concert for anarchy

Grenzgänger

Knüppel aus dem Sack

| Joseph Steinbeiß

Die Grenzgänger: "Knüppel aus dem Sack. Die garstigen Lieder des H. Hoffmann von Fallersleben", neu vertont und arrangiert von Michael Zachcial und Die Grenzgänger, Conträr/ Indigo, 2003.

Sie schlägt noch heute die Hände über dem Kopf zusammen, die Tochter des großen Woody Guthrie. Jawohl, man habe tatsächlich einmal vorgehabt, das Lied der Unterdrückten und Ausgebeuteten, die trotzige Kampfansage ihres Vaters an Reiche und Mächtige seines Landes – „This land is your land, this land is my land“ – zur Nationalhymne der Vereinigten Staaten von Amerika zu machen. „Stellen Sie sich das ‚mal vor! Die wären in den Krieg gezogen mit diesem Lied! Gott sei dank haben sie es sich anders überlegt…“.

Soviel darf man vermuten: auch Hoffmann von Fallersleben wäre von der Karriere seines „Lied der Deutschen“ nicht begeistert gewesen. Und sei es nur, weil die bewußten drei Strophen zur Melodie eines kroatischen Volksliedes (Joseph Haydn nahm es mit Fragen geistigen Eigentums nicht allzu genau) wie ein monumentaler Klotz den Blick auf sein eigentliches dichterisches Werk versperren.

Dem wollen Die Grenzgänger – Michael Zachcial, Jörg Fröse und Friedemann Bartels, umgeben von einem Tross Gastmusiker – mit einer schwungvollen Collage der politischen Lieder des Dichters abhelfen. Wer germanistische Dünnstimmigkeit und holprige Bildungspartituren fürchtet, mag unbesorgt zugreifen: mit einem gerüttelt Maß folkrockender Unverfrorenheit und Lautstärke blasen die Grenzgänger den Staub vom Werk Hoffmann von Fallerslebens herunter. Das Thema „Hymne“ wird gleich zu Beginn unter tätiger Mithilfe solch renommierter Sangeskünstler wie Helmut Kohl, Willy Brandt und Walter Momper (gemeinsam vor dem Schöneberger Rathaus) abgehandelt. Es folgt Wichtigeres. Fallerslebens Spott ergießt sich über den Regierungsrat und seinen geliebten Aktenstoß. Den (wie es scheint unverderblichen) deutschen Philister speit nach seinem Tod sogar die Hölle wieder aus. Der Frühling wird wegen demagogischer Umtriebe in den Kerker geschleift, und zur Melodie des „Jäger aus Kurpfalz“ ertönt noch einmal das berüchtigte Lied urdeutsch – akademischer Widerstandskraft, das sicher zu den bekanntesten Texten des Dichters zählt: „Bei einer Pfeif Tabak, bei einer Pfeif Tabak/ bei einer guten Pfeif Tabak, und einer Flasche Bier/ politisieren wir“. Der Spielwitz der Grenzgänger bei ihrer (Neu)vertonung der alten Vormärzlieder ist erfrischend. Aus „Hier am Mississippi“, einer galligen Liebeserklärung ans Exil („Hier gehörst du dir, dort nur stets den Andern“) von 1844, machen Zachcial und seine Genossen einen knackigen Delta-Blues, und auch sonst ist es ihnen nicht um klingende Geschichtsstunden zu tun – selbst da nicht, wo sie historischen Vorgaben folgen. Für Musik und Adaption allein ist der Preis der deutschen Schallplattenkritik mehr als verdient. Bleibt diesem schönen, witzigen und musikalisch hochwertigen Projekt nur ein Problem: Hoffmann von Fallersleben.

Denn selbst die eindrucksvollste Gitarre und das aktuellste Sample können die Texte Hoffmann von Fallerslebens nicht besser – oder zeitgemäßer – machen, als sie sind. Mag sich an ihren Themen auch nichts geändert haben, mögen Philister, obrigkeitshörige Kriecher und pfeifenrauchende, schwatzende Nichtstuer zu diesem Land gehören wie der graue Himmel oder der Sozialabbau: in den Gedichten Hoffmann von Fallerslebens hausen sie allesamt im deutschen Vormärz. Und nirgendwo sonst.

Fallersleben gehörte zweifellos zu den Besseren unter den schreibenden bürgerlichen Radikalen seiner Zeit, und sein Bemühen, mit schlichten, möglichst unmissverständlichen Versen eine Art politisches Volkslied zu etablieren, hebt ihn wohltuend ab vom dröhnenden Pathos etwa eines Georg Herwegh, der „eisernen Lerche des deutschen Vormärz“. Dennoch: Fallerslebens Verse kommen bemitleidenswert steifbeinig daher.

Sie liegen wie vergessene Baulatten über dem lebendigen Auf und Ab der Musik, mancher Reim muß mit Nagel und Leim gesichert werden („Ich schaff mir Freiheit, Recht und Ruh/ ein gutes Leben noch dazu“), und gar zu häufig hält nur mehr die Gesinnungsstärke das Werk zusammen. Fallerslebens Spott sitzt wacklig auf der Spitze eines erhobenen Zeigefingers.

Dies wird auf besonders grausame Weise deutlich, wenn er sich dichtend an Gegenständen versucht, zu denen sich ein anderer Zeitgenosse ebenfalls geäußert hat: Heinrich Heine.

Wenn es bei Fallersleben etwa zur ewigen Vergeistigung der Deutschen heißt: „Laßt uns unseren Geist versenken/ in des Wissens tiefes Meer/ Laßt uns denken, immer denken!/ Ei, das ziert den Deutschen sehr/ Und wenn man uns fragt: Wie geht’s/ sagen wir: wir denken stets“, so möchte man dem Dichter am liebsten tröstend auf die Schulter klopfen, wenn man die berühmten Verse aus Heines „Wintermärchen“ gegenliest: „Franzosen und Russen gehört das Land/ das Meer gehört den Briten/ Wir aber besitzen im Luftreich des Traums/ die Herrschaft unbestritten./ Hier üben wir die Hegemonie, hier sind wir unzerstückelt/ Die anderen Völker haben sich auf platter Erde entwickelt“.

Hoffmann von Fallerslebens Texten steht die Mühe ihres Schöpfers im Gesicht. Er war kein guter, er war nur ein anständiger Dichter.

Selten allerdings ist sein Werk anregender und appetitlicher dargeboten worden als auf der aktuellen CD der Grenzgänger. Wer weiß, vielleicht suchen sich Zachcial und Kumpane für ihr nächstes Projekt einen Dichter oder eine Dichterin, der bzw. die auch heute noch künstlerisch zu überzeugen vermag. Dann würde die geneigten Hörerinnen und Hörer ein vollends ungetrübter Kunstgenuß erwarten.

Kontakt

Grenzgänger
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