In den letzten Ausgaben der Graswurzelrevolution wurde über die Situation der Kriegsdienstverweigerer in Israel berichtet, insbesondere über Jonathan Ben-Artzi. Hier nun ein offener Brief seines Vaters an den Obersten Richter Israels (Red.).
Präsident des Höchsten Gerichtes, Aharon Barak,
mein Sohn, Jonathan (Yoni) Ben-Artzi, ist ein Pazifist. Er weigerte sich, den Grundwehrdienst anzutreten und forderte einen alternativen Zivildienst. Als Student der Physik und Mathematik war er überzeugt, er könne der israelischen Gesellschaft am besten dienen, wenn er zum Beispiel Schülern in benachteiligten Schulen Nachhilfe geben würde.
Yonis Ersuchen wurde von der israelischen Armee abgewiesen. Er wurde am 8. August 2002 zum Militärdienst einberufen. Er kam zum Einberufungs-Zentrum, weigerte sich eine Uniform zu tragen und wurde sofort für einen Monat im Militärgefängnis 4 inhaftiert. Im Folgenden die Aussage, die er gegenüber dem Offizier machte, der ihn an diesem Tag verurteilte:
„Ich, Jonathan Ben-Artzi, weigere mich aus pazifistischen Gründen in die Armee einzutreten. Mein tiefer Glaube an Gewaltfreiheit begann, als ich noch ein kleines Kind war und entwickelte sich über die Jahre zu einer breiten politischen und philosophischen Wahrnehmung. Aufgrund meiner Überzeugung wird mein Land mich inhaftieren – unter Missachtung internationaler Gesetze grundlegender Moralvorstellungen und fundamentaler Menschenrechte. Ich werde stolz in das Gefängnis gehen, überzeugt, dass dies das Wenigste ist, was ich tun kann um mein Land zu verbessern.“
Yoni wurde nacheinander sieben Mal für die gleiche Straftat verurteilt und verbrachte über 200 (zweihundert) Tage im Militärgefängnis 4. Ich bin sicher, dass Sie in Ihrer Funktion als Präsident des Höchsten Gerichts bereits vom harten Ruf dieses Gefängnisses gehört haben. Jedoch vermute ich, dass Sie diesen Ort weder während der glühenden Tage im August noch während der frostigen Nächte im Januar besucht haben. Ich werde Ihnen Details über das Gefängnisleben ersparen und mich darauf beschränken, Ihnen zu sagen, dass die Armee es weder geschafft hat, Yonis Willen zu brechen noch ihn dazu gebracht hat, seine Meinung zu ändern. Ganz im Gegenteil: er wurde ermutigt, wissend, dass die Insassenliste dieses Gefängnis seither um die Namen weiterer 17 gewissenhafter junger Männer erweitert wurde, die in Ablehnung der sinnlosen Gewalt des israelischen Militärs einen alternativen Zivildienst eingefordert haben.
Alarmiert durch die wachsende Anzahl solcher mutigen Jungs entschied die Armee das zu tun, was sie am besten kann: mehr Gewalt anzuwenden. Am 19. Februar 2003 wurde Yoni ein Prozess vor einem Militärgericht angekündigt. Die Logik hinter der Entscheidung der Armee war einfach: Das Militärgericht ist nur befugt, sich mit Soldaten zu befassen und da Yoni bereits ein Soldat ist, der sich weigert die Unterlagen zu unterschreiben die ihn zum Soldaten machen… Nach so vielen Monaten willkürlicher Haft war Yoni bereit diese Herausforderung anzunehmen. Er hatte nur eine Bedingung: Er wollte wirkliche Gerechtigkeit.
Deshalb wendete er sich an Sie, den Präsidenten des Höchsten Gerichts, mit dem Gesuch seinen Fall zur Verhandlung an ein Ziviles Gericht zu verlegen. Dieser Einspruch wurde von Adv. Avigdor Feldmann, einem prominenten Menschenrechtsanwalt, und Adv. Michael Sfard, einem jungen Anwalt spezialisiert auf internationales Recht, formuliert.
Sie werden mir sicher zustimmen, dass das in Yonis Namen eingereichte Dokument ein gelehrtes Werk ist, welches seinen Autoren und vielmehr noch dem angeblichen Geist unserer Gesellschaft würdig ist. Es erinnerte Sie daran, dass kein Militärgericht die Macht hat zu entscheiden, ob eine Person ein Soldat oder ein Zivilist ist; dass Fragen des Gewissens aufgrund ihrer ureigenen Beschaffenheit in einem Rahmen der zivilen Gesellschaft diskutiert werden sollten; dass alle Aspekte eines zivilen Dienstes einer zivilen Gerichtsbarkeit unterliegen. Es berief sich auf ausländische Rechtsprechung (die Ihnen so vertraut ist), um aufzuzeigen, dass diese Prinzipien in allen demokratischen Ländern seit vielen Jahrzehnten allgemein anerkannt werden.
Die Anhörung dieses Falls war für den 8. April 2003 angesetzt. Es war eine frühmorgendliche Sitzung und die zwei Sie begleitenden Richter schienen recht verschlafen und äußerten sich mit keinem Wort. Sie, wiederum, waren sehr aktiv. Tatsächlich so sehr, dass der Anwalt in Vertretung der Armee nicht viel zu tun hatte. Erst schlossen Sie sich der Armee darin an, dass Yoni bereits ein Soldat sei. Dann argumentierten Sie, die Militärrichter seien vollständig qualifiziert, sich fair und gewissenhaft mit Fragen des Pazifismus zu befassen. Vielleicht wissen Sie nicht, dass zwei der drei Richter in Yonis Tribunal keinen Hochschulabschluss haben und nie einen Jura- oder Philosophiekurs besucht haben. Schließlich, als Yonis Anwalt darauf hinwies, dass Kriegsdienstverweigerer immer vor zivile Gerichte gestellt wurden, erwiderten Sie mit der Erwähnung von Dreyfus (!), der von einem Militärgericht verurteilt wurde (und dann am Ende von einem zivilen Gericht freigesprochen wurde …). Yoni hatte keine Chance. Sie übergaben ihn an die Armee, die ihn bereits sieben Mal verurteilt hat.
Yoni saß während der Verhandlung direkt vor Ihnen, doch Sie schienen ihn nicht bemerkt zu haben. Lassen Sie mich ein paar Dinge über ihn erzählen. Seinem Großvater mütterlicherseits, Moshe, gelang es Nazi-Europa zu entfliehen und genau rechtzeitig in Palästina anzukommen, um in Israels Unabhängigkeitskrieg zu kämpfen. Er wurde verletzt und verbrachte sechs Monate im Krankenhaus. Während dieses Krankenhausaufenthalts kam sein Sohn Zvi auf die Welt. Zwei Jahre später wurde Ofra, Yonis Mutter, geboren. Zwanzig Jahre später fiel Zvi, ein Fallschirmjäger, im Kampf. Yonis älterer Bruder wurde nach ihm benannt. Auch er diente in der Armee. Als Yoni an die Reihe kam, zog er die Linie die er nicht übertreten würde. Keine weiteren sinnlosen Kriege, kein weiteres Blutvergießen.
Es mag ironisch klingen, dass Yoni und Sie die gleiche prestigevolle Hebrew University School besucht haben. Als Sie an die Schule kamen, um eine Rede über Menschenrechte zu halten war er tief beeindruckt. Leider half genau dieses Erlebnis ihm darin einen Weg einzuschlagen, der ihn letzte Woche vor Ihr Gericht führte.
Sie scheinen Ihr Image als ein Richter, der die zentralen Menschenrechte repräsentiert zu mögen. Es macht sich für Sie unter Ihresgleichen hier und im Ausland gut. Sie verpassen keine Konferenz die diesem Thema gewidmet ist. Während der letzten, vor einer Woche an der Hebrew University, predigten Sie vor unserem Parlament (und ich übersetze aus Ihrem hebräischen Text):
„Die Knesset sollte laut und mit klarer Stimme die Prinzipien der Gleichheit, Freiheit des Ausdrucks, Rechte von Angeklagten und alle anderen Menschenrechte – zivil, politisch und sozial – etablieren. Ich bedauere die Tatsache sehr, dass die Knesset dies nicht tut.“
Die Chronik unseres Höchsten Gerichts erzählt eine andere Geschichte. Während ihrer Amtszeit als Richter (und seit 1995 Präsident) wurden Menschenrechte in diesem Land stark erodiert.
Ihr Gericht erlag schändlich jeder Laune des Militärs. Unschuldige Jugendliche wurden im Libanon entführt, um als Mittel in Verhandlungen benutzt zu werden und Ihr Gericht billigte dies. Administrativer Arrest [ohne Gerichtsbeschluss, d.Red.] wurde tausendfach auferlegt – doch alle Gesuche an Sie wurden abgelehnt. Gezielte Tötungen, die die Leben hunderter unschuldiger Umstehender kosteten, schreckliche Ausgangssperren die zu Verwüstungen zwischen Millionen von Palästinensern führten (damit jüdische Fanatiker in ihren Festlichkeiten ungestört blieben), unmenschliche Zerstörung der Lebensgrundlage zehntausender Familien – all dies wurde wiederholt von Ihrem Gericht legitimiert.
Unter dem Deckmantel der Aufgeklärtheit gaben Sie den Armeegenerälen freie Hand. Und als ein paar Jungs es wagten, Ihren – durch ihr Gewissen begründeten – Widerspruch gegen diese Sünden auszudrücken, verweigerten Sie ihnen eine faire Verhandlung, ihr Grundrecht auf juristische Verteidigung. Yoni und seine Freunde haben, in ihrem jungen Alter, Menschlichkeit demonstriert. Sie, Herr Präsident, hielten es nicht für nötig, deren Rechte zu sichern. Mit gebührendem Respekt,