Die Öl-Doktrinen der westlich-kapitalistischen Industrienationen
Als gegen Ende des Zweiten Weltkrieges der Nahe Osten zum neuen weltweiten Zentrum der Ölproduktion und des Ölexports werden sollte, sagte US-Präsident Roosevelt dem englischen Botschafter in Washington, Halifax, am 18.2.1944 unverblümt: „Das persische Öl gehört Ihnen. Das Öl im Irak und in Kuwait teilen wir uns. Und was das saudische Öl betrifft, das gehört uns.“ (Yergin, S. 508, siehe (1))
Churchills Außenminister, Anthony Eden, sagte noch 1956, kurz vor der britisch-französisch-israelischen Militäraktion zur Besetzung des Suez-Kanals, dem sowjetischen Stalin-Nachfolger Chruschtschow ins Gesicht: „Was das Öl betrifft, so muss ich Ihnen ganz unverblümt meine Meinung sagen – wir würden dafür kämpfen. Wir können ohne Öl nicht leben.“ (S. 608). Und der jetzt von allen so gehätschelte Friedensnobelpreisträger Jimmy Carter gab als US-Präsident 1980 sogar eine Carter-Doktrin heraus: „Jeder Versuch einer fremden Macht, die Kontrolle über den Persischen Golf zu erlangen, wird als Angriff auf die lebenswichtigen Interessen der Vereinigten Staaten von Amerika angesehen und mit allen erforderlichen Mitteln, einschließlich militärischen, abgewehrt werden.“ (S. 865) Ähnliche Doktrinen stellte US-Präsident Truman 1950 gegenüber Ibn Saud zum Schutze Saudi-Arabiens auf, oder schon der Brite Landsdowne 1903 als Warnung an Deutschland und Russland, dem Persischen Golf fernzubleiben.
Die Geschichte des Öls und des Kolonialismus
Die Geschichte des Aufstiegs moderner industrieller Nationalstaaten ist ohne das Öl nicht denkbar. Als Edwin Drake 1859 in Titusville, Pennsylvania, erstmals Öl fand, schien darauf noch nichts hinzudeuten.
Zuerst wurde Öl nur für Petroleumlampen benutzt, ab ca. 1900 dann als Brennstoff für Autos, die ihren Siegeszug erst in den 20er Jahren antraten. Und erst in den 40er und 50er Jahren löste Öl in großem Rahmen die Kohle als Brennstoff für Schiffe ab und wurde als Treibstoff für Flugzeuge bedeutend.
Bis zu seiner Zerschlagung 1911 dominierte der US-Trust Standard Oil den US-Ölmarkt, so genannt wegen der Standardqualität seines Petroleums (andere Sorten führten häufig zu Bränden, explodierten und zündeten das Haus an, wenn man eigentlich nur Licht machen wollte). Standard und ihr Chef, Rockefeller, produzierten anfangs kein Öl und hielten sich aus den unglaublich chaotischen Kämpfen der Ölpioniere heraus, die Ölfunde wie Goldfunde bejubelten. Standard konzentrierte sich ganz auf Raffinerie, also die Herstellung verwertbarer Produkte aus Rohöl, sowie auf den Vertrieb. Damit dominierte Standard zeitweise 90 Prozent des US-Ölmarktes, weil jeder kleine Produzent auf Standard für den Vertrieb angewiesen war. Standard diktierte durch sein Monopol die Preise oder führte brutale Preiskriege, wenn jemand sein eigenes regionales Vertriebsnetz aufbauen wollte. Standards Methoden waren oft illegal, von Geheimhaltung umwittert, Konkurrenten wurden von eingeschleusten Standard-Agenten hintergangen usw. Gegen 1902 deckte eine der großen kritischen US-JournalistInnen, Ida Minerva Tarbell, eine sogenannte „Muckracker“ (Morastwühlerin), durch eine Serie in der Zeitschrift McClure’s diese Machenschaften auf und legte damit den Grundstein für Gerichtsurteile und den juristisch angeordneten Zwang zur Entflechtung dieses alles dominierenden Trusts. Die Standard wurde auf die US-Bundesstaaten aufgeteilt, aus der größten Einzelfirma, der Standard of New Jersey, wurde schließlich Exxon/Esso; aus Standard New York wurde Mobil Oil; aus Standard California Chevron usw.
Zur Diversifizierung des Marktes der Produktions- und Vertreiberfirmen trugen auch neue Ölfunde bei, zunächst in Texas, Oklahoma, Kalifornien, wieder in Ost-Texas, dann im Golf von Mexiko, woraus u.a. die Firmen Gulf Oil und Texaco hervor gingen.
In Europa wurde zunächst russisches Öl aus Baku vertrieben, ausgebeutet von Firmen der reichen Familien Rothschild aus Frankreich und Nobel aus Schweden, die sich vom Zaren Konzessionen ausstellen ließen. Ihr Siegeszug wurde durch die russischen Revolutionen von 1905 und 1917 und der darauf folgenden ersten Verstaatlichung der Ölindustrie beendet. So war in Europa der Weg frei für die Shell, die vom Briten Marcus Samuel gegründet wurde, dessen Vater mit Muscheln gehandelt hatte (daher der Name Shell). Marcus Samuel war im Kolonialhandel aktiv, als er 1897 in Borneo Öl fand. Er baute auf dem Seeweg nach Fernost überall Handelsstationen auf, verbündete sich mit den Rothschilds und später mit der holländischen Firma Royal Dutch, die in Sumatra Öl gefunden hatte. Aufgrund der weiten Entfernungen waren die zusammen gelegten Firmen Royal Dutch/Shell zu Erfindungsreichtum gezwungen, auf sie gehen die Entwicklung moderner Öltanks sowie großer Seetankerschiffe zurück. Die Vereinigung war jedoch aufgrund der großen Finanzschwierigkeiten Samuels mit 60:40 vom Holländer Wilhelm Deterding dominiert, der lange Jahre Aufsichtsratschef wurde. Deterding baute sich zwar ein Haus in England, verliebte sich aber in den dreißiger Jahren in hohem Alter in seine deutsche Sekretärin und lief Gefahr, den Konzern den Nazis auszuliefern.
Die Royal Dutch/Shell war der britischen Admiralität also zu unsicher, als in den beiden Weltkriegen Öl immer wichtiger wurde: im ersten Weltkrieg überwanden die von Ölprodukten betriebenen Tanks den klassischen Stellungskrieg, der gesamte Zweite Weltkrieg war dann ein „Bewegungskrieg“, der von der Treibstoffversorgung abhing.
Ganze Armeen, wie etwa die des Nazis Rommel in Afrika, blieben liegen, weil sie keinen Treibstoff mehr hatten.
1901 erhandelte der Brite D’Arcy vom persischen Schah eine Ölförderkonzession für 60 Jahre und fand 1908 Öl. Da sein Konsortium fast pleite war, sprang die britische Admiralität ein und übernahm die Anglo-Persian Oil zu 51 Prozent in staatlichen Besitz, aus der später die British Petroleum wurde. Damit hatte die britische Kolonialmacht neben dem unsicheren Kantonisten Shell eine staatlich kontrollierte und für nationale Interessen einsetzbare Ölgesellschaft. Frankreich und Italien sollten mit Elf, Total sowie Agip ebenfalls staatliche kontrollierte Gesellschaften gründen. Öl war für die Industrienationen zu wichtig geworden, um einfach der kapitalistischen Privatwirtschaft überlassen zu werden.
Selbst in den USA setzte sich diese Einsicht durch: nach der Weltwirtschaftskrise integrierte der US-Staat die Ölgesellschaften in seine New Deal-Politik durch staatliche Auflagen und Festlegungen von Förderquoten, um chaotische Preisschwankungen zu bekämpfen. In den Weltkriegen und auch den nachfolgenden Kriegen setzten die USA regelmäßig ihre Antitrustgesetzgebungen aus, um die Ölgesellschaften zur Kooperation zu zwingen und in die geplanten Kriegführungspläne zu integrieren. Im zweiten Weltkrieg war das entscheidend, um Englands Kriegsindustrie mit den Geleitzügen über den Atlantik mit Öl zu versorgen. So konnten die Alliierten den zweiten Weltkrieg gegen das nationalsozialistische Deutschland gewinnen, welches in ganz Europa nur Zugriff auf die rumänischen Ölfelder hatte, welche von den Briten zudem noch zerstört worden waren. Die Nazis behalfen sich mit hydriertem, chemisch hergestellten Benzin, das aus Kohle gewonnen wurde. Doch das war eine Notlösung, Ziel der NS-Kriegsführung war zunächst in einer Zangenbewegung mit Rommel aus Nordafrika ostwärts drängend und den Nazi-Armeen in der Sowjetunion südwärts drängend das iranische Ölfeld der Anglo-Persian, und als Rommel geschlagen war (El Alamein) und die Nazis die Kaukasus-Pässe nicht überqueren konnten, schließlich der Angriff auf die Ölfelder von Baku über Stalingrad. Die Nazi-Kriegsmaschinerie brauchte Öl und bekam es nicht – in den letzten Kriegsjahren klagten die Nazi-Offiziere beständig über Treibstoffmangel.
Aufgrund kurzfristiger Engpässe (Rationierungen von Benzin, erste Autostaus vor den in den 20er Jahren flächendeckend eingeführten Tankstellen) in den USA in den letzten Kriegsjahren entstand dort eine lang anhaltende, ganz absurde Panik vor Öl- und Treibstoffmangel, obwohl generell bis heute immer zuviel Öl gefördert wird und besonders nach dem zweiten Weltkrieg neue riesige Vorkommen entdeckt wurden (sogenannte Elefantenölfelder im Nahen Osten, aber auch in Mexico, Venezuela, Nigeria, Libyen, Alaska, Offshore im Golf von Mexico oder der Nordsee) und immer neue Gesellschaften entstanden (durch eine der vielen Konzessionen in Libyen etwa Occidental Oil/Jet). Erst in den 70er und 80er Jahren entstand im Zuge der Ökologiediskussion ein neuer Diskurs über die Endlichkeit fossiler Brennstoffe, wodurch jene vermuteten Ölreservoirs im Irak erst diese Bedeutung bekommen, die sie heute haben.
Deutsche Bank und Shell gründeten zusammen mit der osmanischen Turkish National Bank und dem armenischen Millionär Calouste Gulbenkian 1912 die Turkish Petroleum Company. Nach dem ersten Weltkrieg und der Niederlage des Osmanischen Reiches wurden die Deutschen ausgebootet, die französische Ölgesellschaft stieg ein. Die Turkish hatte sich vor dem Krieg Ölförderkonzessionen in Mesopotamien gesichert, GB und Frankreich bestätigten sich das im Abkommen von San Remo 1920, aber der neue türkische Nationalstaat Atatürks machte dem von beiden Kolonialmächten festgelegten Irak Gebiete streitig und sprach der TPC die legale Grundlage ab. Den Kolonialmächten wurde die beständige Gefahr der Nationalisierung bewusst und sie wandelten die Turkish um in die Iraq Petroleum Company. Wie die Kolonialmächte damals mit den von ihnen verwalteten Territorien umgingen, verdeutlicht das Schicksal des Königs Feisal: er wurde von den Briten zuerst auf den syrischen Thron verfrachtet. Da Syrien jedoch Frankreich zufiel, setzten ihn die Briten wieder ab, und weil sie nun einen Monarchen für den Irak brauchten, setzten sie ihn kurz darauf als König von Irak ein. Dass solche Marionettenregime, von denen wir nach dem kommenden Irak-Krieg vielleicht wieder eines erleben werden, keinen Bestand hatten, lässt sich denken. Sie wurden in allen arabischen Ländern bald von nationalistisch-militaristischen Regimen hinweg gefegt, die zugleich antibritisch wie später auch durchweg antiisraelisch waren und deren Galionsfigur der Ägypter Nasser wurde. Im Irak wurde die Iraq Petroleum Company von den nationalistischen Offizieren verstaatlicht, aus denen schließlich in den 70er Jahren das diktatorische Militärregime Saddam Husseins hervor ging.
Staatliche Politik der Westmächte und die Angst vor Verstaatlichung der Ölindustrie
Als Mexico 1938 seine Ölindustrie verstaatlichte, beachtete das noch kaum jemand. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg gab es einen allgemeinen Trend zur Verstaatlichung. Die Ölgesellschaften wollten zwar eigenständige Konzerne bleiben, aber die Verstaatlichungen bedrohten ihre Profite und so warfen sie sich immer wieder in die Arme ihrer Entstehungs- oder Herkunftsstaaten, weil nur Staaten in der Lage waren, Kriege zu führen und ihnen den Zugang zu den Ölquellen wieder zu eröffnen. Es waren die Ölgesellschaften der alten Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich, gegen die sich die neuen Nationalstaaten im Nahen Osten zunächst richteten. Der iranische Ölminister Mossadeq verstaatlichte 1951-53 die iranische Ölindustrie und warf die BP aus dem Lande. Als Schah-treue Generäle Mossadeq mit Hilfe des CIA wieder absetzen konnten, bedeutete das gleichzeitig den Zugang von US-Ölfirmen in den Iran. Großbritannien zog sich als Militärmacht erst 1970 ganz aus dem Nahen Osten zurück. Die US-Ölgesellschaften hatten zunächst einen guten Ruf als Alternative, weil die USA die antikolonialen nationalistischen Bewegungen zunächst noch unterstützt hatten und im Nahen Osten selbst als ursprünglich antikoloniale Macht empfunden wurden.
Selbst bei Nassers Sieg in der Suez-Krise 1956 hatten die USA noch England und Frankreich zum Rückzug aus der Suez-Kanalzone gezwungen.
So waren es die US-Ölgesellschaften, die schließlich das Gros der Konzessionen im Nahen Osten absahnten. Sie wurden dabei von der US-Regierung wiederum zur Kooperation gezwungen. Aramco (Arabian-am-erican Oil) beutete saudi-arabisches Öl aus und setzte sich aus Esso, Mobil, Chevron und Texaco zusammen; Gulf, Shell und BP waren in Kuwait tätig. Bis in die 70er Jahre gelang es den Gesellschaften dabei, eine 50:50-Regelung aufrecht zu erhalten, d.h. grob: 50 Prozent des Profits an die Nationalstaaten, 50 Prozent an die Gesellschaften. Mit zunehmendem Nationalismus und durch die Anlehnung an die Sowjetunion im Kalten Krieg als Alternative (Ägypten, zeitweise Irak usw.) trieben die Staaten die Gesellschaften vor sich her, d.h. sie verlangten immer mehr, schließlich deklarierten sie durchweg die Konzessionen als ungültig und dekretierten das Öl zum nationalen Eigentum, das an die Gesellschaften nur verkauft werde.
Mit der 1960 gegründeten OPEC (im wesentlichen von den arabischen Staaten und Venezuela gebildet) wurde Öl zur Waffe und erstmals gegen die USA eingesetzt, die Israel im Krieg von 1973 unterstützten (Öl-Embargo gegen USA und erste weltweite Ölkrise). Die Drosselung der Fördermenge ließ die Preise in die Höhe schnellen, es kam auch in der BRD zu Energiekrise und autofreien Sonntagen. Ähnliches wiederholte sich 1979 nach dem Sturz des Schah, der gerade erst auf die Seite der Moderaten (zusammen mit Saudi-Arabien) innerhalb der OPEC gewechselt war. Die Ölgesellschaften wurden aus dem Land getrieben, die iranische Ölindustrie verstaatlicht, die Förderung zeitweise eingestellt, die Preise stiegen, ebenso wie der iranische Hass auf die USA. Und schließlich vollzog sich diese Tendenz 1991 noch einmal, als der Irak Kuwait überfiel und damit das kuwaitische Öl den westlichen Ölgesellschaften entzogen zu werden drohte. Der hoch schnellende Ölpreis wurde durch die Kuwait-Invasion jedoch schnell von den westlichen Nationalstaaten wieder herunter geholt.
Dass die Verstaatlichungspolitik der antikolonialen Nationalbewegungen unter Führung Nassers auf der arabischen Halbinsel aus libertär-gewaltfreier Sicht zu keiner Zeit eine emanzipatorische Perspektive darstellte, hat der Anarchist Rudolf Rocker früh erkannt. Um 1952 bereits schrieb er zum arabischen Nationalismus:
„Der ganze arabische Nationalismus war von Anfang an ein künstliches Gebilde, dessen Entstehung viel mehr der auswärtigen Politik rivalisierender europäischer Großmächte zu verdanken ist als den eigentlichen Bestrebungen der zahlreichen arabischen Völkerschaften. Den Beduinenstämmen, die in manchen arabischen Staaten einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung bilden, war der Begriff des Nationalismus schon deshalb fremd, weil sie als Nomaden überhaupt keine festen Wohnstätten besitzen. (…) Man darf überhaupt nie vergessen, dass der gesamte arabische Nationalismus seine ganze Existenz nur einer kleinen intellektuellen Schicht zu verdanken hatte und von den kleinen arabischen Machthabern unterstützt wurde, weil sie glaubten, ihre dynastischen Interessen damit fördern zu können, wobei die größeren von ihnen stets von dem Wunsch besessen waren, die neue Idee von der ‚Arabischen Bruderschaft‘ früher oder später dazu benutzen zu können, um die Hegemonie über die arabische Welt zu erringen. Die Völker spielten dabei überhaupt keine Rolle.“ (Rudolf Rocker: Der Nationalismus – eine Gefahrenquelle!, in „Die freie Gesellschaft“, 1952)
Öl, Staat und Krieg nach dem 11. September
Der Zusammenhang zwischen Öl, Staat und Krieg ist ein gänzlich antiliberalistischer: ohne Öl funktioniert in den westlich-kapitalistischen Industrienationen gar nichts. Öl wird deshalb nicht der Privatwirtschaft überlassen, oder sozusagen nur in nichtkriegerischen Sonnenzeiten, in denen alles gut läuft. Industrielle Schlüsselindustrien (v.a. die Autoindustrie) sowie die staatliche Militärmaschinerie ist um ihrer Selbstbehauptung willen auf Öl angewiesen. Ohne Öl kann der moderne Nationalstaat gleich abdanken. Die Industriestaaten werden deshalb immer wieder Kriege ums Öl führen.
Die weltweite ökologische Bewegung, an der wir beteiligt waren, hat mit ihrem Angriff auf die Atomenergie eine lange Zeit eine von den Industrienationen als Alternative zum Öl gehandelte Energieform bekämpft.
Das war auch dann richtig, wenn der ins Stocken geratene Ausbau der Atomenergie die Industrienationen heute wieder aufs Öl zurück wirft. Aus einem Three Mile Island und einem Tschernobyl wären Hunderte Katastrophen dieser Art geworden, auch in der „Dritten Welt“. Mit der Beteiligung an den Antikriegsbewegungen wie am zweiten Golfkrieg 1991 haben wir auch diese Rückkehr zum Krieg ums Öl angegriffen. Die feministische Bewegung hat die Konstruktion einer gewaltsamen männlichen Identität, die Kritik der Armeen als Männerbünde sowie die gesellschaftliche Bedeutung von Massenvergewaltigungen in Kriegen in den Mittelpunkt ihrer Kritik gestellt (etwa bei Susan Brownmiller: Gegen unseren Willen). Diese sozialen Bewegungen ergänzen sich und zeigen: der Energieverbrauch in den Industrieländern muss deutlich zurück gefahren werden, wenn er den Menschen in anderen Ländern nicht als Ausbeutung oder Bedrückung erscheinen soll, regenerative Energiequellen müssen zur Basis einer nicht auf Ausbeutung gegründeten Gesellschaft werden; Staat und Armeen müssen abgeschafft werden; Männer müssen ihre gewaltsame Identität überwinden oder sich ihr verweigern.
Diese sozialen Bewegungen ergänzen sich und zeigen: Öl kann nicht durch einen mindestens ebenso problematischen Energiegewinnungsprozess wie den der Kernspaltung ersetzt werden. Die gesellschaftliche Perspektive muss heißen: gerechte Verteilung des Energieverbrauchs weltweit, geregelter Rückgang des Energieverbrauchs in den Industrienationen, ökologische Energiegewinnung aus alternativen natürlichen Energiequellen. Innerhalb des Kapitalismus ist das nicht möglich. Es braucht dafür eine andere gesellschaftliche, egalitäre Grundlage.
Öl schmiert den militärisch-industriellen Komplex der heutigen modernen Industriestaaten. Besonders in den USA mit ihrer Riesenarmee ist dieser Komplex zu einem ökonomischen Schlüsselsegment angeschwollen, der interne Wirtschaftskrisen mit Staats- und Rüstungsaufträgen zu regeln weiß. Die Autoindustrie und die Armee sind ein Moloch, der immer noch mehr Öl verbraucht. Nach dem 11.9. hat sich diese Gesellschaft in einen Staat im permanenten Kriegszustand verwandelt: die ebenso unbestimmte und gegen jeden anwendbaren Formel des „Krieges gegen den Terrorismus“ liefert die Ideologie dafür. Der militärisch-industrielle Komplex drängt aus sich selbst, aus seinen eigenen Imperativen heraus jedes Jahr zu einem neuen Krieg, besonders, wenn es darum geht, die eigenen Ressourcen sicher zu stellen: das Öl aus dem Golf. Europa hat daran trotz aller Kritik und einzelner Phasen innerimperialer Konkurrenz ein lebenswichtiges Interesse, solange es sein Öl ebenfalls überwiegend aus dem Golf bezieht. Darum werden die US-Kriege ums Öl von den europäischen Mächten entweder gedeckt (Scheckbuchdiplomatie der BRD 1991) oder aktiv mitgeführt (Großbritannien, Frankreich).
(1) Alle Zitate und Informationen in diesem Artikel stammen, soweit nicht anders ausgewiesen, aus dem lesenswerten Monumentalwerk über die Geschichte der Ölindustrie: Daniel Yergin, Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht, Fischer, Frankfurt/M. 1991, 1100 Seiten.