anarchismus

„Wirklich filmreif, die Geschichte“

Ein GWR-Interview mit Pit Budde zur Geschichte von "Cochise"

| Transkription / redaktionelle Bearbeitung: Bernd Drücke, der Flo und Mario Galek, März 2003

Die anarchistische Folkrockformation Cochise wurde 1979 gegründet und war in den 80er Jahren - neben Ton Steine Scherben - die herausragende Band der Alternativ-Bewegung im deutschsprachigen Raum. Während des Kongresses zum 30jährigen Jubiläum der Graswurzelrevolution im Juni 2002 in Münster spielte auch Cochise-Mitbegründer und -Songwriter Pit Budde. Mit ihm sprachen im Februar 2003 Markus Beinhauer und Bernd Drücke (GWR-Red.).

Graswurzelrevolution: Pit, was denkst Du über Deinen Auftritt beim Graswurzelfest?

Pit Budde: Das war klasse, es hat großen Spaß gemacht. Die Lieder sind natürlich immer noch mit der alten Zeit verbunden.

Deswegen hätte ich auch meine Probleme z.B. wieder mit Cochise auf Tour zu gehen. Aber bei dem Fest, da war das o.k. Da waren Leute, die das angeht. Es kam ein wenig mein journalistischer Eifer durch. Ich habe mein Programm anhand einer historischen Linie zusammengestellt und jeweils Anekdoten zu den Liedern erzählt, um einen Rahmen zu schaffen, damit die Lieder nicht einfach so im Raum hängen. Denn sie sind in bestimmten Situationen, unter bestimmten Bedingungen entstanden, die man kennen sollte.

GWR: Erzähl doch mal aus Deiner Lebensgeschichte. Wie verlief Deine politische Sozialisation?

Pit: Groß geworden bin ich im Ruhrgebiet, in Lünen, in einer Arbeiterfamilie. Mein Vater hat in einer Metallfabrik gearbeitet, meine Mutter in einer Lederfabrik. Da war das sozialdemokratische Elternhaus vorgegeben.

Mitte der 60er Jahre habe ich mitbekommen wie die Hippiebewegung entstand und die Ostermärsche in Dortmund losgingen. Ernsthafter wurde es 1968, da war ich von allen Schulen geflogen, war unterwegs, in Amsterdam, London und dann in Paris. Zufällig bin ich dort in die Studentenrevolte geraten.

Ich hatte mein eigenes Zimmer in der von Studenten besetzten Medizinischen Fakultät mitten im Zentrum von Paris. Ich habe als 16jähriger viele Leute dort kennen gelernt, bin mitten im Geschehen gewesen, ohne so richtig zu realisieren, was da gerade passierte. Es war beeindruckend, die ersten Straßenschlachten zu sehen und auch, wie eine Besetzung ablief oder wie Molotowcocktails in Autos von Rechten flogen, die im offenen Wagen auf dem Boulevard St. Michele fuhren. Als dann die Polizei Paris von all den Hippies und Polit-Freaks säuberte wurde ich eingeknastet, ausgewiesen und nach Deutschland abgeschoben. Das war im Sommer 1968, ich wurde mit vielen anderen einkassiert. Als flüchtiger Jugendlicher stand ich auf der Fahndungsliste von Interpol und kam für ein paar Tage in den Knast. Das waren sehr intensive Erlebnisse, die sicher viel bei mir ausgelöst haben. Nachdem ich von der Schule geflogen war, begann ich mich für alles mögliche zu interessieren, was man mir vorher vergebens versucht hatte beizubringen. Ich habe viel gelesen und diskutiert, bin auf Bakunin, Kropotkin, Proudhon und andere anarchistische Klassiker gestoßen.

Es gab Anfang der Siebziger anarchistische Zirkel in Dortmund, in denen wir uns mit Anarcholiteratur beschäftigt haben. Parallel lief meine musikalische Entwicklung. Ich habe schon mit 16, als ich von zu hause weg war, in London und Paris von der Straßenmusik gelebt, sonst hätte ich diese Zeit gar nicht durchhalten können.

Als ich zurück war, musste ich zwar arbeiten gehen, hab aber weiter intensiv Musik gemacht. Ab Anfang der 70er war ich dann wieder unterwegs, teilweise in Amsterdam, teilweise in Berlin und irgendwann wieder in Dortmund. Dort bin ich dann in die Polit-Bewegung reingewachsen. Ich war aktiv in der Initiative für ein freies selbstverwaltetes Jugendzentrum. Nach einigen fruchtlosen Verhandlungen mit der Stadt haben wir 1973 das erste Haus in Dortmund besetzt und es nach einem von der Polizei in Dortmund erschossenen Jugendlichen genannt: Erich Dobhardt-Haus.

Das Haus hatten wir etwa zehn Tage lang besetzt, bis wir von der Polizei geräumt wurden. Am gleichen Abend haben wir das nächste Haus besetzt, sind aber noch in der Nacht geräumt worden. Die Musik war immer dabei. Wir hatten damals einige Musikgruppen – also eher Folkszene, Folkrock usw., – zu der Zeit habe ich noch keine deutschen Texte gesungen. Zwar gab es die Scherben, aber wir haben im Gegensatz zu ihnen noch keine deutschen Texte geschrieben. Wir haben englisch gesungen, wie viele andere Bands auch.

Erst als sich die politische Situation verschärfte, hab ich angefangen über meine Erlebnisse und Gedanken deutsche Texte zu schreiben. Unser Treffpunkt und Zentrum war Mitte der siebziger ein freies Kulturzentrum, das Künstler und andere Kreativleute ein paar Jahre zuvor von der VHS übernommen hatten. Jetzt sollte an gleicher Stelle ein Revierpark entstehen, die Häuser geräumt und abgerissen werden. Daraufhin haben wir ein halbes Jahr lang das ganze Gelände inklusive der Häuser besetzt und in einem Zeltcamp gelebt. Als das Camp geräumt und die Häuser abgerissen waren, wurde die politische Diskussion entschiedener und härter. Die Musikszene war weniger radikal als die politische Szene, in der ich mich immer parallel bewegte. Irgendwann gab es die überfällige Spaltung. Ich spielte damals in der Gruppe Manderley. Wir sangen jetzt deutsche, politisch angehauchte Texte, die entsprachen aber nicht mehr meiner Realität nach der Eskalation bei den Räumungen, Demos, Verhaftungen etc. Ich habe gemeinsam mit Klara, die auch bei Manderley spielte, die Band gekippt und Cochise gegründet.

Du hast gerade gesagt, ihr hattet vorher keine deutschen Texte. Was habt ihr da für Texte gemacht?

Wir haben uns anfangs an Folkmusikern wie z.B. Bob Dylan orientiert. Das war während des beginnenden Folk-Revivals in Deutschland. Der nächste logische Schritt war es, eigene Texte zu schreiben und nach guten deutschen Texten zu suchen. Wir haben in alten Büchern gewälzt, die es meist nur in der DDR gab, Bücher in denen Arbeiterliteratur, Arbeiterlieder und auch andere ältere linke Lieder abgedruckt waren. Diese politischen eigenen Lieder und vertonten Fremdtexte haben wir mit unseren Konzerten in die Szene gebracht. Wir waren ein Teil des Folk Revivals, genauso wie Elster Silberflug oder auch Fidel Michel hier in Münster. Wir waren sozusagen die Linksaußen der Szene. Aus diesem Gedanken ist Cochise entstanden.

Es gab zwei Stränge in meinen Aktivitäten, die viele Jahre parallel gelaufen sind, und stark miteinander verwoben waren: einerseits die Musik, andererseits die Politik. Cochise hat sich gebildet, als die Kämpfe und auch die Diskussion härter wurden. Die alte Band hatte keine Antworten auf das Leben, das wir führten. Das galt für die Texte genauso wie für die Musik. Die Band war zu brav, zu sehr in die musikalischen Arrangements verliebt. „Manderley“ war gut und hat schöne Musik gemacht, interessante musikalische Experimente in der letzten Phase, aber das alles entsprach nicht mehr den Anforderungen an eine politische Band wie ich sie mir vorstellte.

Wischlingen, das besetzte Kulturzentrum, war ein Kristallisationspunkt, ein freundliches, kreatives Zentrum mit einer sehr positiven Ausstrahlung. Die Leute im Viertel waren auf unserer Seite. Wesentlicher Punkt war die gelebte Selbstverwaltung. Niemand sollte uns reinreden, denn es war uns klar, dass wir fähiger waren als die Bürokraten der Verwaltung. Für unser Zentrum haben wir damals eine unglaublich breite Unterstützung bekommen, auch während der Besetzung. Als wir es dann geschafft hatten, die SPD in Dortmund zu spalten, eine Quadratur des Kreises im Ruhrgebiet, haben sie uns ganz schnell die Häuser unter dem Hintern abgerissen. Während der laufenden Verhandlungen und rechtlichen Geschichten wurden vollendete Tatsachen geschaffen. Das Ding war einfach weg! Für alle die dabei waren war klar, dass jetzt härtere Zeiten anbrechen würden.

In Dortmund versammelte sich zu der Zeit ein großer Teil der Szene im Norden oder in Dortmund-Dorstfeld. Zuerst habe ich da anderthalb Jahre in einer besetzten Wohnung in Dorstfeld gewohnt. Danach haben wir in der gleichen Straße ein Haus mieten können. Dort ist Cochise entstanden, in einem Viertel mit besetzten Häusern, und einer Stammkneipe, in der sich schon in der Weimarer Republik die alten Anarchisten getroffen hatten.

Du hast gerade erzählt, Du warst eine Zeit lang in Amsterdam und Berlin. Was hat dich dann wieder nach Dortmund zurückgetrieben?

Eine Beziehung. (Er lacht) Eines dieser ganz normalen Dinge.

Ich habe in Amsterdam und Berlin von der Musik gelebt und das war nicht einfach. In Dortmund bekam ich die Gelegenheit als Gitarrenlehrer zu arbeiten. Ich hatte angefangen eine Gitarrenschule zu schreiben, und die von mir entwickelte Methode konnte ich dort in die Praxis umsetzen. Da hatte ich so ein bisschen sicheren Boden unter den Füßen. Allerdings wurde ich nach einer Hausbesetzung und dem anschließenden Prozess gegen mich von der Stadt aus dem Job geschmissen. Nachdem alle, die den Job hätten machen können sich solidarisch geweigert hatten, mussten die Bürokraten mich nach nem halben Jahr wieder einstellen.

Die Urbesetzung von Cochise bestand aus vier Leuten: Klara Brandi. Wir kannten uns aus einer alten Beziehung und hatten schon vorher in anderen Gruppen zusammen gespielt. Michael Hager, ein Klassiker, der im Zentrum „Wischlingen“ dabei war. Günter Holtmann, der einzige richtige Rocker, der in allen möglichen Rockbands gespielt hatte.

Und so haben wir die ersten Gigs gemacht, die ersten Stücke komponiert für die Band. Ich bekam schnell vom Dortmunder Kinder- und Jugendtheater das Angebot für ein Theaterstück über Heimjugendliche die Musik zu machen und mit Cochise auf der Bühne dabei zu sein. Das Stück hieß „Rolltreppe abwärts“. Es lief in Dortmund und wurde zum großen Teil von Heimjugendlichen gespielt. Für das Theaterstück brauchten wir einen Schlagzeuger: Peter Freiberg. Den kannte ich von früher aus den Anarcho-Zirkeln.

So haben wir die Band aufgebaut, die ersten Gigs, Auftritte im Theater und noch im gleichen Jahr die erste Platte eingespielt. Das ging schnell, weil wir bereits über ein relativ großes Repertoire verfügten. Wir haben eine damals in der Folkszene bekannte Firma gefunden, die unsere Platte veröffentlichen wollte. Wir hatten Freunde in Heidelberg, die für uns das Booking gemacht haben und uns schon im ersten Jahr durch ganz Deutschland schickten. Dadurch war die Band nach einem Jahr bundesweit bekannt. Viele der Lieder wurden kurze Zeit danach schon richtige Szene-Hits. Das war eine sehr spannende und witzige Zeit.

Zu der Zeit habe ich Euch zum erstenmal gesehen.

Pit: (lacht) Ja, wo denn?

In Unna. Anfang der achtziger Jahre hab ich Euch oft gesehen, bei den Ostermärschen, in Dortmund, in Bonn,… Zu der Zeit seit ihr viel getourt. Ihr habt über tausend Konzerte gemacht.

Das ging von vornherein so los. Auch schon mit diesen Folk-Bands. Als das erste Haus in Dortmund besetzt wurde, da haben wir eine Fete für ein freies Jugendzentrum veranstaltet. Wir haben die Musik gemacht und im Anschluss daran mit allen anderen das erste Haus besetzt. Die Verbindung von Politik und Musik gab es bei uns von Anfang an. Mit Cochise und den bundesweiten Auftritten wurde es intensiver. Wir wurden von allen angebaggert, die etwas politisches gemacht haben und sollten eigentlich immer und überall und noch am besten umsonst spielen. Jeden Tag spielen, das geht nicht. Wir mussten uns genau aussuchen, wo wir Soli-Konzerte machen und wo nicht. Es gab für uns relativ schnell klare Vorgaben, wir haben gesagt „OK, wenn es in Dortmund ist, dort wo wir leben, sind wir bei Soli Veranstaltungen immer dabei.“ Ausnahme waren Veranstaltungen die wir zwar wichtig aber gleichzeitig so bürgerlich fanden, dass viele andere Gruppen dafür ansprechbar waren. So etwas wie Amnesty International oder GfbV. Für uns war klar, da kann jeder spielen, das müssen wir nicht machen. Wenn es Konzerte außerhalb waren, hatten wir auch klare Vorstellungen, wo wir hingehen und wohin nicht. Wir sind davon ausgegangen, bei „normalen“ Veranstaltungen sollen die lokalen Bands auftreten, so wie wir in Dortmund. Aber es gab natürlich Ausnahmen für uns und Orte, die uns besonders wichtig waren. Die Startbahn West war für uns so etwas wie eine zweite Heimat. Da waren wir andauernd. Aber wir waren auch z.B. in Wackersdorf, Mutlangen, oder im KOMM in Nürnberg und an vielen anderen politischen Brennpunkten.

Wie kam es zur Auflösung von Cochise?

Die Band hatte bis zu ihrer Auflösung acht Jahre existiert. In jedem Jahr unzählige Konzerte, dazu die Studiozeiten, die Zeiten in denen wir für alles mögliche politikmäßig unterwegs war. Wir hatten einen hohen Verschleiß an Musikern, die das nicht durchgehalten haben oder nicht durchhalten wollten. Das ging schon relativ früh los. Michael ist ziemlich schnell ausgestiegen, weil es ihm zu viel wurde und er sich auf sein Musikstudium konzentrieren wollte. Peter Freiberg ist raus, weil es ihm zu politisch wurde. Tom, der Schlagzeuger, ist in Passau bei einem Festival mit nem Magendurchbruch zusammengeklappt, weil das Tourleben zu stressig war. Martin Buschmann ist auch auf einer Bühne zusammengeklappt. Das heißt: es war richtig anstrengend, es war richtig Rock’n’Roll. Wir waren andauernd unterwegs. Und wer schon morgens auf der Fahrt von Dortmund zum Bodensee mit einem Joint und einer Flasche Sekt den Tag beginnt, der wird dieses Leben nicht lange durchhalten. Meist endete so ein Tag dann irgendwann in der Nacht in irgendeiner WG Küche oder einem popligen Hotelzimmer mit Dope und Alk.

Dazu kamen dann die politischen Kämpfe. Man hat uns unser Haus, das schön bunt bemalte Cochise Haus, mit einem gewaltigen Polizeieinsatz unterm Hintern weggerissen. Wir wurden verprügelt und verhaftet. Wir wurden bei Demos gezielt rausgepickt, teilweise festgehalten, so dass wir nicht zu unseren Konzerten kommen konnten.

Wir wurden direkt von den SEKs bedroht. Die kannten uns alle und sprachen uns auf den Demos mit dem Vornamen an.

Viel ist in der Zeit passiert. Es war toll, aber auch anstrengend.

Mitte der Achtziger ist es dann mit der Politbewegung zu Ende gegangen. Damit war auch unser geistiges Zuhause futsch. Es wurde immer lahmer und irgendwann hatte ich das Gefühl, wir können noch ewig so weiter spielen, aber wir machen hier eine reine Nostalgie-Veranstaltung. Es kamen die Leute, die sich das gute Gefühl von der früheren Zeit besorgen wollten.

Das fand ich unerträglich. Dazu kam eine inhaltliche und musikalische Perspektivlosigkeit. Ich hatte in und aus dieser Szene heraus gelebt und die war jetzt weg. Ich wusste ehrlich gesagt nicht mehr, was ich schreiben sollte. Auch musikalisch wurde mir klar, dass es innerhalb dieser Band nicht mehr weiter ging. Der ganze Stil und die Texte hätten sich komplett ändern müssen. Es wäre nicht mehr Cochise gewesen. Ich habe dann gegen den Widerstand der anderen gesagt: „Jetzt ist Schluß„. Alle wollten eigentlich weiter spielen, aber ich hatte keine Lust mehr.

Politisch kam mit den großen Demos das eigentliche Ende.

Die Geschichte in Bonn, wo wir vor 300.000 Leuten gespielt haben, war für uns so etwas wie ein vorweggenommener Schlusspunkt der Bewegung.

Alles war so groß und so verwässert. Wir haben Dinge mitgekriegt, die andere nicht gesehen haben. Es war für uns klar, „das geht nach Hinten los„. Auf diesem Fest durften wir überhaupt nur noch spielen, weil sich ein paar Frauen aus Berlin sehr intensiv darum gekümmert hatten. Eigentlich waren die Auftrittszeiten bei diesen Festivals schon von der Industrie diktiert. Das war zwar eine große Friedensdemo, es steckten allerdings beim Bühnenprogramm schon knallharte industrielle Interessen dahinter. Es hieß bei der Industrie, wer vor 300.000 Leuten spielt, der verkauft dadurch so und so viel Platten. Eigentlich war von vornherein klar, wer bei solchen Großereignissen spielt. Es bildeten sich Zusammenschlüsse von Kulturleuten, die andauernd angefragt wurden, auf Soli-Veranstaltungen zu spielen. Wir haben zusammen gesessen mit Leuten wie Ulla Meinecke, Klaus Lage und BAP. Die Scherben waren die einzigen die sich nicht blicken ließen. Aber Claudia Roth, die damalige Managerin, die ich schon aus ihrer Dortmunder Zeit mit dem Hoffmanns Comic Theater kannte, war dort und hat ihre Kontakte zu den Grünen aufgebaut.

Da waren Typen die für die Industrie gearbeitet haben, wie z.B. Dieter Dehm (eine wichtige Figur, die viel mit dem Niedergang der linken Kulturbewegung zu tun hat), die dann angefangen haben, die linken Gruppen für sich einzukaufen und viel Geld damit zu machen. So kaufte sich die Musikindustrie über solche Kommerzfiguren nach und nach die Bands aus den alternativen Strukturen. Die wiederum wurden, kaum dass sie eine gewisse Größe hatten, schnell wieder zerstört. Im Prinzip waren wir von Cochise hinterher so was wie ein Häuflein der „letzten Aufrechten“, die so etwas nicht mitmachen wollten und sich nicht kaufen ließen.

Ich weiß von den Scherben, dass sie sich dann irgendwann benutzt gefühlt haben. Es galt als selbstverständlich, dass sie kommen und ohne Gage auftreten um hinterher mit einem Arschtritt wieder verabschiedet zu werden. Das war dann auch der Grund, warum die da auch keinen Bock mehr darauf hatten. Habt ihr auch diese Erfahrung gemacht?

Na klar! Ich meine, das ging noch viel weiter. Die Scherben hatten sich abgesetzt, waren raus aus dem Blickfeld. Wir haben keine begrenzten Tourneen gemacht wie die Scherben, sondern waren das ganze Jahr unterwegs. Da wurden wir mit den verrücktesten Sachen konfrontiert, mit den verrücktesten Vorstellungen. Einige Leute haben ihre moralischen Wunschvorstellungen in uns reininterpretiert. Wir galten teilweise als die Obergurus, die alles so hundertprozentig machen mussten, wie die, die uns als Gurus sahen, es selbst nicht schaffen konnten. Wir wurden z.B. ganz abstrus angemacht, warum wir elektrische Gitarren spielen oder warum wir Auto fahren. Sind natürlich alles berechtigte Fragen, die man diskutieren kann, aber damit einfach moralisch konfrontiert zu werden ist lächerlich.

Oder die Vorstellung, dass du auf Tour 24 Stunden für alle die was von dir wollen da sein musst. Wir sollten die ganze Nacht durchmachen und am nächsten Morgen direkt weiterfahren. Das geht nicht, du brauchst deine Ruhepausen. Aber selbst das war für einige nicht vorstellbar. Aber wirklich „aufgesogen“ oder „benutzt“ würde ich nicht sagen, weil wir unsere Grenzen gesetzt haben, klare Vorstellungen hatten: „So weit und weiter geht’s nicht„.

Das finde ich interessant, dass es zu Beginn der achtziger Jahre solche Machenschaften der Industrie gab, das ist mir neu.

Es gab eine Institution, die hieß „Künstler in Aktion„, die wurde von den Plattenfirmen – eigentlich von den Künstlern ins Leben gerufen, aber es gab bereits Querverbindungen zur Industrie. Und da Leute wie BAP usw. viele Platten verkauft hatten, wir und einige andere eigentlich auch, kam Dieter Dehm, den ich schon länger kannte, auf die Idee als Kontaktmann für die Industrie ein Label mit linker Musik für die EMI-Elektrola zu machen. Er ist dann im Prinzip mit dem großen Käscher und Geld rum gerannt und hat alle eingekauft. Und fast alle sind da hingegangen.

Weil man gemeint hat, man könne mit alternativer Musik viel Geld verdienen?

Ja, da war ein Markt. Es war ein Zeichen der Zeit. Es gab eine große Bewegung, sehr viele Leute, die sich in irgendeiner Form da zugehörig fühlten. Und die brauchten eine musikalische, eine kulturell verbindende Ebene. Die Musik war wichtig, ein verbindendes Element für Szenen, die eigentlich nicht so gut zusammen passten, aber trotzdem zusammengearbeitet haben. Was wiederum anfangs sehr gut für alle Seiten war.

Wir merkten irgendwann, dass die Industrie begriffen hatte, dass mit dieser Szene ne Menge Geld zu machen war. Also bedienten sie sich und kauften die Bots, BAP, Klaus Lage, Schröder Roadshow und einige andere mehr als Einstiegsdroge für die ganze Szene.

 

Was meinst Du mit Einstiegsdroge?

Das war eine sehr lohnenswerte Angelegenheit für Dieter Dehm. Er hat die Texte für einige Gruppen geschrieben, sie produziert und sie verkauft. Das ging so weit, dass die meisten Bands, die zu Dehm gegangen sind, Lieder von ihm spielen mussten oder Verträge hatten, auf jeder LP Lieder von ihm aufzunehmen. BAP hatten so was nicht nötig. Aber andere haben seine Lieder gespielt, und er hat doppelt und dreifach kassiert. Das Perverse dabei ist, dass er auch Wolf Biermann in die offenen Arme genommen hat. Später kam heraus, dass Dehm für die STASI gespitzelt hatte. Er hat für die STASI gearbeitet und war erster Ansprechpartner für Biermann. Wirklich filmreif, die Geschichte.

Ich kann mich gut erinnern: Dehm bei einem großen Konzert in Frankfurt. Cochise war bei einigen Veranstaltern nicht gerade beliebt, weil jeder wusste, dass wir während unseres Auftritts Leute oder Inis, die etwas dringendes zu sagen hatten, auf die Bühne und an die Mikros gelassen haben. Damals war in Frankfurt immer etwas los. Bei diesem Gig kamen auch wieder Leute aus der Szene auf die Bühne und es gab lange Diskussionen. Dehm war Veranstalter, Cohn-Bendit und alle möglichen Leute gingen an die Mikros, erzählten wie verrückt herum. Es entstand ein Chaos, bei dem Dehm dann verprügelt wurde.

Warum?

Dehm, der eigentlich schon immer in den Institutionen gearbeitet hatte, gehörte zu den Halblinken. Er vertrat sozialdemokratische Positionen, die teilweise konträr zu dem standen, was die meisten Leute dort wollten. Er hat die Leute von der Bühne herab abgekanzelt. Das hat einigen nicht gefallen.

Wir wollten eine eigene linke Infrastruktur im Musikbereich aufbauen. BAP waren Superstars, selbst auf der Ebene darunter, bei Leuten wie den Schröders, bei Cochise und auch bei ein paar anderen, die jetzt nicht speziell Linke waren (René Bardét oder Kolbe-Illenberger), die aber auch zur Szene gehörten, liefen die Platten Verkäufe und Tourneen sehr gut. In der Literatur gab es längst linke Verlage, warum sollte das in der Musik nicht möglich sein? Das hätte uns längerfristig bessere Perspektiven geboten, kreativ und unkontrolliert zu produzieren, und stärkeren kulturellen Einfluss zu bekommen. Das wurde von Typen wie Dehm zu Nichte gemacht. Der hat dem Kommerz die Türen geöffnet. Alle haben sich kaufen lassen und die linke Musik-Szene wurde harmlos und verwässert.

Wie siehst Du die Situation heute, sich politisch-musikalisch zu engagieren? Es gibt ja durchaus soziale Bewegungen.

In der heutigen Situation eine politische Band auf die Beine zu stellen? Das ist so nötig, wie nie zuvor. Aber ich finde es ist schwer. Wir hatten es da in den Siebzigern und Achtzigern eigentlich leicht. Alle Themen der Lieder kamen aus unserem Leben, reflektierten oder beschrieben was wir gemacht und erlebt haben. Alles war real und entwickelte sich jeden Tag aufs Neue.

Nur war ab einem bestimmten Punkt unsere Realität nicht mehr die der Mehrheit der Bewegung. Wir waren immer auf Tour, immer an Brennpunkten wo wirklich gekämpft wurde. Wir haben dadurch eine rot-schwarze Brille aufgehabt, die Realität radikaler gesehen, als sie für die meisten wirklich war. Irgendwann hatten wir den größten Teil der Bewegung quasi überholt und wussten nicht mehr wo die geblieben waren. Da standen wir plötzlich fast alleine und fragten „und was ist jetzt los?“. Einfach voran gerannt und keiner ist hinter her gekommen. In den Zeitungen stand dann, unsere Liedtexte wären so etwas wie eine „Frontberichterstattung“.

Aber so haben wir gelebt und uns gefühlt.

Jetzt ist die Situation ähnlich, denke ich. Man kann nicht aus kleinen Zirkeln heraus arbeiten, wenn das Resultat eine große Wirkung haben soll. Du bedienst im Prinzip nur deine eigene kleine Szene. Die große Kunst ist es aus den Zirkeln heraus zu arbeiten und gleichzeitig eine kulturelle Ebene zu treffen, die eine größere Menge von Leuten, die nicht unbedingt deiner Meinung sind, erreichen kann. Die Ebene, in der wir gearbeitet haben, ermöglichte das, wir waren immer nah bei den Leuten, denn wir waren wie sie. Wir sind nicht in intellektuelle Elfenbeintürme geklettert, haben nicht großartig theoretisiert. So konnten wir sehr viele Menschen erreichen. Aber die Basis ist heute schwach. Vielleicht ist bei jungen Musikern auch das Bewusstsein vorhanden „es sei nicht möglich ohne industrielle Unterstützung von der Musik zu leben„. Die Musiker haben heute diese mächtige Plattenindustrie vor der Nase, die nicht weiß, was sie will, sie haben diese Castings, die alles zunebeln und zusätzlich eine schwächere Live-Szene. Es herrschen schwierigere Bedingungen von der Musik zu leben. Wir hatten damals das Bewusstsein „wir machen das was wir wollen – wir machen es richtig – wir machen das gut – wir werden davon leben können„. Das stand für uns fest, daran habe ich nie gezweifelt. Wir sind da vielleicht naiv ran gegangen, hatten aber auch diesen Schub (Impetus) der Bewegung. Das stelle ich mir heute schwieriger vor.

War es auch der Glaube mit der Musik etwas verändern zu können?

Ja, was heißt das schon, „mit der Musik etwas verändern“? Eigentlich ist die Musik etwas verbindendes, bestärkendes. Du veränderst nicht unbedingt etwas mit der Musik, aber Du stiftest Verwandtschaften. Die Leute treffen sich, finden sich, ihre Gefühle, ihre Träume in den Liedern wieder. Das gibt Kraft und die Gewissheit nicht alleine da zu stehen. Du bekommst die Gewissheit Teil eine Menge von Menschen zu sein, die mit dem Leben wie es hier abläuft nicht einverstanden sind. Und das gibt dir die Kraft gemeinsam mit den anderen zu handeln.

Wir danken Dir für das Gespräch.