1990/91 spaltete sich die KB-Minderheit vom Kommunistischen Bund (KB) ab und gründete die Zeitung Bahamas (Auflage: ca. 500). Dieses unregelmäßig publizierte Blatt wandelte sich als Flaggschiff der "Anti-Deutschen" in den letzten Jahren zu einem kriegspropagierenden Organ (siehe Dokument auf dieser Seite). Da die "Bahamiten" als Autoren großen Einfluss z.B. auf die Wochenzeitung Jungle World (1), das Monatsmagazin konkret und die blätter des iz3w haben, sind sie nicht mehr zu ignorieren (GWR-Red.).
Anfang des Jahres auf einer Antifa-Demo im Ruhrgebiet: Zwei Bekannte werden vom Lautsprecherwagen aus angeraunzt, weil sie Palästinenser-Tücher tragen. Das Palituch, traditionelles Assecoir linksradikaler Subkukltur seit der (ersten) Intifada 1987, insbesondere der autonomen und der Antifa-Bewegung, ist unbeliebt geworden. Zumindest bei einigen Leuten. Aber nicht nur der Bezug auf die kulturellen Zeichen hat sich verändert. Auch die inhaltlichen Koordinaten linksradikaler Politik scheinen sich zu verschieben. Zumindest in Deutschland. Führten die Hälse einer Antifa-Demo vor zehn Jahren noch, eingewickelt in die diversen Variationen der Arafatschen Kopfbedeckung, die „internationale Solidarität“ mit sich, wird heute bei solchen Anlässen für die Staatsflagge Israels gestritten und das damals angemahnte „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ als Position der Gegenseite gebrandmarkt.
Aber nicht nur auf der Straße vollzieht sich eine Veränderung, auch und vielleicht vor allem in den Schreibstuben scheinen sich die innerlinken Mehrheitsverhältnisse verschoben zu haben. In den großen linksradikalen Zeitungen wie Jungle World und konkret schreiben dieselben Leute (z.B. Oliver Tolmein), die vor zehn Jahren dem Antiimperialismus der RAF noch ein ziviles Sprachrohr boten heute gegen deren Antiamerikanismus. Während in diesen Zeitschriften auch andere Positionen noch Platz finden, ist die Anfang der 90er Jahre von einigen Abtrünnigen der linken Monatszeitung ak gegründete Bahamas heute das zentrale Organ derer, die sich im antideutschen Gestus sicher auf der Seite der aufklärerischen Vernunft wähnen und gegen Poplinke, postmoderne, feministische und autonome Linke letztlich doch der Dominanzkultur („Fanta statt Fatwah“) verbunden und dem Krieg nicht abgeneigt sind.
Neben der Kritik am Antisemitismus sind es vor allem zwei Diskursstränge, die von den so genannten „Antideutschen“ forciert und gegen andere, in letzter Zeitz vor allem globalisierungskritische und Antikriegs-Linke ins Feld der Auseinandersetzung geführt werden.
Kritik am Antiamerikanismus
Die Kritik am Antiamerikanismus behauptet im wesentlichen, jede Kritik der US-amerikanischen Politik gehe auf einen urdeutschen Impuls zurück, der die Befreiung vom Faschismus durch die von den USA geführten Alliierten nicht verkraftet und als nationale Schmach empfunden habe. So argumentiert z.B. immer Wolfgang Pohrt in konkret, der schon beim ersten Golfkrieg 1991 die Friedensbewegten in Deutschland deshalb am liebsten hinter Gittern gesehen hätte.
Der Kritik des Antiamerikanismus ist vor allem auf zwei Ebenen zu begegnen: Erstens wird eine Differenzierung geleugnet, die (auf Seiten der nicht-antideutschen Linken) sehr wohl unterscheidet zwischen den kulturellen Errungenschaften aus den USA einerseits und der US-amerikanischen Außenpolitik andererseits. Unvorstellbar, ein Leben ohne Ketch-Up oder Popmusik, eines ohne 359 Milliarden Dollar-Militäretat aber sehr wohl. Zudem wird von Antideutschen unterstellt, oberste Maxime der US-Außenpolitik sei der Schutz Israels, weshalb es nur barbarisch sein könne, diese zu kritisieren.
Es muss aber möglich sein, die Politik des Pentagon fundamental zu kritisieren, ohne das Existenzrecht Israels in Zweifel zu ziehen. Leute, die dies tun, wie beispielsweise Noam Chomsky, werden aber regelmäßig von Antideutschen geschmäht (z.B. von Stefan Ripplinger in Jungle World; Chomsky ist, nebenbei bemerkt, vermutlich der einzige Jude, dem in diesem Blatt Verschwörungstheorie unterstellt werden darf…).
Hier ist, zweitens, einzuwenden, dass es den US-Regierenden weder im Falle Nazi-Deutschlands – die Schienen nach Auschwitz wurden bekanntlich nicht bombardiert, obwohl bekannt war, welche Art von Zügen darauf fuhren – noch im Falle Israels um die Opfer des deutschen Faschismus ging bzw. geht. Die „antideutsche“ Begeisterung für einen Mann wie Arthur Harris, dessen Bombardierungskonzept im Zweiten Weltkrieg zwar den Nazis schwer zusetzte, aber eben zigtausend ZivilistInnen das Leben kostete, folgt der gleichen simplifizierenden Logik. Hier zu argumentieren, auch diese ZivilistInnen seien schließlich Nazis gewesen, geht wohl eher dem kritisierten, rassistischen Volksverständnis auf den Leim, als eine Rechtfertigung liefern zu können. Davon abgesehen zeugt es schon von einer ungeheuerlichen Ignoranz, die Militär- und Geheimdienstaktionen auszublenden, mit denen im Zuge des vollstreckten Antikommunismus Tausende von Linken und GewerkschafterInnen der US-amerikanischen Außenpolitik zum Opfer fielen (die Stürze demokratisch-legitimierter, linker Regierungen wie der von Jacobo Arbenz in Guatemala 1954 oder Salvador Allendes 1973 in Chile sind ja nur die gröbsten und bekanntesten Fälle dieser Art).
Die US-Außenpolitik nicht zu kritisieren erscheint also, trotz bzw. gerade bei entgegengesetztem Anspruch, als eine ziemlich deutsche Angelegenheit, weil sie die Folgen dieser Politik anderswo auf der Welt (und in anderen geschichtlichen Situationen) einfach ausblendet. Den deutschen, selbst ernannten „antideutschen“ Antifas täte ein Blick beispielsweise nach Kolumbien, wo der US-finanzierte Plan Colombia Bauern und GewerkschafterInnen das Leben zur Hölle macht, nicht schlecht, um zu sehen, dass es durchaus gute Gründe gibt für einen linken, aufgeklärten Antiamerikanismus.
Kritik am Völkischen
Der Blick nach Lateinamerika, von antiimperialistisch gesinnten Linksradikalen oft solidarisch geworfen – wobei vor etwas mehr als zehn Jahren eigentlich nur das weitere politische Umfeld der RAF so genannt wurde und sich damit von autonomen, anarchistischen, feministischen Linken abgrenzte, die heute von Antideutschen als antiimperialistisch bezeichnet werden -, verbietet sich aber aus „antideutscher“ Perspektive aus einem weiteren Grund. Dort nämlich hat man es, was die Linke betrifft, angeblich in der Hauptsache mit „völkischen“ Bewegungen zu tun. Die Kritik an den Nationalstaatsfixierungen vieler lateinamerikanischer Befreiungsbewegungen wird hier nicht zugespitzt, sondern inflationiert. So wird ausgerechnet die zapatistische Befreiungsbewegung EZLN, die diese Staatsfixierung aufgegeben hat, von Antideutschen als „völkisch“ bezeichnet (Antifa Dresden). Zum einen wird damit auf begrifflicher Ebene ein Gemeinschaftsverständnis, das sich als dezidiert offen und egalitär begreift, verwechselt bzw. gleichgesetzt mit einer auf Ausgrenzung und Unterordnung basierenden Volksgemeinschaft. Wird in Lateinamerika „pueblo“ (= Dorf, Volk) gesagt, ist wesentlich seltener als die deutsche Konnotation das „wir hier unten“ mitgesprochen, also eine soziale und nicht biologische Kategorie gemeint.
Zum anderen wird aber auf politischer Ebene, letztlich auch dem eigenen Anspruch widersprechend, der Nationalsozialismus verharmlost. Denn indem eine Linie vom deutschen Faschismus zu Befreiungsbewegungen in Lateinamerika gezogen wird – unter Aspekten der jeweiligen Herrschaftsverhältnisse betrachtet ohnehin vollkommen absurd -, wird jener zu einem von vielen „Kämpfen für das Volk“ verkleinert. Wenn dann beispielsweise Tjark Kunstreich in der Jungle World Sudetendeutsche und PalästinenserInnen gleichsetzt, weil sie angeblich Antisemitismus und Kollektivitätsverständnis teilten, wird diese „antideutsche“ Absehung von Macht- und Herrschaftsverhältnissen auf beliebige andere gesellschaftliche und historische Konstellationen übertragen.
Kritik an der Antikriegsbewegung
Beide Kritiken werden auch in den Debatten um den Krieg der USA gegen den Irak angeführt, in denen viele „Antideutsche“ sich vehement hinter die Regierung Bush stellen. Die wenigen AntikriegsaktivistInnen werden als „deutsche Friedensbewegung“ (Thomas Uwer in der Jungle World) bezeichnet, die eben keine linke Antikriegsbewegung sei und nur in völkischen Kategorien denke – oder gleich als „Friedensfreunde“ mit Nazis gleichgesetzt (von Deniz Yücel in der Jungle World). Die vermeintliche inhaltliche Nähe zur Bundesregierung wird der Friedensbewegung angelastet, ohne dass die vielfältigen Aktionen und Stellungnahmen gegen die deutschen Interessen am Golf und in Afghanistan zur Kenntnis genommen würden.
Andererseits wird, wie es ähnlich bereits Hans Magnus Enzensberger beim Golfkrieg 1991 getan hatte, Saddam Hussein mit Hitler gleichgesetzt und das irakische System als Faschismus (Thomas Uwer) bezeichnet. Dagegen hilft, das soll wohl dann die Geschichte zeigen, eben nur ein Angriff der Alliierten unter Führung der USA. Damit wird hier – den eigenen Anspruch vollends konterkarierend – die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Herrschaft in Frage gestellt, um die Freude genießen zu können, im Recht oder auf der richtigen, nämlich antifaschistischen Seite zu stehen.
Außerdem wird ebenfalls hier nahegelegt, die USA führten ihren Krieg zum Schutze Israels und nicht, wie die Regierung Bush betont, für ihr eigenes „nationales Interesse“. Und der in Jungle World alle paar Monate platzierte Hinweis, in Israel würden schon wieder Gasmasken verteilt, soll die aus antifaschistischer Sicht einzig mögliche Haltung nahe legen: Bomben auf Bagdad.
Problematisch ist nicht, dass die Palästinensertücher auf deutschen Antifa-Demos der Israelflagge gewichen sind. Auch ist der Antisemitismus innerhalb der globalisierungskritischen Bewegung zu kritisieren, der bei antijüdischen Comics auf Indymedia (vgl. dazu GWR 269) und rebelion.org beginnt und dessen Ausmaße vermutlich noch nicht erforscht sind, sowie auch die Naivität mancher Friedensgruppe in Deutschland (SDAJ verteilt Irakfahnen!).
Man muss auch keineswegs ein friedfertiges Europa imaginieren, wie es in den Reihen von Attac wohl einige tun, um gegen die Kriegspolitik der USA zu sein und es empörend zu finden, wie AntikriegsaktivistInnen diffamiert werden. Von den völkerrechtlichen Folgen und der Frage, ob ein Krieg die Leiden der von Saddam geknechteten irakischen Bevölkerung tatsächlich beenden kann, mal abgesehen: Es fragt sich doch, wie eine Strömung innerhalb der radikalen Linken dermaßen stark werden kann, die sich hegemonialen Verhältnissen nicht mehr stellt und der Herrschaftskritik offenbar kein Anliegen ist.
(1) Vgl.: Alfred Schobert: Linke Bellizisten auf Gespensterjagd. Militärpolitische Normalisierung mit Antisemitismus- und Antiamerikanismus-Vorwürfen, in: Graswurzelrevolution (GWR) 266, Februar 2002, S. 1, 10 f.
Bernd Drücke: Die Jungle World rastet aus, in: GWR 268, April 2002, S. 5
Alfred Schobert: Ein Wunschfeindbild für die Kriegs-Legitimierung. Die "deutsche Kulturrevolution" gegen "Amerikanismus", in: GWR 276, Februar 2003, S. 7