Wir leben derzeit in Jahren des Widerstandes. In unterschiedlichen Politikfeldern gibt es seit zwei Jahren größere Protestbewegungen.
Seit 2001 rollen die Castor-Transporte nach Gorleben wieder, ebenfalls seit 2001 ist der Kampf gegen eine ungerechte Globalisierung Thema für viele, und nach dem 11. September, spätestens aber mit dem Irak-Krieg, hat die Friedensbewegung ein Revival erlebt.
Die Situation
Eines ist beim Rückblick auffällig: Bei all diesen Aktionen begegneten sich dieselben Menschen wieder.
Zwar gibt es sicherlich auch einige Ein-Punkt-Engagierte, aber das Besondere der derzeitigen Protestgeneration (die nicht nur aus Jüngeren besteht) ist sicherlich, dass sie in unterschiedlichsten politischen Auseinandersetzungen zu Hause ist, je nachdem, was gerade anfällt. So waren viele im letzten November im Wendland, haben das Frühjahr auf diversen Antikriegsaktionen verbracht und werden im Sommer nach Evian reisen, um gegen den G8-Gipfel zu demonstrieren.
In allen drei Politikfeldern – Anti-Atom, Globalisierung, Frieden/Antimilitarismus – gab und gibt es mehr oder weniger gelungene Ansätze von massenhaftem Zivilen Ungehorsam. In Gorleben finden unter dem Motto „X-tausendmal quer“ große gewaltfreie Sitzblockaden der Castor-Strecke statt. Bei den Globalisierungs-Protesten versuchen tausende, die Veranstaltungen der Mächtigen zu stören. Gegen den Irak-Krieg hat u.a. die Kampagne „resist“ große Blockadeaktionen vor der Rhein-Main-Airbase und an anderen für die Kriegsunterstützung wichtigen Orten organisiert.
Das Problem
Auffällig ist bei all diesen Aktionen, dass die teilweise von weit her anreisenden AktivistInnen in ihrer Mehrheit denkbar schlecht vorbereitet sind. Immer wieder entsteht das Problem, dass ein ausgeklügeltes Aktionskonzept nur unter großem Zeitdruck und mit immensen Schwierigkeiten kurz bevor es losgeht an die AktivistInnen vermittelt werden kann. Die meisten sind auch relativ ungeübt im Organisationsmodell von Bezugsgruppen und SprecherInnenrat, obwohl es darin in den letzten Jahren durchaus einige praktische Erfahrungen gab.
Viele wunderbare Aktionsideen können unter diesen Voraussetzungen nicht umgesetzt werden. Ein Beispiel: Bei den Blockaden der US-Airbase in Frankfurt wäre es gut möglich gewesen, alle wichtigen Tore mit vielen hundert Menschen zu blockieren.
Weil sich aber nur wenige konkret in die Vorbereitung eingebracht haben und sich wenige bestehende Gruppen vorher koordiniert haben, waren am Haupttor immer 2.000 bis 3.000 Menschen und an den Nebentoren nur wenige Dutzend.
Aber viele Menschen fahren noch alleine zu Aktionen, schließen sich erst kurzfristig einer Bezugsgruppe an und nach der Aktion fällt die Bezugsgruppe wieder auseinander. Es gibt glücklicherweise einige löbliche Ausnahmen von wild zusammengewürfelten überregionalen Bezugsgruppen, die sich immer wieder bei Großaktionen treffen.
Jede Großaktion Zivilen Ungehorsams kann effektiver und politisch erfolgreicher sein, wenn es einen größeren Kern von gutorganisierten Gruppen gibt. Damit würde auch einem weiteren Problem vorgebeugt: Je weniger sich an der Planung von Aktionen beteiligen und je weniger gut vorbereitet die AktivistInnen in die Aktion gehen, um so größer ist die Gefahr von offenen oder verdeckten Hierarchien.
Aber Ziviler Ungehorsam ist ungleich wirkungsvoller, wenn viele Menschen genau wissen, was sie wollen und sich untereinander absprechen, als wenn nur wenige wissen, was Sache ist und versuchen, dies vielen kurzfristig zu vermitteln.
Die Idee
Die Zeit scheint also reif für die Gründung und Vernetzung von Gewaltfreien Aktionsgruppen. Manche gibt es schon: Einige aus langer Tradition wie beispielsweise die Kieler Graswurzelgruppe; sowohl „resist“ als auch „X-tausendmal quer“ haben aktionsfähige Regionalgruppen; rund um attac sind ebenfalls einige Aktionsgruppen entstanden. Diese Gruppen überschneiden sich oft personell, sie verbindet vieles, denn sie sind politisch nicht eindimensional tätig und sie haben sich klar für die gewaltfreie Aktion und den Zivilen Ungehorsam entschieden.
Für alle bisher Unorganisierten gilt: Gründet jetzt Gewaltfreie Aktionsgruppen! Es geht nicht darum, Mitglied einer Organisation zu werden, sondern kleine handlungsfähige Einheiten zu bilden, die sich je nach Anlass entweder absprechen und zusammenarbeiten können oder auch ihren eigenen Weg gehen.
Damit keine Missverständnisse entstehen: Nicht eine neue FöGA ist das Ziel. Diese „Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen“ war in den 80er und 90er Jahre organisierter Teil der Graswurzelbewegung. Jetzt ist eher NeGA angesagt, ein Netzwerk Gewaltfreier Aktionsgruppen, aber noch wichtiger als irgendeine Vernetzung ist es, dass überhaupt wieder Aktionsgruppen entstehen. Zu tun wird es in nächster Zeit genug geben: Sei es der G8 in Evian, die Inbetriebnahme des „Bombodrom“ in Wittstock, die Lagerung von Atomwaffen in der Bundesrepublik, der Gorleben-Castor im Herbst oder der zu befürchtende nächste Krieg, ob mit oder ohne deutsche Beteiligung.
All diesen Herausforderungen können wir besser begegnen, wenn wir Aktionswilligen uns regional zusammenschließen, uns gründlich aktionsfähig machen und uns dann mit anderen Gruppen, die ebenfalls aktiv werden wollen, vernetzen. Wer Unterstützung beim Gruppenaufbau braucht, kann sich an die Trainingskollektive für Gewaltfreie Aktion wenden.
Im Juni soll diese Idee auf zwei bundesweiten Treffen weitergesponnen werden. Am 14./15. Juni treffen sich einige aus dem Umfeld der resist-Kampagne in Minden, am 20.-22. Juni gibt es ein „X-tausendmal quer“-Treffen im Wendland. Wer am einen oder anderen teilnehmen möchte, kann sich gerne an den Autor wenden (Adresse unten)
Aber um selbst aktiv zu werden, braucht es nicht unbedingt bundesweiten Treffen. Wer bis hierher gelesen hat, kann zur Tat schreiten. Überlegt, wen Ihr in Eurem Umkreis ansprechen könnt, kommt zusammen, schmiedet Pläne und ladet zur Gründung der Gruppe ein.
Ich will mit gutem Beispiel vorangehen. Wird doch Zeit, dass es auch im Wendland wieder eine Gewaltfreie Aktionsgruppe gibt.
Kontakt
Der Autor freut sich über Rückmeldungen auf diesen Aufruf. Was haltet Ihr davon? Was seht Ihr kritisch? Wo gibt es schon Gruppen, wo gründen sich Neue? Vielleicht gibt es in der nächsten GWR schon einen ersten Überblick zur Resonanz.
Schreibt an:
Jochen Stay
Auf dem Berg 19
29439 Jeetzel
Fax: 05841-4521
j.stay@jpberlin.de