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Revolutionäres Arkadien

Oliver Steinkes Roman über die Machnowstschina

| Heike

Oliver Steinke: Die Flamme der Liebe und des Aufstandes. Historischer Roman aus revolutionären Zeiten. Karin Kramer Verlag, Berlin 2003. Mit einem Nachwort des Autors und einer Zeittafel. 155 S., € 12,00.

Aufmachung und Coverdesign des Bändchens muten in ihrer Nüchternheit wie eine Warnung an: Obacht Fußnotenapparate! Man denkt an einen Anmerkungsband zu den Gesammelten Werken von Marx und Engels. In merkwürdigem Gegensatz dazu steht der fast zu gefühlige Titel. Immerhin macht der Kontrast neugierig und lädt ein, sich das Buch genauer anzusehen, und hat man es erst mal aufgeschlagen, bleibt man auch dran: Die optische Assoziation mit theorielastiger Lektüre erweist sich als unbegründet. Zweifellos war hier ein Autor am Werk, der kurzweilig und unterhaltsam zu schreiben und schon mit wenigen Sätzen Atmosphäre zu schaffen versteht. Und das bei der Umschlaggestaltung zu kurz gekommene Auge wird gegen Ende des Buchs überraschend mit einer anmutigen Zeichnung von Mona Scheller entschädigt.

Oliver Steinke hat in seinem Roman über die Machnowstschina zahlreiche historische Quellen verarbeitet: „alle dargestellten Ereignisse, Kämpfe, Abkommen bis hin zu den einzelnen Überfällen sind belegt“, wie es im Nachwort heißt. Eingebettet in die realen Geschehnisse der russischen Revolution und der Machno-Bewegung entwickelt sich die Liebesgeschichte zwischen Viktor Belasch, einem Kommandanten der ukrainischen Bauernarmee, und der Aktivistin Anna Grünbaum.

Dieser Doppelcharakter der Handlung, verbunden mit der deutlich spürbaren Parteinahme des Erzählers, ist zugleich Stärke und Schwäche des Buchs: Einerseits will es die viel zu wenig bekannte, von der Siegergeschichtsschreibung verschüttete oder entstellte Geschichte der Machnowstschina ein Stück weit ins kollektive Bewusstsein zurückbringen und wählt dazu naheliegender Weise die literarische Form des Romans; der erzählerische Schwung und die spannende Handlung versprechen diesem Unternehmen auch durchaus Erfolg.

Andererseits treibt seine überschwängliche Sympathie für die Bauernbewegung den Autor immer wieder zu Schwarzweißmalerei und einer allzu vereinfachten Sicht auf die Dinge. So sind die ukrainischen Bauern der Vorrevolutionszeit allesamt gute und rechtschaffene Menschen. Sie hassen die Popen und verstehen sich gut mit der jüdischen Bevölkerung; Antisemitismus und Klerikalismus überlassen sie den Großgrundbesitzern und Kirchenmännern. Sie reden so gesittet und aufgeklärt daher, als läsen sie den ganzen Tag nur Lessing und Mendelssohn; gegen ihre Nachbarn verhalten sie sich nach des Tages harter Arbeit so liberal und entspannt wie Oberstudienräte in der dritten Urlaubswoche und gegen die aufmüpfigen Kinder wohlwollender als der durchschnittliche Kinderladenmensch. Über ihre Armut und schlechten Lebensbedingungen schimpfen sie viel, aber wir sehen sie immerzu Wein oder Kaffee trinken, und der gewöhnliche Bauer hat selbstverständlich ein, zwei Pferde im Stall (zum Vergleich: ein, zwei 5er-BMW in der Garage der geneigten GWR-Leserin). Fast alle sind arbeitslustig, gesund, proper und aufgeweckt und nicht etwa rachitisch, schwindsüchtig, versoffen oder elendsverblödet.

Recht schnell beschleicht einen beim Lesen – ganz abgesehen davon, dass man sich fragt, wer in einem solchen Arkadien überhaupt auf aufrührerische Gedanken verfallen sollte – der Verdacht, dass hier aus lauter Freude an der opulenten Schilderung, aus Liebe zu den anarchistischen Ideen und aus Bewunderung für ihre Vorkämpfer in und nach der russischen Revolution gründlich an der Realität jener Zeit vorbeigeschrieben wird. Ähnliches geschieht dort, wo die Handlung einen Zeitsprung in die Zukunft macht und sich den tschetschenischen Moslemrebellen zuwendet: Da haben wir es nicht etwa mit vorsintflutlichen Clanchefs zu tun, deren Gesellschaftsentwurf vorsieht, Frauen schon zu Lebzeiten in Leichensäcke zu stecken, Ehebrecherinnen zu steinigen und Dieben die Hand abzuhacken, sondern mit durchaus herrschaftskritischen, sympathischen Freiheitskämpfern, die wir gewissermaßen als legitime Nachfolger der Machno-Leute sehen dürfen. Das ist schon mehr als folkloristische Schwärmerei, das ist grober historischer Unfug.

Immer wieder laufen die Handlung und ihre idealen Protagonisten also Gefahr, gänzlich unglaubwürdig zu werden. Aber jedes Mal, wenn die Leserin darüber definitiv die Geduld verlieren und das Buch beiseite legen will, schmeicheln eine besonders liebevoll gezeichnete Figur, eine spannende Wendung oder eine aufmerksame Beobachtung sie wieder ins Geschehen zurück. Das sind die Stellen, wo keine Mission verfolgt, kein Gutmenschentum suggeriert und die Wirklichkeit nicht in ein Korsett gezwängt oder gnadenlos verkitscht wird. Hier kommt denn auch die kraftvolle Erzählweise, von der das Buch lebt, richtig zum Tragen und hört auf, sich selbst mit übergestülpten Schemata an ihrer Entfaltung zu hindern.

Und genau das wünsche ich mir für derartige Versuche, politischen Ereignissen eine literarische Form zu geben. Sie müssen und sollen nicht zweck- und absichtslos geschrieben sein und schon gar nicht ideologiefrei, wie die bürgerliche Literaturkritik das immer so schön verlogen fordert. Aber die Widersprüche, die Sperrigkeit und Vielgestaltigkeit der Realität müssen sie aushalten können.