erste aus einer gewaltfrei-anarchistischen Perspektive. Der voraussichtlich Mitte Oktober erscheinende Band knüpft an Diskussionen an, die in der graswurzelrevolution (GWR) geführt wurden. Für GWR-LeserInnen bietet Marin wenig neues. Wer aber nicht jede Ausgabe der GWR gelesen hat, wird den Band als wichtige Ergänzung zu dem – aus der Menge der „Nine Eleven“-Bücher herausragenden Trotzdemverlags-Buch „Angriff auf die Freiheit?“ (vgl. GWR 266) schätzen. Ein gutes und preiswertes Geschenk, auch für alle Noch-Nicht-GraswurzelrevolutionärInnen.