Die immensen Ölvorkommen der Länder des Persischen Golfes sind der Grund, dass deren Kontrolle seit Jahrzehnten eines der zentralen strategischen Ziele der US-Außenpolitik darstellt. Seit Ende des zweiten Weltkriegs verfolgte Washington hierzu die sogenannte Zwei-Säulen-Politik: Über die Marionettenregime in Saudi-Arabien und im Iran, wurde auf eine indirekte Kontrolle der Region gesetzt, während man die direkte Militärpräsenz den Briten überließ.
Vier Ereignisse änderten diese Strategie: Der Abzug der englischen Truppen 1971; Die zwei Ölkrisen der 70er Jahre, verbunden mit dem OPEC-Embargo und dessen katastrophalen Auswirkungen auf die US-Wirtschaft; Der Sturz des Schahs durch die iranische Revolution von 1979; Und der im selben Jahr erfolgte sowjetische Einmarsch in Afghanistan.
Diese Entwicklungen veranlassten Henry Kissinger, damals engster Berater Richard Nixons, zu einer Erkenntnis, die fortan als Leitlinie der US-Politik in der Region diente: „Das Öl ist zu wichtig, als dass man es den Arabern überlassen kann.“ Es blieb Nixons Nachfolger Jimmy Carter vorbehalten am 23. Januar 1980, in der nach ihm benannten Doktrin, den Schritt zum direkten militärischen Kontrollanspruch offiziell zu verkünden: „Der Versuch irgendeiner außenstehenden Macht die Kontrolle über die Region des Persischen Golfes zu erlangen, wird als ein Angriff auf die vitalen Interessen der Vereinigten Staaten betrachtet [und] mit allen notwendigen inklusive militärischen Mitteln zurückgeschlagen werden.“
Begleitet wurde diese Ankündigung von der Gründung der Rapid Reaction Force, einer eigens für Interventionen in der Golfregion zuständigen schnellen Eingreiftruppe, die Mitte der 80er Jahre ins US-CENTRAL COMMAND überführt wurde. Hiermit untermauerten die USA ihren Willen, zur Wahrung ihrer Interessen in der Region, offen auf Gewalt zu setzen.
Das einzige was lange Zeit fehlte, waren permanente Militärbasen, um den aus US-Sicht notwendigen Druck auf die Länder des Persischen Golfes ausüben zu können. Dies änderte sich bekanntlich mit dem ersten US-Krieg gegen den Irak Anfang der 90er. Große Truppenkontingente blieben in der Folge vor allem in Saudi Arabien stationiert, angeblich als Schutz vor einer irakischen Aggression.
Dies war jedoch nie der eigentliche Grund, wie ein Strategiepapier des Project for the New American Century (PNAC), dem einflussreichsten Sammelbecken der die US-Politik dominierenden Hardliner zeigt.
Im September 2000 schrieben dort mehrere heutige Regierungsmitglieder: „Tatsächlich haben die Vereinigten Staaten seit Jahrzehnten eine dauerhaftere Rolle in der regionalen Sicherheitskonstellation des Golfes angestrebt. Während der ungelöste Konflikt mit dem Irak hierfür die unmittelbare Rechtfertigung liefert, geht die Notwendigkeit einer substanziellen amerikanischen Truppenpräsenz über die Frage des Regimes von Saddam Hussein hinaus. […] Vom amerikanischen Standpunkt würde der Wert solcher Basen [am Golf] fortbestehen, selbst wenn Saddam von der Szene abtreten sollte. Langfristig könnte der Iran ohne weiteres eine ebenso große Gefahr für die US-Interessen wie der Irak darstellen. Und selbst falls sich die US-iranischen Beziehungen verbessern sollten, wäre die Beibehaltung vorwärts-stationierter Truppen aufgrund der langfristigen amerikanischen Interessen in der Region, weiterhin ein zentrales Element der US-Sicherheitsstrategie.“
Laut dem Strategic Studies Institute (März 2003) „müssen die Vereinigten Staaten ihre Sicherheitsfunktion in einem Post-Saddam Mittleren Osten konsolidieren. Diese Präsenz wird helfen potenzielle Aggressoren wie den Iran zu kontrollieren und es den Vereinigten Staaten erlauben auf interne und externe Gefahren für die Energiereserven des Mittleren Ostens zu reagieren.“ Ähnlich äußerte sich ein Papier des dem Pentagon nahestehende Institute for National Strategic Studies vom September 2002: „Aufgrund seiner strategischen Lage, der Rolle auf dem globalen Energiemarkt und der Verwundbarkeit gegenüber anderen Gefahren, bedeutet selbst ein erfolgreicher Regimewechsel im Irak nicht, dass die Vereinigten Staaten ihr militärisches Engagement am Persischen Golf einfach beenden können. Kurz gesagt, Saddam zu entfernen ist kein Allheilmittel. Für die US-Rolle als Schutzmacht am Golf gibt es kein Entrinnen. Somit benötigen die Vereinigten Staaten ein realisierbares Konzept, wie ihre Vorwärtspräsenz auf lange Sicht erhalten werden kann.“
Deshalb forderte Tommy Franks, Oberkommandierender des CENTRAL COMMAND, laut der Nachrichtenagentur AFP, nun ein „Neuarrangement des Fußabdrucks“ der US-Armee am Persischen Golf. „Wir müssen jetzt sehen, welche Art von Fußabdruck für uns die größte Rendite bringt.“ US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hat vor kurzem klargestellt, dass US-Truppen auch weiterhin die im Kontext der Kriegsvorbereitungen gegen den Irak errichteten Basen in Kuwait, Oman, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten beibehalten werden.
„Jetzt, da wir sie besitzen, wollen wir sie auch nutzen“, äußerte sich Franks. Allerdings ist es seit langem erklärte US-Strategie in mindestens einem der großen Golfländer (Iran, Irak, Saudi Arabien) ebenfalls eine relevante Präsenz zu besitzen.
Vor allem seit Saudi-Arabien nicht länger gewillt ist, die US-Truppen im Land länger hinzunehmen, – zuletzt kündigte Kronprinz Abdullah im Februar an, in Kürze deren Abzug zu fordern – benötigen die USA deshalb den Irak als alternatives Aufmarschgebiet zur Machtprojektion in der Region. Tatsächlich kündigte Rumsfeld Ende April eine drastische Reduzierung der US-Truppen in Saudi Arabien an. Somit verwundert es kaum, dass die New York Times berichtete, Washington plane einige seiner Militärbasen im Irak längerfristig zu behalten. „Es wird irgend eine Art langfristiger Verteidigungsbeziehungen ähnlich denen mit Afghanistan geben,“ zitiert die Zeitung ein hohes Regierungsmitglied. Was das genau heißt verdeutlichte Franks, der die Dauer des US-Aufenthaltes in Afghanistan mit der inzwischen fünfzigjährigen US-Präsenz in Südkorea verglich.
Schon vor dem US-Angriffskrieg gegen den Irak gab Scott R. Feils als Sachverständiger gegenüber dem Senatsausschuss für Auswärtige Angelegenheiten an, 75.000 US-Truppen würden mindestens 5-10 Jahre im Land stationiert bleiben. Michael O’Hanlon von der Brookings Institution schätzte die Zahl sogar auf 100.000.
Beim jüngsten Krieg ging es ebenso wie bei den Truppenstationierungen in Saudi Arabien nie um eine Bedrohung durch Saddam Hussein, sondern um die Sicherstellung des US-amerikanischen Kontrollanspruchs in der Region. Denn obwohl das einzige offizielle Argument für die US-Militärpräsenz am Persischen Golf, die von Saddam Hussein ausgehende Gefahr, mit dessen Sturz null und nichtig geworden ist, richten sich die USA auf ein dauerhaftes Engagement ein. Langfristig dürfte die Zahl der US-Truppen im Irak zwar sinken (derzeit ist die Rede von zwei Divisionen, also 32-34.000 Soldaten), eins aber ist sicher: Nun, da Washington sich endlich Militärbasen im Irak verschaffen konnte, werden die US-Truppen nicht wieder abziehen.
Mit der militärischen Kontrolle der Region verfolgt Washington drei Ziele. Erstens sichert man sich so – in Zeiten immer knapper werdender weltweiter Ölvorräte – die alleinige Kotrolle über die dortigen Ressourcen (externe Gefahren). Zweitens soll die militärische Drohkulisse verhindern, dass sich der Einfluss der Länder des Persischen Golfes auf den Weltölmarkt – insbesondere was den Ölpreis anbelangt – gegen US-Interessen richtet. Und schließlich wird eine feste Präsenz benötigt, um rasch auf US-feindliche Umsturzversuche in Saudi Arabien, im Irak und anderen Ländern der Region reagieren zu können. Vor allem weil die US-Besatzungspolitik die Wahrscheinlichkeit hierfür deutlich erhöht (interne Gefahren).
Dies ist nur über eine verschärfte Kontrolle des Iraks erreichbar. Thomas Friedman, außenpolitischer Chefkorrespondent der New York Times, stellte klar, dass „der Irak mit eiserner Faust von den USA und deren Verbündeten kontrolliert werden wird.“
Selbstredend soll dies auch direkt zur Ausbeutung des Landes genutzt werden. Mit Jay Garner, einem Protegé von Verteidigungsminister Rumsfeld, hatten die USA bereits kurz nach dem Krieg ihren Statthalter im Irak eingesetzt. Zwar wurde Garner aufgrund interner Querelen zwischen Verteidigungs- und Außenministerium, inzwischen durch Paul Bremer ersetzt, aber auch dieser wird sicherstellen, dass die lukrativen Verträge für den Wiederaufbau der von den USA zerstörten Infrastruktur bei US-Firmen wie Bechtel oder Halliburton landen, deren nahezu symbiotische Beziehungen zur Bush-Administration ja bestens bekannt sind.
Hierfür hat Washington darauf geachtet, dass die irakischen Schlüsselindustrien, der US-Kontrolle unterstellt werden. Von besonderem Interesse ist hierbei natürlich die Ölindustrie des Landes. Zuständig hierfür ist der zuletzt bei der US-amerikanischen Ölfirma Exxon beschäftigte Gary Vogler, der die „Aufsicht“ über das Ölministerium übernahm. „Bis auf weiteres“ so der Spiegel zu Voglers erster Anweisung, „sei allen Mitarbeitern des Ministeriums untersagt, selbstständig operative oder personelle Entscheidungen zu treffen, bedingungslos sei den Anweisungen der Koalitionskräfte zu folgen.“
Voglers wichtigste Aufgabe dürfte die Reprivatisierung der irakischen Ölindustrie sein, die als Vorzeigemodell für Saudi Arabien und die gesamte Region herhalten soll. Ariel Cohen, von der Bush-nahen Heritage Foundation schreibt hierzu im National Interest: „Der Ausweg aus dem ökonomischen Schlammassel der irakischen Ökonomie liegt in der Privatisierung seiner im Überfluss vorhandenen Ölvermögenswerte, nicht in bürokratischem Missmanagement, wie es manche befürworten. Wenn erfolgreich, könnte Iraks Privatisierung seines Ölsektors, der Raffinierkapazitäten und Pipelineinfrastruktur, als ein Vorbild für die Privatisierung anderer OPEC-Mitglieder dienen und somit die Kartelldominanz des Weltölmarktes schwächen.“
Dieses Vorhaben soll nun wohl so schnell wie möglich umgesetzt werden: „Nach einem vertraulichen US-Fahrplan“, berichtet der Spiegel, „soll innerhalb des nächsten Jahres mit den Irakern ein Konsens über die Privatisierung der Erdölindustrie gefunden werden. Washington schwebt dabei vor, in den folgenden drei Jahren Anteile der Iraqi National Oil Company zu vergeben.“
Obwohl die 1972 erfolgte Verstaatlichung der Ölproduktion im Irak weiterhin als antikolonialer Befreiungsakt betrachtet und eine Reprivatisierung von nahezu der kompletten Bevölkerung abgelehnt wird, ordnet Washington zielstrebig die Schritte zur Ausbeutung des Landes im Sinne der Profitinteressen seiner Ölfirmen an.
Dies bedeutet gleichzeitig aber die endgültige Abkehr von dem ohnehin nie ernst gemeinten Geschwätz einer angeblich angestrebten Demokratisierung des Landes. Denn jegliche Versuche sich gegen die Ausbeutung durch die US-Besatzer zur Wehr zu setzen, werden aller Wahrscheinlichkeit nach durch die „eiserne Faust“ des US-Militärs unterdrückt werden. „Was wird passieren, wenn wir erstmals eine Wahl im Irak abhalten und es sich ergibt, dass die Radikalen gewinnen?“ fragt Brent Scowcroft, nationaler Sicherheitsberater unter Bush Senior. „Wir werden sie sicher nicht die Regierung übernehmen lassen.“ Donald Rumsfeld unterstrich: „Wir werden es der demokratischen Transformation des irakischen Volkes nicht erlauben von denjenigen in Beschlag genommen zu werden, die eine weitere Form der Diktatur installieren könnten.“ Radikal bzw. undemokratisch sind wie üblich all jene Gruppen, die nicht gewillt sind die US-Okkupation einfach hinzunehmen, demokratisch diejenigen, die nach der US-Pfeife tanzen.
PNAC-Mitglied Donald Kagan macht für diese Besatzungspolitik eine einfache Kosten-Nutzen Rechnung auf: „Wir werden möglicherweise eine große Truppenkonzentration über einen langen Zeitraum im Mittleren Osten benötigen. Das wird seinen Preis haben, aber ich denke an die Kosten nicht über sie zu verfügen. Wenn wir ökonomische Probleme haben werden diese von Störungen unserer Ölversorgung verursacht. Wenn wir Kräfte im Irak stationieren, wird es keine Unterbrechungen der Ölversorgung geben.“
Anmerkungen
Jürgen Wagner ist Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung (www.imi-online.de) und Autor des Buches "Das ewige Imperium - Die US-Außenpolitik als Krisenfaktor".