beilage: das zerbrochene gewehr

Unbekanntes Menschenrecht

Kriegsdienstverweigerung im Kaukasus und in Zentralasien

In keinem Land im Kaukasus oder in Zentralasien ist es bisher möglich, sich frei zwischen Militär- und Zivildienst zu entscheiden.

Meistens besteht noch nicht einmal die Option eines alternativen Dienstes. Die wenigen Staaten, in denen ein entsprechendes Gesetz verabschiedet wurde, haben es keineswegs nach internationalen Standards umgesetzt. So gibt es in Georgien faktisch gar keinen Ersatzdienst, in Kirgisistan und Usbekistan sind hohe Bestechungsgelder nötig, um ihn ableisten zu können.

Abgesehen davon ähneln diese Dienste auf Grund der unverhältnismäßigen Länge eher Strafmaßnahmen und sind zudem nicht völlig zivil, insbesondere in Usbekistan, wo ein kurzes militärisches Training absolviert werden muss.

Die kaukasischen Staaten müssen als Mitglieder des Europarates den Kriegsdienstverweigerungsnormen der Empfehlung 1518 aus dem Jahr 2001 nachkommen. Darin wird zum Recht eines jeden Armeeangehörigen erklärt, sich zu jedem beliebigen Zeitpunkt als Kriegsdienstverweigerer registrieren zu lassen, sowie über Bedingungen und Vorgehen bei der Erlangung dieses Status‘ aufgeklärt zu werden. Zudem verlangt sie eine vollständig zivile Alternative ohne strafenden Charakter. Obwohl die Mitgliedsstaaten diese Rechte garantieren sollten, weist das georgische Gesetz zahlreiche Mängel auf, während Armenien und Aserbaidschan bisher noch gar kein Gesetz verabschiedet haben (wobei es in letzterem unmittelbar bevorsteht).

Kaukasus

Armenien

In Armenien gibt es bisher noch kein gesetzlich verankertes Recht auf Kriegsdienstverweigerung, doch auf Grund der Mitgliedschaft im Europarat muss ein entsprechendes Gesetz bis spätestens 2003 verabschiedet werden.

In den letzten Monaten wurden zwei unterschiedliche Gesetzesentwürfe ergebnislos diskutiert und die erneuten Verzögerungen von offizieller Seite mit dem anhaltenden Karabach- Konflikt erklärt. Beide Varianten des anvisierten Ersatzdienstes haben eindeutig strafenden Charakter, sowohl in der Länge von 42 Monaten (d.h. 18 Monate länger als der Militärdienst) als auch in beruflichen Einschränkungen: Ersatzdienstleistenden sind danach Posten in der Regierung, in der Strafverfolgung oder der Justiz verwehrt.

Darüber hinaus sind nur Mitglieder bestimmter registrierter Religionsgemeinschaften zugelassen, und der Dienst soll innerhalb der Armee stattfinden, womit es sich eher um eine Art Militärdienst ohne Waffen handelt.

Die Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern hat in den vergangenen Jahren weiter zugenommen. Meist stehen ihnen mehrjährige Haftstrafen bevor. Obwohl die armenische Regierung einer Forderung des Europarates zumindest teilweise nachgekommen ist, indem sie im Juni 2001 37 Zeugen Jehowahs begnadigt und freigelassen hat, folgten wenig später neue Verhaftungen. Das Justizministerium spricht für das Jahr 2001 von 75 wegen „Vermeidung des Militärdienstes“ Verurteilten, darunter 32 Zeugen Jehowahs.

Derzeit befinden sich mindestens 25 Zeugen Jehowahs in armenischen Gefängnissen und Arbeitslagern.

Aserbaidschan

Zwar erkennt die aserbaidschanische Verfassung aus dem Jahr 1995 das Recht auf Ableistung eines alternativen Militärdienstes aus Glaubensgründen an, doch wurden frühere Dekrete, die die näheren Umstände eines solchen Dienstes regeln sollten, nie umgesetzt.

Als Mitglied des Europarates muss Aserbaidschan das Recht auf Kriegsdienstverweigerung sicherstellen. Tatsächlich ist eine Verfassungsänderung, die die bisherige Formulierung „alternativer Militärdienst“ durch „alternativer Dienst“ ersetzt, seit einem Referendum im August in Kraft. Ein neues Gesetz zu diesem Ersatzdienst wird voraussichtlich bis Ende des Jahres vom Parlament verabschiedet werden. Allerdings sind bisher noch keine Details über den anvisierten Dienst bekannt. Eine Umsetzung des Gesetzes im Verlauf des kommenden Jahres ist keineswegs sicher.

Im Moment befinden sich keine Kriegsdienstverweigerer in Haft. Die Ermittlungen gegen zwei Zeugen Jehowahs wurden auf Grund der Veränderung der juristischen Grundlage eingestellt.

Gleichzeitig sind etwa 2600 Deserteure und Wehrflüchtige im Gefängnis, über deren Motive jedoch nichts bekannt ist.

Georgien

Trotz der Verabschiedung einer ganzen Reihe von Ersatzdienstgesetzen seit 1991 wurde bisher keines umgesetzt. Das derzeit gültige „Gesetz zu zivilem Ersatzdienst“ von 1997 hat zudem eher strafenden Charakter, da der 36monatige Arbeitsdienst um 12 Monate länger als der Militärdienst ist und es ist nicht klar, ob er wirklich völlig zivil wäre. Auf alle Fälle genügt das Gesetz keineswegs den Ansprüchen des Europarates.

Außerdem wurden in der Praxis noch keine unparteiischen Entscheidungsstrukturen aufgebaut, obwohl mehr als 300 Menschen eine Zulassung zum Zivildienst beantragt haben: bisher ist eine Freistellung vom Militärdienst nur durch Bestechung möglich.

In den letzten Jahren haben die georgischen Behörden keine Zeugen Jehowahs einberufen, um Fälle offener Kriegsdienstverweigerung zu vermeiden. Da ein Großteil der jungen Männer nicht zur Armee will – meistens wegen der schlechten Lebensbedingungen beim Militär -, ist die Zahl der Zeugen Jehowahs in Georgien rapide angestiegen.

Nach Angaben des Verteidigungsministeriums sind derzeit 167 Wehrflüchtige und Deserteure im Gefängnis, wobei nicht bekannt ist, ob sie den Militärdienst aus Gewissensgründen ablehnen.

Abchasien

Die nicht anerkannte Republik Abchasien, die international weiterhin als abtrünnige georgische Provinz betrachtet wird, erkennt in der Verfassung von 1994 das Recht auf eine Alternative zum Militärdienst nicht an. Diskussionen im vergangenen Jahr um einen möglichen Zivildienst haben keine weiteren Entwicklungen nach sich gezogen.

Zwischen 1995 und 2000 waren mindestens 30 Zeugen Jehowahs wegen Kriegsdienstverweigerung inhaftiert, von denen einer noch im Dezember 2001 im Gefängnis war.

Zentralasien

Kasachstan

Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ist nicht gesetzlich verankert und so gibt es keinerlei Regelungen für einen Ersatzdienst. Frühere Diskussionen um ein Gesetz zu einem alternativen Militärdienst, zielten auch nicht auf eine zivile Option, sondern vielmehr auf eine Flexibilisierung des Militärdienstes ab, bei dem ein kurzes militärisches Training mit verschiedenen Arten von Arbeit kombiniert werden sollte.

Über viele Jahre hinweg stellte die Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern, insbesondere von Zeugen Jehowahs, ein dauerhaftes Problem dar. Da das Wehrpflichtgesetz jedoch eine Freistellung für „Inhaber religiöser Ämter“ vorsieht, kam es 1997 zu einer Einigung der Religionsgemeinschaft mit der Regierung, der zu Folge die kasachischen Anhänger der Zeugen Jehowahs alle zu Geistlichen erklären werden. Seitdem sind keine Berichte über inhaftierte Kriegsdienstverweigerer mehr bekannt geworden.

Kirgisistan

In Kirgisistan hat der Zivildienst eine vergleichsweise lange Tradition, die mit einem ersten Gesetz im Jahr 1992 einsetzt. Das „Gesetz zum Zivildienst“ von 2001 reduziert die Länge des Ersatzdienstes von 36 auf 24 Monate, während der Militärdienst im Februar 2002 von 24 auf 12 Monate verkürzt wurde.

Das derzeit gültige Gesetz sieht die Ableistung des Zivildienstes in einer nichtmilitärischen Staatseinrichtung vor, wobei 20 Prozent des Gehalts dem Verteidigungsministerium zugeführt werden. Der Zivildienst ist inzwischen so weit verbreitet, dass im Frühjahr 2001 70 Prozent keinen Militärdienst ableisten wollten und fast die Hälfte der 3500 Dienstpflichtigen zum Zivildienst einberufen wurde. Zusätzlich hat die Zahl der Desertionen in den vergangenen Monaten kontinuierlich zugenommen und sich zu einem enormen Problem für die nur 12 000 Mann starke kirgisische Armee entwickelt. Im November 2001 wurde ein Fall von Schikane gegenüber einem Kriegsdienstverweigerer bekannt, als der Baptist Dmitri Shukhov nach seiner Weigerung, den militärischen Eid abzulegen, in die Psychiatrie überwiesen wurde. Zuvor hatten die Behörden seine Untauglichkeit für den Zivildienst mit der Weigerung seiner Kirche, sich registrieren zu lassen, begründet.

Tadschikistan

Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ist in der tadschikischen Gesetzgebung nicht vorgesehen, weshalb keine juristische Grundlage für einen Ersatzdienst existiert und auch in den nächsten Jahren nicht geschaffen werden wird.

Es gibt keine Informationen über Tadschiken, die den Militärdienst aus religiösen oder ethischen Gründen verweigern, doch Desertion und Vermeidung der Wehrpflicht sind weit verbreitet. So entzieht sich eine wachsende Anzahl junger Männer der Einberufung, indem sie auf Arbeitssuche ins Ausland gehen.

Der Umfang der Desertionen hat es 2001 notwendig gemacht, diejenigen Deserteure in eine Amnestie aufzunehmen, die bereit waren, im Anschluss den Rest ihres Militärdienstes abzuleisten.

Turkmenistan

In der turkmenischen Gesetzgebung ist das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht verankert, weshalb die Einführung eines Zivildienstes in den nächsten Jahren unwahrscheinlich ist. Kriegsdienstverweigerer, meist Anhänger der Zeugen Jehowahs und ähnlicher Religionsgemeinschaften, werden nach dem Strafrecht zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, die sie häufig unter härtesten Bedingungen in Arbeitslagern verbringen. In zahlreichen Fällen wurde den Häftlingen später die Freilassung verweigert, weil sie sich aus Gewissensgründen weigerten, dem Präsidenten die Treue zu schwören.

Derzeit sind mindestens zwei Zeugen Jehowahs wegen Kriegsdienstverweigerung im Gefängnis.

Usbekistan

Das Alternativdienstgesetz von 1992 sieht einen 24monatigen Ersatzdienst aus familiären und religiösen Gründen sowie wegen eines schlechten Gesundheitszustands vor. Derzeit ist es allerdings nicht möglich, ihn ohne Bestechung abzuleisten. Je nach Höhe der Zahlung kann auch eine vollständige Dienstbefreiung erreicht werden.

Der Ersatzdienst ist sehr beliebt, weshalb die Anzahl der zum Alternativdienst Einberufenen mehr als dreimal so groß ist, wie die der Armeerekruten. Der so genannte Alternativdienst ist nicht rein zivil, sondern beinhaltet eine zweimonatige militärische Grundausbildung; die restliche Zeit wird im Normalfall mit unqualifizierter, schlecht bezahlter Arbeit verbracht, wobei etwa 20 Prozent des Gehalts an das Verteidigungsministerium überführt werden.

Zwar wird zur Zeit über eine mögliche Änderung der Ersatzdienstgesetzgebung diskutiert, doch ein Entwurf liegt noch nicht vor.

In der Praxis werden Kriegsdienstverweigerer, die keine Bestechungsgelder zahlen, noch immer bestraft: jedes Jahr werden mehrere Zeugen Jehowahs zu Bewährungs- oder hohen Geldstrafen verurteilt.