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„So einen Irrsinn mache ich nicht mit!“

Die Geschichte des Deserteurs Dave Carson

| Interview: der Flo

Heute setzt sich Dave Carson auf Demonstrationen dafür ein, dass nie wieder Blut für Öl und Hegemonie vergossen wird. "Die GIs sollen wissen, dass ihnen jemand hilft, wenn sie den Kriegsdienst verweigern."

1986 unterschrieb Carson einen Drei-Jahres-Vertrag bei den US-Streitkräften. Nach abgebrochenem Musikstudium und Drogenproblemen sah er im Dienst bei der US-Army seine einzige Perspektive. Sie bot ihm sicheres Geld und eine Krankenversicherung. „Das war eine Flucht aus dem Leben“, sagt er heute.

Nach Beendigung der Grundausbildung wurde er mit 22 Jahren nach Augsburg versetzt. Es galt den schon zur Routine gewordenen Schutz vor der damaligen Sowjetunion zu erhalten.

1990, zu Beginn des 2. Golfkrieges änderte sich die Situation allerdings grundlegend. Die Gefahr, in einem Krieg kämpfen zu müssen wurde konkret, da eine Großzahl der in Deutschland stationierten US-SoldatInnen in die Golfregion beordert wurde. „Das war ein Schock für mich.“

Nicht nur für ihn. Etwa 100 in Deutschland stationierte GIs konnten dem Einsatz nur dadurch entgehen, dass sie sich von der Truppe entfernten. Juristisch betrachtet gibt es zwar für GIs die Möglichkeit, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern, um nach einem Prüfungsverfahren den Armeedienst vorzeitig beenden zu können. Allerdings ist dieses Recht im Krisen- und Konfliktfall eingeschränkt; die AntragstellerInnen müssen bei ihren Einheiten bleiben.

Aufgrund dieser Rechtslage besteht keine legale Möglichkeit, sich dem befohlenen Abmarsch in den Krieg zu entziehen. Ein Soldat, der trotzdem seine Einheit verlässt, ist „absent without leave“ (AWOL), eigenmächtig abwesend. Ein großer Teil der etwa 100 AWOL gegangenen GIs wurde am Ende zu Haftstrafen von bis zu fünf Jahren verurteilt und unehrenhaft entlassen.

Dave Carson versuchte, den Kriegsdienst zu verweigern. Obwohl ihm der Gegenwind von Vorgesetzten und Kollegen stark ins Gesicht blies, trieb er seine Bestrebung, den Militärdienst niederzulegen, stetig voran. Er wusste, dass man bei der Army nicht einfach kündigen kann.

Trotz des laufenden Verfahrens wurde der damals 37-jährige in den Krieg geschickt. Seine eigenen „Kumpels“ zerrten ihn in den Bus nach Zeppelinheim und schmissen ihn in die Militärmaschine nach Saudi-Arabien.

Carson ließ sich nicht einschüchtern und beschwerte sich nach der Ankunft offiziell über die brutale Vorgehensweise seiner Vorgesetzten und Kollegen. „Ich hatte mehr Angst vor meinen eigenen Leuten als vor den Irakis.“

Jedoch es nützte nichts. Über ein Jahr kämpfte Carson mit seiner Division im Irak. Er sah Bilder und erlebte Situationen, die ihn täglich in seiner Einstellung bekräftigten.

Nach Angaben der US-amerikanischen Organisation Central Committee for Conscientious Objection verweigerten während des zweiten Golfkrieges insgesamt ca. 2.500 SoldatInnen den Kriegseinsatz. 315 AntragstellerInnen wurden vom amerikanischen Verteidigungsministerium anerkannt.

In Deutschland arbeitete zur Unterstützung der hier stationierten GIs das Military Counseling Network (MCN), ein Beratungsnetzwerk für US-SoldatInnen, das Beratung, Unterstützung und juristische Hilfe leistet. (1)

Etwa 1000 GIs wandten sich während des zweiten Golfkrieges an das MCN. Dieses stellte während der 90er Jahre seine Arbeit ein.

Aber angesichts der Lage eines nun begonnen 3. Golfkrieges, ist das MCN wieder aktiv geworden. Unter der Adresse www.Connection-eV.de kann Mensch sich informieren.

Einen Tag nach dem Waffenstillstand wurde Dave Carson von seinem Vorgesetzten gefragt, ob er noch immer verweigern wolle. Für ihn stand fest: „So einen Irrsinn mache ich nicht noch mal mit.“

Im September 1991 erhielt er seine offizielle Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer. Seitdem lebt Dave Carson in Deutschland. Täglich kann er nun in den Medien verfolgen, wie die amerikanische Armee erneut den Irak angreift.

Er war so freundlich, mir ein paar Fragen zu beantworten.

Graswurzelrevolution: Wann und aus welchen Motiven haben Sie sich damals dafür entschieden, in die US-Armee einzutreten? Hat Ihr Vater gedient?

Dave Carson: Ich bin 1986 in die US Army eingetreten, nachdem ich mein Studium abgebrochen hatte. Ich hoffte, bei der Armee studieren zu können und dafür Geld zu bekommen, einen festen Lohn zu erhalten und nicht drogensüchtig zu werden. Auch mein Vater war bei der US-Army, 27 Jahre lang. Er ist Veteran des Korea- und auch des Vietnamkrieges. Da er nie wirklich darüber gesprochen hat, was er im Krieg erlebte, hatte ich nur ein abstraktes Bild davon. Zugleich vermittelte er mir, dass er ein stolzer Soldat sei.

GWR: In einem Interview sagten Sie: „An Krieg habe ich nicht gedacht.“ Wie ist es möglich, täglich theoretisch und praktisch für kriegerische Auseinandersetzungen trainiert zu werden, und trotzdem das Phänomen Krieg auszublendenden?

In der militärischen Ausbildung wird alles als ein großes Spiel angesehen. Man schießt auf Plastik- oder Holzziele und erhält eine Anerkennung, wenn man gute Leistungen bringt. Das spornte uns an, wo wir als junge Menschen viel zu selten durch die Familie oder die Gesellschaft Anerkennung erhielten.

Zu meiner Zeit gab es noch den Kalten Krieg. Seit dem Vietnamkrieg war das US-Militär nicht mehr in einer großen Auseinandersetzung eingesetzt worden.

Seit Desert Storm, dem letzten Golfkrieg, sind 12 Jahre vergangen. Die meisten der heutigen SoldatInnen waren damals Kinder, vielleicht wurden auch ihre Eltern als Helden des letzten Krieges gefeiert.

Was gab den Anstoß, die Armee zu verlassen?

Ich sah, dass es Aufgabe der Army ist, internationale Verbrechen gegen die Menschenrechte zu unterstützen. Also war dies als Soldat auch meine Aufgabe. Das konnte ich nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren.

Haben Sie sich mit anderen Soldaten über ihre Pläne unterhalten können?

Ja, aber es gab ständige Bedrohungen durch meine Vorgesetzten und von anderen Soldaten. Sprach ich mit jemandem darüber, so wurde auch ihm angeraten, nicht mehr mit mir über das Thema zu reden.

Gibt es Möglichkeiten, als Deserteur ein „normales“ Leben in der US-amerikanischen Zivilgesellschaft zu führen?

Meiner Meinung nach nicht. Ein Deserteur würde nach einer strafrechtlichen Verfolgung unehrenhaft aus der Armee entlassen werden. Das wird in den Entlassungspapieren des Militärs vermerkt, die in der Regel von den Unternehmen bei der Arbeitssuche eingesehen werden. Bei dem in den USA vorherrschenden Patriotismus gibt es wohl nur sehr wenige Betriebe, denen das dann egal ist.

Wie sehen Sie Ihre eigene Zukunft?

Ich lebe seit meiner Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer, nach dem letzten Golfkrieg, in Deutschland. Hier stellt das kein Hindernis für mich und meine Lebensperspektive dar.

Wer oder welche Organisation unterstützt Sie bei Ihrem Weg in Deutschland? Welche Unterstützung wünschen Sie sich?

Als ich meinen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellte, hatte ich noch keinen Kontakt zu deutschen Organisationen. Ich wurde dann trotz meines Antrages nach Saudi-Arabien verlegt, gemeinsam mit meiner Einheit. Erst dort erhielt ich Stück für Stück Infos über das Verfahren. Ein großer Teil der Post erreichte mich nicht. Die Post wurde vom Militär kontrolliert. Die entscheidendsten Informationen erhielt ich über einen Kriegsdienstverweigerer, der im Hauptquartier der 3. Infanteriedivision stationiert war. Er schickte mir Brief durch die interne Militärpost, die nicht kontrolliert wurde.

Die Frankfurter Rundschau berichtete über US-amerikanische Soldaten, die an Händen und Füßen gefesselt nach Saudi Arabien geflogen worden waren, weil sie die Armee verlassen wollten. Fühlen Sie sich verfolgt vom US-amerikanischen Staat?

Ich selbst wurde nicht in Handschellen abgeführt. Stattdessen trugen mich 5 Soldaten in das Flugzeug.

Wie fühlen Sie sich, wenn jetzt ihre alten „Kollegen“ in den Krieg geschickt werden?

Ich empfinde Mitleid für die, die eigentlich nicht in den Krieg gehen wollen. Den anderen bringe ich Verachtung entgegen. Sie wollen „ein paar Irakis töten“.

Was denken Sie, worin die imperiale Politik der Vereinigten Staaten münden wird?

Das Ziel der imperialistischen Politik der USA ist die Weltherrschaft. Insofern ist der Krieg gegen den Irak als ein Schritt auf diesem Wege zu verstehen. Praktisch wird das so aussehen: Alle trinken Coca-Cola und schwenken die US-Fahne.

Wie können die Leserinnen und Leser unserer Zeitung (Graswurzelrevolution) Sie und andere Deserteure unterstützen?

Es ist wichtig, Ihnen Unterkünfte anzubieten. Aber es ist auch wichtig, die deutsche Regierung aufzufordern, ihre Gewissensentscheidung zu unterstützen und ihnen z.B. Asyl zu gewähren.

Mr. Carson, ich danken Ihnen für dieses Gespräch.

(1) Vgl. GWR 276

Kontakt

Beratung für US-Verweigerer:

Military Counseling Network (MCN)
Hauptstr. 1
69245 Bammental
Tel./Fax: 06223-47791
mcn@dmfg.de
www.getting-out.de

Beratung für Kriegsdienstverweigerer aus der Türkei:

DFG-VK
Karl-Kunger-Str. 18
12435 Berlin
Tel.: 030/61074411

Literatur

Widerstand in der US-Armee, Harald Kater-Verlag, Berlin 2003

harald.kater@goerl39.de