"Nur noch das amerikanische Volk selbst kann diesen Krieg stoppen", zitierte die Frankfurter Rundschau (26.10.02) ein US-Friedensplakat in ihrem Magazin, das sich ganzseitig der US-Friedensbewegung widmete. Nachdem die erste Hälfte der Amtszeit George W. Bushs vorüber ist, beginnt der Wahlkampf für die US-Präsidentenwahl im nächsten Jahr. Vor diesem Hintergrund kommt der Stärke der US-Friedensbewegung enorme Bedeutung bei der Beendigung des bereits begonnenen Irak-Krieges und der Verhinderung seiner Ausweitung zu.
Die Fülle von Friedensdemonstrationen und Protesten in den USA lässt sich kaum mehr überblicken. Ich möchte mich deswegen auf einige Beispiele der letzten Monate beschränken.
1. Protestwelle im Oktober 2002
Allein in den ersten beiden Wochen des Oktober 2002 zählte das unabhängige Institut für politische Studien in Washington landesweit 400 verschiedene Anti-Kriegsveranstaltungen.
Noch vor der Entscheidung im US-Kongress, der Präsident Bush am 10.10.02 mit einer breiten Mehrheit freie Hand für einen Krieg gegen Irak gab, demonstrierten Mitglieder der US-Friedensbewegung in vielen Städten der USA.
Als George Bush z.B. am 7.10.02 in Cincinnati sprach, versammelten sich rund 1000 KriegsgegnerInnen vor dem Gebäude. Sie trugen Transparente mit der Aufschrift „Krieg ist das Versagen der Politik“ und blockierten nach der Bush-Veranstaltung den Verkehr in der Stadt.
Am Wochenende zuvor waren in New York etliche tausend Menschen dem Aufruf der Kampagne „Not in our name“ gefolgt.
Am 15.10.02 erschien eine ganzseitige Anzeige gegen den Irak-Krieg in mehreren großen US-Tageszeitungen. Sie war unterzeichnet von 200 UnternehmerInnen, darunter dem CNN-Gründer Ted Turner sowie dem Schauspieler und Unternehmer Paul Newman.
Die InitiatorInnen der Organisation „Truemajority.com“ – die wahre Mehrheit – konnten bereits bis Oktober 2002 mehr als 35.000 Mitglieder zählen, darunter 400 führende Geschäftsleute, die sich ebenfalls öffentlich gegen den Krieg aussprechen.
Einzelaktionen wie die des Hollywood-Schauspielers Sean Wood, der allein für eine Annonce in der Washington Post mit heftiger Kritik an der US-Regierung 56 000 US-Dollar bezahlt hatte, fanden ein lebhaftes Echo.
In US-Großstädten fanden Ende Oktober 2002 zahlreiche Kundgebungen unter dem Motto „Den Krieg verhindern, bevor er beginnt“, statt, die von einem breiten Bündnis mit dem Namen „Answer“ (Act now to Stop War and End Racism) vorbereitet und durchgeführt wurden.
In Washington sagte vor – von den Veranstaltern geschätzten – 200.000 DemonstrantInnen der frühere US-Justizminister Ramsey Clark, es sei „Zeit, das Regime zu wechseln – aber hier, in Amerika“ (zit. nach junge Welt, 28.10.02). Neben Clark gehörte der schwarze Bürgerrechtler Jesse Jackson zu den prominentesten RednerInnen, ebenso die Schauspielerin Susan Sarandon.
Transparente zeigten Slogans wie „Stoppt den Krieg, bevor er beginnt“, Lasst Bush fallen statt Bomben“ oder „Geld für Arbeit, nicht für Krieg“.
Nachdem einige US-Medien die TeilnehmerInnenzahlen der Demos eher untertrieben hatten, intervenierte die medienkritische Gruppe FAIR (Fairness and Accurancy in Reporting). Es gelang ihr, dass z.B. die New York Times die Stärke der US-Friedensbewegung „nach oben hin“ korrigierte: „Nach zahlreichen Leserbriefen, Anrufen und E-mails an die Redaktion musste die Zeitung am vergangenen Mittwoch ihre Berichterstattung korrigieren und eingestehen, dass die Proteste Ausdruck einer gestärkten Anti-Kriegsbewegung sind“, berichtete die junge Welt am 2/3.11.02.
2. Protestwelle im Januar 2003
Die Einschätzungen über die Großdemonstration in Washington am 18.1.2003 gingen weit auseinander: Die Polizei sprach in ihrer offiziellen Schätzung von 30.000 bis 50.000 TeilnehmerInnen, die junge Welt übernahm die Zahl etlicher Nachrichtenagenturen, die sich auf Veranstalterschätzungen stützte, von 500.000.
Die taz wollte sich nicht festlegen und begann ihren Beitrag mit der größtmöglichen Spannbreite: „Am Samstag haben in der US-Hauptstadt rund 30.000 bis 500.000 Menschen vor allem gegen einen drohenden Irak-Krieg und die Außenpolitik von Präsident George W. Bush demonstriert. Die Wahrheit dürfte irgendwo dazwischen gelegen haben. Der Streit über die Höhe der TeilnehmerInnenzahlen überschattete teilweise das eigentliche Anliegen der Antikriegsbewegung.
Während die junge Welt auf der Titelseite mit dem Aufmacher erschien: „Friedensbewegung in USA so stark wie nie“, überschrieb die taz ihren Beitrag: Kriegsproteste in Washington. An der Demonstration am Samstag nahmen weniger Menschen als erhofft teil“.
Im Unterschied zu den Demonstrationen im Frühjahr und Herbst 2002 hielt im Januar 2003 möglicherweise auch eisige Kälte viele DemonstrantInnen vom Marsch nach Washington ab.
Auffällige Transparente trugen Slogans wie „Give Inspectors a Chance“, „UN-Action not US over reaction“ oder „money for jobs not war“.
Die Januar-Demonstration war von einem breiten politischen Bündnis getragen, das – im Gegensatz zu den Großkundgebungen 2002 – weit in die bürgerliche Mitte reichte. Waren es 2002 vor allem linke FriedensaktivistInnen, kamen zum Martin-Luther-King Gedenktag am 18.1.03 „neben Spartakisten, Gewerkschaftler, christliche Friedensgruppen und viele Familien mit Kindern“ (taz, 20.1.03). Auffällig war die Abwesenheit der demokratischen Opposition.
Aufgerufen hatte, wie schon im Oktober 2002, das Bündnis „answer“, das sich als Aktionsnetzwerk nach dem 11.9.01 gegründet hatte.
3. Proteste von Städten und Friedensbündnissen in den USA
„Stadtrat von Chicago hält Präventivkrieg für falsch“ titelte die FR am 18.1.03. Der Stadtrat von Chicago hatte sich in einer Resolution gegen einen ‚vorbeugenden Militärangriff‘ auf Irak ohne den Beweis ausgesprochen, dass von Bagdad wirklich eine Bedrohung für die USA ausgehe. Damit folgte der Magistrat der drittgrößten US-Stadt ähnlichen Resolutionen von Städten wie San Francisco, Seattle, Ithaca (Bundesstaat New York) und Kalamazoo (Michigan). ‚Wir wollen nicht, dass unsere Jungen und Mädchen in den Krieg ziehen‘, sagte die Ratsvorsitzende Dorohy Tillman.
„Iraq Peace Pledge“ (www.peacepledge.org) nennt sich ein breites Bündnis der Quäker-Organisation American Friends Service Committe, Educaton for Peace in Iraq Center, Fellowship of Reconciliation (US- Zweig des Versöhnungsbundes), Lutheran Peace Fellowship, National Network to End the War Against Iraq, Pax Christi USA, Peace Action sowie „Voices in the Wilderness“. In einer Selbstverpflichtung mit dem Namen „Iraq pledge of resistance“ verpflichten sich alle UnterzeichnerInnen der Erklärung, im Falle einer Kampftruppenverlegung US-amerikanischer Einheiten und anderer offensichtlicher Schritte hin zu einer Eskalation, sich an Aktionen zivilen Ungehorsams vor US-Militäreinrichtungen zu beteiligen.
Einer der wichtigsten Motoren der US-Friedensbewegung ist das Internationale Aktions Zentrum (IAC) (www.iacenter.org) in Washington. Der Direktor des Zentrums, Brian Becker, verbreitete bereits im Sommer 2002 einen Aufruf mit dem Inhalt, es sei ein „Muss für alle fortschrittlichen Arbeiter- und Antikriegsorganisationen, den angekündigten Krieg zu stoppen“.
4. Kirchen gegen den Krieg
Neben den Gewerkschaften stellen die Kirchen in den USA eine erheblich gesellschaftliche Kraft dar. Einerseits sind es gerade religiöse Fundamentalisten, – zu denen der US-Präsident selbst gehört – die in einem Gut-Böse-Schema die Welt aufgeteilt haben, andererseits melden sich fast täglich neue Stimmen offizieller Kirchengremien gegen den Irak-Krieg.
Zu Ihnen gehören die Mennonitische Kirche, die Lutherische Kirche Amerikas (www.elca.org), der Nationale Rat der Kirchen Christi in den USA (www.nccusa.org), die Presbyterianische Kirche der USA (www.pcusa.org), die Vereinigte Kirche Christi in den USA – z.B.l mit ihrer Erklärung „20 Wege, den Krieg im Irak zu beenden“ (www.ucc.org) – und die Katholische Bischofskonferenz (www.usccb/org). Gerade Mönche und Nonnen sowie andere engagierte Christen sind derzeit an Aktionen zivilen Ungehorsams vor US-Militärstützpunkten an vorderster Stelle im Einsatz.
5. US-Friedensdelegationen im Irak
Der Ex-US-Marine Ken Nichols O’Keefe (Kontakt: www.uksociety.org), der noch 1991 im Golfkrieg auf Seiten der Alliierten gegen Irak gekämpft hatte, startete von London aus zunächst eine Reise durch mehrere europäische Länder, bevor er sich auf den Weg in den Irak machte, wo er Krankenhäuser besuchte, in irakischen Familien wohnte und mit seinem Einsatz einen Beitrag zur Verhinderung des Krieges zu leisten suchte.
„Angehörige von Opfern der Terroranschläge vom 11.9. sind nach Bagdad gereist, um für eine friedliche Beilegung der Irak-Krise einzutreten. Die vier US-Bürger seien ‚in dieser Zeit großer Bedrohung‘ nach Irak gereist, ‚um ihrer Hoffnung Ausdruck zu geben, dass Krieg und Gewalt ein Ende nehmen‘, erklärte der Verband ‚Familien des 11. September für ein friedliches Morgen‘ am Mittwoch (8.1.03). Als Ort für ihre Pressekonferenz wählte die Gruppe die Ruinen eines Luftschutzbunkers, in dem beim Golf-Krieg 1991 fast 400 Zivilisten durch US-Bomben getötet worden waren“, berichtete die FR am 9.1.03.
Die US-Friedensgruppe „Voices in the wilderness“ (www.nonviolence.org/vitw), die seit vielen Jahren Reisen in den Irak durchführt und z.B. eine Strafanzeige über 120.000 Dollar bekam, weil ihre Mitglieder Kinderspielzeug und Medikamente nach Bagdad brachte und damit angeblich gegen das Embargo verstieß, gründete das „Iraq Peace Team“ (www.iraqpeaceteam.org/index.html). Seit Herbst halten sich MitarbeiterInnen dieses Teams im Irak auf, um eine Eskalation des bereits begonnenen Krieges zu verhindern. Mit ihrem Einsatz wollen sich die Mitglieder sowohl die Bevölkerung als auch lebenswichtige Einrichtungen schützen und auch im Falle eines massiven US-Bombardements im Lande ausharren.
Zur Gruppe gehören auch die „Veterans for Peace“ wie z.B. Ted Sexauer, Hubschraubernotarzt im Vietnamkrieg.
Während das Engagement von Voices in the wilderness und ihrer Sprecherin Kathy Kelly weltweit auf Respekt und Anerkennung zum Teil auch bei politischen Gegnern stößt, porträtierte der deutsche „Spiegel“ sie und ihre Gruppe in einer Überschrift als „Schlachtenbummler“ („Der Spiegel, 9.12.02).
Über Internet fordern Mitglieder verschiedener US-Friedensorganisationen ihre Mitglieder auf, den drei ständigen Mitgliedern im Weltsicherheitsrat Frankreich, Russland und China E-Mails oder Faxe zu senden mit der Botschaft: „Bitte stimmen Sie keiner UN-Resolution zu, die zu militärischer Gewalt ermächtigt“.
Das eingangs des Artikels erwähnte ganzseitige Porträt der US-Friedensbewegung im Magazin der FR schloss mit dem Satz: „Ganz allein kann die amerikanische Friedensbewegung ihren Präsidenten wahrscheinlich eben doch nicht stoppen“. Deswegen ist ihre Unterstützung gerade aus Europa – und insbesondere aus Deutschland – extrem wichtig.
Anmerkungen
Der Autor ist Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes
Literatur
Literaturtipps zum Thema Irak und USA
Clemens Ronnefeldt, Die neue NATO, Irak und Jugoslawien, mit einem Vorwort von Prof. Dieter S. Lutz, 2. Auflage, Minden 2002 (bestellbar nur über die Geschäftsstelle des Versöhnungsbundes, www.versoehnungsbund.de oder Tel.: 0571-850875)
Rüder Göbel, Joachim Guilliard, Michael Schiffmann (Hg.), Der Irak. Ein belagertes Land, 2. Auflage, Köln 2002.
Jürgen Wagner, Das ewige Imperium. Die US-Außenpolitik als Krisenfaktor, Hamburg 2002
James H. Hatfield, Das Bush-Imperium. Wie Georg W. Bush zum Präsidenten gemacht wurde, mit einem Vorwort von Jean Ziegler, 3. Auflage, Bremen, 2002.
Thierry Meyssan. 11. September 2001. Der inszenierte Terrorismus. Auftakt zum Weltenbrand?, Kassel 2002.
Michel Chossudovsky. Global Brutal. Der entfesselte Welthandel, die Armut und der Krieg, 11. Auflage, Frankfurt 2002.
Mathias Bröckers, Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9., 19. Auflage, Frankfurt 2002.