Die Apartheid, das brutale System der Rassentrennung in Südafrika, stand nach 40 Jahren – im Februar 1990 – vor ihrem Ende. Die unumstößlich wirkenden Mauern, welche die Apartheid zwischen den Menschen geschaffen hatte war zwar nicht aus Beton gemacht, sondern aus Gesetzen, Verachtung und Gewalt. Sie ruhte auf einem Fundament von Angst, Überheblichkeit und einem unvorstellbarem Hass. Viel Blut ist unter den Apartheidregimen geflossen, und die Reihen der Gräber in Soweto, in Sharpville und den vielen Schauplätzen des Terrors sind lang. Dennoch entstand das neue Südafrika nicht aus einem grausamen Bürgerkrieg. Dass dieses verhindert werden konnte, ist auf den langwierigen Kampf derjenigen Menschen zurückzuführen, welche innerhalb der Schwarzen Befreiungsbewegungen die Impulse des gewaltlosen Widerstandes tradierten bzw. lebten.
Im März 2003 beendete die südafrikanische Wahrheits- und Versöhnungskommission (WVK) die Arbeit ihrer Recherchen sowie die Erstellung der dokumentarischen Berichte, zu den Menschenrechtsverletzungen innerhalb der Apartheidära. In dem Gesamtbericht der WVK sind die Verbrechen der Apartheidzeit, von 1960 bis zu den ersten demokratischen Wahlen 1994 dokumentiert. Transparent werden die Produktion von Terror durch den Apartheidstaat und die Verstrickungen der politischen Parteien in das Gewaltregime. Die Dokumentationen über die Amnestie-Anhörungen geben Einblick in die Abgründe der TäterInnenseite sowie die ausgeübten Praktiken von Entführung, Folter und Mord unter der Apartheid. Im Mittelpunkt der Gesamt-Dokumentation stehen die Reportagen über diejenigen Menschen, die Opfer der Repressionen, der Gewalt- und Todesspirale des Apartheidstaates waren. Ihre vor der Kommission erzählten Geschichten sind zentraler Bestandteil des WVK-Berichtes.
Die Wahrheit tut weh, aber Schweigen tötet.
So lautete, der auf Postern zu lesende Slogan, mit dem die Wahrheits- und Versöhnungskommission in allen Landesteilen Südafrikas zu den öffentlichen Anhörungen einlud. Diese zwischen 1996 und 1998 veranstalteten öffentlichen Anhörungen waren zentral-bedeutsamer Bestandteil des gesamten Prozesses der Reconcilation (Versöhnung). Begleitet wurden die unter großer Öffentlichkeit (Presse, Radio, Fernsehen…) stattgefundenen Anhörungen von weiteren Aktivitäten: die Kommission ließ Aussagen sammeln, Untersuchungen durchführen, Nachforschungen anstellen. Denn zielgerichtet ging es außerdem darum, das Schicksal oder den Aufenthalt von „Opfern zu klären und jene Personen oder Organisationen zu identifizieren, die für die Menschenrechtsverletzungen verantwortlich waren.“ (1)
Am 21. März 2003, dem nationalen „Tag der Menschenrechte“ in Südafrika, überreichte der Vorsitzende der Kommission, Desmond Tuto, Kapstadts früherer anglikanischer Erzbischof, dem Präsidenten des südafrikanischen Parlaments, Thabo Mbeki, die letzten beiden Bände des Dokumentationsberichtes der WVK. Darin finden sich Zusammenfassungen der rund 22.000 Fälle, die sich die Kommission zwischen 1996 und 1998 angehört hat.
Die WVK erhofft, speziell mit diesem Abschluss des Berichtes das politisch-umstrittene Thema der Entschädigungen für die Opfer der Apartheid mit konkreten Schritten vorantreiben zu können.
Bislang sind von staatlicher Seite statt der von der Kommission empfohlenen drei Milliarden Rand (280 Millionen Euro) nur etwa 50 Millionen Rand gezahlt worden. Ein umfassender Entschädigungsplan soll nun nach dem Abschlussbericht der WVK im südafrikanischen Parlament diskutiert sowie ausgearbeitet werden.
Doch nicht nur die vom Unrecht und den Menschenrechtsverletzungen Betroffenen, die Opfer des Apartheidstaates; auch die TäterInnen verbinden hoffende Erwartungen mit der Beendigung der Arbeit der WVK. Denn die Mehrzahl von ihnen nahm das Angebot nicht wahr, durch Preisgabe ihrer Verbrechen, von der WVK, Amnestie zu erhalten. Sie hoffen jetzt auf eine Generalamnestie durch den Präsidenten Thabo Mbeki. Ende des vergangenen Jahres hatte dieser in einem umstrittenen Schritt 33 ehemalige WiderstandskämpferInnen gegen die Apartheid begnadigt, deren Amnestieanträge zum Teil von der WVK abgelehnt worden waren.
Schon bei der Übergabe der ersten fünf Bände des WVK-Berichtes an den damaligen Präsidenten Nelson Mandela 1998, bekam die Kommission von allen Seiten Unwillen zu spüren. Der letzte Präsident des Apartheidstaates, Frederik Willem de Klerk, ließ in letzter Minute Passagen schwärzen, in denen sein Name fiel. (2)
Heftige Kritiken hagelte es jedoch nicht nur aus den Reihen ehemaliger BefürworterInnen des Apartheidstaates. Gruppierungen des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), der jetzigen Regierungspartei im Parlament (seit 1994), kritisieren, dass die Wahrheits- und Versöhnungskommission WiderstandskämpferInnen „kriminalisiere“. Besonders heftige Kritik kam außerdem von der Zulu-Partei Inkhata. Diese hatte monatelang vor Gericht die Veröffentlichung des Abschlussberichtes der Kommission herausgezögert. Die Zulu Partei Inkhata ist nach Meinung der WVK, für ein Drittel der politisch motivierten Verbrechen verantwortlich gewesen. Die Zulu-Partei Inkhata darf nun in einem (zusätzlichen) Anhang des Abschlussberichtes ihre Position darlegen.
Diese Einblicke verdeutlichen, dass es sich bei dem Gesamt-Prozess der Reconcilation keineswegs um ein idealtypisch, konstruiertes Modell handelte. Die InitiatorInnen sowie die siebzehn AktivistInnen der WVK beurteilten den Entwicklungsverlauf ihrer Arbeiten verantwortungsbewusst, selbstkritisch und waren bzw. sind sich der Grenzen und Defizite bewusst. Insbesondere hinsichtlich der noch ausstehenden Entschädigungszahlungen und Wiedergutmachungs-Leistungen.
In der von der WVK eigens herausgegebenen populären Fassung, spezifisch geschrieben für das südafrikanische Volk, schreibt Desmond Tuto: „Unser Bericht gehört all den Menschen Südafrikas, die etwas versucht haben, für das es nur in wenigen Ländern Vorbilder gibt: sie haben sich darum bemüht, ihre oft bedrückende und schmerzvolle Vergangenheit zu verstehen. Wir haben diesen Versuch unternommen, um uns der Vergangenheit gemeinsam erinnern zu können. Diese Erinnerung soll dazu beitragen, dass sich die Schrecken der Vergangenheit niemals wiederholen – die Bannungen, die Zwangsumsiedlungen, die minderwertige Ausbildung, die Verhaftungen ohne gerichtliches Urteil, die Entführungen, das Verschwinden von Leichen, die Bomben in den Wimpy-Restaurants, in Kirchen, in Clubs und auf den Strassen, die unschuldige Kinder, Frauen und Männer töteten; die Landminen, die unbewaffnete Zivilisten verstümmelten und töteten, die „Halskrause“, die Massaker. Angesichts dieser Vergangenheit sagen wir: Nie wieder!“ (3)
(1) Das Schweigen gebrochen, Wahrheits- und Versöhnungskommission Südafrika, Geschichte - Anhörungen - Perspektiven, Vorwort von Erzbischof Desmond Tuto, Brandes & Apsel. Südwind, Frankfurt/M., 2000, (400 Seiten, 19 Euro), Seite 21
(2) epd ZA / Dritte Welt Nr. 54 vom 18. März 2003, Seite 17 und 18
(3) aus: Das Schweigen gebrochen, Seite 11 sowie zusätzlich: Mascha Madörin, Gottfried Wellmer, Martina Egli (1999), Apartheidschulden. Der Anteil Deutschlands und der Schweiz, hrsg. von Brot für die Welt: Stuttgart.