antifaschismus

Um die Erinnerung kämpfen

Vor 60 Jahren: Der Widerstand der Frauen in der Rosenstraße

| William Wright

Beim Großschriftsteller Grass grassiert der Nationalismus. Er beschreibt die Deutschen als Opfer im Zweiten Weltkrieg bei der Versenkung des Flüchtlingsschiffes „Wilhelm Gustloff“, das ihm als Vorlage für seinen jüngsten Roman diente. HistorikerInnen dürfen neuerdings unbefangen und „unverkrampft“ das Leid der deutschen Soldaten im Kessel von Stalingrad beschreiben. Und man/frau empört sich über die alliierten Bombenangriffe auf zivile deutsche Städte und beschreibt den „Brand“, die Feuersbrunst, der wiederum Deutsche zum Opfer fielen. Der „Spiegel“ macht daraus einen Titel oder eine Serie. Um nicht missverstanden zu werden: in jedem Fall gibt es neben den Ursachen von Krieg und Nationalsozialismus auch eine Tragik und eine Problematik der alliierten Kriegsführung, wie es sie in jedem Krieg gibt, und sicher sind ihr auch viele Menschen aus Deutschland zum Opfer gefallen, derer in entsprechendem Rahmen und in gebotener Relation zu den deutschen Verbrechen zu gedenken wäre. Aber: eine solche Ballung von publizistischen Kampagnen zur Opfergeschichte der Deutschen innerhalb weniger Monate – das kann kein Zufall sein.

Hier geht es auch nicht um eine sensible Erinnerung an vergessene Individuen. Es ist Erinnerungs- und Geschichtspolitik in Zeiten nationaler Rehabilitierung, Tenor: die alliierten Bomben wollten die Moral der Deutschen brechen – und scheiterten gerade damit! Welche Moral denn? Diejenige, zur nationalsozialistischen Herrschaft zu halten? Erstens wäre eine solche Moral überhaupt keine (moralische Kategorien greifen erst bei einer Abkehr von der NS-Herrschaft), zweitens verdrängt die Darstellungsweise die Tatsache, dass es gar nicht so war, dass der Zusammenhalt „Volk-Herrschaft“ keineswegs durchgängig war, sondern zuweilen auch brüchig. Aber davon will niemand wissen.

Es geht darum, um die Erinnerung, um die Geschichtsdarstellungen zu kämpfen, sie nicht den NationalistInnen, ob HistorikerInnen, SchriftstellerInnen oder JournalistInnen zu überlassen. Und deswegen wird es hier in der Graswurzelrevolution zum wiederholten Mal (1) nicht unterbleiben, dass an etwas anderes erinnert wird denn an Deutsche als Opfer: an den über eine Woche (vom 27.2.-7.3.1943), Tag und Nacht dauernden Widerstand der mit jüdischen Männern verheirateter Frauen in der Berliner Rosenstraße.

Eine Woche über waren mal 100-200 Protestierende, mal bis zu 1000 auf der Straße, oft in wechselnder Zusammensetzung.

60 Jahre – ein rundes Jubiläum, doch wie wird daran erinnert? Wo sind die neuen Romane von Großschriftstellern, die zum Thema erscheinen? Wann wird der 27.2., der Beginn der Widerstandswoche von 1943, zum Gedenktag oder Feiertag ausgerufen? Oder der 4.3., der Tag, an dem die Frauen den Maschinengewehren der Nazis trotzten?

Wo ist der Spiegel-Titel dazu, wo die Spiegel-Serie über mehrere Ausgaben hinweg? Wo sind die Sonderausgaben aller linken, marxistischen und antideutschen Blätter zu diesem Thema, wo ihre Detailstudien über alle Aspekte, die damit zusammenhängen? Fehlanzeige!

Wenn bisher überhaupt an die Rosenstraße erinnert wurde, dann waren es meist jüdische Forscher wie Nathan Stoltzfus oder Forscher aus der gewaltfreien Szene wie Gernot Jochheim, die mit umfangreichen Buchveröffentlichungen viel an Material gesichtet und zugänglich gemacht haben. (2) Es waren dann weitere Initiativen von unten, aus der Kunst und aus der Frauenbewegung, die mit einem Denkmal sowie einer Litfasssäule in der heutigen Rosenstraße in Berlin öffentlich sichtbar an diesen Widerstand erinnerten. (3) Auf alternativen Geschichtsrundgängen in Berlin wird an der Rosenstraße halt gemacht, und auf „Arte“ lief einmal eine Dokumentation darüber. Das war’s dann wohl – zu hören ist, dass Margarethe von Trotta einen Kinofilm über die Rosenstraße plant und dazu seit Jahren Gespräche mit Überlebenden führt, das wäre ja mal was dem Ereignis Angemessenes.

Dieser Widerstand hätte es verdient, den bürgerlichen Medien und ihrer ermüdenden Wiederholung des viel zu späten und halbherzigen Widerstands der Militärs und ihrer HelferInnen vom 20. Juli 1944, die bis dahin vielfach alle vier Kriegsjahre an vorderster Front bei der verbrecherischen Kriegsführung der Nazis mitgemacht hatten, entgegen gehalten zu werden! Und er hätte es verdient, dass er den heutigen „antideutschen“ (real sehr „prodeutschen“, weil sie ihren Frieden mit den System gemacht haben) Gruppen wie ein Spiegel vorgehalten wird, als ein Beispiel dafür, wie nichtjüdische und jüdische Deutsche vereint Widerstand geleistet haben, und zwar erfolgreich: die Nazis brachen die Deportationen ab, gaben dem unbewaffneten Widerstand nach, um einen befürchteten Flächenbrand und eine Ausweitung des Widerstands zu vermeiden. Ca. 1700 Juden/Jüdinnen in der Rosenstraße 2-4 und einige weitere Hundert in anderen Sammellagern wie z.B. der Großen Hamburger Str. 26 konnten so vor der Deportation nach Auschwitz gerettet werden, ein Transport wurde sogar zurückgeholt, viele von den Befreiten überlebten bis zum Ende des Krieges in einem illegalen Fluchthilfenetzwerk in der Stadt, das ebenfalls sowohl von nichtjüdischen wie jüdischen Deutschen gebildet wurde. Aber nein, Widerstand in Deutschland, von unten, bei der Rettung von Menschen unmittelbar erfolgreich, mit der denkbaren Perspektive einer möglichen Ausweitung zum Sturz der Naziherrschaft – das kann es für die antideutsche Kriegsführungslinke von heute nicht gegeben haben! Und deshalb wird der Widerstand der Frauen in der Rosenstraße verschwiegen, marginalisiert, bestenfalls kleingehalten und als Randgeschehen abgetan, oder gar denunziert als Tat von Menschen mit falschem Bewusstsein, in Rassekategorien gefangen und daher nicht wirklich als Widerstandshandlung zählend.

Groß ist das Geschrei dieser Linken gegen die herrschende Form der Erinnerungspolitik, aber mit der Marginalisierung und Verdrängung dieses spontanen, radikalen, unbewaffneten Widerstands von Frauen in der Rosenstraße tragen sie selbst zur Durchsetzung einer nationalistischen Erinnerungspolitik bei, in der Deutsche primär als Opfer betrachtet werden und en bloc den Nazis zugewandt dargestellt werden. Risse, Abweichungen, gar wirklichen Widerstand kann es da sowohl für die bürgerliche Geschichtsschreibung als auch für die antideutsche Linke nicht gegeben haben. Das ist eines der schlimmsten Verbrechen, das in der Erinnerungspolitik begangen werden kann: es ist eine bewusste Unterlassung gerade von Geschichtsinteressierten, eine Schreibtischtat, die Auslöschung dieses Widerstands aus dem kollektiven Gedächtnis. Wer das tut, wer dazu beiträgt, braucht sich über die Folgen nicht zu beschweren. Und so sind sie sich einig, die herrschenden Medien wie die Antideutschen: Die Deutschen sahen und sehen sich als ein Volk von Opfern, durchgängig. Und sie waren zum Widerstand nicht fähig – niemand, nirgendwo.

Die Ausbürgerung der jüdischen Deutschen in der Erinnerungspolitik und die Rosenstraße als Gegenbeispiel

Die 1939 in die USA emigrierte jüdisch-feministische Historikerin Gerda Lerner beschreibt in ihrem jüngsten Buch zur Erinnerungspolitik (4), wie sie nach langen Jahren der Verfolgung erstmals wieder in Berlin war und an einem solchen Stadtrundgang teilgenommen hatte:

„Weiter zur Rosenstraße. Eine Litfasssäule als Erinnerungsmal mit Photos und Texten. Dies sei, so unser Führer, die Stelle, an der die einzige bekannte erfolgreiche Widerstandsaktion in Berlin stattgefunden habe. Gegen Ende des Krieges, nach der Schlacht um Stalingrad, ordnete die Gestapo an, dass einige Tausend Juden – bisher vom Tode verschont, weil sie mit nichtjüdischen Frauen verheiratet waren – aus der Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie entlassen und in das neue Sammellager in der Rosenstraße gebracht werden sollten. Einige Lastwagentransporte dieser Männer waren bereits nach Auschwitz unterwegs, als die Ehefrauen der Männer sich vor dem Gebäude versammelten, Tag und Nacht dort blieben und die Freilassung ihrer Männer forderten. Polizei und SS bedrohten die Frauen mit Maschinengewehren, doch sie ließen sich nicht einschüchtern. Nach einigen Tagen konnten die verbliebenen Männer das Sammellager verlassen, und die anderen wurden aus Auschwitz zurückgebracht. Ein beeindruckendes Geschehen.“ (5)

Kurz darauf kritisiert Lerner, dass heute nur der Widerstandsaktionen nichtjüdischer Deutscher gedacht wird und deutsche Juden/Jüdinnen nur als Opfer auftauchen. Dadurch würde die damalige Nazibegrifflichkeit übernommen, nach welcher es keine jüdischen Deutschen mehr gab, und es würden deutsche Juden/Jüdinnen in der Erinnerung noch einmal aus Deutschland ausgebürgert. Es lässt sich mit guten Gründen darstellen, dass gerade eine solche Aufteilung beim Widerstand in der Rosenstraße überwunden wurde, wenngleich es unmittelbar darum ging, gefangene jüdische Männer, einige wenige jüdische Frauen und viele jüdische Kinder zu befreien. Wie bei keiner anderen Widerstandsaktion arbeiteten hier deutsche Juden/Jüdinnen und nichtjüdische Deutsche Hand in Hand, und zwar vor, während und nach den Aktionen in der Rosenstraße. Nach der Freilassung der festgenommenen jüdischen Männer und Kinder aus Mischehen fand die vereinte Widerstandsarbeit vor allem in der illegalen Versteck- und Fluchthilfe für jüdische Deutsche statt, hier waren sowohl deutsche Juden/Jüdinnen wie nichtjüdische Deutsche Agierende und nicht mehr nur Opfer.

Für die Zeit vor den Rosenstraße-Aktionen nennt Gewaltfreiheitsforscher Gernot Jochheim in seinen Büchern explizit die jüdische Widerstandsgruppe Herbert und Marianne Baum als Beispiel für Widerstand von jüdischen Deutschen, die unter den jüdischen ZwangsarbeiterInnen Berlins agitierten und Flugblätter verteilten, vor allem in den Siemens-Werken. Die Gruppe Baum bestand eher aus KommunistInnen und plante klandestine gewaltsame Aktionen. Nach einem Anschlag der Gruppe auf die NS-Propagandaausstellung „Das Sowjetparadies“ am 18. Mai 1942, wo eine Brandbombe Sachschaden anrichtete und elf Menschen leicht verletzte, gab es am 27. Mai 1942 eine Razzia unter jüdischen deutschen Männern, bei der 154 Juden festgenommen und die meisten von ihnen sofort erschossen, ihre Angehörigen nach Theresienstadt deportiert wurden. Die Frauen, die später in der Rosenstraße Widerstand leisteten, hatten all das hautnah miterlebt und wussten also, was ihnen blühen konnte. Trotzdem leisteten sie in der ersten Märzwoche 1943 offen unbewaffneten Widerstand. Warum?

Juden/Jüdinnen galten den Nazis nicht als Menschen, für sie hätte eine unbewaffnete Widerstandshandlung nahezu sicher mit ihrer Ermordung geendet, Juden/Jüdinnen blieb deshalb fast immer nur der bewaffnete Widerstand. Die deutschen nichtjüdischen Frauen dagegen, die in einfacher Mischehe („arisch versippt“ im Nazijargon) innerhalb jüdisch-deutscher Familien lebten, konnten unbewaffnet Widerstand leisten. Hätten in der Rosenstraße vornehmlich Juden/Jüdinnen Widerstand geleistet, wären sie sicher schnell niedergeschossen oder deportiert worden. Besonders Nathan Stoltzfus, der in dieser Hinsicht Hitlers Machttheorie genau untersucht hat, hat darauf hingewiesen, dass Hitler durchaus auf Unterstützung der von ihm so definierten „arischen“ deutschen Bevölkerung angewiesen war und nichts so sehr fürchtete wie offenen Widerstand im Hinterland der Front, von Frauen durchgeführt – das erinnerte ihn an den „Dolchstoß“, den er selbst im Ersten Weltkrieg durch die Friedensdemonstrationen der deutschen Frauen von 1918 erlebt hatte. (6) Deswegen war es bedeutsam, dass sich die deutschen Frauen selbstbewußt, unbewaffnet und in aller Öffentlichkeit wehrten. Trotzdem war es eine Zusammenarbeit mit jüdischen Deutschen, weil die jüdischen Familienangehörigen mit den Widerstandsfrauen, die mehrheitlich in jüdische Familien eingeheiratet hatten, beratschlagten, weitere Strategien überlegten oder ihnen Nachrichten über den „Mundfunk“ (das Hörensagen in den Stadtvierteln) usw. zukommen ließen.

Zwar war die Aktion der Rosenstraße-Frauen vorwiegend spontan und keineswegs bewusst als gewaltfreie Aktion geplant, doch sie waren nicht durchweg naiv oder politisch unerfahren. Auch hier ist interessant, worauf Stoltzfus in Einzelfällen von am Widerstand beteiligten Frauen hinweist, wie zum Beispiel: „Frau Weigert hatte schon von öffentlichem Protest als Mittel der Einflußnahme auf die Politik gehört; sie hatte von Mahatma Gandhi gelesen und davon, wie er die Massen seines Landes mobilisiert hatte.“ (7) Die nichtjüdischen Frauen in der Rosenstraße nutzten auch ihre deutschen Verwandtschaftsbeziehungen, so dass auf der Demonstration an einigen Tagen plötzlich auch deutsche Uniformierte, meist Soldaten auf Heimaturlaub, mitmachten, um die Legitimation der demonstrierenden Frauen zu erhöhen. Charlotte Rosenthal berichtete gegenüber Gernot Jochheim: „Es haben sich unglaubliche Szenen abgespielt. Ich erinnere mich noch eines Auftritts: In meiner nächsten Nähe stand eine Frau mit ihrem Bruder, der in Uniform und gerade auf Urlaub war – im übrigen waren mehrere Wehrmachtsangehörige unter uns – (und der) auf einen SS-Mann zuging und sagte: ‚Wenn mein Schwager nicht freigelassen wird, gehe ich nicht wieder an die Front.‘ Der SS-Mann drängte ihn zurück und drohte mit Abführung.“ (8)

Starrheit oder Dynamik der Aktion?

Als ich vor einiger Zeit eine Veranstaltung über die Rosenstraße durchführte und dabei auch die Arte-Dokumentation auf Video gezeigt habe, wurde mir von antideutschen DiskussionsteilnehmerInnen vorgehalten, das sei keine wirkliche Widerstandshandlung gewesen, weil die Frauen noch ganz im NS-Rassedenken gefangen gewesen seien und ihre Aktion geradezu davon abhing, dass sie als „arische“ Frauen gegolten haben.

Dieser Einwand zeigt die Beschränktheit, die Ahnungslosigkeit derjenigen, die es nicht ertragen können, dass es diese Form des Widerstands gegeben hat. Der Einwand ist in doppelter Hinsicht falsch.

Erstens hatten sich antisemitische Rassekategorien der NS-Herrschaft tatsächlich in den Köpfen und Handlungen fast aller Deutscher festgesetzt, sie wurden flächendeckend internalisiert. Doch das ist nur der Ausgangszustand, entscheidend aber ist die Frage, ob eine solche Internalisierung auch wieder rückgängig gemacht werden kann. Antideutsche halten nun diese Situation Anfang 1943 in der Rosenstraße fest, blicken nur noch starr auf diese Tatsache des falschen Bewusstseins und verurteilen dadurch die Beteiligten. Wer sich aber ausführlich mit unbewaffneten oder gewaltfreien Aktionen beschäftigt hat, weiß, dass durch die direkte Aktion eine Dynamik in Gang gesetzt wird. Durch die Aktion werden Erfahrungen gemacht, einerseits mit der Macht der Herrschenden, andererseits aber auch unter den Unterdrückten. Es entsteht die Erfahrung der Solidarität, das Bewusstsein des Aufeinanderangewiesenseins.

Durch diese Dynamik der Solidarität, die aus der Aktion heraus entsteht, ändert sich schließlich auch das Bewusstsein. Und deshalb war für viele Frauen, die sich anfangs ganz spontan mit ihrem falschen „Rassebewusstsein“ an den Protesten beteiligt haben – und wenn es in dem Gedanken war, „ich bin eine arische Frau, ich habe ein Recht zu bestimmten Forderungen, das andere nicht haben“ – nach der Aktion die Welt nicht mehr wie zuvor. Die Dynamik der Aktion hat einen Bewusstseinswandel in Gang gesetzt, der in eine emanzipatorische Richtung ging. Die Frauen aus der Rosenstraße haben sich von ihren selbst internalisierten Rassekategorien durch die Dynamik der Aktion verabschiedet, oft nur Stück für Stück, aber die Tendenz war deutlich. Die hohe Beteiligung der Rosenstraße-Frauen an den nach dem März 1943 gebildeten Fluchthilfe- und Verstecknetzwerken für jüdische Illegale und Überlebende in Berlin spricht eine deutliche Sprache. Dieser emanzipatorische, dynamische Prozess, der durch diese Aktion ausgelöst wurde, entgeht naturgemäß der Starrheit des Blickes jener, die die Aktion als auf „falschem“ Bewusstsein basierend verurteilen.

Und zweitens hatten es die Frauen in jüdischen Mischehen nicht einfach, auch wenn sie keinen Judenstern tragen mussten. Es war ein Phänomen der zwanziger Jahre, dass ungefähr doppelt so viele deutsche nichtjüdische Frauen deutsch-jüdische Männer geheiratet hatten als umgekehrt deutsche nichtjüdische Männer deutsch-jüdische Frauen ehelichten. Die nichtjüdischen Frauen zogen nach der Heirat in die jüdischen Familien, hatten nach Herrschaftsbeginn der Nazis oft Schwierigkeiten mit ihren nun „arisch“ genannten Ausgangsfamilien und wurden von diesen sogar oft genug als Verräterinnen beschimpft, die der Familie „Blutschande“ machten. Die „arischen“ Männer dagegen setzten meist (aus Karrieregründen) ihre deutsch-jüdischen Frauen nach 1933 sehr schnell auf die Straße, die ja in die „arische“ Familie eingezogen und dort in der Regel äußerst isoliert waren.

Die Frauen der Rosenstraße waren todesmutig, als sie sich am 5.3.1943 den Maschinengewehren der Nazis entgegen stellten, die an diesem Tag vor ihnen aufgefahren worden waren. Charlotte Rosenthal:

„Ich stand genau vor einem Maschinengewehr. Ich sah, wie sie solche Gurte in das Maschinengewehr einzogen. Ich kannte das ja alles nicht. Nun war uns alles egal. Wir brüllten: ‚Ihr Mörder! Ihr Feiglinge!‘ In der Hauptsache habe ich an meinen Mann gedacht. ‚Jetzt kann ich ihn überhaupt nicht mehr retten‘, hab‘ ich gedacht. ‚Jetzt ist alles aus.‘ Wir haben laut geschrieen, wir haben gebrüllt: ‚Ihr Mörder!‘ Da schrie ein SS-Mann was. Aber ich konnte das nicht verstehen, weil wir so geschrieen haben. Dann geschah etwas Unerwartetes: Die Maschinengewehre wurden abgeräumt. Vor dem Lager herrschte jetzt Schweigen, nur noch vereinzeltes Schluchzen war zu hören. Das war der schlimmste Tag.“ (9) Und der erfolgreichste: am nächsten Tag begannen die Entlassungen in der Rosenstraße und der Großen Hamburger Straße. Am 6.3.1943 trug Goebbels, der in seiner Funktion als Gauleiter Berlin „judenfrei“ machen wollte, in sein Tagebuch ein, es hätten sich da „leider etwas unliebsame Szenen“ abgespielt, es habe sich „die Bevölkerung in größerer Menge“ angesammelt „und zum Teil sogar für die Juden etwas Partei“ ergriffen. „Ich gebe dem SD den Auftrag, die Judenevakuierung nicht ausgerechnet in so einer so kritischen Zeit fortzusetzen.“ (10) Im März 1943 kündigt das Berliner „Zentralamt“ in Auschwitz die Ankunft von 15000 Juden/Jüdinnen aus Berlin an. Real werden im März aus Berlin 8000 Juden/Jüdinnen nach Auschwitz deportiert. Die anderen – nicht nur die Menschen aus Mischehen – sind durch den Widerstand gerettet worden. Rund 4000 von ihnen konnten untertauchen und in Berlin versteckt überleben.

(1) Zum Teil sehr ausführliche Berichte, Analysen und revolutionstheoretische Überlegungen über den Frauenwiderstand in der Rosenstraße finden sich in der GWR in den Ausgaben Nr. 138, 149, 176, 222, 251.

(2) Nathan Stolzfus: Widerstand des Herzens. Der Aufstand der Berliner Frauen in der Rosenstraße - 1943, München/Wien 1999, Hanser Verlag, 477 S.; Gernot Jochheim: Protest in der Rosenstraße, Stuttgart 1990, Hoch-Verlag, 192. S., ders.: Frauenprotest in der Rosenstraße, Berlin 1993, Edition Hentrich, 198 S.

(3) In GWR 176 finden sich viele Bilder von diesen Initiativen zur Erinnerung an den Widerstand, v.a. S. 10/11.

(4) vgl. Besprechung "Mein Anderssein". Gerda Lerner: Zukunft und Vergangenheit, von Johanna Hellkerns in GWR 274, S. 15.

(5) Gerda Lerner: Zukunft braucht Vergangenheit. Warum Geschichte uns angeht, Helmer Verlag, Königstein 2002, 304 S.

(6) Dieser Eindruck wurde zur Zeit der Rosenstraße-Aktion noch durch die Tatsache verstärkt, dass die deutschen Frauen bei weitem nicht in gefordertem Maß den Arbeitseinsätzen in der Rüstungs- und anderen Industrien nachkamen. 1944 bezeichnete Speer den Arbeitseinsatz der deutschen Frauen als "gescheitert", vgl. Hätten die Nazis gestürzt werden können?, in GWR 251, vgl. auch Stoltzfus, S. 274f.

(7) Stoltzfus, S. 303.

(8) Charlotte Rosenthal zit. nach Gernot Jochheim: Gewaltfreier Widerstand gegen Nazis!, in GWR 176, S. 10.

(9) zit. ebenda, S. 11.

(10) Goebbels, zit. nach Jochheim, eba, S. 11.