Traute man der in der symbolischen politischen Raumordnung sich 'links' verortenden Presse, die von der Neuen Weltordnung George W. Bushs Emanzipation und Fortschritt erwartet, käme man auf die Idee, that Frieden is a Nazi issue. "Die extreme Rechte verstärkt ihre Friedensaktivitäten", hieß es kürzlich in der Jungle World (50/2002, S. 12), die damit ausgerechnet auf der "Antifa"-Seite den Nazis "Friedensaktivitäten" attestierte.
Doch solche Verharmlosungen der Nazis nimmt man in der Jungle World routiniert in Kauf, wenn es darauf geht, ein Wunschfeindbild (1) auszumalen.
Das Feindbild ‚Saddam‘ bzw. ‚islamistische antisemitische Internationale oder auch ‚Islamofaschismus‘ lässt sich vortrefflich komplettieren, indem man auf die neonazistischen Sympathiebekundungen für den Irak bzw. rabiat antisemitische Islamisten verweist. Ergänzt wird dies dann noch um eine weitere innerstaatlich/gesellschaftliche Feinderklärung: gegen die Friedensbewegung, der Gemeinsamkeiten mit den Völkischen unterstellt werden.
„Die Friedensbewegung in der Bundesrepublik mit ihren deutschtümelnden und antiamerikanischen Parolen trägt nichts zur Verhinderung des Krieges bei, sie stützt vielmehr die Verhältnisse, die zum Krieg führen.“ (JuWo 50/2002, S. 5) Bei soviel pauschaler Kritik an der Friedensbewegung, die selten mit Belegen (deren Repräsentativität auch erst zu zeigen wäre) versehen wird, kann sich auch die Zeitschrift Phase 2 nicht mehr zurückhalten: Da ist die Rede von der „Stärkung eines unerträglichen völkischen, antiamerikanischen Ressentiments, dass [sic] seine Exerzierer auf den Friedensdemos findet“. Die „deutsche Friedensbewegung“ stecke „tief im Ressentiment“ – im antiamerikanischen, versteht sich, hat die Phase 2 doch einen „urdeutschen Antiamerikanismus“ ausgemacht. (2)
„Antiamerikanismus“ war schon eines der Zauberwörter der Konservativen gegen die Friedensbewegung der frühen 80er Jahre, es war das Zauberwort vieler linker Bellizisten gegen die Protestbewegung gegen den zweiten Golfkrieg, und auch heute ist es das Zauberwort aller Bellizisten. (3) Nun soll keineswegs ein von fundierter Kritik an der US-amerikanischen imperialen Außenpolitik oder Phänomenen der US-Innenpolitik wie z.B. der Todesstrafe zu unterscheidender, ideologisch aufgeladener Antiamerikanismus auch in Teilen der Friedensbewegung geleugnet werden – diesem muss innerhalb der Friedensbewegung das Wasser abgegraben werden (wozu Pauschal-Verdammungen wie die oben zitierten allerdings nicht dienlich sind).
Erst recht kann über den antisemitisch grundierten Antiamerikanismus der extremen Rechten, die in Teilen tatsächlich mit Agitation gegen den Irak-Krieg zu punkten versucht, nicht hinweg gesehen werden. Die ideologische Ausformulierung des Antiamerikanismus innerhalb der Neo-Nazi-Szene erfolgte insbesondere durch Michael Kühnen. Der bediente sich dabei des in der damaligen Linken boomenden Begriffs „Kulturrevolution“, an den heute in der Linken kaum mehr jemand erinnert werden will. (4) Ohne an eher entlegende Vorarbeiten im völkischen Diskurs der 20er und 30er Jahre (z.B. Werner Deubel) explizit anzuknüpfen, transformierte Kühnen die linke Konzeption von Kulturrevolution zur „völkischen“ bzw. „deutschen Kulturrevolution“. Deren Hauptgegner war für Kühnen der Amerikanismus. Die betreffenden Texte Kühnens sind in deutscher Sprache heute auf der Homepage der NSDAP/AO im Volltext zugänglich; komprimiert sind diese Vorstellungen im „politischen Lexikon“, das Kühnen 1987 für die Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF) vorlegte. (5)
Die „völkische Kulturrevolution“ bestimmt Kühnen als für das Überleben des deutschen Volkes unerlässliches Heilmittel gegen den „Amerikanismus“: „Der Amerikanismus ist die extremste Ausprägung bürgerlich-materialistischer Lebenshaltung […] und damit die Hauptkraft der heutigen Dekadenz. Es handelt sich hierbei allerdings nicht um einen natürlichen Verfallsprozeß altgewordener Völker, sondern um eine gezielte und gesteuerte Entwicklung mit dem Ziel der Vernichtung der gewachsenen Völker und zur Schaffung eines weltweiten, leicht lenkfähigen und manipulierbaren Einheitsmenschen in einer materialistischen Weltzivilisation.
Machtträger des Amerikanismus und der geplanten Weltzivilisation sind die USA, nach deren Modell sie geformt werden soll. Der Amerikanismus ist damit die geistig-seelische Waffe des Liberalkapitalismus und ermöglicht einen kulturellen Kolonialismus seiner Hauptmacht […], der den Nährboden des us-amerikanischen Imperialismus bildet. […] Ursprünglich entstanden aus dem Profitstreben us-amerikanischer Kapitalisten, die von einer Welt manipulierter Massenkonsumenten träumten, wurde diese spezifisch us-amerikanische Ausprägung des Materialismus auch mehr und mehr zum Werkzeug der Endziele des Zionismus bei seinem Kampf um die Weltherrschaft.
[…] Der Amerikanismus ist […] der gefährlichste Feind der Völker, da er nicht nur ihre Freiheit, sondern auch und zuerst ihre Seele und ihren Willen zerstört. Seine Entsprechung in politischen Bereich ist die Demokratie westlichen Typs […]. Die vom Amerikanismus zu rasenden Tempo beschleunigte Dekadenz ist also nicht schicksalhaft, sondern künstlich erzeugt. Hier setzt deshalb auch der natürliche Überlebenswille der Völker ein und bekämpft den Amerikanismus durch eine völkische Kulturrevolution.
Träger der deutschen Kulturrevolution ist die Neue Front, deren Kampf gegen den Amerikanismus einen wesentlichen Teil ihrer politischen Taktik bildet. Da in der BRD der Amerikanismus seit 1945/56 JdF [= Jahr des Führers; AS] außerhalb der USA am weitesten fortgeschritten ist und sich am verheerendsten ausgewirkt hat, ist die Kulturrevolution gegen diesen Amerikanismus hier auch am wichtigsten und drängendsten, wenn das deutsche Volk überleben soll!“
Die „deutsche Kulturrevolution“ gegen den Amerikanismus ist, da dieser als Instrument des Zionismus gilt, im Kern antisemitisch. Hier liegt tatsächlich eine enge Verknüpfung von Antiamerikanismus und Antisemitismus vor. Ausdrücklich grenzt sich Kühnens vom linken Antizionismus ab. Die linken Antizionisten seien im Irrtum, wenn sie Israel als staatlichen Erfüllungsgehilfen des US-Imperialismus ansehen. Demgegenüber betont Kühnen, das die USA und der US-Imperialismus ein Instrument jüdischen Weltherrschaftsstrebens seien.
Aus der Bestimmung der „völkischen Kulturrevolution“ gegen den (als jüdisch verstandenen) Amerikanismus ergibt sich für Kühnen eine bündnispolitische Überlegung. Als Gegner Israels gilt ihm die arabische Welt. Gemäß der simplen Logik, der zufolge der Feind meines Freundes mein Freund sei, sieht er die arabische bzw. islamische Welt als Bündnispartner der „deutschen Kulturrevolution“. Entsprechend heißt es in Kühnen „Lexikon“ unter dem Stichwort „Araber“ u.a.: „Die Araber sind die natürlichen Bündnispartner eines nationalsozialistischen Europa : Der arabische Nationalismus kämpft, wie der europäische, gegen den Imperialismus und für die Freiheit. Nationalsozialismus und Islam verbindet zudem der Kampf gegen die Zinsknechtschaft als Voraussetzung eines nichtmarxistischen Sozialismus . Und schließlich leidet die arabische Nation unter dem Terror des Zionismus, der auf arabischen Boden seinen Piratenstaat Israel errichtete und das arabische Volk der Palästinenser teils tötete und vertrieb, teils unterwarf und bis heute unterdrückt. Der Zionismus aber ist bekanntlich der Hauptfeind des Nationalsozialismus, der dem zionistischen Streben nach Weltherrschaft einen erbarmungslosen Widerstand entgegensetzt. Dies alles sind Voraussetzungen zur Bildung eines europäisch-arabischen Großraumes, der die Überwindung des Imperialismus der Supermächte ermöglicht, eine zinsfreie, sozialistische Wirtschaftsordnung aufbaut und die Anmaßungen des Zionismus zerschlägt.“
Nach den Vorarbeiten Kühnens und dem Boom des von der Nouvelle Droite um Alain de Benoist übernommenen Schlagwortes „Kulturrevolution von rechts“ diente „Kulturrevolution“ auch als Schlagwort im Grundsatzprogramm der Nationalistischen Front (NF) von 1986. Diese Truppe verstand sich auf einen rebellischen, gar revolutionären Appeal, der gerade auch durch nicht ungeschickte verdrehte Übernahmen gegnerischer Parolen und Symbole realisiert wurde. Auch die aus der Linken bekannte materialistische Konzeption von Kulturrevolution erfuhr bei der NF eine (Ver)Drehung: In den „10 Punkten“ des Grundsatzprogrammes der NF folgt auf „Befreiungsnationalismus“, „Gesamtdeutschlands Einheit und Volksraum“, „Nationale Identität“ und „Kampf der Volksverhetzung“ (für die „Wiedergutmachung des Deutschland nach 1945 zugefügten Unrechts“) und noch vor dem Programmpunkt „Antikapitalistische Sozialrevolution“ das Bekenntnis zu einer „Antimaterialistische[n] Kulturrevolution“ – hier sieht man einmal mehr den Versuch, Themen der Ökologie- und Friedensbewegung aufzugreifen und neonazistisch zu artikulieren: „Die zerstörerische Einheitszivilisation des lebensfeindlichen westlichen Materialismus [= USA; AS] verhindert die Selbstverwirklichung des Menschen und der Völker. Sie beschleunigt die Entfremdung von Mensch und Natur, von Mensch und Arbeit. Sie beschleunigt vor allem den rasanten Prozeß der Vernichtung der natürlichen Lebensgrundlagen.
Der Kulturzerfall der Gegenwart, besonders in Bildungseinrichtungen und darstellenden Künsten, führt zur totalen Daseinsverunsicherung des Menschen, zur Vernichtung des Schönen und damit zur Zerstörung des Menschenbildes.“
So weit die Diagnose der NF. Zumeist werden die hier diagnostizierten Verfallserscheinungen ja ausdrücklich auf das Schuldenkonto einer Kulturrevolution gebucht, der von 68. Das unterlässt die NF an dieser Stelle. Die Abgrenzung erfolgt in den nachfolgenden Kampfparolen über die nähere Kennzeichnung der ihrerseits geforderten „Kulturrevolution“ als „antimaterialistisch“: „Wir fordern Kampf allen lebensfeindlichen materialistischen Wahnideen westlicher und östlicher Prägung, Kampf der Vergewaltigung der Natur.
Wir tragen die antimaterialistischen Kulturrevolution des neuen Naturalismus.“
In dieser befreiungsnationalistischen Variante gelangte die Forderung nach einer „kulturellen Revolution“ 1990 in abgemilderter Diktion auch in die programmatische Debatte der Jungen Republikaner in Nordrhein-Westfalen – die treibende Kraft war Marcus Bauer, später u.a. als Autor thematisch einschlägiger Artikel in den Zeitschriften Europa vorn von Manfred Rouhs und Junge Freiheit tätig. Als Fähre in den etablierten Diskurs diente dabei übrigens eine Aussage des Sängers und Texters Heinz Rudolf Kunze, die dem Kapitel als Motto voran gestellt war: „Wir sind nicht nur politisch, sondern auch kulturell ein besetztes Land.“ Die Nachwuchs-REPs hielten eine „kulturelle Revolution“ gegen US-amerikanischen „Kulturimperialismus“ für so bedeutsam und so werbewirksam, dass sie auch in Kurzdarstellungen im Propagandamaterial auftauchte.
Entsprechend ihrer geopolitischen Bündnisfantasie agitierten Kühnen & Co gegen den zweiten Golfkrieg. Ein besonderer Mediencoup gelang dem damals schon todkranken und völlig geschwächten Kühnen mit der aus der Luft gegriffenen Ankündigung, er würde 500 Söldner für Saddam Hussein mobilisieren; der Journalist Rainer Fromm verschaffte Kühnen dafür die Medien-Aufmerksamkeit. Das entsprach einem spezifisch deutschen Supplement des Wunschfeindbildes Saddam und ergänzte die demagogische Gleichung ‚Saddam = Hitler‘. Die vage Erinnerung an Kühnens Ankündigung ist im Zentralorgan des linken Bellizismus bereits wieder in den Diskurs eingespeist worden. „Die Solidarität der Neonazis mit dem Regime im Irak hat eine lange Tradition. Bereits 1991 anlässlich des zweiten Golfkriegs […] boten sich Neonazis dem Irak als Söldner an“ schrieb die Jungle World (50/2002, S. 12) – freilich ohne Angaben, was aus diesem „Angebot“ praktisch wurde.
Der Gedanke von der „natürlichen“ und „geopolitischen“ Bande mit der arabischen Welt auch ist die Grundlage der propalästinensischen Propaganda und Agitation der Nazis nach Ausbruch der zweiten Intifada und wird nun auf den anstehenden Krieg gegen den Irak angewendet, antiamerikanisch und antisemitisch. Dieser Zusammenhang lässt sich bis in die grafische Gestaltung von Nazi-Plakaten verfolgen. Auf der Homepage des „mitteldeutschen“ Neo-Nazi-Truppe findet sich eine Flyer- oder Plakatvorlage mit dem Slogan: „Der Terror ist ein Meister aus Amerika“ (siehe Abb. 1). Die über mehrere Permutationen laufende Anspielung ist relativ leicht zu entschlüsseln; sie zielt auf eine berühmte Zeile Paul Celans in seinem Gedicht die Todesfuge – das gleichnamige Bild des anonymen Aachener Wandmalers zierte übrigens das Plakat der Demonstration „Nie wieder Deutschland“ in Frankfurt 1990 (siehe Abb. 2). In Nazi-Publikationen taucht häufiger der Slogan „Der Tod ist ein Meister aus Israel“ auf (6); auch auf der Berliner Palästina-Demonstration war dies auf einem Schild zu sehen – statt des Namens Israel stand da die Abbildung der israelischen Flagge. Diese Perversion der Celan-Zeile konzentriert in wenigen Worten den Deutschland entlastenden psychischen Mechanismus, deutsche Vergangenheit auf israelische (bzw. nun auch US-amerikanische) Gegenwart zu projizieren.
(1) "Wunschfeindbilder" nennt man in der diskurstheoretischen Feindbildforschung diejenigen Bilder vom Feind, die ihn zeigen, wie er sein müsste, um ihn am intensivsten hassen zu müssen; vgl. Jürgen Link: "Radikal umdenken": wie? 33 Denkanstöße angesichts der Denormalisierung nach dem 11. September 2001. In: Siegfried Jäger/Jobst Paul (Hg.): "Diese Rechte ist immer noch Bestandteil unserer Welt". Aspekte einer neuen Konservativen Revolution. Duisburg: DISS 2001, S. 325-339, hier S. 336.
(2) Phase 2 Jungle World Special (JuWo 4/2003, S. D 4) Allerdings scheute sich die Phase 2 nicht, bei einem Organ jener urdeutschen und vom antiamerikanischen Ressentiment zerfressenen Friedensbewegung um eine kostenlose Solidaritäts-Anzeige zu bitten, die auch gedruckt wurde (vgl. GWR Nr. 275, S. 14). Wann bietet sie uns das Spektakel einer öffentlichen Selbstgeißelung wegen Kollaboration mit Völkischen?
(3) Ein damals verfasstes und bis heute viel zitiertes Pamphlet ist, erweitert um einen Essay zu Reaktionen auf den 11. September 2001 unlängst neu aufgelegt worden: vgl. Dan Diner: Feindbild Amerika. Über die Beständigkeit eines Ressentiments [zuerst 1993]. München: Propyläen 2002.
(4) Vgl. den reuigen Abgesang von Gerd Koenen: Das rote Jahrzehnt. Unsere kleine deutsche Kulturrevolution 1967-1977. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2001.
(5) Vgl. zum folgenden ausführlicher Alfred Schobert: "Kulturrevolution" im Neonazismus der 80er Jahre. Antiamerikanismus, Antisemitismus und die Mär von der arabischen Welt als natürlichem Alliierten der Deutschen. In: Archiv Notizen 1/2003. Kühnen saugte bei den jeweiligen Ausformulierungen seiner "völkischen Kulturrevolution" jeweils aktuelle Entwicklungen, so das immense Anwachsen von Ökologie- und Friedensbewegung, jeweils in seinem kruden Sinne interpretiert) auf.
(6) Vgl. für Belege derartiger Celan-Applikationen Alfred Schobert: "Holocaust-Industrie". Kulturkritik oder Koschermachen einer neonazistischen Propagandaformel? in Jäger/Paul (Hg.): Diese Rechte... (Anm. 1), S. 77-101, hier S. 91-93.
Der Autor
Alfred Schobert arbeitet am Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS).