antimilitarismus

„NO NATO!“ in München

| Bernard Berger (GWR-Red.)

Die Protest- und Widerstandsaktionen gegen die NATO-"Sicherheitstagung" am 7. und 8. Februar in München (siehe Beilage in GWR 275) waren ein voller Erfolg.

Ein Unterschied zur Demo am 15. Februar in Berlin: es tauchten weniger Fans von „Joschka und Gerd“ auf als befürchtet, es liefen zahllose Kleingruppenaktionen (siehe Kasten auf dieser Seite),… 30.000 Menschen kamen zur Münchner Hauptdemonstration.

Insgesamt lief es weit weniger repressiv ab als vor einem Jahr. „Wenn ich mich an letztes Jahr erinnere, da gab es nur die radikale Demo, da wurden die Leute zum großen Teil doch schon an den Ausgangsbahnhöfen festgenommen und in München selbst gab es nur Kesselstehen, maximal! Da ist es von der Einschätzung hier interessant, dass so ein Repressionsniveau auch wieder überwunden werden kann – und dafür war zweifellos auch die Breite der jetzigen Bewegung verantwortlich, auch wenn in München manche auf keinen Fall zusammen demonstrieren wollten.

Hier zeigt sich m.E. gerade, dass eine gewisse Breite der Bewegung auch eine andere Wirksamkeit insgesamt entfachen kann (demokratisch wohlwollende Öffentlichkeit schützt letztlich auch Radikale und ihre Möglichkeiten, Inhalte in dieser Öffentlichkeit zu vertreten) und ein ganz übles Repressionsniveau wie im letzten Jahr dadurch durchbrochen werden konnte“, so der Kommentar eines Graswurzelrevolutionärs.

Im Rahmen der erfolgreichen Aktionen gegen die „Sicherheitskonferenz“ fand am 7. Februar 2003 in München die Kundgebung gegen den städtischen Empfang der NATO-Funktionäre und Politiker statt. (1) Als Schlussredner trat graswurzelrevolution-Mitarbeiter Tobias Pflüger (Informationsstelle Militarisierung, Tübingen) auf.

Sein Thema war die deutsche Kriegsunterstützung beim geplanten Irakkrieg. Tobias wies in seiner Rede darauf hin, dass die Bundesregierung den geplanten Irakkrieg in folgenden Bereichen aktiv unterstützt und damit auch erst möglich macht:

  • Die von Gerhard Schröder im März 2002 gegebene Zusage für eine Unterstützung des Irakkrieges, wurde im Mai 2002 erneuert, ist aber nie zurückgenommen worden.
  • Der Aufmarsch für den Irakkrieg ist wesentlich über Deutschland erfolgt. Über Frankfurt Airbase, Ramstein und Spangdahlem wurden und werden Kriegsmaterial und Soldaten ins Kriegsgebiet gebracht. Über Vilseck, Mannheim und die Häfen von Emden, Bremen, Bremerhaven, Nordenham u.a. wird ebenfalls Kriegsmaterial in die Golfregion verschickt.
  • Die in Deutschland stationierten britischen und US-Truppen wurden in großer Zahl ins Kriegsgebiet geschickt.
  • In Grafenwöhr fand im Februar 2003 das zentrale (Simulation-)Kriegsvorbereitungsmanöver „Victory Scrimmage“ statt (2).
  • Innerhalb der NATO legte die Bundesregierung kein Veto gegen eine NATO-Kriegsunterstützung ein.
  • Ein Drittel der Besatzungen der AWACS sind Bundeswehrsoldaten, sie werden sich zwangsläufig an der Zielplanung beteiligen.
  • Das Bundeswehr-Kontingent der ABC-Abwehrpanzer in Kuwait wird aufgestockt, von bisher 59 auf mindestens 200 Bundeswehrsoldaten. Begründung Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan: Er könne bei einem Krieg das derzeitige Kontingent „nicht alleine lassen“.
    Die Soldaten aus den USA und Tschechien, die in der gleichen Einheit in Kuwait sind, sind schon für den Kriegseinsatz angefordert worden.
  • Bundeswehrsoldaten haben den Schutz von ca. 100 US-Militäreinrichtungen in Deutschland übernommen, so sind die US-Soldaten frei, um in den Krieg geschickt zu werden.

„Die Bundesregierung hat angeboten, verletzten US-Soldaten medizinische Hilfe zukommen zu lassen, also Hilfe für die Aggressoren. (Schließlich so die deutsche Bischofskonferenz sind Präventivkriege eine Aggression)“ (IMI)

Tobias Pflüger wegen Desertionsaufruf kriminalisiert

Nach der Kundgebung am 7. Februar wurde Tobias in München von der Polizei verhaftet und mehrere Stunden festgehalten.

Dass er in seiner Rede (3) Bundeswehrsoldaten zum desertieren aufforderte, wird ihm als Aufruf zu Straftaten zur Last gelegt.

Der Bericht von Tobias über seine Festnahme

„Ca. eine halbe Stunde nach der Rede, als ich erstmals allein unterwegs war, nahmen mich in der U-Bahn-Unterführung des Marienplatzes zehn zivil gekleidete Polizist/inn/en brutal fest. Mit der Festnahme muss abgewartet worden sein, bis ich von anderen kaum sichtbar allein der Polizei ausgeliefert war. Zum Glück beobachtete aber jemand die Festnahme, erkannte mich und meldete den Vorfall an den für solche Fälle eingerichteten Ermittlungsausschuss (EA). Die aufgeregten Polizistinnen und Polizisten teilten mir bei der Festnahme lediglich mit, ich hätte zu einer Straftat (sprich Desertion) aufgerufen, das wüsste ich ja, deshalb würde ich auf das Polizeipräsidium gebracht, das sei ‚mit oben‘ abgesprochen. Ich wies darauf hin, dass mein Aufruf zur Desertion nicht einfach so, sondern wohlüberlegt und nicht kontextlos erfolgt ist. Ich teilte auch mit, dass ich mir ganz sicher bin, aufgrund der Rechtslage, sollte es wirklich zu einem Gerichtsverfahren kommen, einen Freispruch zu bekommen. Die Polizisten sollten sich deshalb ihre weitere Arbeit ersparen und mich freilassen.

Alle mitgeführten Gegenstände einschließlich Handy und Geldbeutel wurden noch vor Ort von der Polizei beschlagnahmt und ich wurde nach einiger Zeit in eine überhitzte Gemeinschaftszelle des Polizeipräsidiums verbracht. Eine Information über das weitere Vorgehen erfolgte nicht. Erst nach ca. 2 3/4 Stunden wurde ein vom Ermittlungsausschuss der Demonstrationsorganisator/inn/en benachrichtigter Rechtsanwalt zu mir vorgelassen. RA Wächtler wies darauf hin, dass – falls es sich bei dem angegebenen Grund für meine Festnahme und Gefangennahme um den in der Rede befindlichen Aufruf zur Desertion (Fahnenflucht) handele – es keine Rechtsgrundlage gebe, mich weiter festzuhalten. Eine Feststellung meiner Personalien hätte dann genügt. Polizei und Staatsanwaltschaft wollten offensichtlich eine ‚vorbeugende Ingewahrsamnahme‘ durchführen. Ein Polizist sagte mir offen, ‚wir können sie dabehalten bis die Konferenz (gemeint war die Sicherheitskonferenz) zu Ende ist‘ und ‚Wir wollen nicht, dass sie noch einmal reden.‘

Mein Eindruck war, dass die ‚vorbeugende Ingewahrsamnahme‘ sprich meine Gefangennahme über Nacht und an den nächsten Tagen aufgrund der Anwesenheit und dem Druck von Rechtsanwalt Hartmut Wächtler dann schlussendlich zurückgezogen wurde. Nach einer ‚erkennungsdienstlichen Behandlung‘ (ED-Behandlung: Fingerabdrücke, Fotos, Muttermaluntersuchung etc.) wurde ich kurz vor 23.00 Uhr wieder entlassen. Das Verhalten der Polizist/inn/en war wie üblich gemischt: Teilweise waren Polizisten sehr ruppig, teilweise formal korrekt und teilweise haben sich einzelne Polizisten bei mir für Festnahme und Gefangennahme entschuldigt. Ich war 3 1/2 Stunden rechtswidrig gefangengenommen worden.

Der inkriminierte Satz der Rede war: ‚Ich fordere die Soldaten der Bundeswehr, die demnächst ihren Dienst in den AWACS-Flugzeugen tun müssen, dazu auf den Kriegsdienst zu verweigern oder zu desertieren.‘ Bzgl. der Bundeswehrsoldaten der ABC-Abwehreinheiten in Kuwait habe ich i.Ü. dazu aufgerufen, dass sie sich heimschicken lassen sollen, wie das eine ganze Reihe von tschechischen Soldaten der gleichen Einheit gemacht haben bzw. den Kriegsdienst zu verweigern. (In ersten Meldungen hieß es fälschlich, ich hätte die ABC-Abwehr-Soldaten zur Desertion aufgerufen.)

Die politische Bewertung der Verhaftung:

  • Offensichtlich ist eine Kritik an der deutschen Kriegs(unterstützungs)politik nicht opportun.
  • Es handelt sich hier um ein völlig sinnloses politisches Verfahren, die verantwortliche Stelle für die Festnahme will wohl die Artikulation von Positionen und Analysen verhindern, die nicht in den Kram passen.
  • In Bayern und in München gibt es immer wieder eine äußerst großzügige Auslegung der Rechtslage.
  • Ein Freispruch in dieser Sache ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Weitere Desertionsaufrufe werde ich nicht machen, das können nun andere, gerne mit Bezug auf meine Münchener Rede, tun – so wie z.B. erfreulicherweise Konstantin Wecker auf der Abschlusskundgebung. Ich verweise in diesem Zusammenhang auch auf weitere bisher nicht inkriminierte Desertionsaufrufe, an denen ich mich schon beteiligt hatte. Ich will mich nun der Aufgabe widmen, weiter gegen den geplanten Irakkrieg zu arbeiten und die deutsche Rolle im Irakkrieg und die neue (angebliche?) deutsch-französische Initiative zu analysieren und zu bewerten.“

Als die Festnahme von Tobias bekannt wurde, gab es direkte Solidaritätsaktionen. Der Liedermacher Konstantin Wecker sorgte durch seine Wiederholung des Satzes auf der Abschlusskundgebung und eine Aktion, mit dafür, dass Tausende DemonstrantInnen den inkriminierten Satz wiederholten. So wurde deutlich, dass der Desertionsaufruf von den DemoteilnehmerInnen mitgetragen wird. Mittlerweile gibt es im Internet neben dem bereits in der NO WAR-Zeitung/GWR 276 veröffentlichten „Aufruf an alle SoldatInnen“ einen weiteren Desertionsaufruf, der sich direkt mit Tobias Pflüger solidarisiert (4).

Der Aufruf wurde bereits von mehr als 200 Leuten unterzeichnet. Wer ebenfalls unterzeichnen möchte, sende bitte ein E-Mail (mit Name und Adresse) an: klaus.schramm@bund.net

Die Redaktion der graswurzelrevolution solidarisiert sich mit Tobias, den in Athen festgenommenen KriegsgegnerInnen (5) und allen anderen kriminalisierten AntimilitaristInnen.

(1) Siehe: www.no-nato.de

(2) Siehe Seite 3 in dieser GWR

(3) "...weder eine Weltmacht USA, noch eine Weltmacht Europäische Union, und schon gar keine Weltmacht Deutschland!"

Die Rede von Tobias Pflüger im Wortlaut auf der IMI-Homepage: www.imi-online.de/2003.php3?id=427

(4) www.netzwerk-regenbogen.de/aufruf030211.html

(5) Siehe: www.de.indymedia.org