beilage: alternative naturwissenschaften - naturwissenschaftliche alternativen

Physik als anarchistische Textpraxis

| Fin

Die Herrschaftsverhältnisse materialisieren sich in den Produktivkräften.

Das heißt ich kann vorhandene Strukturen nicht einfach für eine herrschaftsfreie Praxis umnutzen. Ich muß sie erst meinen Bedürfnissen entsprechend umstrukturieren.

Anarchistische Wohnprojekte müssen z.B. häufig erst erhebliche Umbauten vornehmen um ein Haus jenseits kleinfamiliarer Lebensstrukturen bewohnbar zu machen. Die DreizimmerKücheNaßzellenStruktur wirkt hier als massive strukturelle Gewalt anderen Lebenzusammenhängen entgegen. Offene große Wohnbereiche und große Küchen mit vielräumigen veränderbaren Kleinstrukrturen sind in der Wohnbebauung praktisch nicht vorhanden.

Ähnliche Probleme ergaben sich bei den wenigen anarchistischen Versuchen Produktionsverhältnisse anders zu strukturieren. Die herrschaftsförmigen Abläufe im Fabriksystem sind in die Technik eingeschrieben. Das beginnt bei so trivialen Schwierigkeiten, wie der Frage, wie ich in komplexen Produktionsabläufen, die Produktionsgeschwindigkeit den je unterschiedlichen Bedürfnissen der Arbeitenden anpassen kann. Die Realität industrieller Produktion ist meist technisch maschinenseitig so organisiert, daß die Arbeitsgeschwindigkeit von der Maschine vorgegeben wird und die Arbeitenden sich anzupassen haben. – Eine anarchistische Gesellschaft erfordert also auch den Umbau der Technologie.

Auch die Naturwissenschaften sind in diesem Sinn durch die bestehenden Herrschaftsverhältnisse strukturiert, und sie strukturieren damit auch wieder die Gesellschaft entlang dieser Herschaftsverhältnisse. In der feministischen Naturwissenschaftskritik wurde von Autorinnen wie Elvira Scheich, Dagmar Heymann, Evelyn Fox Keller, Sara Jansen, u.a. an vielfältigen Beispielen dargelegt, wie sexistische Stereotype (1), das bürgerliche (männliche) Subjekt-Objektverhältnis (2), die Warentauschlogik (3), politisch-soziale Verhältnisse (4), u.a. (5) die Naturwissenschaften strukturieren und durch die Rückwirkung der Naturwissenschaften in die Gesellschaft die Verhältnisse verstärkt bzw. reproduziert werden.

Für eine anarchistische Gesellschaft brauche ich also auch eine alternative anarchistische naturwissenschaftliche Theorie und Praxis. Denn auch die Naturwissenschaften gehören zu den Produktivkräften durch die sich die Gesellschaft einschließlich ihrer Herrschaftsverhältnisse reproduziert. Ich will hier einen Ansatz einer anarchistischen naturwissenschaftlichen Theorie und Praxis darstellen.

Ausgangspunkt sind für mich die frühen theoretischen Texte der feministischen Philosophin und Psychoanalytikerin Julia Kristeva (6). Kristeva formuliert in diesen frühen Texten eine Theorie des revolutionär wirksamen Schreibens/Lesens, einer revolutionären Literatur/Poesie. Das heißt diese Texte können gelesen werden als ein Ansatz für eine revolutionär wirksame Textpraxis, und zwar im Sinne einer Revolution, die die Grundlagen der Gesellschaft betrifft.

Sie geht dabei davon aus, daß Sprache eine der wichtigsten Strukturen ist durch die sich die gesellschaftlichen Verhältnisse reproduzieren.

Deutlich läßt sich dies vielleicht am einfachsten am Beispiel machen. Z.B. wird in der Sprache und durch die Sprache die zweigeschlechtliche Realität reproduziert (bzw. die Sprache ist ein Teil der Verhältnisse die diese reproduzieren). Wenn ich nun in einem Text, z.B. die LeserIn dazu bringe, sich, zuerst mit einer weiblichen Position zu identifizieren, und dann Stück für Stück in dieser Erzählung diese Position hin zu einer männlichen verschiebe, bzw. noch radikaler die Positionierung verunklare und letztendlich in einer literarischen Textpraxis auflöse, werde ich damit auch die Wahrnehmung der Realität dieser LeserIn beeinflußen. Gleiches läßt sich für die Subjektkonstitution und das Subjekt-Objektverhältnis und viele andere ‚Selbstverständlichkeiten‘ der herrschenden Verhältnisse durchführen. Es kommt zu einer Verrückung des Standpunktes der LeserIn, bzw. der Standpunkt kommt ins Fließen.

Nun ensteht die Bedeutung eines Textes in einem komplexen Zusammenspiel von Schreibender, der Selbstimagination der Schreibenden als AutorIn, des Textes, der Sprachstrukturen und der LeserIn.

Geht es mir nun nicht einfach darum ein anderes dogmatisches System des ‚Richtigen‘ aufzurichten, sondern die LeserIn im Sinne einer anarchistisch revolutionären Praxis in einen Raum der Freiheit zu stellen, muß ich, auf der einen Seite, im Text durch den Text eine überzeugende Dekonstruktion der bestehenden Gesetzlichkeit leisten, ohne, auf der anderen Seite, eine neue aufzurichten.

Es geht also darum, die Beutung ins Fließen zu bringen, ohne sie erneut festzusetzen. Gleichzeitig soll aber die Praxis auch handlungspraktische Möglichkeiten erschließen, also nicht in Beliebigkeit versinken.

Kristeva führt dazu eine Praxis aus, bei der der Text sich selbst als Ideologie, die er auch ist, ausstellt. D.h. sie fordert eine Textpraxis, die die eigenen strukturellen Setzungen mit thematisiert und so immer auch die eigene Infragestellung ist. Sie beschreibt dies unter dem Stichwort der Semiologie als Wissenschaft/Praxis wie folgt;

‚Sie [die Semiologie] könnte auch zum Ausgangspunkt eines neuen Diskurses werden, der aus einem wissenschaftlichen Vorsatz heraus die Wissenschaftlichkeit verkündet, indem er seine eigene Theorie in Frage stellt. Insofern als er ein zugleich kritischer und selbstkritischer Diskurs ist, der seine eigene Wissenschaftlichkeit wissenschaftlich betrachtet, mündet er in Ideologie: Er stellt die Ideologie seiner „Gegenstände“ und die seines eigenen Zeichenmusters in Frage und denkt sich selbst als Ideologie. [..]

Er konstituiert sich als eine Theorie der Wissenschaft, die er selber ist:

1) Er geht an die signifikanten Praktiken mit Mitteln heran, die ihm die wissenschaftlichen oder philosophischen Theorien liefern, die sich mit der signifikanten (zeichensetzenden) Tätigkeit befassen;

2) Er verhält sich zu seinen eigenen Elementen (seinen Begriffen, Einheiten, Formeln) wie zu Zeichen, an denen Ideen haften, die entziffert (deren ideologische Wurzeln bloßgelegt) werden müssen. Was seine eigene „parole“ angeht, so ist er sich ihres Standortes (ihres Subjekts) und ihrer ideologischen Verwurzelung (ihrer Geschichtlichkeit) bewußt. [..]‘ (7)

Zu den strukturellen Setzungen gehört nun in der Sprache zentral die grammatikalische Struktur, z.B., daß ich „ich“ sagen kann, und welche Bedeutung dem beigemessen wird, dies ist durchaus nicht in allen Kulturen so, und schon im französischen Sprachraum existieren unterschiedlich Ich-Formen. Dieses Ich ist aber das bürgerliche Subjekt und nicht von den politischen und familiaren (8) Strukturen zu trennen.

Kristeva beschreibt deshalb die revolutionäre Textpraxis als eine Praxis, die unter anderem diese grammatikalischen Strukturen aufdecken muß – sie als Setzung ausstellt, ihre Bedeutung thematisiert und sie damit ins Fließen bringt. Das heißt im Text wird als Bedeutung unter anderem die eigene grammatikalische Struktur thematisiert, die aber selbst wieder Vorraussetzung der Bedeutungszuweisung ist. Damit öffnet sich ein unendlicher offener Zirkel, eine Spirale, denn durch die Infragestellung der eigenen Grammatik stellt der Text auch sich selbst, seine Bedeutung in Frage, und damit beginnt das Lesen immer wieder von vorn, aber nicht am selben Punkt, denn das Wissen um die bisherigen Infragestellungen bleibt vorhanden.

Als Beispiel gilt Julia Kristeva z.B. James Joyce und die französische klassische Moderne, als ein aktuelleres Beispiel würde ich Monique Wittig ergänzen.

Es geht nun nicht darum, die LeserIn dazu zu bringen den Leseprozeß unendlich fortzusetzen, sondern ihr ein Bewußtsein dafür zu vermitteln, daß sie eine Entscheidung für eine spezifische Auslegung des Textes getroffen hat, und ein Bewußtsein für dies strukturalen Vorgaben der Schreibenden und Lesenden.

Da Sprache nun eine der Strukturen ist in der/durch die sich gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse reproduzieren, heißt dies auch ein Bewußtsein für die politischen Setzungen in der Struktur zu schafen. Z.B. das eine Sprache, die nur zwei Geschlechter kennt (und es gibt durchaus andere Sprachen (9)), hier eine eindeutige heterosexistische Vorgabe macht.

Nach Kristeva können auch andere gesellschaftliche Strukturen als Strukturen nach Art der Sprache verstanden werden, sie nennt unter anderen die Naturwissenschaften und die Mathematik. Der grammatikalischen Struktur entspricht aber, und auch hier folge ich Kristeva (10), in der Mathematik die Topologie (die Lehre vom Raum und seinen Verhältnissen).

Das heißt ich müßte, wenn ich den oben ausgeführten Gedankengängen folge, in der Physik eine erkenntnistheotische Struktur formulieren, bei der der mathematische Text über die Bedeutung, die er hat, auf die eigene topologischen Vorraussetzungen veweist. Vereinfache ich dies noch weiter kann ich auch formulieren; Ich brauche eine mathematische Theorie der räumlichen Anschauung, bei der das, was ich beschreibe, darauf verweist, wie es durch die Art der räumlichen Anschaung konstituiert (11) ist, und sich damit selbst wieder in Frage stellt.

Darstellbar ist so etwas z.B. als eine Anschauung in der wir die Realität durch ein Abbildungsprinzip in unseren Anschauungsraum abbilden.

Zu sehen ist, daß das Abbildungsprinzip von uns (den Subjekten) sowohl aus interessens- und kulturspezifischen Gründen, wie auch aufgrund der Realitätserfahrung herausgebildet wird. Als Praxis in der wir uns selbst auch als Subjekte konstituieren. Die Realität wird dabei, von uns selbst als Teil der Realität, auch direkt aber nicht begrifflich erfahren. Wir wirken direkt (12) und, vermittelt über die Anschauung, indirekt in die Realität hinein. Subjekt und Realität sind nicht klar trennbar und auch das Abbildungsprinzip ist mit ihnen vermischt. Sie bedingen einander. (13)

Ändere ich eine Zutat in dieser Suppe ändert das auch die Wirkung aller anderen.

Wichtig ist zu begreifen, daß in diese Anschauung unsere kulturellen Vorurteile/gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse einfließen, und, daß ausgehend von der Erfahrung (daß wir z.B. gewöhnlich nicht gegen Tische rennen) unsere Art und Weise, die Dinge anzuschauen, nur für die menschliche irdische Lebenswelt Sinn machen muß. Dehnen wir aber unsere Anschauung über unsere menschliche irdische Lebenswelt aus, ist es durchaus möglich, daß sie vielfältige Irrtümer produziert. Das Anschauungsprinzip kann für sehr große oder sehr kleine Größenordnungen zu einer völlig unzureichenden Abbildung der Realität in unserer Anschauung führen.

Nur im statistischen Mittel müssen die Phänomene im sehr Kleinen wieder sinnvoll faßbar sein durch unsere Anschauung. Für quantenmechanische Phänomene in der Größenordnung der Quanten muß sie aber z.B. keinen Sinn machen.

Neben die optische Täuschung tritt als gleichberechtigtes Phänomen die kognitive Täuschung.

Ich gehe also davon aus, daß es eine grundsätzliche Differenz zwischen dem, was wir in Begriffen (Signifikanten=Zeichen) bezeichnen, und dem Bezeichnetem (Signifikat) gibt. Das heißt als leiblicher Mensch erfahre ich zwar die Welt unmittelbar (14) als Teil der Wirklichkeit der ich bin, will ich meine Erfahrung in Begriffe fassen, muß ich aber als Ansatz auf bestehende Begriffskontexte und vorhandene Theorien zurückgreifen. Es gibt keine vortheoretische begriffliche Erfahrung.

Durch die Auswahl des begrifflichen Kontextes, der Theorie auf die ich zurückgreife um neue Erfahrungen zu bezeichnen, treffe ich aber eine politische Entscheidung, denn mit jedem dieser Begriffskontexte und jeder Theorie sind Wertüberzeugungen, politische Systeme, Vorurteile über das menschliche Sein verbunden. Und mit jeder dieser Entscheidungen lege ich mich auch selbst als Subjekt fest – verorte mich, konstituiere mich als der, der ich bin.

Die materielle Wirklichkeit spricht nie eindeutig, sie lacht und entzieht sich uns und läßt vielfältige Interpretationsspielräume. Zwar läßt die naturwissenschaftliche Erfahrung nicht beliebige Interpretationen zu, aber doch beliebig viele und beliebig unterschiedliche.

Der Mathematiker Hermann Weyl führt, wie in anderen Texten dieser Zeitung ausgeführt, z.B. aus, daß auch in unsere empirischtheoretische Erkenntnis Vorannahmen einfließen – z.B. in die Relativitätstheorie, die Annahme der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit.

Der hier dargestellte Theorieansatz Julia Kristevas soll übertragen auf die Physik diese Entscheidung, die in jede Empirie einfließen, aufdecken, und selbst in der Theorie thematisieren. Dies macht politisch Sinn, es ist aber auch von grundsätzlicher erkenntnistheoretischer Bedeutung.

Denn, wenn meine Vorannahmen gültig sind, müßte der formulierte Ansatz einer anarchistischen naturwissenschaftlichen Theorie und Praxis in der Lage sein, strukturelle Vorurteile der menschlichen Erkenntnis außer Kraft zu setzen, und so Dinge zu erklären, die bisher nur schwer begreiflich waren.

Ich will dies am Beispiel des quantenmechanischen Dilemmas des Welle-Teichen-Dualismus darstellen.

Der Welle-Teilchen-Dualismus tritt z.B. bei der Beobachtung des Elektrons beim Durchtritt durch einen Spalt auf.

Beobachte ich nur das Abbild, so sehe ich ein (1) Beugungsbild: – das Elektron wäre also ein Wellenphänomen,

beobachte ich aber das Elektron während des Fluges, dann erhalte ich als Abbild das Bild einer Teilchenhäufigkeit eine (2) Gaußkurve: – das Elektron wäre also ein Teilchen.

Dies scheint nicht begreifbar. Berücksichtige ich aber nun den oben gemachten Ansatz aus der anarchistischen Theorie, so muß ich unterscheiden zwischen den Phänomenen in der Realität und in meiner Anschauung. Gehe ich nun z.B. davon aus, daß das Elektron der Effekt einer statistischen Abbildung eines Wellenphänomens im Realraum auf ein Teilchenphänomen in meinem Anschauungsraum ist, dann ergibt sich die Erklärung für den Welle-Teilchen-Dualismus sehr einfach:

Im Fall, daß ich nur das Abbild auf der Scheibe beobachte, betrachte ich das Ergebnis eines Wellenphänomens im Realraum, das ich erst nachträglich in den Anschauungsraum abbilde. Enstprechend erhalte ich als Abbild ein typisches Beugungsbild einer Welle.

Im Falle, daß ich das Elektron während des Fluges beobachte, beobachte ich alles in meinem Anschauungsraum. In meinem Anschauungsraum beobachte ich aber nur die statistischen Effekte der Wellenphänomene, also ich beobachte sie als Teilchen. Entsprechend bekomme ich eine Gaußkurve als typische Teilchenverteilung nach Durchtritt durch einen Spalt.

Der Widerspruch löst sich auf und stellt sich als kognitive Täuschung dar. Das heißt er beruhte auf der mangelnden Differenzierung von Anschauungsraum und Realraum. Für die herrschende Physik ist dies ein notwendiger Irrtum da es ihr an einer kritischen Theorie eines Subjekt-Objektbezuges vollständig mangelt. Sie ist zu einem Begreifen dieses Zusammenhangs deshalb unfähig. Für die anarchistische Theorie und Praxis gilt dies nicht.

Nun mag sich manche fragen, was Topologie und Quatentheorie mit Anarchie zu tun haben. Die naturwissenschaftlichen Setzungen reproduzieren auch in und durch diesen Wissenschaften die herrschenden Verhältnisse. Zum Beispiel durch die Mathematik die als ‚Maschine die Wahres aussondert‘ (15) wirkt. Oder durch die Bilder die sich Menschen von der Struktur des Universums machen, zu betrachten wären z.B. die Bilder, die in populären Filmen als Versatzstücke auftauchen. Aber auch in der Verallgemeinerung systhemtheoretischer Ansätze, mit alle ihren strukturellen Ausschlüssen und ihrer Unmöglichkeit in ihnen Herrschaftsverhältnisse zu benennen, finden sich Versatzstücke des Glaubenssystems der derzeit gültigen Dogmen der Physik (16). Gerade der Ausschluß einer kritischen Reflektion des Subjekt-Objekt-Verhältnisses und der daraus resultierenden normativen Setzungen und Ausschlüsse ist ein Problem des rassistischen und sexistischen (männlichen) bürgerlichen Subjekt im Allgemeinen, das sich immer schon selbst als das Normale nimmt, und auf seine Wahrheit absolut pocht.

Die Wahrheit existiert aber nicht, sie wird durch Ausschluß erzeugt, gewalttätig. Und die Physik ist die Wissenschaft des Existierenden, der materiellen Natur und die Natur – ‚Nature-elle-ment‘ (17) – die Natur lügt (18), das heißt sie spricht vielfältig, nicht eindeutig.

Eine physikalische Theorie und Praxis die auch nur den hier dargestellten relativen simplen Ansatz einer Trennung Subjekt – Anschauungsprinzip – Realität zugrundelegen würde, würde bereits erheblich dazu beitragen, Ausschlüße hinterfragbar zu machen. Denn in der Diskussion welchen Ansatz ich für das Anschauungsprinzip für sinnvoll halte, bzw. durch welche kulturellen und erfahrungsbezogenen Setzungen ich dieses Prinzip zur Zeit als strukturiert begreife, muß ich auch meinen eigene Situierung als Subjekt reflektieren, und meinen, und damit auch den gesellschaftlichen, Einfluß auf meine Begrifflichkeit und meine Anschauung thematisieren.

Die Hinterfragung des eineindeutigen Subjekts und seiner Normen ist aber von allgemeinpolitischer Bedeutung.

Zum Schluß noch eine Anmerkung die diesen Text selbst betrifft. Für diesen Text gilt sicher auch das, was Michel Foucault in einem kleinen Text, ‚Die fröhliche Wissenschaft des Judo‘, formuliert hat. Diskursive Ansätze sind zeitgebunden und werden mit der Zeit und der Verschiebung der Diskurse nicht selten in ihr Gegeteil umgekehrt – als Beispiel ist dies zur Zeit am Begriff der „humanitären Intervention“ als Sprachregelung für eine ‚reformierte‘ Form imperialistischer Agression sichtbar. Deshalb wird es notwendig sein auch diesen Text bei Zeiten zu reformulieren.

Dies ist ein Ansatz zum Auskochen einer Theorie Praxis und nicht ihr dogmatischer Schluß. Von Kochbüchern halte ich nichts.

Und das Ideal des Umgangs mit Texten hat für mich Ähnlichkeit mit dem Kochen mit Vielen (19). Irgendwann weiß keine/r mehr, was nun eigentlich wirklich alles in den Knödeln drin war und in der Salatsauce, die eh irgendeine/r über den Pudding gegossen hat. Gerade aus dieser Praxis enstehen aber interessante neue Menus, Texte und Theorien.

Auch wenn einige andere in der Küche schreien, ‚Nein – NICHT!‘.

(1) Dagmar Heymann weist z.B. auf die Übernahme sexistisch militaristischer Metaphern in das Denken über Immunsysteme hin. Smilla Ebeling führt z.B. aus wie die Fixierung auf das Männliche als Aktives in der Beobachtung von Tierverhalten zum Ausschluß spezifischer möglicher Erkenntnisse führt, in dem das Verhalten der weiblichen Tiere nicht hinreichend berücksichtigt wird. - Dagmar Heymann - Jungfrauen und Killer - die Macht der Darstellung in der Biologie - in: NUT (Frauen in Naturwissenschaft und Technik e.V.) - Schriftenreihe Band 2: Elfenbisse - Mössingen-Talheim 1995 - - Smilla Ebeling - Das Gonocavulumzucker der Fahnenträgerinnen. Aus dem Alltag eines Biologiestudenten. - in: in: NUT (Frauen in Naturwissenschaft und Technik e.V.) - Schriftenreihe Band 5: Science und Fiction - Mössingen-Talheim 1995

(2) Marie Ossietzky weist z.B. auf den Zusammenhang männlicher Potenzvorstellungen und der Diskussion um den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik im 19ten Jahrhundert hin. Evelyn Fox Keller faßt allgemeiner auf der Basis psychoanalytischer Theorien, das naturwissenschaftliche Erkenntnisideal als ein durch die männluche Subjektentwicklung wesentlich strukturiertes. - Evelyn Fox Keller - Leibe Macht und Erkenntnis - München 1986 - - Maria Ossietzki - Energie und Entropie. Überlegungen zu Thermodynamik und Geschlechterordnung - in: Geschlechterverhältnisse in Medizin, Naturwissenschaft und technik - Stuttgart 1996

(3) Elvira Scheich verweist z.B. auf den Zusammenhang der Impetustheorie, ihrer Logik mit der Logik des Handelskapiutalismus. - Elvira Scheich - Was hält die Welt in Schwung? - in: Feministische Studien, Heft 1 - Weinheim 1985

(4) Sarah Jansen führt z.B. am Beispiel der Entomologie (Insekten - Schädlingsbekämpfung) aus wie in den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts das Feindbild des fremden Anderen in diese Wissenschaft eingeschrieben wurde und von diesen Diskursen wiederum in die faschistische Propaganda zurückwirkte. - Sara Jansen - Männer, Insekten und Krieg: zur Geschichte der angewandten Entomologie in Deutschland 1900 - 1925 - in: Geschlechterverhältnisse in Medizin, Naturwissenschaft und technik - Stuttgart 1996

(5) Weitere Quellenverweise finden sich in dem Artikel 'Feministische Naturwissenschaftskritik', der auch in dieser Zeitung zu finden ist.

(6) Julia Kristeva - Le text du roman - Paris 1968 - - Julia Kristeva - Semiotike: Recherches pour une sémanalyse - Paris 1969 - - Julia Kristeva - Revolution der poetischen Sprache - Frankfurt a.M. 1978

(7) Seite 66/67 - Julia Kristeva - Semiologie als Ideologiewissenschaft - in: Hg. Peter V. Zima - Textsemiotik als Ideologiekritik - Frankfurt a. M. 1977

(8) Insbesondere nicht, wenn mensch die Ich-Konstitution im Bürgertum wie sie z.B. in der Lacanschen psychoanalytischen Theorie beschrieben wird, zu Grunde legt. Da dieser Ich-Konstituiton die kleinfamiliare Triade Vater-Mutter-Kind als Ideal inhärent ist.

(9) Z.B. gibt es bei den Navajos vier Geschlechter. Hier einige Literaturhinweise auf interessante Bücher im ethnologischem Kontext. -- Gilbert Herdt - Third Sex, Third Gender Beyond Sexual Dimorphism in Culture and History - New York 1994 -- Evelyn Blackwood/Saskia E. Wieringa - Female Desires SameSex Relations and Transgender Practices Across Cultures - Columbia 1999 -- Diane Bell/Pat Caplan/u.a. - Gedered Fields - London 1993 -- Adrea Cornwall/Nancy Lindisfarne - Dislocating masculinity - London 1994

(10) Seite 94/95 - Julia Kristeva - Revolution der poetischen Sprache - Frankfurt a. M. 1978

(11) PhysikerInnen wird auffallen, daß sich diese Formulierung in nächster Nähe zur Allgemeinen Relativitätstheorie bewegt, nach der das den Raum Ausfüllenden die Maßverhältnisse des Raumes bestimmt. Nur ist hier etwas mitgedacht, was in der Relaltivitätstheorie, wie in der Physik allgemein, vernachlässigt wird, das die Anschauung als Teil des Subjekt-Objekt-Verhältnis gedacht werden muß.

(12) Das Subjekt steht in dauernder Wechselwirkung mit der Realität. Als "Teil" dieses Kontinuums ist es nicht klar abgrenzbar.

(13) Hermann Weyl streift diese Aussage in seiner Feststellung; 'Erst dieser ganze theoretische Zusammenhang ist einer experimentellen Nachprüfung fähig - [..] Der Zusammenhang zwischen der unmittelbaren Erfahrung und dem, was die Vernunft begrifflich als das hinter ihr steckende Objektive in einer Theorie zu erfassen sucht, ist nicht so einfach, daß jede einzelne Aussage für sich einen Sinn besäße.' D.h. 'nur das ganze von Geometrie und Physik [ist] einer empirischen Nachprüfung fähig.' - Dann gibt es aber unterschiedliche Ganze, und die Auswahl ist eine (inter)subjektive Entscheidung. - Seite 60 bzw. 87 - Herrmann Weyl - Raum Zeit Materie - Berlin 1988

(14) Die menschliche Leiberfahrung ist nicht auf Natur reduzierbar - Schmerz und Lust, die Wahrnehmung des eigenen Geschlechts und Leibes werden in kulturellen Praxen zur Bedeutung gebracht - aber der Leib ist auch materieller Teil der Wirklichkeit, daß heißt der Leib ist auch Natur. Nur, da ich davon ausgehe, daß sich Materialität/Natur gerade durch Uneindeutigkeit auszeichnet, muß jede Bezeichnungspraxis, die versucht, die Materialität/Natur der Realität eindeutig zu fassen, zu einer Irrealisierung führen. Die eindeutigen Zeichen müssen zwangsläufig die Uneideutigkeit der Materialität/Natur des Bezeichneten verfehlen.

(15) Christiane Frougny/Jeanne Peifer - Der mathematische Formalismus - eine Maschine, die Wahres aussondert - in: Feministische Studien, Heft 1 - Weinheim 1985

(16) Der Berliner AK-ANNA arbeitet zur Zeit zur Kritik systhemtheoretischer Ansätze an einem Artikel. Hier nur zwei Literaturhinweise; - Vivian Sobchack - AllTheorien - in: Hans Ulrich Gumbrecht/K. Ludwig Pfeiffer - Paradoxien Dissonanzen Zusammenbrüche - Frankfurt 1991 - - Elvira Scheich - Naturbeherrschung und Weiblichkeit - Frankfurt 1989 - Dissertation

(17) 'Nature-elle-ment' ist die Zerlegung des französischen Wortes naturellement - natürlich - und bedeutet die Natur lügt. Dies war der Titel einer Ausgabe der französischen feministischen Zeitschrift 'Questions feminists' 1978

(18) Sie (die Natur) verweigert insbesondere die Aussage, ein Verbrechen, das bei Ermittlungen nach 129a (terroristische Vereinigung) mit Gefängnis bestraft wird. Deutlich wird dies im Zusammenhang der Zweigeschlechtlichkeit. Nach der Biologie (Morphologie, Physiologie und Genetik) lassen sich keine eindeutigen Zuweisungen treffen. Symphatisantin, die sie ist, geht die Natur sogar soweit die reale Existenz von Hermaphroditen zuzulassen, so das sich der Staat gezwungen sieht durch Genitalverstümmelungen bei Kleinkindern auch in der BRD die natürliche Binarität chirurgisch herzustellen. - siehe: Hg: AGGPG Brandstr. 30 28213 Bremen - Hermaphroditen im 20. Jahrhundert - Bremen 1997 - - siehe auch: Evelyn Peyre, Joelle Wiels - Actes du Coloque national Femmes Féminisme et Recherches - Toulouse 1982

(19) Z.B. auf einem Arbeitskreis zum Thema Alternative Naturwissenschaften - Naturwissenschaftliche Alternativen im anarchistischen Tagungshaus Burg Lutter.