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Irak und 11. September

Ein Interview mit der Archäologin Ulrike Löw

| Interview: Bernd Drücke

Dr. Ulrike Löw, geb. 1963 in Hilden bei Düsseldorf, ist orientalische Tänzerin, Choreografin und Archäologin mit dem Schwerpunkt vorislamischer Alter Orient. Sie ist freiberuflich an den Universitäten Münster und Göttingen tätig und lehrt dort das Fach Vorderasiatische Archäologie. An den Wochenenden legt sie in diversen Clubs als DJ auf.

Graswurzelrevolution: Vom 1. September bis zum 18. Oktober 2001 warst Du im Rahmen eines Ausgrabungsprojektes der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Universität Halle im Irak tätig. Wo im Irak warst Du, und was hast du dort gemacht?

Ulrike Löw: Wir haben im Norden Iraks, ca. 300 km nördlich von Bagdad, die mesopotamische Stadt Assur ausgegraben. Assur war im 2. Jahrtausend vor Christus die erste Hauptstadt der Assyrer. Die Ruine liegt traumhaft malerisch direkt am Tigris, kilometerweit umgeben von dorniger Wüstensteppe und kleinen Dörfern mit Lehmhäusern.

GWR: Der Geheimdienst des Diktators Saddam Hussein ist überall im Irak präsent und hat auch Euch überwacht. Wie hat sich das geäußert?

Zunächst einmal ist es so, daß wir als ausländische Archäologen im Orient eigentlich immer geheimdienstlich beobachtet werden, nicht nur im Irak. Aus Sicht dieser Länder kann ich das auch nachvollziehen. Wir halten uns dort relativ lange „unkontrolliert“ auf; unsere Grabungscamps sind oft viele Kilometer von jeder größeren Stadt entfernt. D.h., wir könnten theoretisch Gott weiß was aushecken. Die Überwachung ist daher für uns Archäologen etwas ganz Normales, die uns auch nicht in unserer Arbeit behindert. Ab und zu kommt jemand zu Besuch, immer wie nebenbei. Man ist uns dabei stets höflich und freundlich begegnet. Die unausgesprochene Vereinbarung lautete: Wenn ihr euch an die Regeln haltet, seit ihr hier willkommen und könnt eure Arbeit machen.

Daran haben wir uns gehalten und hatten daher auch keine Probleme.

Konntet Ihr Kontakt zur Normalbevölkerung aufnehmen, oder wurde das durch Überwachungsorgane verhindert?

Zu unserem Grabungsteam gehörten an die 70 irakische Arbeiter aus dem Nachbardorf, die für uns die einfacheren Tätigkeiten erledigten. Da ergibt sich ein Kontakt ja zwangsläufig.

Wir bekamen sogar selbstgebackene Geburtstagskuchen von ihnen und wurden immer wieder zum Tee und Abendessen eingeladen. Sie hatten Spaß daran, von uns ein paar Brocken Deutsch zu lernen und brachten uns geduldig ein wenig Arabisch bei. Über Politik haben wir mit ihnen allerdings nicht geredet, nur über ganz alltägliche Dinge: Familie, Kinder, Rezepte usw.

Wie hat die irakische Bevölkerung am 11. September auf die Terroranschläge in New York und Washington reagiert?

Soweit ich es mitbekommen habe, betroffen. Besonders amerikafreundlich ist man im Irak natürlich nicht, was auch verständlich ist. Aber ich hatte den Eindruck, die Menschen in meinem Umfeld konnten schon unterscheiden zwischen der amerikanischen Außenpolitik und unschuldigen Menschen in New York und Washington.

Unsere irakischen Kollegen waren sehr erschüttert über die Attentate. Von ihnen erfuhren wir auch, was geschehen war. Sie hatten davon in den irakischen Nachrichten erfahren und erzählten es uns beim gemeinsamen Abendessen. Sie waren völlig fassungslos, weil sie auch schon die schrecklichen Bilder gesehen hatten. Für uns war es erst einmal total unwirklich, diese Information zu bekommen, ohne sie überprüfen zu können. Im ersten Moment konnte ich das auch gar nicht glauben, hielt es für eine „Ente“.

Einige Tage nach dem 11. September, als wir in der nächstgelegenen größeren Stadt waren, konnten wir draußen über Lautsprecher den Vorbeter einer Moschee hören, und aus dem wenigen, das ich verstehen konnte, kristallisierte sich immer wieder der Satz: „Der Islam ist eine friedliche Religion“ heraus.

Man merkte, es war der irakischen Bevölkerung nach dem 11. September ein großes Bedürfnis, dies auch intern immer wieder zu thematisieren.

Wie haben die staatlichen irakischen Medien über die Terroranschläge berichtet?

Das weiß ich nur aus zweiter Hand und auch nur spärlich, da mein Arabisch äußerst bescheiden ist. Ich habe mich natürlich danach erkundigt, denn es war für uns ja wichtig zu wissen, wie die offizielle irakische Reaktion ist. Davon hing z.B. auch ab, ob wir das Land besser verlassen oder nicht. Wenn Saddam Hussein den Anschlag z.B. bejubelt hätte, wäre es sicher klüger gewesen zu gehen, weil schon damals klar war, daß die USA nur auf einen Anlass warten, im Irak zuzuschlagen. Die irakische Reaktion war aber sehr gemäßigt, auf die übliche Propaganda wurde ganz verzichtet. Stattdessen bezeichnete man die Geschehnisse deutlich als „Terroranschläge“, und dieses Wort hat ja bereits eine negative Konnotation. Ich war sehr verblüfft zu hören, daß in westlichen Medien berichtet wurde, die erste offizielle irakische Reaktion sei sehr erfreut gewesen. Nach allen Informationen, die ich habe, kann ich das so jedenfalls nicht bestätigen. – Und mal ganz ehrlich, das wäre ja auch äußerst unklug gewesen.

Was änderte sich nach diesem Tag für Euch?

Rein äußerlich nichts. Um uns herum ging das Leben ganz normal und friedlich weiter. Niemand ging protestierend oder jubelnd auf die Straße, und wir wurden genau so freundlich behandelt wie zuvor. Hätten wir nicht gewußt, was passiert ist, hätten wir es an den Reaktionen unserer unmittelbaren Umwelt jedenfalls nicht ablesen können. Klar, sie waren auch besorgt und bedrückt, aber so wirkten sie auf mich eigentlich meistens, es geht ihnen ja auch nicht besonders gut durch das Embargo.

Wenn man sich zu einer solchen Zeit in einem so berüchtigten Staat wie dem Irak aufhält, wird einem ganz schnell klar, wie sehr unser Bild von diesem Land von westlicher Propaganda dominiert wird. Unsere Angehörigen in Deutschland waren hysterisch vor Angst um uns. Anfangs war ich verblüfft und irritiert, glaubte, sie wissen vielleicht wirklich mehr als wir. Aber mit der Zeit wurde mir klar, daß sie eine völlig falsche Vorstellung von unserer Situation und diesem Land hatten. Ich habe mich dort jedenfalls nicht in Gefahr befühlt. Für mich war George W. Bush der große Unsicherheitsfaktor – nicht Saddam Hussein.

Dabei möchte ich noch einmal betonen, daß ich auch nicht mutiger bin als andere Menschen und kein Interesse daran habe, daß mir Bomben um die Ohren fliegen oder ich gekidnappt werde. Wir haben uns natürlich immer auf dem Laufenden gehalten, regelmäßig mit der Deutschen Botschaft in Bagdad telefoniert und „Deutsche Welle“ gehört. Aber mit diesen Informationen war eigentlich klar, daß wir nicht in Gefahr waren. Es stand übrigens jedem frei, das Land zu verlassen, aber nach Abwägen aller Argumente sind wir geblieben.

Sind die Folgen der Golfkriege und der bis heute geführten Angriffe durch britische und US-amerikanische Bomber überall im Irak sichtbar?

Wenn man sich nur in Bagdad aufhält, kann man den Eindruck gewinnen, es habe nie einen Krieg gegeben. Die Stadt wirkt modern, ohne Zerstörungen, und man kann dort so gut wie alles kaufen. Aber das war’s dann auch schon. Im Umland kann man die Schäden noch immer deutlich wahrnehmen. Nicht unbedingt in Bombenkratern, aber an der Armut und gedrückten Stimmung der Menschen. Da bemerkt man das Embargo eigentlich konstant.

Die meisten dort müssen sich z.B. sehr unausgewogen ernähren. Das haben wir am eigenen Leibe erfahren, denn wir aßen natürlich auch nichts anderes. Reis mit roter Sauce war das Standardgericht. Nach einer Weile bekamen wir Muskelkrämpfe, nahmen ab und waren so natürlich auch anfälliger für Krankheiten. Man merkte bereits nach kurzer Zeit: Der Körper ist total ausgemergelt, der will jetzt unbedingt mal wieder Vitamine und Mineralien haben.

Hätten wir die Medikamente nicht selbst aus Deutschland mitgebracht, wären wir aufgeschmissen gewesen. Eine unserer Mitarbeiterinnen, die schwer erkrankt zu einem irakischen Arzt gebracht wurde, bekam von ihm „Immodium akut“ ausgehändigt. Das einzige Mittel, das er hatte, und es war ihm sicher auch klar, daß es nicht helfen würde. Aber er hatte keine Antibiotika da. Zum Glück hatten wir welche im Gepäck und haben sie ihr dann gegeben.

Insgesamt sind die Menschen dort wirklich arm dran. Im Vergleich zu anderen orientalischen Ländern ist der Lebensstandard noch einmal deutlich niedriger. Man merkt den Menschen das jahrelange Embargo auch psychisch an. Die Stimmung ist gedrückt, die Menschen sind regelrecht apathisch. Mir haben sie sehr leid getan.

Hast Du Luftangriffe miterlebt?

Nein, wir befanden uns ja nicht in der Flugverbotszone. Es wurden während unseres Aufenthaltes allerdings Angriffe der US-Amerikaner in der Gegend um Basra geflogen. Wir haben das aus den Nachrichten erfahren.

Siehst Du Chancen für einen friedlichen Wandel im Irak?

Natürlich. Eine Chance gibt es immer. Für mich stellt sich aber nicht so sehr die Frage, wie groß diese Chance ist, sondern, ob wir uns da einmischen sollten. Ich kann nicht beurteilen, ob Saddam Hussein chemische Waffen produziert oder nicht. Aber Tatsache ist, daß dieses Argument von den US-Amerikanern schamlos mißbraucht wird, denen es doch um ganz andere Interessen geht. Sie bemühen sich ja nicht einmal, das zu verbergen. Jeder, der sich nur ein bißchen informiert, kann erkennen, daß die angeblichen Verbindungen zwischen Saddam Hussein und Bin Laden an den Haaren herbeigezogen sind. Aber damit erzähle ich Dir sicher nichts Neues. Mir ist noch nie so sehr wie in diesem Fall aufgefallen, wie sehr wir für dumm verkauft werden sollen, wie hier ganz plump mit Ängsten gespielt wird.

Gibt es Aussichten, durch öffentlichen Druck von unten einen Krieg der USA und Großbritanniens gegen den Irak zu verhindern?

Tja, wer weiß … Immerhin hat der öffentliche Druck dazu geführt, daß die USA vorerst ein paar Schritte zurückgegangen sind. Auf lange Sicht befürchte ich leider, daß sich die USA ihr Verhalten nicht vorschreiben lassen werden, das haben sie in der Vergangenheit oft genug gezeigt. Sie haben noch „einen Koffer in Bagdad“, um es mal sarkastisch zu formulieren … Das bedeutet natürlich nicht, daß wir den Druck deshalb unterlassen sollten. Im Gegenteil, um so wichtiger ist es hier, Farbe zu bekennen. So apathisch wie die Menschen im Irak, die offenbar schon alle Hoffnungen verloren haben, sollten wir nie werden.

Herzlichen Dank für das Gespräch.