Es war so finster und auch so bitterkalt
Wir kamen an die Gleise, mit Rohren, wunderbar...
Der Einsatzleiter der Polizei schrie in sein Funkgerät: „Der Zug muss sofort anhalten!“
Währenddessen zischte einer seiner Kollegen die an die Gleise geketteten Anti-Atom-Aktivisten an: „Wir sollten euch hier liegen lassen und den Zug nicht stoppen. Mal sehen, was dann passiert.“
Dieser Macho in Uniform war nicht erfreut, dass er nachts bei klirrender Kälte seinen Dienst tun musste. Kein angenehmer Zeitgenosse.
Ich bin mir nicht sicher, ob der Umgang mit den beiden an den Gleisen angeketteten Atomkraftgegnern glimpflich verlaufen wäre, wenn diesem grünen Staatsdiener nicht aufgefallen wäre, dass ich in meiner Eigenschaft als Journalist (mit Presseausweis) anwesend war, um als „neutraler“ Beobachter möglichen Polizeiübergriffen gegen die Aktivisten vorzubeugen.
Was war geschehen?
In den frühen Morgenstunden des 11. Dezember 2002 passierte ein CASTOR-Transport mit hochradioaktiven Atommüll aus den Atomkraftwerken Stade und Krümmel auf dem Weg in die Wiederaufbereitungsanlagen (WAA) La Hague und Sellafield das Münsteraner Stadtgebiet. Nachts, gegen 3.00 Uhr ketteten sich zwei Aktivisten im Stadtteil Gremmendorf an die Gleise der Güterumgehung, die durch die Stadtteile Gremmendorf, Mauritz und Hiltrup führt. Die beiden Atomkraftgegner hatten ihre Arme mit Vorhängeschlössern in Stahlrohren unterhalb der Schiene angekettet, so dass es für die Beamten des Bundesgrenzschutzes vor Ort nicht möglich war, sie von der Schiene zu lösen.
Die unmittelbar nach Beginn der Ankettaktion informierte Polizei veranlasste sofort den Stopp des CASTOR-Transports bei Sudmühle. Der Atommüllzug musste durch den Hauptbahnhof umgeleitet werden, da nicht absehbar war, wann die Strecke wieder passierbar sein würde.
Von allen Seiten kamen mit Blaulicht die Fahrzeuge der Polizei, später des Bundesgrenzschutzes, des Technischen Hilfswerkes (THW) und der Feuerwehr. Die Trainstopping-Aktivisten konnten nun auch wohlwollende Kommentare hören. Einige THW- und Feuerwehrleute lobten die gute handwerkliche Arbeit. Schokolade und die Gewissheit, den Transport gestoppt zu haben, sorgten dafür, dass es den Aktivisten im Gleisbett trotz Temperaturen von 9 Grad unter dem Gefrierpunkt warm ums Herz wurde. Die beiden lagen auf Isomatten. Sie hatten sich gut mit mehreren Pullovern, dicken Socken, Isojacken und Hosen eingemummelt und u.a. mit Stepp- und Aludecken zugedeckt. Zu keiner Zeit bestand für sie oder den Zugverkehr eine ernsthafte Gefahr. Die Polizei und der Bundesgrenzschutz wurden rechtzeitig unterrichtet um gegebenenfalls Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen.
Zwei weitere auf den Gleisen angetroffene Aktivistinnen wurden verhaftet und erkennungsdienstlich behandelt. Auch für mich spitzte sich gegen 4.30 Uhr die Lage zu. Die Polizeipressesprecherin und eine Vertreterin der bürgerlichen Presse waren mittlerweile eingetroffen. Die Journalistin mokierte sich, weil der BGS ihr untersagt hatte Fotos zu machen, während der Redakteur der Graswurzelrevolution doch bereits Fotos gemacht habe.
Als ihr dann ein Beamter mitteilte, dass „der ja schließlich auch Mittäter und Beschuldigter“ sei, sah ich die Zeit gekommen, diesen frostigen Ort zu verlassen um so eine Beschlagnahme der Fotos oder gar eine Belichtung der Bilder vor Ort zu verhindern. Kurz darauf verloren nach langwieriger Kleinarbeit von Polizei, Feuerwehr und THW die beiden Aktivisten ihre Ketten und wurden aus dem Gleisbett entfernt. Die Einsatzkräfte hatten etwa 1 1/2 Stunden gebraucht, um die beiden Rohre zu öffnen.
Jens und Wolfgang droht nun eine Anklage wegen „Versuchten Eingriffes in den Schienenverkehr“.
Die ganze Nacht über gab es vielfältige Protestaktionen
Schon vor dieser gut vorbereiteten und durchdachten Ankettaktion hatte es in der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember direkte gewaltfreie Aktionen gegen die Atomtransporte gegeben.
Am 11. Dezember passierten zwei Atommülltransporte Münster. Der erste Transport aus dem Atomkraftwerk Unterweser wurde um 0.10 Uhr von ca. 20 AtomkraftgegnerInnen im Hauptbahnhof Münster mit einer lautstarken Spontandemo auf dem Bahnsteig empfangen.
Der zweite Transport mit abgebrannten Brennelementen aus den Atomkraftwerken Krümmel und Stade passierte den Hauptbahnhof gegen 3.15 Uhr, weil auf dem ursprünglich vorgesehenen Güterumgehungsgleis im Osten Münsters an mehreren Stellen Anti-CASTOR-AktivistInnen protestierten.
CASTOR aus Angst vor Protesten vorverlegt
In einer Presseerklärung des Münsteraner Bündnis „Stoppt Atomtransporte!!“ heißt es am 11. Dezember 2002:
„Das Münsteraner Bündnis ‚Stoppt Atomtransporte!!‘ solidarisiert sich mit den Aktionen gegen die Atomtransporte durch das Münsterland. Sie zeigen, dass kein Atommülltransport heimlich durch Münster fahren kann. Im Gegenteil: Die heutigen CASTOR-Transporte wurden um rund 7-10 Stunden vorverlegt, um den Protesten aus dem Weg zu gehen. Diese Rechnung ist nicht aufgegangen.“
Auch in Hamm gab es Proteste
Weil der Atommülltransporter Münster so früh passiert hat, musste er im westfälischen Hamm bis zu fünf Stunden im Güterbahnhof warten. Dort wurden alle acht CASTOR-Behälter für die Weiterfahrt nach Frankreich zusammengekoppelt. Erst um 5.45 Uhr rollte der Strahlenzug über die Bahnstrecke Richtung Recklinghausen weiter. Dabei kam es zu einer weiteren spontanen Protestaktion an einem Bahnübergang. Am Nachmittag erreichte der Atommüllzug Frankreich und rollte in die Plutoniumfabriken La Hague und Sellafield weiter. Das Münsteraner Bündnis „Stoppt Atomtransporte!!“ kündigte an, auch in Zukunft gegen den Atommülltourismus zu protestieren: „Die Atomtransporte sind überflüssig und hochgefährlich. Deshalb müssen sie umgehend und ersatzlos eingestellt werden.“
Das Echo
Ohne die Aktionen hätten die Medien vermutlich die Transporte der hochradioaktiven Brennstäbe gar nicht erwähnt. So aber berichtete am 12. Dezember der WDR im Radio und im Fernsehen. Die bürgerliche Münstersche Zeitung widmete sich auf Seite 1 der Trainstopping-Aktion. Auch die CDU-nahen Westfälischen Nachrichten informierten relativ korrekt. Den hirnrissigsten und kürzesten Artikel lieferte am 12. Dezember wider besseren Wissens die regierungsnahe taz ruhr nrw. Die Atomtransporte seien „ohne größere Zwischenfälle in Nordrhein-Westfalen eingefahren.“
Begeisterte Kommentare zur Aktion finden sich dagegen im Internet bei de.indymedia.org. Zum Beispiel folgende:
„Glückwunsch zum Trainstopping Von: ice – train 12.12.2002 13:53 bibber, zitter, frier … ihr seid die besten! und das t-shirt zur aktion gibt’s unter: URL: http://www.trainstopping.de„
„supi. weiter so. trainstopping immer und überall. wie gesehen, haben 2 menschen es wieder geschafft. also beim nächsten mal viele zweier ankettaktionen. mit genug menschen drum rum. oder mal die Schienenverkehrsknotenpunkte besetzen. gibt gar nicht viele.
abschalten. atomkraftwerke, regierung, kapitalismus“
„Bei den Bildern…und der zu ahnenden Kälte zieht sich mir alles ins Körperinnere.“
„Glückwunsch für die gelungene Aktion und einen heißen Tee mit Honig (soll bei Blasenentzündung gut sein!).“
Fazit
Obwohl zur Zeit nicht gerade von einem Bewegungshoch der Anti-Atom-Bewegung gesprochen werden kann, sind die monatlichen Atomtransporte in die sogenannte Wiederaufbereitung weiterhin Ziel von Protestaktionen. Dabei zeigt sich, dass es möglich ist auch mit relativ wenigen AktivistInnen eine große Wirkung zu erzielen. Es ist ein schönes Gefühl als „Sandkorn“ dazu beizutragen die Maschinerie wenigstens für einige Zeit zu blockieren. Was nicht oft genug gesagt werden kann: Die Strahlenmüll-Transporte dienen dem Weiterbetrieb der Atomkraftwerke und stellen keine Lösung für das Problem des hochradioaktiven Mülls dar, der jeden Tag in den Atomkraftwerken anfällt. Ein Endlager ist weltweit nicht vorhanden. Der sofortige Ausstieg aus dem Atomstaat muss von unten durchgesetzt werden.
Weitere Informationen
Münsteraner Bündnis "Stoppt Atomtransporte!!" und WigA (Widerstand gegen Atomanlagen)
c/o Umweltzentrum
Scharnhorststr. 57
48151 Münster
Tel.: 0251/521112
www.wigatom.de
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