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Türkei: KDVer im Hungerstreik

Am 24. Oktober 2002 erklärte Mehmet Bal seine Verweigerung. Er entschied sich zu diesem Schritt nach 9,5 Monaten Kriegsdienst, die mit 7 Jahren Gefängnisaufenthalt unterbrochen wurden. Er wurde mit „Entfremdung des Volkes vom Militär“ und „wiederholtem Ungehorsam“ angeklagt und am 25. Oktober ins Militärgefängnis von Adana eingeliefert.

Mehmet wurden gewaltsam die Haare geschnitten und man zog ihm eine Uniform an, die er bei jeder Gelegenheit wieder auszog. Er wurde in eine Zwei-Person-Zelle geführt und trat dort am selben Tag in den Hungerstreik.

Nun wird er jeden Tag zur ärztlichen Untersuchung gebracht. Der Oberst begründet dies mit Sorge um seine Gesundheit, doch wir nehmen an, dass es sich um verdeckte Schikane handelt, weil Mehmet jedes Mal, wenn er die Zelle verlässt die Uniform wieder aufgezwungen wird und er in Handschellen gelegt wird, damit er sich nicht ausziehen kann.

In Ankara, Istanbul und Izmir sind Solidaritätskomitees für Mehmet Bal entstanden. Drei AnwältInnen verfolgen den Fall und setzen sich gegen die Misshandlung im Militärgefängnis ein.

An dieser Stelle ist internationale Unterstützung und Solidarität ebenso gefordert. Um die Bedingungen für eine frühzeitige Beendung des Hungerstreiks zu gewährleisten und Mehmet Bal in seiner Position als KDVer zu schützen und zu stärken, muss dem Militärapparat und den unmittelbaren „Vorgesetzten“ klar gemacht werden, dass Mehmet Bal weder verrückt, noch alleine ist.

Wir hoffen auf jede Art von Unterstützung.

Mehmet Bal Solidaritätskomitee – Izmir

Hintergrund

Mehmet Bals Weg zur Kriegsdienstverweigerung ist ungewöhnlich. An ihrem Anfang steht die Begegnung mit Osman Murat Ülke, dem ersten inhaftierten türkischen Kriegsdienstverweigerer. Als Osman Murat Ülke Ende 1996 ins Militärgefängnis kam, wurde er in eine Gemeinschaftszelle gebracht, deren Zellenchef Mehmet Bal war. Mehmet Bal war wegen Mordes angeklagt worden und trat anfangs Osman Murat Ülke ablehnend gegenüber. Weiter berichtet Osman Murat Ülke: „Zunächst grenzte er mich aus, als ich aber nach einem Monat wegen einer erneuten Verurteilung wieder in diese Zelle gebracht wurde, waren er und seine Zellengenossen überrascht: Sie sahen, dass meine Kriegsdienstverweigerung eine ernsthafte Entscheidung war. Wir fingen an, über Ethik, Religion, Politik, Nationalismus, Philosophie und anderes zu diskutieren. Mehmet Bal begann zudem, Bücher zu lesen, die mir von meinen Freunden gebracht wurden. Seine Ansichten kamen mehr und mehr ins Wanken und veränderten sich gravierend.“

Mehmet Bal wurde 1999, nach inzwischen vier jährigem Gefängnisaufenthalt, wegen Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Nach einer Amnestie entließ man ihn vor vier Monaten aus der Haft und übergab ihm zugleich einen Marschbefehl zu seiner Einheit in Mersin. Er verweigerte dort das Tragen einer Waffe. Das wurde akzeptiert, Mehmet Bal hatte seinen Militärdienst in der Bücherei abzuleisten.

Da er auch im unbewaffneten Dienst die Hierarchie und Gewalt des Militärs nicht aushielt, entschied er sich, den Militärdienst nach einem Urlaub nicht wieder anzutreten und mit folgender Erklärung zu verweigern:

Ich verweigere!

Ich war Soldat für neuneinhalb Monate und habe mich entschieden ab dem 18. Oktober 2002 nicht mehr zu „dienen“ und meine Kriegsdienstverweigerung zu erklären. Ich werde die Gründe, die mich zu dieser Entscheidung geführt haben, kurz zusammenfassen:

Der Militarismus sieht Vernichtung als eine Methode zur Lösung von Problemen an. Er legitimiert sich durch Anführung verschiedener Argumente und stellt sich mit Hilfe von Gesetzen von der Verantwortung der Folgen seiner Taten frei. Natürlich geschieht dies in Übereinkunft mit den Herrschenden. Damit dient der Militarismus einerseits den Zielen der Herrschenden und schafft sich andererseits seine finanziellen Quellen. Dieses wechselseitige Zusammenspiel ist beständig. Wer immer sich gegen dieses Zusammenspiel stellt und Widerstand leistet, wird mundtot gemacht, bestraft und sogar eliminiert. Die Geschichte ist voll mit Beispielen. Jedes Mal werden verschiedene Versionen des gleichen Spiels inszeniert und erfolgreich abgewickelt. Dieser Ablauf ist derart offensichtlich, dass mensch trotz aller Versuche, ihn zu ignorieren, unweigerlich an das eigene Gewissen stößt – welches der Verleugnung die Wahrheit entgegensetzt. Doch der als Vernunft verkleidete Konformismus blockiert diese Einsicht immer wieder mit verschiedensten Begründungen und fordert Ignoranz und sogar eine freiwillige Komplizenschaft im Spiel. Selbst wenn der Mensch sich in die sichere Hülle dieser „Vernunft“ begibt, ist diese Sicherheit auf lange Dauer trügerisch.

Ein anderer elementarer Bestandteil des Militarismus ist der unbedingte Gehorsam. Die Wege, die zu diesem unbedingten Gehorsam führen, werden mit großer Sorgfalt vorbereitet. Der Zwang fängt schon mit der Einführung in die sogenannten Sicherheitsbedürfnisse der Region und Gesellschaft an, in die mensch hinein geboren wird. Wenn mensch dann an die Reihe kommt, ist die Teilnahme obligatorisch. Die Person wird dabei nicht nach ihrer Meinung gefragt. Die Argumente stehen schon bereit und auf diesem Weg vollbrachte Taten werden geheiligt und zum Maßstab erklärt. Die Gesellschaft und selbst die Eltern haben keine Zweifel an der Heiligkeit dieser Taten. Sie sind bereit, ihre Kinder für diesen Weg zu opfern und übernehmen ihre Rolle, um ihre Kinder dieser Anforderung anzupassen. Selbst wenn es Ausnahmen gibt, kann die Mehrheit sich eine Alternative nicht einmal vorstellen.

Die durch den Militarismus angezettelten Kriege schaden nicht nur den Menschen. Welche Begründung kann Zerstörung durch nukleare und biologische Waffen rechtfertigen? Die Inhaber dieser Waffen, die diese -eigenen Behauptungen nach- als Garanten für die Sicherheit der Menschen horten, wissen dabei selbst genau, in welchen Zustand sie die Welt versetzen würden, falls sie diese Waffen tatsächlich einsetzen sollten. Natürlich sind sie sich dieses Widerspruchs bewusst.

Die momentane Situation, in der sich die Welt befindet, widerspiegelt diese Spiele recht deutlich. Jede/r weiß, dass es der USA und ihren Befürwortern, die den 11. September als Vorwand genutzt haben, um Afghanistan zu bombardieren und jetzt den Angriff auf Irak vorzubreiten, nicht um Sicherheit etc. geht. Doch die sicheren Arme der „Vernunft“ scheinen alle zu umschlingen. Wie können Menschen ihr Gewissen im Angesicht einer Landschaft von zerbombten Lebewesen beruhigen? Ist es nicht wahr, dass die USA und ihre Befürworter Kraft aus der Tatsache schöpfen, dass die Resonanz auf Aufrufe gegen den Krieg so gering ist? Natürlich sollte sich niemand auf Andere verlassen. Diese Entscheidungen müssen Ergebnis einer inneren Reflexion sein. Genauso wie Big Brother uns vor die Wahl stellt, für oder gegen ihn zu sein, müssen wir entscheiden, ob wir den Krieg wollen oder nicht. Denn die kriegerische Logik durch Zerstörung aufzubauen, die ihre Waffen heute auf andere richtet, kann diese morgen genauso gegen mich richten.

Sowohl meine bitteren Erfahrungen aus meinem bisherigen Leben, als auch meine Beobachtungen während neuneinhalb Monaten Kriegsdienst, haben mir klar gemacht, dass ich die Stimme meines Gewissens nicht weiter verleugnen kann. Ab jetzt werde ich mir von keiner militärischen oder zivilen Autorität, keiner Person oder Institution, Haltungen und Handlungen aufzwingen lassen, die im Widerspruch zu meinem Gewissen und meinem Willen stehen, und erkläre der Öffentlichkeit hiermit meine Kriegsdienstverweigerung.

Nur kurz will ich noch den bisherigen Ablauf skizzieren. Im Mai 1995 trat ich den Kriegsdienst an. Am 9. September 1995 wurde ich wegen einer Straftat verhaftet. Nach ca. sieben Jahren Gefängnis wurde ich am 23. Mai 2002 entlassen und sofort wieder an die Kaserne weiter geleitet, wo ich bis zum 18. Oktober 2002 „gedient“ habe.

Ich will unterstreichen, dass ich nicht vorhabe zu desertieren. Ich werde mich ein weiteres Mal in die Einheit begeben und Militärausweis und -kleidung abgeben.

Mehmet Bal

Kontakt

Mehmet Bal Solidaritätskomitee Izmir
gezzaia@softhome.net

Militärgericht und Militärgefängnis in Adana
Tel.: +90 - 322 - 3228367
Fax: +90 - 322 - 3228136

Anmerkungen

Infos und den Entwurf für ein Protestschreiben (deutsch und türkisch) finden sich auch bei Connection e.V.