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Coltan, Gold und Diamanten

Der Kongo-Krieg und die Interessen der EU

| Bernd Drücke

"Gestern war die dunkle Nacht des Kolonialismus. Heute ist das Leiden des Krieges, aber das Morgen wird das Paradies sein. Dieses Morgen ist nie gekommen, nur ein ewiges Heute." (Pepetela, Schriftsteller aus Angola)

Wenn Kriege geführt werden, dann geht es nicht zuletzt um Hegemonie, um den ungehinderten Zugriff auf wertvolle Rohstoffe, Transportwege, Einflusszonen,…

Kapitalismus ist Krieg

Der US-Angriffskrieg gegen den Irak ist nur ein Beispiel von vielen. Weltweit finden im Moment mindestens 45 kriegerische Auseinandersetzungen statt (1).

Meist werden sie von der Weltöffentlichkeit kaum wahr genommen. Einer dieser „vergessenen“ Kriege wird in der Demokratischen Republik Kongo geführt. Zwischen 3 und 4,7 Millionen Menschen sind nach Schätzungen der Organisation International Rescue Committee seit 1998 im dortigen Bürgerkrieg ums Leben gekommen.

Hintergründe des Bürgerkriegs im Kongo

Nach einem Bericht der UN-Untersuchungskommission geht es bei diesem Bürgerkrieg vor allem um die Kontrolle der im Kongo vorhandenen erheblichen Ressourcen an Gold, Diamanten, Uran, Tropenhölzern und Coltan (Colombo-Tantalit).

80 Prozent der global bekannten Coltan-Ressourcen liegen im Kongo (2). Unentbehrlich ist dieser laut Pentagon „strategische Rohstoff“ für die Herstellung von Hightechprodukten. In Spielkonsolen und in jedem Handy findet sich Coltan. Militärisch relevant ist es für die Nutzung in der Raumfahrt- und Kommunikationstechnologie. Die Krieg führenden Armeen und „Warlords“ finanzieren sich und den Krieg durch die Einnahmen aus dem Coltan-Abbau, der gigantische Gewinne abwirft und unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen erfolgt.

Unterstützt u.a. von Uganda und Ruanda bewaffnen die kongolesischen „Warlords“ Kinder und Erwachsene und lassen sie um Diamanten- und Goldminen kämpfen. Ideologisch werden die Kindersoldaten durch „ethnische“ Konstruktionen fanatisiert.

Thielo Thielke beschreibt im Spiegel (25/2003, S. 122 ff.) unter dem Titel „Willkommen im Wahnwitz“ den kongolesischen Bürgerkrieg als ethnischen Konflikt zwischen den Hema und den Lendu. Die ökonomischen und sozialen Hintergründe werden dabei weitgehend ausgeblendet.

„Ethnische Zuordnungen dienen lediglich als Trennlinien und Legitimationsmuster in einem mit Waffengewalt ausgetragenen Kapitalismus und einem Kampf um Güter, die westliche Wohlstandsbedürfnisse befriedigen“ (3), so Christoph Marischka von der Informationsstelle Militarisierung (IMI Tübingen).

Volker Riehl (Pax Christi) sieht die Bodenschätze als Motor des Konflikts. „Es ist notwendig, die Ursachen dieses chronischen Konflikts anzugehen: Ressourcenexport, Waffenimport und externe Rebellenunterstützung“, so Riehl am 3. Juli 2003 in der Berliner tageszeitung.

Ein Rückblick

Der Staat Kongo hat seinen Ursprung in der Kolonisierung. Er umfasste zunächst sieben Königreiche.

1884 teilte die Berliner Kongo-Konferenz Afrika willkürlich unter den europäischen Kolonialmächten auf.

Im Dezember 1957 hatten erstmals Wahlen zu den Verwaltungsbezirken stattgefunden, bei denen die kongolesischen Parteien 130 der 170 Sitze errangen. Die starke Forderung nach Unabhängigkeit löste 1959 erste Unruhen aus, woraufhin die belgische Regierung Wahlen und Selbstverwaltung in Aussicht stellte. Ein Kongress der führenden nationalistischen Parteien – darunter die beiden wichtigsten Gruppen ABAKO (Alliance de Bakongo) unter Joseph Kasavubu und die Kongolesische Nationalbewegung MNC (Mouvement National Congolais) unter Patrice Emery Lumumba – forderte im Januar 1960 die sofortige Unabhängigkeit.

Am 30. Juni 1960 reagierte Belgien auf die antikolonialistische Stimmung in der Bevölkerung und den Kampf der Menschen im Kongo für politische Selbstbestimmung. (4) An diesem Tag wurde der Kongo von der belgischen Kolonialmacht für unabhängig erklärt. „Dieses Datum könnt ihr nicht aus dem Gedächtnis verlieren, lehrt es eure Kinder und sagt ihnen, sie sollen es eure Enkelkinder lehren, und diese genauso“, so Emery Patrice Lumumba in seiner damaligen Rede, in der er den Menschen des Kongo die Leiden der Kolonisation und die Bedeutung der Unabhängigkeit in Erinnerung rief.

Nachdem Belgien den Kongo in die Unabhängigkeit entlassen musste, „blieb (…) ein Staat übrig, der keiner war, mit einer zerstrittenen und zersplitterten Parteienlandschaft, der bis heute keinen Frieden erlebt hat. Ständig mit westlicher Nachfrage nach Luxusgütern konfrontiert und vom Ausland mit Waffen versorgt, wurde die Gesellschaft zunehmend militarisiert, so dass heute schon Sechsjährige, vollgepumpt mit Drogen, in Uniform und mit Gewehren bewaffnet für die Interessen eines Rohstoffhändlers morden und plündern ohne dessen Namen überhaupt zu kennen.“ (5)

Die kongolesischen Eliten, auch die militärischen, werden nach wie vor in kolonialen Zusammenhängen ausgebildet.

Deutsche Interessen und die Rolle deutscher Konzerne

Mitverantwortlich für die kriegerischen Konflikte im Kongo sind auch deutsche Unternehmen, die Geld oder Waffen in die Region transferieren. Ein Beispiel: H.C. Starck, Weltmarktführer bei der Tantalit-Verarbeitung. Diese Tochter des deutschen Chemiekonzerns Bayer hat nach Angaben einer Kommission der Vereinten Nationen mit ihren Rohstoffgeschäften in Zentralafrika zur Finanzierung der Krieg führenden Armeen und „Warlords“ beigetragen. H.C. Starck war nach Angaben der UN-Untersuchungskommission in den Jahren 2000 und 2001 einer der Hauptabnehmer kongolesischen Coltans; nach Recherchen der Washington Post wurde zeitweise die Hälfte des kongolesischen Tantalits von Starck weiter verarbeitet. Ein im Oktober 2002 veröffentlichter UN-Bericht dokumentiert, dass H.C. Starck auch weiterhin Coltan aus der Demokratischen Republik Kongo bezogen hat.

Die Bundesregierung hält das „wirtschaftliche Potenzial des Landes“, das „seit der Unabhängigkeit nie voll ausgeschöpft werden“ konnte, für „enorm“. In einem Positionspapier des Auswärtigen Amtes („Außenpolitische Strategie für Zentralafrika“) heißt es, die Demokratische Republik Kongo werde in Zukunft „aufgrund ihrer Größe, des Rohstoffreichtums und der zentralen Lage an politischem und wirtschaftlichem Gewicht erheblich gewinnen“. Die Demokratische Republik Kongo ist etwa so groß wie Westeuropa. Um diese Region und ihre Ressourcen sind neokoloniale Verteilungskämpfe auch der kapitalistischen Groß- und Mittelmächte zu erwarten. Vor diesen ökonomischen Hintergründen muss das – wie schon beim Angriffskrieg 1999 gegen Jugoslawien – propagandistisch als „humanitär“ verbrämte militärische Engagement Deutschlands, Frankreichs und der Europäischen Union gesehen werden.

Nachdem Anfang Mai 2003 in der kongolesischen Stadt Bunia ca. 500 ZivilistInnen in Anwesenheit von 400 UN-Blauhelmsoldaten ermordet wurden, erwachte plötzlich die Weltöffentlichkeit. Der UN-Sicherheitsrat beschloss am 30. Mai eine 1.400 SoldatInnen starke multinationale „Friedenstruppe“ unter französischer Führung in die Region zu entsenden, „um die Zivilbevölkerung zu schützen“. Am 5. Juni beschloss der EU-Ministerrat die „Mission“. Einen Tag später landete ein französisches Vorauskommando mit 100 SoldatInnen und zwei Flugzeugen in Bunia. Am selben Tag befasste sich der Bundestag mit dem Fall. SPD, Grüne, FDP und CDU/CSU-Fraktion waren sich einig: die Bundesrepublik unterstützt den Militäreinsatz. Zwar will Kriegsminister Struck vorerst keine Kampfverbände stellen, aber die Bundeswehr wird sich an der EU-„Friedenstruppe“ im Kongo beteiligen. Dies beschloss das Bundeskabinett am 13. Juni. Die Bundeswehrsoldaten werden logistische und medizinische Aufgaben übernehmen. Sie werden außerhalb des Kongos stationiert sein. Der Einsatz der Bundeswehr innerhalb der EU-geführten Eingreiftruppe EUFOR ist bis zum 1. September 2003 begrenzt. Die „geringe“ Beteiligung des deutschen Staates wird offiziell damit begründet, dass die Möglichkeiten der Bundeswehr durch den Balkan- und Afghanistan-Einsatz nahezu erschöpft seien. In Bosnien, im Kosovo, in Mazedonien, in Georgien, in Usbekistan, in Kuwait, Dschibuti, Kenia und Afghanistan, weltweit sind laut Spiegel (Nr. 25/2003, S. 38) zurzeit ca. 8.000 BundeswehrsoldatInnen außerhalb des NATO-Gebiets im Kriegseinsatz „gegen den Terror“. Außerdem erwägen die deutschen Militärstrategen eine Ausweitung des Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr über die Grenzen Kabuls hinaus.

Die rotgrüne Bundesregierung ist nicht „pazifistisch“. Im Gegenteil. Den Angriffskrieg der US-Regierung gegen den Irak hat sie primär aus wahltaktischen und machtpolitischen Gründen abgelehnt (6). Am ebenfalls völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999 und am Krieg gegen Afghanistan hat sie sich aktiv beteiligt.

Die im Mai 2003 von Struck vorgelegten neuen „verteidigungspolitischen Richtlinien“ (7) sehen einen Aus- und Umbau der Bundeswehr zu einer weltweiten Interventionsarmee vor. Eine imperiale Armee im Dienst des deutschen Staates und des globalen Kapitalismus.

Und die Grande Nation?

Dass Frankreich mehr als die Hälfte der SoldatInnen der „Friedenstruppe“ stellen wird und die Führung des Militäreinsatzes im Kongo übernimmt, ist angesichts der französischen Verbrechen in Afrika sowohl in der kolonialen Epoche als auch in jüngster Vergangenheit ein makabrer Treppenwitz der Geschichte. Das neue französische Militär-Engagement weckt in Ruanda, einem Nachbarland des Kongo, böse Erinnerungen an die Zeit, als Frankreich den Massenmord der Hutu an den Tutsi unterstützte. Als 1994 der französische Staat vom UN-Sicherheitsrat ermächtigt wurde, „mit allen erforderlichen Mitteln“ in der Region zu intervenieren, war das ein Auslöser des Kongo-Konfliktes.

„In gewisser Weise schließt sich mit der Ankunft der französischen Soldaten auch ein Kreis. War es doch die »Opération Turquoise«, die 1994 den ruandischen Völkermördern aus der Interahamwe-Miliz einen Fluchtweg eröffnet hatte. Offiziell hatten die französischen Truppen in Ruanda interveniert, um für die Opfer des dortigen Völkermords eine »humanitäre Schutzzone« zu errichten. In der Realität konnten die Schergen des von Frankreich bis zuletzt unterstützten ruandischen Regimes durch diese Zone vor der anrückenden Ruandischen Patriotischen Front unter dem heutigen ruandischen Präsidenten Paul Kagame ins damalige Zaire fliehen. Diese Flucht markiert den Beginn des Konflikts im heutigen Kongo.“ (8)

In der Ost-West-Wochenzeitung Freitag schreibt Lutz Herden:

„Frankreich und Belgien wussten um das Blutbad an der Tutsi-Ethnie, das sich seit 1993 in Ruanda abzeichnete und taten nichts. Frankreich und Belgien ließen den zügellosen Autokraten Mobutu in Kinshasa solange gewähren, solange er sie im Kongo gewähren ließ. Auch jetzt ist Jacques Chirac auf diesem Markt der unbegrenzten Tätlichkeiten nicht aus Altruismus unterwegs, sondern weil sich die Chance bietet, mitten in Afrika Terrain zurückzuerobern, das seit dem Sturz des kongolesischen Diktators Mobutu im Mai 1997 den USA in den Schoß zu fallen schien.“ (9)

Resümee

Der Kongo-Einsatz wird ein Testballon für eigenständige, militärische Soloauftritte des „alten Europas“ außerhalb der NATO, „eine Generalprobe für die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) und die 60.000 Soldaten starke europäische Eingreiftruppe“ (10). Christoph Marischka (IMI): „Um die EU-Truppen überall auf der Welt als militärisches Instrument verwenden zu können, wird auch bei der EU eine Salamitaktik angewandt: zuerst beginnt man mit Einsätzen, die auf hohe Akzeptanz stoßen, später Militäreinsätze, die immer mehr Richtung Interventions- und Kriegseinsätze gehen, so ist eine schrittweise Gewöhnung an die EU als militärischer Faktor möglich.“

Die EU-Staaten wollen mit einer Militärintervention im Kongo ihren Einfluss im rohstoffreichen Afrika ausbauen. Zudem wollen Schröder und Chirac dem vermeintlichen Welthegemon USA die Stirn bieten. Seit dem Irak-Krieg sehen sie ihre Staaten und die von ihnen dominierte EU zunehmend in Konkurrenz zur einzigen militärischen Supermacht USA. Sie streben eine Militarisierung der EU unter deutsch-französischer Führung und militärische Unabhängigkeit von den USA an; aus antimilitaristischer Perspektive eine katastrophale Entwicklung hin zu weiteren Kriegen, der wir uns entgegenstemmen müssen.

Dass es bisher wenig Widerstand gegen die militärischen Vorhaben Frankreichs und Deutschlands gibt, deutet darauf hin, dass große Teile der Friedensbewegung, die sich gegen den US-Angriffskrieg auf den Irak engagiert haben, schlecht informiert und nur in Ansätzen politisiert sind. Es liegt auch an uns, diesen Zustand zu ändern. Es gibt keinen gerechten Krieg! Und das, was uns von den Herrschenden als „humanitär“ verkauft wird, ist Staatsterrorismus und neokoloniale Machtpolitik.

(1) Vgl. Volker Böge: Irreguläre, diffuse und asymmetrische Gewalt. Kriege am Beginn des 21. Jahrhunderts, in: Fantômas Nr. 3, Hamburg, Juni 2003, S. 7 f.

(2) www.de.indymedia.org

(3) Christoph Marischka (IMI): Generalprobe für EU-Militär im Kongo. http://imi-online.de/ download/ 23-03Analyse-KongoCM.pdf

(4) vgl. www.rrz.uni-hamburg.de/Konflikt-Afrika/KK-DA-KongoF-Wir.word.doc

(5) Christoph Marischka, a.a.O.

(6) vgl. GWR 271 ff.

(7) vgl. Editorial, GWR 280

(8) Alex Veit: Coltan als gutes Geschäft, in: Jungle World 25, Berlin 11.6.2003

(9) Lutz Herden: Rückkehr der alten Krieger. Militäreinsatz im Kongo: "Frankreich auf dem Markt der unbegrenzten Tätlichkeiten", in: Freitag Nr. 24, 6.6.2003

(10) Christoph Marischka, a.a.O.