Bowling for Columbine. Dokumentarfilm von und mit Michael Moore. USA 2002, 2 h.
Yippie! Der Typ ist einfach sagenhaft! Ich wüsste nicht, wann ich im Kino schon mal einen von der filmischen Analyse her so radikal antimilitaristischen Film gesehen hätte wie „Bowling for Columbine“. Grandios! Und so lange so ein Film von den US-Mediencompanys zwar nicht finanziert, von den Leuten in den USA aber angeguckt wird (die Rekordsumme für Dokumentarfilme von 4,5 Mio. Dollar wurde in vier Wochen mit einem Minimum an Kopien in den USA eingespielt!), kann noch nicht alles verloren sein in „Gods own Country“ und der Wille zum Frieden und zur gesellschaftlichen Selbstkritik breiter existent als vermutet.
Und der Typ ist witzig! Hier wird Satire am richtigen Ort eingesetzt, sie wird zur radikalen Bloßstellung der Herrschenden, der Waffennarren und der Rüstungsindustrie benutzt – und nicht dafür, die Entrechteten, die Verarmten, die Unterprivilegierten, die Opfer auch noch zu beschämen. „Bowling for Columbine“ ist eine rasante, witzige Analyse, die mit Comics durchmischt ist und mit frechen, direkten gewaltfreien Aktionen, die Moore gleich selbst an Ort und Stelle organisiert und durchführt.
Äußerer Anlass des Films ist die Katastrophe in der „Columbine“-Highschool in Littleton/Colorado, einem Vorstadtnest von Denver. Hier haben 1999 die beiden Schüler Dylan Klebold und Eric Harris in einem Amoklauf mit Waffen zwölf SchülerInnen, einen Lehrer und sich selbst erschossen.
Michael Moore gibt die üblichen Erklärungsansätze, die die herrschenden Medien anboten, der Lächerlichkeit preis: von der These, die Kinder seien selbst schuld und wahre Monster bis hin zum Schockrocker Marilyn Manson als bedeutendste Ursache. Moore geht selbst zu Manson und macht mit ihm ein Interview, in dem sich beide als sehr sensibel zeigen und sich fragen, warum den SchülerInnen selbst eigentlich niemand zuhört. Moore zeigt, dass die Täter am Morgen ihrer Tat Bowling gespielt haben (daher der Filmtitel „Bowling for Columbine“) und fragt mit der gleichen Plausibilität, warum eigentlich nicht das Bowlingspiel als Ursache benannt wird anstatt der Musik von Manson: immerhin war Bowling das letzte, was die Täter vor ihrer Tat im zivilen Leben machten. Kurz darauf erklärt der Film, wie die SchülerInnen in den ganzen USA direkt nach dieser Tat überwacht wurden, und wie stark der Druck auf die Jugendlichen von den LehrerInnen ausgeübt wird. Wer bereits in der Grundschule versage, habe im Leben keine Chance mehr – diese absurde Position wird den Jüngsten bereits in den ersten Klassenstufen eingehämmert. Wie sollen die Versager da nicht ausflippen?
Nun gibt ihnen die Gesellschaft aber ein Mittel, mit dem sie Amok laufen können: die Waffe. Sie ist, wie wir wissen, in den USA leicht erhältlich – und diese Tatsache ist es, auf die sich Moore in seinem Film konzentriert. Denn die eigentliche Ursache des Littleton-Massakers ist in Moores Film die Waffenindustrie und der zugehörige Waffenkult. Moore stellt dabei einen Lockheed-Manager bloß, der vor einer in deren Littleton-Filiale als größtem Arbeitgeber der Region produzierten Rakete auf hirnrissig-philantropische Art erzählt, seine Firma habe so und so viel Geld für Antigewaltprogramme in Schulen gespendet. Allein diese Filmszene ist so beeindruckend, klasse, komisch und doch bestürzend.
Moore macht den Lockheed-Pappkameraden vollends fertig, wenn er darstellt, dass just an jenem Tag des Littleton-Massakers die US-Luftwaffe den schlimmsten Bombenangriff auf Jugoslawien im Kosovo-Krieg geführt habe.
An vielen Beispielen der innenpolitischen und außenpolitischen Geschichte der USA, die wir im Zeitraffer rasant aufgezählt bekommen, macht Moore klar, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dem außenpolitischen Militarismus der USA und dem Waffenkult im Innern. Interessant auch die Zahlen: rund 11000 durch Waffen Getötete gibt es jährlich in den USA, in der BRD beachtliche 381 (immerhin schon der 2. Platz in den westlichen Ländern), in Frankreich 255, in Kanada 167, in Britannien nur 69 und in Japan um die 30.
Zwei Ideologien sind es, die Moore als innenpolitische Ursache für den besonderen Status der USA anführt. Erstens die Ideologie der bewaffneten Selbstverteidigung. Es macht die analytische Stärke dieses Films aus, dass hier etwas in den Mittelpunkt gerückt wird, was selbst linke und viele antirassistische bewaffnete KämpferInnen immer wieder als höchst revolutionär gegen AntimilitaristInnen und Gewaltfreie ins Feld führen, dass man/frau nämlich ein Recht auf Selbstverteidigung habe, wenn man/frau auf eigenem Grund und Boden, wenn die eigene Familie angegriffen wird. Wir lernen mit Michael Moore, dass das nicht nur nicht revolutionär ist, sondern der Inbegriff des Konservatismus in den USA. Es sind die Weißen in ihren wohlhabenden Vorstadtvierteln, die alle ein Gewehr im Haus haben – und viel weniger an der Zahl als vermutet die Schwarzen in den Slums. In Michigan, wo Moore aufgewachsen ist, gibt es Selbstverteidigungsmilizen der Weißen, aus deren Reihen auch die Oklahoma-Attentäter kamen. Und sie sehen sich als normale Staatsbürger und erzählen im Film selbst die Staatsideologie, die im Hirn jedes Weißen dort fest eingebrannt ist: wenn du zuhause überfallen wirst, was machst du? Du rufst entweder nach der Polizei aus dem einzigen Grund, weil sie bewaffnet ist! Oder du wendest dein verfassungsmäßiges Recht auf Selbstverteidigung durch die eigene Waffe an, wenn der Staat nicht schnell genug bei dir ist! Und wie ich im eigenen Haus, so macht’s der US-Staat in der Welt! Das Recht auf bewaffnete Selbstverteidigung, so lernen wir bei Moore, ist nicht fortschrittlich oder gar revolutionär, es ist reaktionär und unverzichtbare Grundlage der US-amerikanischen Staatsraison. Think about it! Und es sollte uns als AnarchistInnen nachdenklich machen, wenn im Film irgend so ein reaktionärer Bombenbastler und Selbstverteidiger aus Michigan ausgerechnet dann ein anarchistisches Buch zitiert, wenn es ums Bomben- und Waffenbauen geht: das anarchistische Kochbuch (Anarchist Cookbook)! Und es sollte uns als ÖkologInnen nachdenklich machen, wenn ein Freund der Oklahoma-Attentäter, ein rechter Reaktionär und Waffennarr, zugleich Ökobauer ist.
Aber Moore macht auch ihn so gnadenlos lächerlich: den bei diesen Reaktionären manchmal anzutreffenden Duktus, gegen die US-Bundesregierung eingestellt zu sein und sie mit der Waffe in der Hand zu bekämpfen, wenn sie sie in ihren Rechten einschränke, kontert Moore grandios mit der Frage, warum er es denn nicht wie Gandhi mache, der das britische Weltreich erfolgreich waffenlos bekämpft habe? Darüber wisse er nichts, meint der andere und steht als der Dumme da. Eine wunderbare Szene!
Und die zweite Ideologie, die Moore radikal bloßstellt, ist die der Angstproduktion. Denn natürlich ist dieser Kult, das eigene Heim, die eigene Familie ständig verteidigen zu müssen, absurd: sie sind ja gar nicht bedroht, der Einbrecher, der Mörder – er kommt ja gar nicht zu ihnen! Die Angst vor ihm wird aber in den US-Medien ständig produziert. Moore zeigt auf, dass in Zeiten, als statistisch die Kriminalität in den USA zurück ging, die Berichte über Kriminalität in den Medien sprunghaft anstiegen! Und es wird eine besondere Form der Angst produziert: die Angst vor dem schwarzen, männlichen Täter. In den US-Medien werden immer wieder Einzelbeispiele von Raubüberfällen gezeigt, in denen ein männlicher Schwarzer als Verdächtiger ausgegeben wird. Dieser Rassismus ist so gewöhnlich, dass er schon oft von weißen Tätern bedient wurde, die eine falsche Fährte legen wollten.
Und wie der schwarze Mann als innenpolitisches Angstbild fungiert, so fungieren andere Feindbilder als außenpolitische Angstbilder, um die Kriege der USA fortsetzen und die Gewinne der Rüstungsindustrie steigern zu können. Moore führt diese Angstideologie im Film so genial ad absurdum, wenn er zusammen mit einem weißen Freund ins Zentrum der damaligen Riots nach South Central Los Angeles geht. Zu zweit gehen zwei Weiße in den Straßen der schwarzen Riots umher – dort, wohin sich kein Weißer in den USA hintrauen würde und wovon jeder Reiseführer abrät, und was passiert? Nichts! Dass sie von dort vor lauter Luftverschmutzung das Hollywood-Zeichen auf dem Berg nicht mehr sehen, schätzen sie als viel gefährlicher für ihre Gesundheit ein als die physische Bedrohung durch Schwarze. Grandios ist auch Moores Kanada-Vergleich im Film: warum gibt es in Kanada so viel weniger Waffenopfer als in den USA, wo doch der Waffenbesitz in Kanada ähnlich weit verbreitet ist? Antwort Moore: weil sie in Kanada weniger Angst haben! Es wird nicht Angst produziert – und Moore bekommt gesagt, in den kanadischen Vororten sei niemals eine Wohnung abgeschlossen. Moore prüft das eigenhändig nach, eine der drolligsten Szenen im Film, und tatsächlich: alle Wohnungen sind offen! In Kanada haben die Menschen zunächst einmal Vertrauen zu ihren Mitmenschen, so banal das klingt, bis zum praktischen Beweis des Gegenteils – in den USA haben die Menschen zunächst Angst: jemand, der das Grundstück betritt, wird mit dem Gewehr in der Hand und dem verfassungsmäßigem Recht im Hirn empfangen, dass auf den Besucher geschossen werden darf!
Moore führt noch weitere Gründe an, etwa die soziale Verelendung vieler Städte in den USA wie etwa von Flint, seiner Heimatstadt; oder Zwangsprogramme für SozialhilfeempfängerInnen wie allein erziehende Mütter, die so früh zu ihrer Zwangsarbeit aufbrechen müssen, dass sie ihre Kinder den ganzen Tag allein lassen müssen.
Ein besonderes Verhältnis hat Moore zur Filmgröße Charlton Heston, dem Vizepräsidenten der National Rifles Association (NRA) und einem Waffenpropagandisten schlimmster Sorte. Er kam nur wenige Tage nach dem Littleton-Massaker in die Stadt zu einem Kongress der Gewehrindustrie, die nach dem Massaker kurzfristig schwer in der Kritik stand. Solche Arschlöcher werden dann aufgefahren, um die Stimmung wieder ins Lot zu bringen. Moore macht mit Heston kurzen Prozess: die NRA wird als Nachfolgeorganisation des Ku Klux Klan präsentiert und Heston in einem Interview am Ende des Films lächerlich gemacht. Yippie! Weiter so, Michael!